Orit Arfa, Gastautorin / 30.03.2019 / 06:29 / 20 / Seite ausdrucken

“Deutschland hat den Antisemitismus von links nicht beachtet”

Achgut.com-Autorin Orit Arfa traf Rabbi Abraham Cooper, den stellvertretenden Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles zum Interview. Sie sprach mit ihm über den aktuellen jüdischen Blick auf Deutschland, Judenfeindlichkeit von rechter, linker und muslimischer Seite, das Widersprüchliche am Verhalten von Heiko Maas und warum sich Germany einem Antisemitismus-Lackmustest stellen sollte. Im englischsprachigen Video finden Sie die wichtigsten Auszüge aus den Antworten Coopers, hier im Text die deutsche Übersetzung. Die 30-minütige Langfassung des Interviews geht morgen online.

Über die jüdische Gemeinde in Deutschland

In Bezug auf die jüdische Gemeinde haben wir drei verschiedene Bereiche, die uns mit tiefgreifender Sorge erfüllen. 

Dazu gehören natürlich die traditionellen Nazis, Neonazis, Rechtsextremen, Fremdenfeinde und Ultranationalisten. Das, was auch Teil eines allgemeinen Trends in Europa ist. Aber wenn man über Deutschland oder Österreich spricht, hat das augenscheinlich einen größeren Nachhall.

Zweitens haben wir einen massiven Zustrom von arabischen und muslimischen Menschen, die Gepäck aus ihren Herkunftsgesellschaften mitbringen, das antisemitisch ist. Es ist nicht nur anti-israelisch, es ist auch anti-jüdisch. Sie sind eine Herausforderung für die deutsche Gesellschaft, nicht nur beim Thema Juden. Sie müssen viel darüber lernen, wie man Frauen behandelt, wie man andere Religionen betrachtet und Menschen, die keine Religion haben. Viele Menschen in Deutschland betrachten Religionsfreiheit als Freiheit von Religion überhaupt. Es macht uns Sorge, dass es junge Muslime gibt, die zu Hause ausschließlich negative Dinge über Juden zu hören bekommen. Sie leben in einem Umfeld, in dem tatsächlich das wahrscheinlich schmutzigste Wort, das man zu jemandem sagen kann, die Bezeichnung „Jude“ ist. Das ist einfach die Wahrheit.

Den dritten Bereich hat Deutschland meiner Meinung nach nur sehr langsam überhaupt beachtet und diskutiert, nämlich den Antisemitismus, der von der Linken kommt. Im Allgemeinen, im Laufe der Jahrzehnte, hieß es von dieser Seite: „Was meinst du? Ich bin liberal und progressiv und die Nazis sind weit rechts, so dass wir uns unmöglich des Antisemitismus schuldig machen können.“ Tatsächlich schätzen wir auf Basis von wichtigen Umfragen, die zu Beginn dieses Jahrzehnts durchgeführt wurden, und von denen viele in Deutschland durchgeführt wurden, dass über hundertfünfzig Millionen Europäer glauben, Israel tue den Palästinensern das Gleiche an, was die Nazis den Juden angetan haben. 

Zur Gleichsetzung von Islamophobie und Antisemitismus

Wir müssen ehrlich sein, was die Definition von „Islamophobie“ angeht. Wenn mit Islamophobie – wie leider viele Menschen meinen – Kritik an Menschen gemeint ist, die sich auf den Islam berufen, um das, was sie tun, zu legitimieren, dann halte ich das für problematisch. Es gibt Menschen, die Muslime hassen, die sie aus Deutschland raushaben wollen, die bereit sind, ihre heiligen Bücher zu entweihen und schreckliche Dinge zu tun, und ich denke, es ist wichtig für Regierungen auf der ganzen Welt, natürlich auch auf dieser Seite des Atlantiks, die Situation genau zu beobachten und angemessene Schritte zu unternehmen. Aber die beiden Dinge, Antisemitismus und Islamophobie, gleichzusetzen oder gar völlig miteinander zu verschmelzen, wäre, wenn es nicht so tragisch wäre, ein Witz.

Und dann ist da noch eine andere Sache, die leichter ersichtlich ist: Ich denke, viele Deutsche hatten gehofft, dass durch die Aufnahme so vieler muslimischer und arabischer Migranten nach Deutschland, in einer Zeit als so viele andere Länder „nein“ sagten, nun wirklich das positive neue Gesicht Deutschlands zum Vorschein kommen würde. Das „Deutschland des 21. Jahrhunderts“ würde für diese erstaunliche humanitäre Geste in Erinnerung bleiben, trotz einiger kleinerer Probleme, die damit vielleicht verbunden sind.

Das bedeutet also, dass in Deutschland viele Kräfte am Werk sind, die sich nicht per se auf das Problem konzentrieren wollen, sondern lieber sagen: Ja, genau wie wir uns dem Antisemitismus widmen, werden wir auch Islamophobie überwachen.

Über Nazis und die arabische Welt

Orit Arfa: Es gab eine Ausstellung über Israel und die Gründung Israels und darin einen ganzen Abschnitt über die Wertschätzung des arabischen Nationalismus durch die Nazis.

Abraham Cooper: Nun, ja, nicht nur Wertschätzung, sondern auch Identifikation damit und vielleicht auch Manipulation desselben. Sprechen Sie mit den irakischen Juden, deren Angehörige die Pogrome während des Zweiten Weltkriegs im Irak nicht überlebt haben.

OA: So wie meine irakischen Vorfahren.

AC: Richtig. Die Nazis waren direkt dort. Und offensichtlich war der Großmufti von Jerusalem – in Echtzeit, nicht erst nach dem Holocaust – der Großmufti war einer der wichtigsten Befürworter und Antreiber für den Völkermord am jüdischen Volk auf der ganzen Welt während des Zweiten Weltkriegs, und er zahlte dafür keinen Preis. Er besuchte Vernichtungslager. Er half, Armeen aufzustellen, um für Hitlers Sache zu kämpfen. Also war er ein wahrer Antreiber des Völkermords. Ich habe keinen Zweifel daran, welche Rolle er gespielt hätte, wenn das deutsche Militär – Gott bewahre – jemals Israel erreicht hätte.

Über die deutsche Unterstützung des Iran-Deals und die UNRWA

Ja, ich denke, ein Teil der Antwort ist: Sie fühlen sich mit den Vereinigten Staaten wirklich unwohl. Sie sagen in gewisser Weise: Mir reicht's! Auf der einen Seite gefällt ihnen die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten Hunderte von Milliarden Dollar ausgeben, um sicherzustellen, dass die Russen Deutschland nicht das antun, was sie jetzt mit der Ostukraine gemacht haben. Sie mögen diesen Teil. Sie mögen es, Partner in der NATO zu sein. Sie wollen sich nur nicht mehr belehren lassen. 

Also mochten sie das gute Zeug, solange bis dieser Präsident auftauchte, der einige beunruhigende und unbequeme Wahrheiten ausspricht – sie mögen ihn wirklich nicht. 

Sehen und Lesen Sie morgen das komplette Interview.

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Leserpost

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J. Polczer / 30.03.2019

Es ist faszinierend, dies zu lesen. Zum einen muss ich gestehen, dass ich praktisch niemanden kenne, von dem ich weiß, dass er “Isrealkritiker” ist. Zum anderen muss ich allerdings gestehen, dass ich die Leute meist nicht danach frage. Sagen wir so, es war ein Schock, als ich gelesen habe, dass Israel immer ein Punkt in der UN darstellt. Ich muss nachlesen, wie dies denn immer begründet wird.

Susanne antalic / 30.03.2019

Alles in Deutschland was von Links kommt wird als gut bertachtet, auch der Antisemitismus, bei den linken und ich meine alle ausser FDP und Afd wird der Antisemitismus unter dem Mantelchen der Israelkritik getarnt. Wenn Israel angegriffen wird und sich währt, sind die Nachrichten so verdreht, dass man Israel als den Agressor nennt, wenn man die deutschen Nachrichten liesst oder hört ist Israel immer das Böse und die Palästinenser die guten und armen, obwohl die Agression von den Palästinenser ausgeht, so erzieht man die Deutschen, damit sie die Juden hassen. Die Neonazis und moslime sind wenigstens ehrich, die hassen Juden und das sagen sie auch. Da man in den ÖR gegen Israel und Juden hetzt und leider glauben es auch viele Menschen( liesst man an vielen Lesebriefen der Propaganda MSPresse) glaube ich, dass das Ziel Deutschlands, Judenfrei zu werden immer näher kommt. Die deutsche Politik hatte von dem drittem Reich sehr viel übernommen, Propaganda ala Göbels, Kritische Stimmen werden verbant und diffamiert( KZ giebt es NOCH nicht), aber erst die Lebensgrundlage zu entziehen reicht schon am Anfang, vielen Menschen zu verschrecken und offentliche Pranger. Jeder Kritiker wird Rassist oder Nazi genannt, aber die gefähriche Nazis sitzen ganz wo anders, aber mit dem Finger an andere zeigen, die Antisemiten sein sollen( Trump, Orban etc.) das können sie.

Gudrun Meyer / 30.03.2019

Ein wichtiges Problem, auf das Abraham Cooper und Orit Arfa zumindest hier nicht eingehen, ist die Tatsache, dass linker Antisemitismus zwar durchaus Proteste nach sich zieht, aber nicht zu einem schlechten Ruf derjenigen führt, die ihn ´raushauen. Als Silke Burmester 2015 in der taz die jüdischen Maccabi Games als “Hakenkreuzweitwurf” diffamierte, obwohl es absolut unmöglich war, ein harmloses Sportfest auch noch als “israelische Aggression” auszugeben, musste sie sich von humoral weniger Hochbegabten scharfe Zurechtweisungen gefallen lassen. Aber Burmester brauchte nur zu erklären, sie sehne sich nach einer “Welt jenseits der Zuordnungen”  (ihre eigenen familiären und politischen Zuordnungen bleiben auch in dieser Welt natürlich diesseits), und damit war der Fisch geputzt. Für Burmester. Für die taz. Für Linke, die bedingungslos daran festhalten, dass ein jüdischer Staat, also Israel, irgendwie dazu verpflichtet sei, jedes antisemitische Verbrechen des 20. Jh. an Nichtjuden zu wiederholen. Für Nichtlinke, die diese Vorstellung oft genug ins Ohr getropft bekommen haben, um daran zu glauben. Burmester brauchte keine Langzeitfolgen ihres humoralen Ausbruchs zu befürchten. Der AfD würde man einen derartigen Brüllwitz zu Recht noch in Jahrzehnten vorwerfen, aber bei einer linken Journa ist halt alles anders als auf der rechten Seite.

Wolfgang Kaufmann / 30.03.2019

Die bequemste Art sich reinzuwaschen ist es noch immer, auf andere mit Dreck zu schmeißen. Je weniger in Deutschland Argumente zählen und je gewichtiger die Gesinnung ist, desto fruchtbarer ist der Boden für die platteste Propaganda. – Jedem vernünftigen Menschen müsste eine Presse verdächtig vorkommen, die das Böse verortet bei Trump und bei Putin, bei Kurz und Salvini, bei den Polen und Ungarn, den Tschechen und den Briten, und das eigene Land darstellt als Hort des Humanismus, als Speerspitze der Aufklärung. Aber die Masse ist nicht vernünftig; sie fühlt sich edel im Modus des Vorwurfs. – Selten waren Intellektuelle so ungebildet. Eine andere Meinung wäre nur zwei Mausklicks entfernt, aber kaum jemand liest sie. Es erzeugt eben ein wohliges Gemeinschaftsgefühl, die gleichen Feinde zu zelebrieren. Meine Meinung steht fest, bitte verwirre mich nicht mit Fakten.

Leopold Hrdlitschka / 30.03.2019

Ich glaube, nein ich bin überzeugt dass es der DEUTSCHE nicht mehr lernen wird. Irgendwas stimmt nicht im Kopf des gemeinen und sehr typischen Deutschen. Oft, sehr oft wird irgendwelchem Mist hinterhergelaufen und wenn es dann (nur dann) an die Wand gefahren wurde (rechtzeitige und klare Warnungen wurden und werden bestenfalls ignoriert). Was viele Deutsche an sinnvollen Dingen ersonnen und erfunden haben, daraus relative Weltkonzerne fabrizierten, landet dann in der Grüze. Nun will es der DEUTSCHE aber wirklich wissen und strebt freudig ein Land an, in welchem erneut Deutsche jüdischen Glaubens alles andere als sicher sind. Vorsichtig formuliert. Passend dass gleichzeitig jene die den diktatorischen Umbau des Landes ebenfalls einer de facto Verfolgung ausgesetzt sehen, welche dem gleicht wie z.B. mit Oppositionellen in den 1930-Jahren verfahren wurde und 99,9% aller “guten” Deutschen zusahen. So ein Verhalten, so ein schäbiges Verhalten ist leider ein “Meister” aus Deutschland. Was mich betrifft, bin ich alles andere als “stolz” auf dieses Deutschland. “Als die ... abgeholt haben…” ist keine Fiktion mehr. Ja und auch das muss erwähnt werden: Die Gesichter derjenigen die sich heute als Apologeten, besser gesagt als Zeloten einer ferngesteuerten “Klimaaktivistin” erinnern fatal an jene zur Zeit des Größten aller jemals gelebt habenden Vorsitzenden und dessen Roten Garden. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die FfF-“Aktivisten” keine Sekunde zögern würden und diejenigen denen “man” Ihnen als “Schuldige” präsentiert so “behandelt” wie die willige und fanatische Gefolgschaft des Genossen Mao. Spitzhüte und Selbstbezichtigungen wären dann noch das Geringste. Mmh… also hat nicht “nur” der “Deutsche” einen Hang zum willigen Beklopptsein.

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