Gunnar Heinsohn / 20.01.2017 / 20:00 / Foto: Jwslubbock / 6 / Seite ausdrucken

Deutschland will strafen, England lächelt

Theresa Mays Brexit-Rede vom 17. Januar zielt vorrangig „auf unsere Freunde überall in Europa“. Das wird nur von wenigen gesehen, weshalb die einschlägigen Passagen sogar in den wörtlichen Teilübersetzungen fehlen.

Sie konzentriert sich auf 24 der 27 EU-Nationen. Deutschland und Frankreich werden nur indirekt angesprochen: „Ich weiß, dass etliche Stimmen einen für uns schädlichen Deal fordern, um Großbritannien zu bestrafen und andere Länder davon abzubringen, denselben Weg zu gehen.

[…] Ich glaube allerdings nicht, dass solche EU-Führer deutschen Exporteuren, französischen Bauern, spanischen Fischern, den jungen Arbeitslosen der Eurozone und Millionen anderen allen Ernstes mehr Armut aufhalsen wollen, nur damit sie politisch punkten und England bestrafen zu können“[1].

Wäre sie weniger höflich gewesen, hätte sie zu den beiden Auftrumpfenden angefügt, dass beim internationalen Schüler-Mathewettbewerb 2015 (TIMSS) England 546 und Nord-Irland sogar 570 Punkte schafft, während Deutschland bei 522 endet und Frankreich mit 488 Punkten nur noch außer Konkurrenz mitläuft.

Mit Polens Premierministerin Beata Szydło besucht Theresa May vorausschauend bereits am 28. November 2016 das Polish War Memorial in RAF Northolt bei London. Es ehrt polnische Offiziere aus dem gemeinsamen Kampf für die Befreiung Europas von Hitlerdeutschland. Nachdem bereits in Estland und Rumänien britische Einheiten stehen, verspricht May ihrer polnischen Kollegin 150 Elitesoldaten für die Stationierung gegenüber Kaliningrad, wo Russlands Raketen auf Polen zielen. Doch die Koordination geht viel tiefer.

Polen lässt sich nicht gegen Großbritannien instrumentalisieren

Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der polnischen Regierungspartei PIS, bekundet in einem Interview bereits einen Tag vor der May-Rede, dass Angela Merkel nach Warschau kommen und über England sprechen wolle. Falls Berlin Bedingungen für ein „Wegstoßen Großbritanniens von Europa“ formuliere, werde man nicht mitziehen. Im Gegenteil werde man alles versuchen, „Großbritannien so eng wie irgend möglich“ bei der EU zu halten. Durch die Blume, aber unmissverständlich erinnert der Pole daran, dass man sein Land erst gestern als Pariah herumgestoßen habe und heute glaube, es gegen einen alten Alliierten benutzen zu können. Ein respektvoller Umgang zwischen Nachbarn sei das nicht[2].  

Man hört in London all die Drohungen aus Berlin und Paris mithin sehr genau. Statt aber zurück zu keilen, sucht man Vernünftige für die anstehenden Verhandlungen. Dafür wendet May „sich direkt an die Menschen in Europa“. Für sie breitet sie aus, was man an London hat: „Wir werden zuverlässige Partner sein, hilfsbereite Alliierte und enge Freunde. Wir wollen eure Waren und Dienstleistungen kaufen“. Europäische Firmen, die „über eine halbe Billion Pfund“ bei uns investiert haben, genießen auch in Zukunft unseren vorbildlichen Schutz der Eigentumsrechte. Ja, durch absolut „konkurrenzfähige Steuersätze“ könne man sie global noch stärker machen.

Doch alle Maßnahmen für Freihandel oder das Gedeihen von Bankhäusern werden nachrangig, wenn der innere und äußere Frieden bedroht ist. 1,3 Milliarden Menschen in 72 Ländern keuchen 2017 unter einem Kriegsindex zwischen 3 und 8. Es kämpfen also 3,000 bis 8,000 Jünglinge (15-19 Jahre) um die Positionen, die 1000 Ältere (55-59 Jahre) freimachen. Weil das für die meisten aussichtslos bleibt, wird die Gewalt zunehmen und mit ihr die Flucht in die europäischen Sozialstaaten. London bereitet sich eben darauf vor. Es hält aber gleichzeitig die Tür offen für andere Europäer, die ihre Heimat ohne Schutz sehen: „Wir werden auch weiterhin die Besten und die Klügsten zum Studieren nach Britannien einladen. […] Wir benötigen dauerhaft die Einwanderung von Hochqualifizierten”.

Am wichtigsten bleibt die militärische Potenz

Am wichtigsten allerdings bleibt die militärische Potenz, das Bündnis mit Trumps Amerika und auch mit der Atommacht Israel, bei dessen jüngster Verurteilung am 15. Januar zu Paris man nicht mitmacht und dabei Australien an seiner Seite hat. Ungeschminkt erinnert May an die exzellente Vernetzung der eigenen Sicherheitsdienste. Da klingt die dauerhafte Zusammenarbeit der Five Eyes an. Die Dienste der USA, des Vereinigten Königreiches, Australiens, Kanadas und Neuseelands bleiben für May das Rückgrat der Erde: „Die Kapazitäten unserer Geheimdienste – sie sind einzigartig in Europa – haben bereits quer über den Kontinent ungezählte Menschen vor Terroranschlägen bewahrt“.

Das wird nicht nur einmal gesagt, sondern für die Unaufmerksamen auch gerne wiederholt: „In Zeiten, da wir gemeinsam von unseren Feinden bedroht sind, werden Britanniens einzigartige Geheimdienste dabei mithelfen, die Menschen in Europa vor dem Terror zu bewahren.“  Selbst nach dem unumkehrbaren Schließen unserer eigenen Tore – so die Premierministerin – lassen wir euch nicht im Stich. Das ist auch ein Signal an die Wegziehenden. Wer jetzt nach Paris oder Frankfurt strebt, dort aber plötzlich seines Lebens nicht mehr sicher ist, wird wie ein verlorener Sohn zurückkommen können.

Für die gänzlich Schwerhörigen werden aber nicht nur „die besten Geheimdienste und tapfersten Truppen“ in Erinnerung gerufen. Auch das entscheidende Instrumentarium wird vorgezeigt: „Britannien und Frankreich sind in der EU die einzigen Nuklearmächte und die einzigen permanenten Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat. Britanniens Militär bleibt der Schlüssel für Europas kollektive Verteidigung“. Alle Welt weiß schließlich, dass die – 31 Milliarden Pfund teure - Erneuerung der britischen Nuklear-Boote eine der ersten Amtshandlungen der Premierministerin gewesen ist.

Das Nachdenken über Londons Angebote hat gerade erst begonnen. Noch schießt Berlin aus der Hüfte, will sich offensiv mit den nervösen heimischen Autokonzernen gegen britische „Rosinenpicker“ verbünden. Man droht und setzt auf Angriff. Aber die anderen Völker haben eine Wahl. Sie können sich in Nibelungentreue an ein strafendes Deutschland ketten und den bündnisbereiten Briten in die ausgestreckte Hand beißen. Sie können aber auch fragen, wer sie sicherer durchs 21. Jahrhundert bringt.  

[1] Alle May-Zitate hier.  zu [2] hier.

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 21.01.2017

Insbesondere die Visegrad-Staaten haben Berlin ja bereits mehrfach den Rücken zugekehrt und so der Politik der Alternaivlosigkeit einer Angela Merkel und Gefolge gezeigt, daß sie sehr wohl Alternativen zu deren Kurs sehen. Und die neue Regierung der USA unter Trump könnte weitere Möglichkeiten außerhalb des Berliner Kurses aufzeigen.

arno wahl / 21.01.2017

Fuer mich ist FRAU MAY eine gute und konsequente Politikerin. Es waere prima wenn unsere Politik sich auf die Konsequenzen des BREXIT genau so konsequent einstellen wuerde. In Zeiten des AMERIKA FIRST ist es sowieso anratbar sich auf neue Wege einzustellen. Auch ein Herr JUNCKER muss zur Disposition stehen, fuer mich ist ER fuer das Versagen der E.U. verantwortlich ! President TRUMP will neue Wege gehen und man kann nur hoffen, dass WIR es auch tun, weiter wie bisher ist = NO GO !

Florian Bode / 21.01.2017

Unter der unfehlbaren Anführerin steuert Deutschland auf seine dritte Katastrophe in gut 100 Jahren zu. AM ist ein unfehlbares Politgenie, Wilhelm II war auch so eins. Da saß wenigstens der Anzug.

Gerd Koslowski / 21.01.2017

Das perfide Albion ist wieder da, Gott strafe England, der zweite Wilhelm lässt grüßen. Deutschland täte gut daran, rational mit der Situation umzugehen.

Karl Mallinger / 21.01.2017

Naja, die Briten wollen doch bekanntlich SELBER aus der EU austreten, oder? Eine “Cherrypicking-Beziehung” zur EU, wo sich das Vereinigte Königreich einerseits die “Rosinen” wie den europäischen Binnenmarkt herauspickt, aber die Pflichten wie die Freizügigkeit für europäische Arbeitnehmer für GB nicht gelten, ist aus EU-Sicht natürlich inakzeptabel. Wer “A” sagt, muss auch “B” sagen! Warum sollten die anderen EU-Mitgliedsstaaten den Briten eine solche privilegierte “Extrawurst” zugestehen? Entweder ganz oder gar nicht!

Werner Liebisch / 21.01.2017

Wie immer hervorragend analysiert, aber man merkt ihnen, ihre Tätigkeit für die NATO an. Warum muss eine Partnerschaft mit Russland schlecht sein? Wem nützt dies? Das wissen sie besser als ich, aber ich stelle mir die Achse USA, Europa und Russland nicht als eine Dystopie vor.

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