Gerd Held / 09.10.2020 / 06:25 / Foto: Pixabay / 103 / Seite ausdrucken

Deutschland in der Denkfalle (2): Die wahre Wirtschaftslage

Als der britische Historiker Christopher Clark den Titel „Die Schlafwandler“ wählte, um den Gang Europas in den ersten Weltkrieg auf eine Formel zu bringen, beschrieb er eine eigenartige Dämpfung des Bewusstseins und der Handlungsfähigkeit. Es gab keine zwingenden Gründe für diesen Krieg, und es gab durchaus ein Wissen, dass dieser Krieg für alle Seiten verheerend sein würde. Doch die Fakten, die vorlagen, wurden nicht ernst genommen. Das Problem war also keine völlige Blindheit, sondern eine Art Dämpfung des Lichts, das auf die Dinge geworfen wurde, und auch eine Dämpfung der Reaktionen, die selbst Verluste von historischen Ausmaßen wie etwas aufnahmen, das die jeweiligen Länder nicht wirklich betraf.  

Vielleicht werden Wirtschaftshistoriker die Situation, in der sich die hochentwickelten Länder mit ihren Industrien und ihrer Wertschöpfung heute befinden, später einmal mit ähnlichen Worten beschreiben. Das gilt auch für Deutschland. Es vergeht gegenwärtig kein Tag, an dem nicht Hiobsbotschaften aus Kernbereichen der deutschen Industrie eintreffen. Große und mittelständische Unternehmen kündigen Massenentlassungen an, ganze Geschäftsfelder werden eingestellt. Die bisherige Basis der Wertschöpfung bricht damit weg, ohne dass ein auch nur annähernd gleichwertiger Ersatz in Aussicht wäre. Die Bedrohung geht also an die Substanz, sie ist existenziell. Aber das alles wird aus einer merkwürdig gleichgültigen Distanz wahrgenommen. Selbst wenn man bisweilen starke Worte für die Gefahren wählt, so werden diese dann doch wieder dementiert, indem irgendein Krisenmanagement in Aussicht gestellt wird. Die Lage kann noch so unhaltbar geworden sein, doch es wird keine grundlegende Entscheidung getroffen, sondern – ausgerechnet! – das Heil im „Auf Sicht Fahren“ gesucht. Begleitet wird das von vagen Andeutungen „ganz neuer“ Produktionsweisen.  

Das folgende Beispiel zeigt, wie selbst sehr kritische Lagebeurteilungen nicht dazu führen, jetzt eindeutig und unverzüglich eine Richtungsänderung in Wirtschaft und Politik zu fordern. 

Ein durchaus finsteres Lageurteil 

Auf der Titelseite der FAZ (16.9.2020) ist unter dem Titel „Boten des Strukturwandels“ ein Leitartikel von Gerald Braunberger, dem für den Wirtschaftsteil verantwortlichen Herausgeber der FAZ. Der Leitartikel beginnt mit einer durchaus finsteren Beurteilung der Lage:

„Die deutsche Automobilindustrie und ihre Zulieferer gelten zusammen mit dem Maschinenbau zu recht als das Herz der deutschen Industrie… Erhebliche, zum Teil als Folge der Klimapolitik der Industrie aufgezwungene Regulierungen sowie Verhaltensänderungen vieler Menschen erzeugen ein Flimmern in den Kammern des Herzens der deutschen Industrie.“

Braunberger betont, dass es sich bei den betroffenen Unternehmen um „bis vor kurzem zumindest ordentlich profitable Unternehmen mit sehr gut ausgebildeten und motivierten Arbeitskräften“ handelt. Zugleich schreibt er, dass der Druck auf die Industrie, wie schon vorher in anderen Ländern, nun „unwiderruflich da“ sei. Was soll „unwiderruflich“ heißen? Damit wird akzeptiert, dass der „bis vor kurzem“ noch gesunde Zustand der Industrie nun nicht mehr gilt. Ohne es näher zu begründen, wird aus „aufgezwungenen Regulierungen“ und der behaupteten Verhaltensänderung „vieler“ Menschen ein als notwendig erachteter grundlegender Wandel. 

Die täuschende Rede vom „Strukturwandel“

Hier taucht das Wort „Strukturwandel“ auf, und damit ist die Krise als etwas eingeordnet, was wir von altindustriellen Regionen kennen. Das soll in Deutschland vorliegen, mehr nicht. Braunberger kritisiert daher nur, dass die Regierung diesen Wandel mit „zu viel Geld“ und „zu viel Plänen“ steuert. 

„Ein verantwortungsvoller Umgang mit einem Wandel, der sich nicht auf die Automobilbranche beschränken wird, erfordert von Regierenden einen ordnungspolitischen Kompass, der den Unternehmen möglichst viel Spielraum gibt, sich an die Veränderungen ihres Umfelds anzupassen.“

Damit werden die Veränderungen des Umfelds, womit vor allem die Klimapolitik gemeint ist, als gegeben hingenommen und die Aufgabe so gefasst, dass sich die Unternehmen diesen Vorgaben „anpassen“ müssen. Diese Unterordnung der Unternehmen unter politische Vorgaben nennt Braunberger Ordnungspolitik. Aber Märkte und Unternehmen sind für ihn nur zweitrangige Ordnungselemente. Zwar kritisiert er „zu viel Pläne“ aus dem Wirtschaftsministerium, aber er akzeptiert den Hauptplan, der der Automobilindustrie die Geschäftsgrundlage nimmt: die CO2-Emissionsziele und die in ihrem Namen verordnete Verabschiedung des Verbrennungsmotors. Dieser Hauptplan wird als „Veränderungen des Umfelds“ verbucht und akzeptiert.

Eine Produktivitätskrise 

Doch gerade diese „Veränderungen des Umfelds“ sind nicht naturgegeben, sondern beruhen auf „grünen“ politischen Setzungen – und diese Setzungen nehmen sehenden Auges in Kauf, dass die Automobilindustrie keine Massenindustrie mehr sein wird. Denn die Ersetzung des Verbrennungsmotors durch E-Motoren ist beim gegenwärtigen Stand der Technik nicht mit kostentragenden Preisen für Massenmärkte zu haben. Hier kann keine Wertschöpfung mehr stattfinden. Während man beim Strukturwandel von einem Erhalt der Wertschöpfung durch neue Produkte, Herstellungsverfahren und Branchen ausgeht, wird in der Automobilindustrie jetzt eine Produktivitäts-Krise ausgelöst – weil die E-Mobilität auf einer kostspieligeren, ertragsärmeren Technologie basiert.

Das gilt für eine ganze Reihe anderer „Wenden“ (Energiewende, Agrarwende) auch. Es ist gewissermaßen ihr Markenzeichen. Die Krise, die jetzt die Herzkammer der deutschen Industrie trifft, ist eine Wertschöpfungskrise, die durch ökologische (und soziale) Auflagen verursacht wird. Erst wenn man diese Art der Krise deutlich von einer Strukturwandel-Krise unterscheidet, kann man erfassen, welcher ruinöse Prozess in Deutschland (und Europa) in Gang gesetzt wurde. Und auf welchen wirtschaftlichen Abgrund wir zutreiben.

Ein Leitartikel, der ratlos macht 

An einer Stelle des Leitartikels klingt das bei Braunberger auch an – wo er nämlich den Dieselmotor verteidigt und das Wertschöpfungs-Problem der „grünen“ Ökonomie zumindest andeutet:

„Der Diesel ist heutzutage weitaus umweltfreundlicher als noch vor zehn Jahren, während die Elektromobilität, alle Komponenten und die Frage der Energieversorgung eingeschlossen, ihre klimapolitischen Vorzüge erst noch erweisen muss. Notwendig wäre auch, Wunsch und Wirklichkeit in der Möglichkeit, wirtschaftliche Wertschöpfung durch eine rasche Ausrichtung auf eine ‚grüne Wirtschaft‘ zu schaffen, scharf zu trennen.“

Sehr gut. Aber dann dürfte Braunberger doch nicht von einer unumgänglichen Anpassung der Industrie an „Veränderungen ihres Umfelds“ ausgehen. Dann müsste er für eine Aufhebung all jener politischen Beschlüsse und Gesetze eintreten, die den Verbrennungsmotor aus allen Neuwagen ab 2030 verbannen wollen. Nur durch solche Entscheidungen ließe sich die (selbst-)mörderische Anpassung der deutschen Industrie an politische Fiktionen wirklich stoppen. Alles andere wäre eine Fortsetzung der Schlafwandelei in den Abgrund.   

 

Teil 1 finden Sie hier.

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G. Schilling / 09.10.2020

1998 schuf der damalige Bundespräsident*  Roman Herzog den Begriff “Laptop und Lederhose”, 1999 legte Baden-Württemberg nach mit “mir könnet alles außer hochdeitsch”. Was ist davon geblieben?? Heute können wir nur noch gender und sind Vorreiter für nichts und niemand. Eine tolle Erfolg. Aber das ist ja NAZI. Genauso wie Steigerung, Zuwachs, Anstieg oder Progression. Deutschland hat fertig, nur leider hat das noch keiner der Tropfe gemerkt. Mit Ausnahme der Manager die massenweise Arbeitsplätze abbauen wollen und werden. * Ein Präsident der den Titel würdig trug. Im Gegensatz zu Stinkefisch Walter.

B. Oelsnitz / 09.10.2020

Nachtrag Nr. 1 - @ Sonja Bauch: Sie vergaßen, zu erwähnen, daß die Autofahrer mithelfen, die Renten zu finanzieren (nach offiziellem Sprachgebrauch, vermutlich sind es aber die Pensionen der Politiker und so wird verständlich, daß ab 2021 die Kraftstoffpreise zusätzlich beaufschlagt werden!).

P. Kreiterling / 09.10.2020

Helmut Schmidt: “Systemverändernde Reformen und totale Utopien enden in einem geschlossenen, totalitären Staat.” Damit ist zur europäisch-deutschen “Gesinnungs-Klimapolitik” das Notwendige gesagt.

Günter H. Probst / 09.10.2020

Die Bewohner des mitteleuropäischen Siedlungsgebiets sind einfach neugierig und lernen nur durch Wiederholung. Das Ende nach verlorenen Kriegen haben sie jetzt begriffen. Das Ende durch den Zusammenbruch der Wirtschaft hat nur ein Teil erlebt und das reicht noch nicht. Deswegen wird es jetzt noch einmal für alle aufgelegt. Danach sehen wir weiter.

K.Bucher / 09.10.2020

Nicht nur meine Meinung : Zitat aus——KLIMA"UNREALISTISCHES SZENARIO” Studie: E-Autos können das Klima nicht retten Von Tim Sumpf 8. Oktober 2020++++ Die Umweltbewegung benutzt mit sensationeller Rhetorik den aufrichtigen Wunsch der Menschen, die Umwelt zu schützen. Allerdings treiben verschiedene Akteure den Umweltschutz auf die Spitze und verabsolutieren das harmonische Zusammenwirken der menschlichen Gesellschaft mit der natürlichen Ökologie. Was viele dabei nicht erkennen, ist, wie Kommunisten diesen neuen „Ökologismus“ benutzen, um sich als moralisch überlegen darzustellen und ihre eigene Agenda voranzutreiben. Auf diese Weise wird der Umweltschutz in hohem Maße politisiert, ins Extrem getrieben und sogar zu einer Pseudo Religion. Irreführende Propaganda und verschiedene politische Zwangsmaßnahmen gewinnen die Oberhand, wobei sie das Umweltbewusstsein in eine Art „Kommunismus light“ verwandeln. „Öko und die Pseudo Religion Ökologismus“ wird im Kapitel 16 des Buches „Wie der Teufel die Welt beherrscht“ analysiert. ++++Dieses Buch ist Sehr zu empfehlen ich habe es mir schon angetan und keinesfalls bereut ....Fazit nach 1945 war vielleicht NICHT ALLES BESSER aber auf jeden Fall aufrichtiger und unglaublich Innovativ .Aber meine Hoffnung schwindet jeden Tag mehr wenn ich mir Jahr für Jahr die Pisa Studien und auch die Universitäts rankings so näher betrachte .BITTE woher soll die Zukunft kommen ? Vielleicht von Religiösen Fanatikern die zu Millionen inzwischen NEU eingewandert sind und HAUPTSÄCHLICH nur einfache Verbraucher , aber ganz sicher keine HAUPTSÄCHLICHEN Hersteller sind ....BRD igung hatte man damals schon manchmal gesagt Inzwischen wird das leider Täglich mehr Wirklichkeit

Werner Arning / 09.10.2020

Religionen, Ideologien, moralische Haltung, neuerdings Umweltbewusstsein haben sich immer (und tun es aktuell) wunderbar dazu geeignet, um rein materielle Ziele, die jedoch in der Regel nicht benannt und erklärt werden und von einer privilegierten Minderheit angestrebt werden, mit Einwilligung der Bevölkerung durchzusetzen. Das „Gefühl“ ist für die Bevölkerung, der jeweilige materielle Gewinn kommt der Minderheit zugute. Die Bevölkerung fällt nur eben regelmäßig auf die Beschwörung eines Gefühls herein und applaudiert, wenn ihr das eigene Grab geschaufelt wird. Oder besser: die Bevölkerung darf schaufeln.

Paul J. Meier / 09.10.2020

Wertschöpfungsketten werden heute durch Blockchains ersetzt. Ist auch nicht so anstrengend, ein paar Klicks genügen.

Engelbert Gartner / 09.10.2020

Unsere von 85 % der Bevölkerung hoch geschätzte Führerin denkt, wie man weiß, vom Ende her.  Und da sind wir bald angekommen

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