Wo sind die deutschen Interessen in der Außenpolitik? Sie sind nicht verlorengegangen – sie waren niemals vorhanden.
Das Diktum ist bekannt: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ In seiner Absolutheit drückt es zweifellos eine wesentliche Eigenschaft von Staaten aus, gleich anderen prägnanten Aussprüchen, aber gerade wegen dieser Absolutheit trifft es nur eingeschränkt zu.
Die schnelle Anerkennung von Slowenien und Kroatien als junge Nationalstaaten durch Außenminister Genscher traf nicht auf die Zustimmung etlicher unserer engen Verbündeten. Sie war richtig, weil die Geschichte sie bestätigt hat. Heute will niemand von seiner Ablehnung noch etwas wissen. Ebenso entsprach sie deutschen Interessen. Danach entwickelten sich zu diesen Staaten durchaus freundschaftliche Beziehungen, später kamen noch weitere osteuropäische, wie die baltischen Länder, Polen, Tschechien oder Ungarn hinzu.
Es mag sein, dass dies nur eine Episode in der deutschen Außenpolitik gewesen ist, geschuldet einer historisch einmaligen Situation und ihrer energischen Ausnutzung durch einige wenige der damaligen deutschen Politiker, denn auch in Deutschland selber gab es heftige Gegenwehr. Die SPD unter Lafontaine wollte die DDR am Leben erhalten und die damaligen Grünen hatten den osteuropäischen Freiheitsbestrebungen niemals einen Gedanken gewidmet, er wäre für Grüne zu lang gewesen.
Nicht endlos durch die Geschichte hindurchmogeln
Alles vergangen und vergessen! Heute lautet das Diktum für Deutschland: Weder noch! Deutschland hat weder Freunde noch Interessen. Für einen großen und dicht bevölkerten Flächenstaat ist dies eine weltweit einzigartige Situation. Mit seinem Verhältnis zu Russland und China ist Deutschland unter seinen Verbündeten isoliert, und durch die Flüchtlingspolitik seit 2015 hat es die Freundschaft zu Osteuropa zugunsten eines moralischen Überlegenheitswahns verloren. Welche Staaten können Vertrauen zu Deutschland haben, der Basis für Freundschaft, wenn Deutschland meint, deren Interessen durch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit ihren Gegner übergehen zu können, oder gar in der UNO gemeinsam mit Diktatoren abzustimmen? Jedes Land kann dies tun, wenn es militärisch stark genug ist. Deutschland ist es nicht. Die moralischen Ansprüche Deutschlands gegenüber anderen Staaten gleichen der Absicht einer Bäuerin, durch Musik der Kuh die Milch entlocken zu wollen.
Freunde hatte die Bundesrepublik durchaus, aber niemals waren die USA, Frankreich, Großbritannien oder gar Russland und China unsere Freunde, denn stets hatten jene Staaten ganz eigene Interessen. De Gaulle wollte ein starkes Frankreich in einem europäischen Verbund, um stärker gegen die USA zu sein. Mitterand sogar machte sich auf die Reise zum letzten SED-Ministerpräsidenten Modrow nach Ostberlin. Thatcher fürchtete die Wiedervereinigung, weil sie die außenpolitische Position ihres Landes gefährdet sah. Bush Senior unterstützte die Wiedervereinigung, weil er Deutschland als Partner gegen Frankreich benötigte. Heute benötigen Putin und China die Bundesrepublik Deutschland gegen die USA. Welche Interessen hatte Deutschland in diesem machtpolitischen Konglomerat? Darauf gab die deutsche Politik niemals eine Antwort. Indessen kann sich ein Staat nicht endlos durch die Geschichte hindurchmogeln.
Zufälle und Brüche sind nicht vorgesehen
Die deutschen Eliten, Politiker, Intellektuelle, Unternehmer oder Journalisten verlangen von der Außenpolitik ihrer Regierung zuallererst Zurückhaltung, sie wären damit doch immer gut gefahren. Ohne Richtung meint man, die Verantwortung für die Resultate nicht übernehmen zu müssen. Sie denken nur linear, der Mittelstand folgt ihnen. Zufälle und Brüche, generell Nichtlinearitäten, kommen in ihrem Denken nicht vor. Treten sie trotzdem auf, sind sie von anderen Staaten oder durch höhere Gewalt verursacht. Die Finanzkrise durch die USA, Afghanistan durch die USA, Ukraine durch ungeschicktes Verhalten der Ukraine, Flüchtlingskrise durch unsolidarisches Verhalten der Osteuropäer, Klimaveränderung durch alle Staaten, Corona durch die Natur.
Andere Gefahren für Deutschland, vor allem die von China ausgehenden Kriegsgefahren im Verein mit der enormen Zunahme der innenpolitischen Knebelung sind bei den deutschen Eliten noch nicht angekommen. Markant, dass nur eine deutschsprachige Zeitung, die Schweizer NZZ, fast wöchentlich darüber berichtet. Als Thilo Sarrazin mit seinem ersten Buch, „Deutschland schafft sich ab“, vor den Gefahren der islamischen Religion und einer islamischen Migration aufrütteln wollte, stimmten sämtliche Eliten Frau Merkel zu, dass diese Warnung nicht hilfreich sei. Die fast zwei Millionen Leser des Buches interessierten die Eliten nicht. Die weitgehende Rückständigkeit aller islamischen Länder und der islamische Terrorismus wird weltweit mit der islamischen Religion verknüpft, nur in einem Land verweigern sich deren Eliten einer offenen Diskussion dazu.
Wie werden diese Eliten reagieren, wenn der Iran seine erste Atomrakete gestartet hat? Kondolenzmails nach Israel senden. Wie werden diese Eliten reagieren, wenn China Taiwan angreift? Ein Kontingent für Taiwanesische Flüchtlinge zusagen. Wie werden diese Eliten reagieren, wenn Russland zusammen mit Weißrussland die Ukraine angreift? Ein Sanitätsflugzeug nach Kiew schicken.
Persönliche Verantwortung ist unmodern geworden
Eigentlich müssten die Coronakrise und die Afghanistankrise Veranlassung zum radikalen Umdenken sein. Eigentlich. Es ist in Deutschland unmodern geworden, persönliche Verantwortung zu übernehmen. Zudem sind auch keine Persönlichkeiten zu erkennen, die gegenüber dem deutschen Volk glaubhaft für einen Wandel stehen würden.
Deutschland versteckt sich mit seiner Außenpolitik, weil es meint, damit stark bleiben zu können. Bedauerlich nur, dass kein Staat im Rest der Welt diese Ansicht teilt. Ohne außenpolitische Interessen kann kein Staat dauerhaft wirtschaftlich stark bleiben. Das Umgekehrte gilt ebenso. Die Verknüpfung von außenwirtschaftlicher und außenpolitischer Stärke scheint für die deutschen Eliten außer Kraft gesetzt zu sein.
Supergescheit sind auch deutsche Politiker, die ihre Kollegen aus anderen Staaten fragen:„Was erwarten sie eigentlich von Deutschland?“ Eine gewitzte Antwort wäre: „Das zu machen, was wir wollen.“ Der deutsche Außenminister wäre um eine Reaktion nicht verlegen: „Darüber müsste ich erst nachdenken.“
Wo sind die deutschen Interessen in der Außenpolitik?
Welche außenpolitischen Interessen sollte Deutschland aufweisen?
Dazu könnte ein Kanon vorgelegt werden, der aber ständig unvollständig wäre. Indessen, würde ihn ein Politiker aufstellen, ginge er ein Risiko ein: Aufsteigen oder absteigen. Er müsste aber gar nicht einen solchen Kanon zur Diskussion stellen, er bräuchte bloß mit einem Interesse anfangen. Dazu zwei Vorschläge:
- UNO: In der UNO stellen Staaten aus Diktaturen, Autokratien und Theokratien die Mehrheit. Auch die Mehrheit der höheren Beamten wird von ihnen gestellt. Was können westliche Staaten gegen diese Mehrheit ausrichten? Erforderlich: Einstellung der Finanzierung. Wenn in der UNESCO Staaten Einfluss ausüben, die, aus welchen Gründen auch immer, Kulturgüter vernichten und nicht ausgeschlossen werden: Austritt! Wenn Staaten die Zusammenarbeit mit der WHO verweigern und nicht ausgeschlossen werden: Austritt! Wenn im Menschenrechtsrat Staaten Mitglied sind, die Menschenrechte nicht respektieren: Austritt! Diese Liste würde lang werden.
- Entwicklungshilfe: Zu keinem Zeitpunkt konnten die beabsichtigten Resultate erbracht beziehungsweise nachgewiesen werden. Erforderlich: Sofortiger (also nicht irgendwann) und vollständiger Stopp, ohne jeglichen Ersatz! Die deutsche Entwicklungshilfe ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für gescheiterte Sozialpädagogen und Möchtegernmanager. Das Ministerium ist eine Korruptionsförderungsanstalt und sein Minister ein Sponsor der internationalen Luftfahrt.
Austreten aus UNO-Unterorganisationen? Undenkbar! Zahlreiche deutsche Beamte würden arbeitslos werden. Aber warum sollte China nicht die deutschen Zahlungen übernehmen, es hat ja sowieso bei allen Entschlüssen ein Vetorecht.
Einfacher wäre es mit der Einstellung der Entwicklungshilfe, denn diese würde im Vergleich zur chinesischen „Entwicklungshilfe“ überhaupt nicht auffallen.
Bei beiden Interessen würde die deutsche Regierung Geld sparen, die sie dann zur Aufstockung der Hartz IV-Sätze verwenden könnte, womit sie sich der Zustimmung (fast) aller Parteien sicher wäre. Ergo: Es wäre doch überhaupt nicht so schwer, deutsche Interessen in der Außenpolitik wahrzunehmen. Übrigens, hat ein Politiker jemals gesagt, dass mit weniger Hartz IV auch die Anzahl der Arbeitslosen sinken würde?
Wo sind die deutschen Interessen in der Außenpolitik? Sie sind nicht verlorengegangen, denn dann hätten sie jemals vorhanden sein müssen. Deutsche Politiker haben sie – von seltenen früheren Ausnahmen abgesehen – niemals benötigt. Sie haben sich auf die Ausweitung des Sozialstaates konzentriert. Nicht die Wahrung deutscher Interessen brachte sie in die Regierung, sondern ihre Zusicherung zusätzlicher sozialer Wohltaten, damit hielten sie die Wähler vom Interesse an deutschen Interessen auswärts ab. Das brachte Deutschland nach Afghanistan.