Thilo Sarrazin / 12.10.2018 / 06:28 / Foto: Achgut.com / 51 / Seite ausdrucken

Deutschland im Herbst: Verdrängung als Kunstform und Prinzip

Wie die Asylstatistik zeigt, erhalten weniger als 2 Prozent der Asylbewerber in Deutschland politisches Asyl, wenn alle Prozesse geführt sind und der Rechtsweg ausgeschöpft ist, was üblicherweise viele Jahre dauert. Nur 30 Prozent werden als Kriegsflüchtlinge mit zeitlich begrenztem Aufenthaltsrecht anerkannt. Aber weit über 90 Prozent verbleiben dauerhaft in Deutschland, lassen Angehörige nachziehen und gründen große und schnell wachsende Familien. Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland will einfach nicht steigen und verharrt seit Jahren bei etwa 25.000 im Jahr. Wer die deutsche Grenze erreicht und das Wort Asyl ausspricht, weiß, dass er mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit für immer bleiben kann.

Angela Merkel versuchte seit der Öffnung der Grenzen im Herbst 2015, den gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Sie sprach immer wieder davon, dass das Aufenthaltsrecht von Kriegsflüchtlingen zeitlich begrenzt sei und Abschiebungen konsequent durchgeführt werden müssten. Von der Wirklichkeit wurde sie Lügen gestraft.

Der reale Kern ihres Machtkampfes mit Bundesinnenminister Horst Seehofer vor der Sommerpause ging um die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis. Da man offenbar im deutschen Asyl- und Verwaltungsrecht kaum jemanden gegen seinen Willen zur Ausreise zwingen kann, wollte Horst Seehofer an den deutschen Grenzen die Herrschaft über die Einreise zurückgewinnen. Das hat die Bundeskanzlerin mit Erfolg verhindert. Über die Einreisemöglichkeit bestimmen weiterhin das dysfunktionale Dublinabkommen und der versagende europäische Grenzschutz, nicht etwa der deutsche Innenminister. 

Seehofer – ein Schatten seiner selbst

Durch diese politische Niederlage wurde Horst Seehofer unrettbar beschädigt. Er agiert seitdem nur noch als Schatten seiner selbst. Nach der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober wird man ihn wohl zum Hauptschuldigen für das absehbare Wahldesaster der CSU in Bayern erklären. Seine Tage als CSU-Parteivorsitzender und Bundesinnenminister scheinen gezählt.

Indirekte Schützenhilfe erhielt Seehofer jetzt vor wenigen Tagen von Wolfgang Schäuble: Der äußerte sich skeptisch, ob Abschiebungen im großen Umfang gelingen könnten, und hielt die schnelle Integration der einmal Eingereisten für die einzige Lösung. Das war ein gewaltiger Tritt gegen das Schienbein der Bundeskanzlerin: Ihr langjähriger Finanzminister erklärte die massenhafte Ausreise von einmal eingereisten Asylbewerbern für unrealistisch und gestand damit implizit zu, dass jeder illegale Grenzübertritt quasi eine endgültige Einreise ist. 

Da der überzeugte Europäer Wolfgang Schäuble ein großer Freund des Schengenraums ist, gab er mit dieser Einlassung gleichzeitig zu erkennen, dass er eine fortgesetzte illegale Masseneinwanderung für unvermeidlich hält und Deutschland rät, sich mit ihren Folgen zu arrangieren, anstatt sie zu bekämpfen. So viel Offenheit durfte kurz vor wichtigen Wahlen nicht sein, insbesondere aus der CSU erhielt Schäuble viel Widerspruch.

Es ist Schäubles Verdienst, dass er damit für einen kurzen Augenblick das wichtigste Thema der deutschen Innenpolitik vom Mief der Verdrängung befreite. Tatsächlich hat er damit wohl Wahlhilfe für die AfD geleistet. Aus dem Munde des Bundestagspräsidenten ist die Einschätzung nun amtlich, dass Deutschland der Masseneinwanderung hilflos ausgeliefert ist, solange seine Grenzen offen bleiben.

Ein Blick in den Untergrund der Union

Nur zwei Tage nach Schäubles Äußerung erschütterte ein kleines Beben die Machtstrukturen der Bundeskanzlerin: Ihr langjähriger Vertrauter Volker Kauder wurde nach 13 Jahren an der Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in einer Kampfabstimmung abgelöst. Sein Nachfolger Ralph Brinkhaus ist ein freundlicher Westfale, der sich bislang als Haushalts- und Steuerexperte einen Namen gemacht hat. Der Kreis seiner Unterstützer ist unklar. Eine Verschwörung mit eindeutigen Konturen war es nicht, mehr wohl die unwillkürliche Mehrheit der Summe aller Unzufriedenen.

Brinkhaus versicherte der Bundeskanzlerin sogleich, dass sie mit seiner vollen Unterstützung rechnen könne. Nur kurzfristig gab die Abstimmung den Blick in den Untergrund der Stimmungslage der Union frei. Für offene Machtkämpfe ist es offenbar noch zu früh.

Zwei Tage nach dem Erdbeben an der Fraktionsspitze kam der türkische Präsident Erdoğan zum Staatsbesuch nach Deutschland. Ihm wurde wortwörtlich der rote Teppich ausgerollt. Zwar musste er sich Klagen über die Menschenrechtssituation in der Türkei anhören, aber er durfte sich auch darüber beklagen, dass Deutschland Hunderten von türkeifeindlichen Terroristen Schutz böte. Die deutsche Politik weiß, was sie dem islamischen Diktator schuldig ist, von dessen Rolle als Grenzwächter sie sich abhängig gemacht hat.

Nach dem Staatsbesuch weihte Erdoğan die neue Großmoschee der DITIB in Köln ein, umjubelt von tausenden begeisterter Deutschtürken, die türkische Fahnen schwenkten. Der deutsche Architekt Paul Böhm, die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident oder andere Vertreter deutsche Politik durften bei der Einweihung nicht sprechen. Sie verzichteten daraufhin auf die Teilnahme. So wurde die türkisch-islamische Riesenfeier zur exterritorialen Angelegenheit auf deutschen Boden, ganz nach dem Geschmack des Islamisten Recep Tayyip Erdoğan. In Köln jedenfalls ist die feindliche Übernahme durch den Islam erneut ein gutes Stück vorangekommen, und die deutsche Politik schweigt dazu.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

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HaJo Wolf / 12.10.2018

Deutschland, das Land in dem wir geboren wurden, in dem wir aufwuchsen und gerne lebten, dieses Deutschland gibt es nicht mehr. Es ist irreparabel zerstört worden von einer geisteskranken BK und dem nicht minder geisteskranken Anteil des Volkes, der links-grün oder CDU wählte. Ich war stolz auf meine Nation, trotz der 12 Jahre Naziregime. Heute schäme ich mich für das, was mein Land anrichtet und entschuldige mich bei den europäischen Nachbarn. Ich sehe Parallelen zu den 12 Jahren: viele, ja, vielleicht sogar die Mehrheit ist gegen diese realitätsfremde, zerstörerische Bessermenschenpolitik so wie auch viele die Nazis ablehnten. Aber kaum einer steht auf und hilft, diese Verbrecher zu verjagen.

Stefan Schlitt / 12.10.2018

Also dann: Finden wir uns endlich damit ab! Es ist eh durch mit einer vernünftigen politischen Entwicklung. Bayern wird künftig von der CSU und den Grünen oder aber den freien Wählern regiert, in Hessen wird es ähnlich laufen, nur eben ohne die CSU und die Freien Wähler. Im Bund ist es eh schon lange so, da ja die große Vorsitzende seit Jahren schon den Kurs der Grünen fährt. Also? Warum regen wir uns noch auf? Lasst es laufen…feuchtwarm am Bein herunter, wenn es sein muss.

Gerhard Maus / 12.10.2018

Sehr geehrter Herr Sarrazin, Ihren Ausführungen ist nichts hinzuzufügen !  Die Quittung für die totale Ignoranz gegenüber der Realität haben die beiden großen (sorry: hinsichtlich der SPD muss man sagen: ehemals großen) Volksparteien ja bekommen: historisch niedrige Zustimmung in der Wählerschaft. Werden die Frau- und Herrschaften bald aufwachen? Ich wünsche es mir!

Nico Schmidt / 12.10.2018

Sehr geehrter Herr Sarrazin, einmal mehr haben Sie auf Ihre nüchterne Art die Situation gut beschrieben. Wenn Herr Seehofer ihnen verspricht, sich voll für eine bestimmte Sache, auch gegen die Kanzlerin, einzusetzen, wird es höchste Zeit, sich nach einer Fluchttür umzusehen. Bei Herrn Kauder ist nichts passiert, sein alter Stellvertreter wurde gewählt und es wird alles in bekannten Wegen weiterlaufen. Köln war ein neuer Tiefpunkt der Selbstverleugnung und bestimmt nicht der Letzte. Wir haben da noch viel Luft nach unten. MfG Nico Schmidt

Dieter Werner / 12.10.2018

Sehr geehrter Herr Sarrazin, unabhängig der Tatsache, dass ich in nicht in allen, gleichwohl in vielen Punkten zustimme, bewundere ich vor allem Mut, in diesen Zeiten ihre Meinung so offen zu vertreten. Immer wieder verfolge ich in Presse, wie mit allen Mitteln versucht wird, sie zu diffamieren und Ihnen Steien in den Weg zu legen. Ich hoffe, Sie lassen sich dadurch nicht unterkriegen und setzen Ihren Kurs weiterhin fort. Für die Meinungsfreiheit in Deutschland wäre das ein riesiger Gewinn.

B.Kröger / 12.10.2018

Lieber Herr Sarrazin, Herr Schäuble ist ein überzeugter Europäer? Er mag überzeugt von der EU sein, ein überzeugter Europäer ist er für mich nicht. Wer zulässt, dass die deutsche BK ohne europäische Absprachen ihre Politik den anderen Europäern aufzwingen will, ist für mich alles, nur kein überzeugter Europäer. - Schäuble hält die Masseneinwanderung für unvermeidlich und wir Deutschen sollten uns damit arrangieren. Wer sich nicht arrangieren will, soll der jetzt das Land verlassen? Diese Union ist am Ende!

C. Harnisch / 12.10.2018

Das eigentlich Schlimme sind ja nicht mal nur die von Anfang an offensichtlichen Luegen, sondern viel mehr, daß die meisten Deutschen diese noch immer nicht als diese ‘verstehen’, obwohl die Karten schon laengst offen auf dem Tisch liegen. Es ging nie wirklich um zeitlichen ‘Schutz’. Nun lassen sie immer mehr die Huellen fallen und dennoch schlaeft der Deutsche und waehlt ein ‘weiter so’ oder gar noch eines oben drauf (Gruene). Ich werde es nie begreifen. ‘...und die deutsche Politik schweigt dazu.’ Nicht nur die. Wenn z.B. friedliche Buerger gegen diesen Wahnsinn auf die Straße gehen und ‘Das ist unsere Stadt’ skandieren, meldet sich die sog. ‘vierte Gewalt’ zu Wort und nennt dies ‘Schande fuer Deutschland’. Skandieren aber frenetische Tuerken mit Parolen wie ‘Wir sind deine Armee. Du bist unser Kommandant’ - Schweigen im Walde. Im Dritten Reich hat die Presse (MSM) ein unruehmliches Bild abgegeben. Genau wie heute. Geschichte wiederholt sich doch.

Martin Landvoigt / 12.10.2018

Eine nüchterne Analyse ... so wie wir Thilo Sarrazin schätzen und lieben. Leider bleibt auch diese weitgehend folgenlos, denn das Wahlvolk entscheidet nach Gefühl, und das ist die letzten Wochen überraschend grün.

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