Orit Arfa, Gastautorin / 05.08.2016 / 06:05 / 19 / Seite ausdrucken

Deutschland, ich bin verrückt nach Dir!

Von Orit Arfa.

Liebes Deutschland,

in mir brodeln Gefühle, von denen ich Dir erzählen möchte. Gefühle, die ich nicht recht verstehen kann, Gefühle, die nur wenige Menschen verstehen werden, Gefühle, von denen manche Freunde sagen, dass sie falsch und widersinnig sind. Und dass ich wahrscheinlich einen Therapeuten brauche.

Es fühlt sich vor allem komisch an, Dir zu schreiben: Deutschland, ich bin verrückt nach Dir! Als die deutsche Mannschaft eines der EM-Spiele gewonnen hatte, fühlte es sich an, als wenn diese Mannschaft meine Mannschaft wäre. Als Deutschland das Halbfinale verlor, war ich untröstlich.

Ja, ich liebe sogar die deutsche Sprache!

Als Berlinerin auf Zeit spaziere und radle ich diesen Sommer durch die deutsche Hauptstadt, ich genieße das Tramfahren und die herrlichen Biergärten, wunderschöne Parks und nette Menschen, die mich herzlich willkommen heißen – das heilt viele der Wunden, die ich mir im terrorgeplagten Israel in den letzten Jahren zugezogen habe.  

Ich verstehe diese Gefühle selbst nicht. Vor allem, nachdem ich gerade erst in Auschwitz war. Zu sehen, wie Du, Deutschland, vor Jahrzehnten mein Volk – nackt, erniedrigt, schmerzerfüllt und gequält – in die Gaskammern getrieben hast. Meine polnischen Großeltern väterlicherseits überlebten Auschwitz nur, weil sie zähe Körper hatten.

Und trotzdem: So unfassbar, wie es ist – ich habe angefangen, Dich zu lieben, Deutschland. Ich. Die israelische Patriotin. Die Zionistin. Die stolze Jüdin. Ich, dieses Mädchen mit den dunklen Locken (ein Erbe der mütterlichen Seite, die aus dem Irak stammt). Vielleicht liegt es daran, dass unsere Schicksale so tief miteinander verbunden sind, was Dir passiert, passiert auch mir, weil so viel von dem, was ich bin, davon geformt wurde, was Du meinem Volk angetan hast. Was Du meinen Großeltern und ihren Familien angetan hast. Du hast Dich mit Deinen Taten auseinandergesetzt, mein Volk beschäftigt es noch immer, was ihm angetan wurde.

Ich spüre Deine Herzlichkeit, egal, was die Antisemitismus-Statistiken sagen. Ich habe wundervolle Momente in diesem kreativen, verrückten, wunderschönen Berlin erlebt. 

Und jetzt, da der Terror auch Dich betrifft, trifft es mich so viel stärker als bei jedem anderen europäischen Land, das vom Terror heimgesucht wird. Wenn ich höre, wie Freunde sagen, dass Du es verdient hast. Dass Deutschland nun die Rechnung dafür erhält, weil es seine Grenzen so bedingungslos für Einwanderer aus muslimischen, antisemitischen Ländern geöffnet hat  Wenn ich das höre, teile ich Deinen Schmerz und ich möchte für Dich kämpfen. So sehr, wie ich für Israel kämpfen möchte. 

Und so spüre ich das dringende Bedürfnis, Dir zu sagen: Es ist okay. Es ist okay, wieder härter durchzugreifen. Es ist okay “brutal” zu sein. Damit meine ich nicht, zu morden, zu plündern und Konzentrationslager zu bauen. Ich meine damit, dass Du achtsam sein sollst. Und nicht so furchtbar politisch korrekt, dass Du noch nicht einmal aussprechen kannst, dass der radikale Islam der Feind ist. Geschweige denn, ihn bekämpfen.   

Die Medien sagen, dass die Motive des Münchner Todesschützen und des Axt schwingenden ISIS-Fans aus Afghanistan und des syrischen Attentäters, der eine Polin mit einer Machete abschlachtete, “unbekannt” sind. Aber, liebes Deutschland, wir kennen doch das Motiv oder zumindest die Ideen und Werte, die diesen Taten als Inspiration dienten: Es ist der Jihad gegen Ungläubige. Diese Angriffe „einsamer Wölfe” sind lediglich die neuste Kriegstaktik, die darauf abzielt, feindliche Linien zu verwischen und uns alle zu lähmen.  

Liebes Deutschland, Du dachtest, es sei nobel, die Grenzen zu öffnen, aber Du hast einen Weg der langsamen Selbstzerstörung gewählt. Und vielleicht liegt das auch daran, dass Du Dich selbst, ganz tief drin, wegen Deiner Vergangenheit hasst. Oder dass Du, wie manche meiner Freunde sagen, tief in Dir drin bereit bist, Dich nochmals selbst zu zerstören, wenn es nur den latenten Judenhass, der in Dir schlummert, befriedigt. 

Vielleicht hättest Du Dich im Kampf gegen den Jihad noch stärker an Israels Seite stellen sollen. Vielleicht hättest Du den Antisemitismus, der in Dein Land eingewandert ist, wachsamer betrachten sollen. Natürlich sind unter den Flüchtlingen und Einwanderern viele gute, hilflose Menschen, aber Du hast auch Leute ins Land gelassen, die mit den dunkelsten Seiten Deiner Vergangenheit sympathisieren und nicht mit dem freien, zukunftsgewandten Deutschland. 

Trotzdem hast Du das nicht verdient. Und deswegen: Es ist in Ordnung, dass Du Dich verteidigst, als patriotische Nation gegen den islamischen Terror und seine Anhänger. Mehr noch: Ich bitte Dich eindringlich darum, weil ich mich endlich wieder sicher fühlen möchte. Ich bitte Dich darum, mir diese Sicherheit zu geben, weil Du mir in der kurzen Zeit schon so viel Freude gegeben hast. Vielleicht wage ich es auch zu sagen, dass Du es mir und meiner Familie schuldig bist. Aber vor allem bist Du es Dir selbst schuldig. 

Ich will, dass Du weisst, dass selbst die Enkel von Holocaustüberlebenden Dich lieben können und Dir sagen, dass Du immer noch eine eiserne Faust haben darfst, wenn es nötig ist. Und dass Du stolz auf das sein kannst, was Du bis jetzt erreicht hast, und was  Du noch erreichen wirst. Seltsam, dass ausgerechnet ich Dir das sage. Ich kann es mir immer noch nicht erklären. Aber bitte, Deutschland, gib auf Dich Acht. Und auch auf mich.

Alles Liebe, Deine Orit.

Orit Arfa ist eine amerikanisch-israelische Journalistin. Sie lebt in Berlin. Ihr erster Roman The Settler“ erzählt vom Alltag in Israel. Das Video zeigt sie in einer Parodie auf Miley Cyrus Hit "Wrecking Ball", es bezieht sich auch auf das Thema ihres Romans.

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Jens Kühnert / 05.08.2016

Sehr geehrte Frau Orit Arfa , Ich entschuldige mich für den Zustand der politischen sogenannten “Eliten ” dieses noch wunderschönen Landes und ihrer Lakaien. Die Worte die Sie wählten um Ihre Bedenken um die Zukunft dieses Landes aufzuzeigen entsprechen ebenso meiner und vieler anderer Gefühlswelt . Das Land der Karolinger und Ottonen ist nicht wehrhaft da Geschichtsvergessen . Die Anbiederung an einen Islam dem ich das Religiöse abspreche schmerzt ungemein . Wir wissen wie alles seinen lauf nimmt ob nun mit Diffamierungen,Redeverboten oder gar der Nazikeule . Uns wurde der Stolz auf unsere Geschichte genommen durch mediale Dauerberieselung unserer unbestrittenen Schuld Des Völkermordes an Ihrem Volke und vieler anderer Ethnien. Ich Danke Ihnen für Ihren Mut sich gegen die Dummheit zu stellen . Unsere Politiker die sich von der Basis abgetrennt haben sollten in Israel praktika machen um zu begreifen welcher Wolf Im Schafspelz hier seit Jahrzehnten sein Unwesen treibt . Viele meiner Bekannten sind Stolz auf die vielen Generationen die erst die Basis dessen was sich heute Deutschland nennt schafften . Sie dürfen Stolz sein auf Ihr Volk das trotz der vielen Leiden seinen Selbstwert nie verloren hat. Mir als Deutscher (Sachse) Ethnie spricht man dies jedoch immer wieder ab. Ich befürchte das wir auf einen Bürgerkrieg zusteuern der Europa in Schutt und Asche legen wird . Es ist anscheinend so gewollt . Wie konnte ein Volk der Dichter und Denker die Gehirnwäsche der Nationalsozialisten nur verfallen ? man sieht es an den heutigen Parallelen dieser Politik die weder Demokratisch ist geschweige denn dem Eid eines jeden sogenannten Politikers gerecht wird. Wir als Volk werden betrogen und belogen . Viele sind so weichgespült das selbst der Geschlechtsunterschied im Genderwahn verschwimmt. Ich persönlich habe gegen eine Diktatur mit meinen Mitteln gekämpft um jetzt mitzuerleben dass Ich im Grunde in einer viel extremeren Wiederholungsschleife gefangen bin . Glauben Sie mir das aufrechte Menschen in diesem Land Sie beschützen werden .es sind viele Demokraten die genau sehen wohin die Reise geht wenn wir nicht schnellstmöglich die Notbremse ziehen . Aufrecht in Freiheit,Gleicheit ,Brüderlichkeit mit unseren Werten die Zukunft unserer Kinder willen zu gestallten. Es wird Zeit wieder Deutsch zu sprechen und diesmal richtig zu handeln ohne diesen verallgemeinerern und schönrednern Raum zu geben. Ich bedanke mich nochmal recht herzlich für Ihre Zeilen die mich mit meiner Familiengeschichte konfrontieren . Herzlichst Jens Kühnert

Christian Polzer / 05.08.2016

Danke Orfa.

Peter Zentner / 05.08.2016

Ergreifend und wahr — leider bitter wahr, Orit Arfa. Ich hoffe, Sie öffnen damit viele Augen, Ohren und Herzen. Nicht nur in Deutschland.

Hans-Peter Kimmerle / 05.08.2016

Liebe Orit Arfa ! Ich möchte Ihnen für Ihren Beitrag über Deutschland herzlich danken. Es hat mich tief berührt, was Sie schreiben. Ich gehöre der Nachkriegsgeneration (Jg. 1940) an. Wir Jugendlichen waren schockiert, als wir erfahren haben, was Nazi-Deutschland Ihrem Volk angetan hat und wir werden das auch nie vergessen. Politisch und gesellschaftlich spielt der sog. “Antisemitismus” im Nachkriegsdeutschland keine Rolle. Trotzdem habe ich die größten Befürchtungen. Täglich erleben wir, wie der Antisemitismus schleichend mit dem Islam in unser Land zurückkehrt und Medien/Politik dieses Problem ausblenden. Ich hoffe, dass sich unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger mit jüdischen Wurzeln noch lange bei uns wohl und sicher fühlen und dass politisch und gesellschaftlich alles getan wird, dass es für sie so bleibt.

Ben Wilmes / 05.08.2016

Mir passiert selten, dass ich wegen eines Textes weine . Zuletzt wahrscheinlich vor über 50 Jahren als ich las, dass Winnetou sterben musste. Orit Arfa hat “geschafft”, dass es nun zum zweiten mal passiert ist. Aber diesmal hat es nicht ein sentimentales , literaturunerfahrenes Kind getroffen, sondern einen alten Mann, der Karl May längst gegen Kafka und Nabokov, Updyke, Tolstoi und viele andere “ausgetauscht” hat, der sich politisch zunehmend isoliert fühlt, der manchmal verzweifelt am Starrsinn seiner Kanzlerin und den ideologischen Wahnexzessen der Grünen. Dieser Artikel hat mich getröstet und mir ein Stückchen Hoffnung zurückgegeben. Danke, liebe Frau Orit Arfa.

Peter Freudenreich / 05.08.2016

Dieses Statement ist sehr berührend und macht mich offener für Argumentationen pro Israel! Danke, Orit! Peter Freudenreich, Berlin   Übrigens liebe ich Berlin auch auf ähnliche Weise!

Gabi Springer / 05.08.2016

Liebe Orit, ich kann meine Tränen nicht zurückhalten…obwohl ich eigentlich nicht leicht zum Weinen zu bringen bin. Der Text beschreibt auch mein Gefühl für Deutschland, obwohl ein Teil meiner Herkunftsfamilie evtl. nicht ganz so schlimme Erfahrungen mit Deutschen damals machen musste. Gruß, Gabi Springer

Jan-Robert v. Renesse / 05.08.2016

Ein wunderbarer Text - jedes Wort in Stein gemeißelt und eine dringende Mahnung an uns alle!

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