Liebe Leserinnen und Leser, oder wie wir in Deutschland inzwischen sagen: Liebe Lesende, versuchen Sie bitte, sich Folgendes vorzustellen:
Sie fahren ein schon älteres, aber durchaus verkehrstaugliches Auto. Alle zwei Jahre kommt es ohne Mühe durch den TÜV, dazwischen müssen Sie nur das Öl wechseln. Eines Tages aber hören sie ein seltsames Geräusch, als würden zwei Metallteile aufeinanderschlagen. Sie fahren das Auto zur Werkstatt, der Chefmechaniker tritt im Leerlauf voll auf das Gaspedal und sagt: „Kann nur eine Kleinigkeit sein, kommen Sie morgen wieder.“
Am nächsten Tag sind Sie wieder da. Der Mechaniker gibt ihnen die Autoschlüssel zurück und sagt: „War nur eine Kleinigkeit, eine Kerze war locker.“ Sie freuen sich und fahren los. Nach 10 Minuten ist das Geräusch wieder da, stärker als beim ersten Mal.
Sie wenden und bringen das Auto wieder in die Werkstatt. Der Chefmechaniker sagt: „Ich schau noch mal nach. Es könnte auch der Anlasser oder die Lichtmaschine sein.“ Sie sind schon etwas genervt, lassen es sich aber nicht anmerken. Der Mechaniker erneuert den Anlasser und tauscht die Lichtmaschine aus. Und tatsächlich: das Geräusch ist weg. Sie fahren heim, stellen das Auto in der Garage ab und schämen sich ein wenig, weil Sie schon mit dem Gedanken gespielt haben, die Werkstatt zu wechseln.
Nur: Kaum haben Sie tags darauf die Garage verlassen, rappelt es wieder unter der Motorhaube…
Jetzt ist Schluss
Sie ahnen, worauf ich hinauswill. Das Auto ist Corona, der Chefmechaniker ist Angela Merkel und der Autofahrer, das bin ich, der Bürger, der sich darauf verlässt, dass seine Regierung weiß, was sie tut. Aber jetzt ist Schluss.
Mindestens neunzehnmal – zuerst am 12. März 2020, zuletzt am 23. März 2021 – beriet die Konferenz der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin über Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie, physisch im Kanzleramt oder digital im Netz, aber immer bis tief in die Nacht, um jedes Mal am Ende die frohe Kunde zu verbreiten, man sei einen „guten Schritt“ vorangekommen.
Letzten Montag, am 12. April, wollte man sich wieder treffen. Der Termin wurde am Wochenende abgesagt, weil sich die Ministerpräsidenten nicht auf eine Tagesordnung einigen konnten.
Mehr als ein Jahr nach dem ersten festgestellten Fall in Deutschland, Ende Januar letzten Jahres, sind wir „back to square one“. Mitten in der „dritten Welle“ und dem dritten Lockdown hat die Kanzlerin beschlossen, dass es so nicht weitergeht und die „Notbremse“ gezogen. Die Große Koalition will noch im Laufe dieser Woche das „Infektionsschutzgesetz“ der Lage anpassen.
Dazu braucht sie zwei Drittel der Stimmen im Bundestag, mehr als sie selbst auf die Waage bringt. Deswegen wirbt sie um Hilfe aus der Opposition. Gelingt der Coup, für den das Grundgesetz geändert werden muss, könnte die Regierung mit Hilfe von „Rechtsverordnungen“ durchregieren, vorbei am Bundestag und ohne Rücksicht auf die 16 Bundesländer, die ihre Zuständigkeiten für die Speisepläne der Kitas und die Pausenzeiten an den Schulen behalten dürfen.
Auf eigenes Risiko
Es wäre das Ende des föderalen Systems und der Anfang von etwas, das an die Weimarer Republik erinnert, die in ihrer Endphase mit „Notverordnungen“ regiert wurde. Die Bundesrepublik ist auf dem Weg zu einem „failed state“, nicht nur weil Deutschland „nach 16 Jahren Merkel in vielen Bereichen ein Sanierungsfall“ ist, wie es der Industrie-Manager Wolfgang Reitzle zurückhaltend formuliert, sondern weil es sich der Fiktion hingibt, eine politische, wirtschaftliche und moralische Großmacht zu sein. Dabei ist das Land nur der Zahlmeister der EU, der sich die Treue seiner „Partner“ durch teure Geschenke erkauft – zum Beispiel. die „Europäisierung“ ihrer Schulden.
Das eigene Versagen beim Ankauf der Impfstoffe und der Organisation der Impfkampagne wird als Absage an den „Impfnationalismus“ verklärt. Man habe sich nicht „vordrängeln“ wollen, wie es Großbritannien und Israel getan haben, sagt der sächsische Ministerpräsident in einer Talk-Show.
Das alles funktioniert nur – oder: hat bis jetzt funktioniert –, weil ein großer Teil der Vierten Gewalt die Politik der Regierung vorbehaltlos unterstützt. So hat z.B. die hessische Sektion des Deutschen Journalisten Verbandes zu einer Demo gegen eine Querdenker-Demo vor der Zentrale des Hessischen Rundfunks aufgerufen. Die Querdenker seien „Verschwörungstheoretiker“ und würden behaupten, „dass es keine freie Presse in Deutschland“ gibt. Das könne man nicht hinnehmen. „Wir lassen unsere Pressefreiheit nicht verunglimpfen.“
Die Teilnahme an der Demo gegen die Querdenker-Demo war eine Art Mutprobe. Deswegen wurden die Teilnehmer vorgewarnt: „Teilnahme erfolgt auf eigenes Risiko.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.