Wir sind im Simon Wiesenthal Center in Los Angeles, wo wir uns mit dem stellvertretenden Direktor Rabbi Abraham Cooper treffen werden, der gerade Deutschland besucht hat. Simon Wiesenthal war, wie Sie sicher wissen, der berühmteste Nazi-Jäger der Welt, und das nach ihm benannte Zentrum kämpft heute für die Menschenrechte. Die Frage lautet: Unternimmt Deutschland die richtigen Schritte, um seine Sünden rückgängig zu machen?
Orit Arfa (OA): Sie waren gerade in Deutschland. Können Sie uns sagen, was Sie dort gemacht haben?
Abraham Cooper (AC): Ich war vor kurzem drei Tage in Berlin, weil wir, so wie es aussieht, an einem Scheideweg für die Zukunft Deutschlands stehen. Es gibt viele Veränderungen vor Ort. Und leider, so glaube ich, viele Herausforderungen von verschiedenen Seiten für die jüdische Gemeinde in Deutschland. Ich wollte ein Gefühl für die politischen Veränderungen bekommen, ein paar Leute treffen, einen der Spitzenpolitiker der Grünen, natürlich SPD-Leute und die Konservativen. Und ich hatte die Gelegenheit, mich für ein kurzes dreistündiges Gespräch mit unserem phänomenalen Botschafter Ric Grenell in Berlin zu treffen, der meiner Meinung nach in vielerlei Hinsicht die Geheimwaffe dort ist.
OA: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die jüdische Gemeinde und die deutsch-israelischen Beziehungen?
AC: In Bezug auf die jüdische Gemeinde haben wir drei verschiedene Bereiche, die uns mit tiefgreifender Sorge erfüllen.
Dazu gehören natürlich die traditionellen Nazis, Neonazis, Rechtsextremen, Fremdenfeinde und Ultranationalisten. Das, was auch Teil eines allgemeinen Trends in Europa ist. Aber wenn man über Deutschland oder Österreich spricht, hat das augenscheinlich einen größeren Nachhall.
Zweitens haben wir einen massiven Zustrom von arabischen und muslimischen Menschen, die Gepäck aus ihren Herkunftsgesellschaften mitbringen, das antisemitisch ist. Es ist nicht nur anti-israelisch, es ist auch anti-jüdisch. Sie sind eine Herausforderung für die deutsche Gesellschaft, nicht nur beim Thema Juden. Sie müssen viel darüber lernen, wie man Frauen behandelt, wie man andere Religionen betrachtet und Menschen, die keine Religion haben. Viele Menschen in Deutschland betrachten Religionsfreiheit als Freiheit von Religion überhaupt. Es macht uns Sorge, dass es junge Muslime gibt, die zu Hause ausschließlich negative Dinge über Juden zu hören bekommen. Sie leben in einem Umfeld, in dem tatsächlich das wahrscheinlich schmutzigste Wort, das man zu jemandem sagen kann, die Bezeichnung „Jude“ ist. Das ist einfach die Wahrheit.
Den dritten Bereich hat Deutschland meiner Meinung nach nur sehr langsam überhaupt beachtet und diskutiert, nämlich den Antisemitismus, der von der Linken kommt. Im Allgemeinen, im Laufe der Jahrzehnte, hieß es von dieser Seite: „Was meinst du? Ich bin liberal und progressiv und die Nazis sind weit rechts, so dass wir uns unmöglich des Antisemitismus schuldig machen können.“
Tatsächlich schätzen wir auf Basis von wichtigen Umfragen, die zu Beginn dieses Jahrzehnts durchgeführt wurden, und von denen viele in Deutschland durchgeführt wurden, dass über hundertfünfzig Millionen Europäer glauben, Israel tue den Palästinensern das Gleiche an, was die Nazis den Juden angetan haben.
Der Antisemitismus-Lackmustest
OA: In Deutschland und unter den Mitgliedern der Bundesregierung besteht die Tendenz, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus gleichzusetzen, was bedeutet, dass Kritik am Islam und Kritik am Antisemitismus im Islam als ein Problem angesehen wird. Kann man Islamophobie und Antisemitismus gleichsetzen, und ist das ein Problem?
AC: Wir müssen ehrlich sein, was die Definition von „Islamophobie“ angeht. Wenn mit Islamophobie – wie sie gemeinhin verstanden wird – pauschale Kritik an Menschen gemeint ist, die sich auf den Islam berufen, um das, was sie tun, zu legitimieren, dann halte ich das für problematisch. Es gibt einfach Menschen, die Muslime hassen, die sie aus Deutschland raushaben wollen, die bereit sind, ihre heiligen Bücher zu entweihen und schreckliche Dinge zu tun, und ich denke, es ist wichtig für Regierungen auf der ganzen Welt, natürlich auch auf dieser Seite des Atlantiks, die Situation genau zu beobachten und angemessene Schritte zu unternehmen. Aber die beiden Dinge, Antisemitismus und Islamophobie, gleichzusetzen oder gar völlig miteinander zu verschmelzen, wäre, wenn es nicht so tragisch wäre, ein Witz.
Eines der deutschen Bundesländer, die die Statistiken über Hasskriminalität erstellen, gab in einem Bericht zu, dass in Fällen, bei denen sie sich nicht sicher waren – wenn die Polizei nicht gekennzeichnet hatte, um welche Art von Verbrechen es sich handelte und wer dahinter stand – sie es einfach den Neonazis zurechneten. Wenn du nicht sicher bist – schiebe es einfach dem Hakenkreuz in die Schuhe. Verständlich zwar, aber was das wirklich bewirkt hat, war, die Zahl der Vorfälle, die leider von Muslimen begangen wurden, künstlich zu verringern.
Und dann ist da noch eine andere Sache, die leichter ersichtlich ist: Ich denke, viele Deutsche hatten gehofft, dass durch die Aufnahme so vieler muslimischer und arabischer Migranten nach Deutschland, in einer Zeit als so viele andere Länder „nein“ sagten, nun wirklich das positive neue Gesicht Deutschlands zum Vorschein kommen würde. Das „Deutschland des 21. Jahrhunderts“ würde für diese erstaunliche humanitäre Geste in Erinnerung bleiben, trotz einiger kleinerer Probleme, die damit vielleicht verbunden sind.
Das bedeutet also, dass in Deutschland viele Kräfte am Werk sind, die sich nicht per se auf das Problem konzentrieren wollen, sondern lieber sagen: Ja, genau wie wir uns dem Antisemitismus widmen, werden wir auch Islamophobie überwachen. Und ich denke, die wichtigste Aufgabe für die Antisemitismus-Beauftragten – neben der Statistik, die wir als Grundlage benötigen – ist, das heutige Deutschland daran zu erinnern, dass es sich diesem Lackmustest stellen muss. Es kann das Thema nicht beiseite fegen. Es kann nicht einfach Pff! sagen. Und es soll uns bitte ein weiteres Denkmal für tote Juden ersparen, wenn es nicht bereit ist, lebende Juden zu respektieren und zu verteidigen.
Wegen der „Lehren aus Auschwitz“ in die Politik?
Um die Sache ganz deutlich zu machen, möchte ich folgende Begebenheit erzählen: Es ist wahrscheinlich fünf Jahre her, vielleicht etwas länger, es war der Tag nach der Demonstration am Brandenburger Tor, an der die Kanzlerin teilgenommen hatte. Ich kam in dieser Nacht an. Ich brauche keine Feste zu feiern, ich muss mich um Probleme kümmern. Am nächsten Tag traf ich mich mit Heiko Maas, dem damaligen Justizminister, und ich sagte – und das war fünf Jahre vor der massiven Steigerung – ich habe nur eine Frage an Sie: Was unternimmt Deutschland im Umgang mit dem antisemitischen Gepäck, das so viele der neuen Migranten nach Deutschland mitbringen? Er hatte keine Antwort.
Als ich das nächste Mal um ein Treffen bat, bekam ich eines im nächsten Jahr. Sie kamen mit sechs Anwälten. Und so etwas tat ein Mensch, der öffentlich gesagt hat, dass er wegen der Lehren aus Auschwitz in die Politik gegangen sei. Man muss nur diese Informationen miteinander verbinden und erhält ein Bild, das nicht nur innenpolitisch gilt. Es ist auch wahr, dass Maas der Hauptbefürworter von engen Beziehungen mit den Iranern ist.
Aber unter dem Strich geht es hier nicht nur um Politiker, es geht auch um die Medien, und darum, ihnen hinsichtlich einiger ihrer früheren Tendenzen einen Spiegel vorzuhalten. Ich denke, die Medien sind genauso gut darin, Probleme und Fehler einzugestehen, wie wir alle es sind, also nicht besonders gut. Andere Bereiche des Antisemitismus sind natürlich Hassdelikte – wenn Menschen beispielsweise zusammengeschlagen werden –, aber auch die negativen Einstellungen zum „großen, bösen Israel“, das angeblich die Palästinenser und andere Araber fertigmacht, die in Deutschland ziemlich fest verankert sind.
Das ist nicht an einem Tag rückgängig gemacht. Und ich bin mir nicht sicher – ich bin kein Experte für deutsche Medien – aber ich denke, das erfordert einiges an Anstrengung. Ich meine, es gibt natürlich große Publikationen wie Bild und andere, die nie dieses Konzentrat getrunken haben und die wichtige Quellen sind. Aber wenn wir versuchen, Einstellungen zu ändern, müssen wir jetzt nicht nur die Leser der Bildzeitung erreichen, sondern auch die Menschen, die politisch weiter in der Mitte und Mitte-links stehen.
Der Luxus, die AfD nicht treffen zu müssen
OA: Sie haben erwähnt, dass Sie sich mit mehreren politischen Parteien getroffen haben. Haben Sie sich mit der AfD getroffen? Die jüdische Gemeinde – die offizielle Jüdische Gemeinde – verfolgt die Politik, nicht mit der AfD zu sprechen, obwohl sie jetzt eine pro-jüdische Fraktion im Bundestag haben, die sie unterstützt.
AC: Ich habe mich nicht mit ihnen getroffen. Ich würde sagen, dass diese Frage des Treffens mit weit rechts stehenden Parteien eine große Herausforderung darstellt, insbesondere für den Staat Israel. Eine NGO wie das Wiesenthal Center hat in gewisser Weise den Luxus, zu sagen: „Nein, danke. Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir aufgrund von X, Y und Z nicht bereit, uns mit Ihnen zu treffen.“
Aber es ist natürlich spannend. Gleich nebenan in Österreich haben wir den 32-jährigen Bundeskanzler Kurz, der im Hinblick auf seine politische Unterstützung einen ähnlichen Mix hat, aber was bei Kurz sehr, sehr interessant ist: Er hat bei zwei Menschen etwas getan, was noch nie ein deutscher Staatsführer getan hat. Erstens traf er bei einer dieser Pressekonferenzen mit internationalen Staatsgästen Rouhani aus dem Iran und warf ihm dessen Leugnung des Holocaust vor, direkt ins Gesicht, vor den versammelten Medien. Ein paar Wochen später hatte er Erdogan da und benannte auf der Stelle dessen Antisemitismus.
Man muss also diese Momente der Führung zur Kenntnis nehmen, während man die Augen weit offen hält hinsichtlich der Tatsache, dass einige der Anhänger dieser Koalition Nazi-Lieder gesungen haben, als sie noch an der Uni waren, und wahrscheinlich im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg um die falschen Leute trauern.
Auf der anderen Seite steht der Staat Israel mit der EU in Konflikt, und ich kann es auf einer gewissen Ebene verstehen, dass derjenige, der Premierminister ist oder der Premierminister Israels wird, sich möglicherweise nicht den Luxus gönnen kann, zu sagen: „Ich werde nicht mit X, Y und Z sprechen, obwohl vielleicht vier, fünf, sechs, zehn Länder von solchen Koalitionen geführt werden.“
Es ist eine sehr, sehr schwierige Entscheidung für die Regierung, aber im Moment wurde während meines Besuchs ein Treffen mit diesen Leuten nie in Betracht gezogen. Wir werden sehen, was in Zukunft passiert. Erstmal bleiben wir bei den etablierten Parteien.
Eines der Themen, die ich immer wieder anspreche, wenn ich irgendwohin gehe, und wofür ich bekannt bin, ist das sehr unbeliebte Problem der UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, Anm. d. Red.). Deutschland hat seine Finanzierung der UNRWA-Maßnahmen in der palästinensischen Welt verdoppelt, wozu natürlich auch die Ausbildung von vielen, vielen hunderttausend Jugendlichen gehört. Und wir haben eine Reform der UNRWA und eine Reform ihres Lehrplans gefordert, der eine Katastrophe ist. Alles, worum wir bitten, ist: Holen Sie sich einen unabhängigen Akademiker, werfen Sie einen Blick auf die Bücher und Arbeitsbücher, die die Kinder im Gazastreifen und im Westjordanland sowie in der arabischen Welt erhalten, und Sie werden sehen, dass Sie gerade jetzt die Gehirnwäsche einer weiteren Generation palästinensischer Kinder finanzieren und damit leider garantieren, dass wir eine weitere Generation von Kämpfen haben werden.
Im Moment, denke ich, haben wir viel Grund zur Sorge. Wir haben es mit einer großen Anführerin (Angela Merkel, Anm. d. Red.) zu tun, die in weniger als drei Jahren die Weltbühne verlassen wird. Sie hat erklärt, dass sie eine lahme Ente ist. Ich denke, sie hat all die richtigen Dinge gesagt, aber – mal „Tacheless“ gesprochen – ohne echte Aktionen, um mit diesen Herausforderungen umzugehen, war es entweder bloßes Gerede oder ein Ausweichmanöver.
Scheinheilige „Niemals-Wieder“-Nation
OA: Uns wurde gerade ein Bild von Präsident Steinmeier im Museum für Toleranz gezeigt, auf der anderen Seite wurde er erst kürzlich vom Simon Wiesenthal Center kritisiert, weil er die Iranische Revolution gefeiert hat. Und es ist eine Frage, die mich, die ich in Deutschland lebe, umtreibt, weil ich es wirklich genieße, in Deutschland zu leben. Ich denke, es ist ein wirklich großartiges Land. Aber wie kommt man dazu, von der behaupteten großen Reue über den Holocaust zur Feier eines völkermörderischen Regimes wie des Iran überzugehen und Geld an Schulen zu geben, die schrecklichen Antisemitismus lehren? Das fällt mir schwer, zu erklären und in meinem Kopf auf die Reihe zu bekommen.
AC: Ja. Es ist auch für mich eine Herausforderung. Wissen Sie, ich denke zunächst, Herr Präsident Steinmeier – er kam auch mit einer Delegation des Bundestages zu mir, so dass neben seinem Besuch des Museums für Toleranz wir uns für anderthalb Stunden zusammen mit einigen unserer Führungskräfte in der jüdischen Gemeinde trafen – also zu seiner Ehre muss ich sagen, dass er sich allen Fragen gestellt hat. Als ich die UNWRA ansprach, sah ich, wie Mitglieder des Bundestages ihre Hände vors Gesicht schlugen, und als ich dann den Iran ansprach, schlich sich die andere Hälfte der Delegation sozusagen unter den Tisch. Das hat er selbst nicht getan. Er war artikuliert. Auf den Punkt.
Ich darf über die Einzelheiten dieses Treffens nicht sprechen, aber das war kurz nachdem die USA ihre Aktion gegen den Iran gemacht hatten. Und ich glaube, er sagte sogar öffentlich, dass er sich nicht wirklich sicher sei, ob die Europäer einen Weg finden würden, um die US-Sanktionen zu umgehen. Und hier sprach die Person, die drei Jahre lang für diese Bestrebungen verantwortlich war. In seinem Fall spielt es vielleicht eine Rolle, dass er so viel Zeit und Mühe in diesen Prozess investiert hat, so dass es schwer ist, loszulassen. Aber das ist einfach nicht gut genug. Es geht dabei nicht nur um Juden.
Wenn man in Berlin lebt – in vielerlei Hinsicht einer der fortschrittlichsten Orte, auch in Bezug auf die Kunst, die Architektur – ist das einfach unglaublich. Es ist eine erstaunliche Stadt. Aber wenn man in Berlin ist und die Berichte aus dem Iran bekommt über das öffentliche Aufhängen von Schwulen in Teheran und darüber, was sie mit Dissidenten machen, dann tut sich ein tiefer Graben auf. Und es tut mir leid, das sagen zu müssen – ich bin schon lange genug auf der Welt: Wir können das Thema bis Anfang der 90er Jahre zurückverfolgen, bis zum ersten Golfkrieg mit Saddam Hussein. Wir haben zwei Studien über die Dual-Use-Technologie veröffentlicht und darüber, wer sie dem Saddam-Regime zur Verfügung gestellt hat, einschließlich Giftgas.
Übrigens, die US-Regierung war an der Übergabe einiger Materialien beteiligt, also haben wir viele Firmen benennen können – 360 und noch mehr, auf der ganzen Welt – wir wurden dafür nie verklagt. Die bei weitem größte Gruppe von Unternehmen, die mit Saddam Geschäfte machten – offenen Auges, mit Dual Use Technologie –, die kam aus Deutschland. Es gibt also eine Tradition. Ich schätze, es geht hier um „Export über alles“. Und das ist ein Fehler in einem Land, das auch eine internationale Führungsrolle erringen will – wir wollen nicht sagen „wiedererringen“ – sich selbst auf diese Weise als eine „Niemals-Wieder“-Nation einzustufen, in der man den Opfern am Morgen danach all die richtigen Dinge sagt, um dann absolut gar nichts dafür zu tun, um zu verhindern, dass es wieder geschieht. Das ist ziemlich enttäuschend. Und das hat übrigens nichts mit politisch links oder rechts zu tun. Es scheint vielmehr fest in das System eingebaut zu sein.
Die Würfel sind noch nicht gefallen
OA: Sie haben die drei Quellen der Sorge um die jüdische Gemeinschaft erwähnt: die politische Rechte mit Nazi-Sympathie, die arabische muslimische Bevölkerung und die Linke. Können Sie diese drei Gefahren gewichten? Gibt es einen Punkt, der uns besonders beschäftigen sollte?
AC: Ich denke, zuerst sollte es um die vielleicht weniger gut sichtbare Form gehen, was es auch am schwierigsten macht, sie zu bekämpfen: Das ist die Wirkung des antiisraelischen Dauerfeuers der Medien in Deutschland und anderswo in Europa, wo tagtäglich der israelische „Goliath“ gegen die Palästinenser als der arme „David“ antritt und so die Chance genutzt wird, zu sagen, dass Juden heute genauso schrecklich sind wie „wir“ es einst waren – egal ob das überhaupt gerechtfertigt ist oder nicht. Und um das schließlich umzukehren und dabei sogar Begriffe wie „Kolonialisierung“ und so weiter zu verwenden. Es erinnert an einen Dry Bones Cartoon, nicht? Berlin 1938: Juden raus nach Palästina. Berlin 2018: Juden raus aus Palästina. Also ich denke, in gewisser Hinsicht ist dies das Schwierigste, was es zu bewältigen gilt.
Was die Probleme mit arabischen und muslimischen Bevölkerungen betrifft, so denke ich wirklich, dass das mit dem politischen und sozialen Willen der anderen Deutschen zu tun hat. Wenn der Preis für die Aufnahme und eine vollständige Integration klar genannt wird: „Du wirst einfach lernen müssen, wie man Frauen in der Öffentlichkeit mit Respekt behandelt ... Es ist uns egal, was du zu Hause sagst oder tust, aber wenn du an Silvester an einem öffentlichen Ort bist: keine Tricks. Und wenn du da einen Fehler machst, wirst du dich vielleicht auf dem ersten Flug von hier weg wiederfinden.“ Ich denke, wenn man da ein starkes Signal setzt, zusammen mit vollem Einsatz für die Integration, dann gibt es Hoffnung. Wenn man das nicht tut, bin ich sehr, sehr pessimistisch.
Und was die extreme Rechte betrifft: Je weiter wir von den Schrecken des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs entfernt sind, desto einfacher wird es für Menschen, das Drehbuch umzuschreiben und zu sagen: „Nun, es war wirklich nicht allzu schlecht und es gab wirklich gute Dinge, die passiert sind. Sieh dir die Autobahn an und bla, bla, bla.“
Es bedarf einer konzertierten Verpflichtung, um sicherzustellen, dass alle in Deutschland lebenden Menschen, einschließlich der gebürtigen Deutschen, Araber und Muslime, verstehen, was das Dritte Reich getan hat, was es leider in erster Linie den Juden angetan hat. Und noch einmal, wenn jemand sagt, dass er nicht will, dass sein Kind ein Konzentrationslager besucht, weil es ihn aufregt, weil er Juden hasst, dann muss das System sagen: „Tja, Dein Pech.“
„Deutschland könnte eine Menge bewirken“
OA: Es gab eine Ausstellung über Israel und die Gründung Israels und darin einen ganzen Abschnitt über die Wertschätzung des arabischen Nationalismus durch die Nazis.
AC: Nun, ja, nicht nur Wertschätzung, sondern auch Identifikation damit und vielleicht auch Manipulation desselben. Sprechen Sie mit den irakischen Juden, deren Angehörige die Pogrome während des Zweiten Weltkriegs im Irak nicht überlebt haben.
OA: So wie meine irakischen Vorfahren.
AC: Richtig. Die Nazis waren direkt dort. Und offensichtlich war der Großmufti von Jerusalem – in Echtzeit, nicht erst nach dem Holocaust – der Großmufti war einer der wichtigsten Befürworter und Antreiber für den Völkermord am jüdischen Volk auf der ganzen Welt während des Zweiten Weltkriegs, und er zahlte dafür keinen Preis. Er besuchte Vernichtungslager. Er half, Armeen aufzustellen, um für Hitlers Sache zu kämpfen. Also war er ein wahrer Antreiber des Völkermords. Ich habe keinen Zweifel daran, welche Rolle er gespielt hätte, wenn das deutsche Militär – Gott bewahre – jemals Israel erreicht hätte.
OA: Denken Sie, dass die palästinensische Bewegung heute diese Sehnsucht nach Völkermord an den Juden von dem Großmufti geerbt hat, der zu seiner Zeit der Führer der palästinensischen Bewegung war?
AC: Nun, wir wissen aus der Geschichte vor 1948, dass es viele Stimmen gab, mächtige Stimmen in der arabischen Welt, die die Juden nicht unbedingt als Bedrohung sahen. König Hussein, der noch ein Teenager war, stand auf dem Tempelberg und sah ... er stand neben seinem Großvater, als der ermordet wurde, weil er sich herabließ, über die Möglichkeit zu sprechen, in Frieden mit den Juden zu leben. Ich denke also, das ist natürlich ein Faktor.
Auf der anderen Seite kenne ich zufällig viele Palästinenser, die ich mal die „Normalen“ nennen würde. Sie sind bei weitem nicht in der Nähe der Machthebel, aber es gibt diese Menschen, die sehr gerne mit ihrem Leben weitermachen, in Frieden leben und entsprechende Erfahrungen machen wollen. Solange die Welt ihnen nicht die Möglichkeit gibt, die Macht unter den Palästinensern zu übernehmen, glaube ich nicht, dass es viel Hoffnung geben wird.
Aber auch hier gilt: Wenn man mit verschiedenen Menschen spricht – und ich verbringe viel Zeit am Golf und war auch schon weiter weg, etwa in Indonesien und im Sudan – wenn man im Koran nachschaut, kann man so ziemlich alles finden, wonach man sucht. Also die Veränderungen, die wir in der Einstellung von Muslimen brauchen, nicht nur von Palästinensern –, diese Reformen ... es gibt keinen Christen und Juden, der irgendeinen Einfluss darauf ausüben kann … aber es gibt starke moderate Stimmen in der muslimischen Welt – sie sind nicht unbedingt miteinander verbunden –, die einen Unterschied machen könnten. Es ist auch in gewisser Weise ein Wettlauf gegen die Zeit zwischen den „Normalen“ und den Leuten, die einfach alles zerstören wollen.
Überlegen Sie einmal, wie erfolgreich Deutschland gegen dieses Raster vorgehen könnte, wenn es einfach nur seine Spielstrategie, die vermutlich in den 70er und 80er Jahren geschrieben wurde, nimmt, sie wegwirft und von vorne beginnt. Es gibt eine Menge, was die Deutschen tun können, um diese Optionen und Möglichkeiten zu stärken und wirklich bei der Friedensstiftung zu helfen.
Deutschland will sich nicht mehr belehren lassen
OA: Nun, ich weiß, dass Sie kein Gedankenleser sind, aber was glauben Sie, motiviert Deutschland dazu, sich so eng an den Iran-Deal zu halten oder die Finanzierung der UNRWA zu erhöhen, nachdem Präsident Trump die Finanzierung zurückzog?
AC: Ja, ich denke, ein Teil der Antwort ist: Sie fühlen sich mit den Vereinigten Staaten wirklich unwohl. Sie sagen in gewisser Weise: Mir reicht's! Auf der einen Seite gefällt ihnen die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten hunderte von Milliarden Dollar ausgeben, um sicherzustellen, dass die Russen Deutschland nicht das antun, was sie jetzt mit der Ostukraine gemacht haben. Dieser Teil gefällt ihnen. Es gefällt ihnen, Partner in der NATO zu sein. Sie wollen sich nur nicht mehr belehren lassen. Also waren Sie Unterstützer der guten Dinge, solange, bis dieser Präsident auftauchte, der einige beunruhigende und unbequeme Wahrheiten ausspricht – sie können ihn wirklich nicht ausstehen.
Tatsächlich können sie auch Botschafter Grenell für seine Tweets nicht leiden, denn, wissen Sie, Grenells Intervention war es, was die iranischen Fluggesellschaften davon abgehalten hat, immer wieder innerhalb Deutschlands zu landen und wer weiß wen dort abzuladen. Die Deutschen können es wirklich nicht leiden, wenn Amerika sie schikaniert. Sie wollen tatsächlich auf ihre eigene Weise glänzen, und wenn das bedeutet, den Vereinigten Staaten ab und zu einen Finger ins Auge zu stoßen, wie beim Iran-Deal, dann werden sie es tun.
Aber ich glaube, dass es nicht nur darum geht, unabhängig zu sein. Es geht um Verträge und Geld. Das ist das Entscheidende. Und nochmal: Wir haben Steinmeier kritisiert. Wir haben die Kanzlerin kritisiert. Aber die Wahrheit ist, dass es in den letzten 30 Jahren in Deutschland so war, und ich weiß nicht, was es braucht, um es zu ändern. Aber wir wissen eines: Wenn wir es bemerken, müssen wir laut Alarm schlagen, mit Respekt, aber direkt.
Deutschland kann ein Beispiel für die restliche EU sein
OA: Ich komme jetzt mal vom politischen Thema ab ... Ich bin gerade in Los Angeles. Meine Mutter hätte Berlin nie besucht, wenn ich nicht dort gelebt hätte. Ihre Freunde aus der jüdischen Gemeinde, in der Synagoge, können immer noch nicht verstehen, warum ich dort lebe. Warum ich dort leben will. Ich höre immer noch von vielen Leuten: Sie wollen Deutschland nicht besuchen. Sie werden dort nie einen Cent ausgeben. Glauben Sie, dass dies ein Ansatz ist, den wir überwinden können? Dass es vielleicht an der Zeit ist, die Ressentiments loszulassen und Freundschaften mit Deutschen zu entwickeln, eine Beziehung zur Kultur von heute und zum Tourismus von heute und zu den Menschen von heute aufzubauen, damit wir gemeinsam etwas heilen können? Oder sollten wir die Deutschen weiterhin festhalten und immer wieder zur Verantwortung ziehen – was wir sicher tun sollten – aber sollten wir es auf eine harte, unnachgiebige Art und Weise tun?
AC: Das ist eine sehr komplizierte Frage. Ich denke, die Israelis insgesamt haben ganz alltagspraktisch geantwortet. Es gibt immer mehr israelische Touristen in Deutschland. Auf der Straße hört man viel Hebräisch von Touristen, wenn man in Berlin ist. Es gibt eine große Anzahl von Israelis, die zu Besuch sind. Es gibt eine bedeutende israelisch-jüdische Bevölkerung in Deutschland.
Für Menschen, die ihre Familien verloren haben und wegen dessen, was Deutschland im Holocaust getan hat, nun keine Großfamilie mehr haben, wäre es meiner Meinung nach zu viel verlangt, sich jetzt irgendwie auf die Suche nach deutschen Freunden zu machen. Auf der anderen Seite ist Deutschland jetzt in seinem siebten Jahrzehnt der Demokratie, im Allgemeinen ist es ein Freund Israels, und Israel braucht Freunde.
Wird Deutschland eines Tages einfach nur ein weiteres europäisches Land für Juden sein? Nein. Nicht, soweit ich sehen kann. Aber ich denke, was mich auch ein wenig prägt, ist etwas, das ich an Simon Wiesenthal gesehen habe. Er verlor 89 Mitglieder seiner Familie. Er war nicht stark genug, um zu stehen, als die amerikanischen Soldaten nach Mauthausen kamen und ihn im Mai 1945 retteten. Er investierte sein Vertrauen in die nächste Generation der Deutschen. Ich habe es selbst am Flughafen gesehen, wo die Leute mit gefalteten weißen Papieren rüberkamen und diese auseinander falteten. Es sei so: „Mein Vater wollte mir nicht sagen, was er im Krieg getan hat. Das ist sein Name, sein Geburtsdatum. Können Sie mir weiterhelfen?“
Das passierte oft. Also muss ich – ich arbeite für das Simon Wiesenthal Center, das seit vier Jahrzehnten hier ist – auf das Beispiel von Herrn Wiesenthal zurückblicken und sagen: Wenn er es irgendwie in sich hatte, nach dem jüdischen Diktum zu leben, dass man Kinder nicht für die Verbrechen ihrer Eltern verantwortlich macht, ist das, glaube ich, eine ziemlich angemessene und jüdische Art zu reagieren.
Gleichzeitig hat man es auch mit Leuten zu tun, die sagen: „Wir haben als Gesellschaft keine Verantwortung ...“ Trotz aller Wiedergutmachungen: Nazi-Deutschland hat alles vom europäischen Judentum weggerissen und gestohlen, was dann in vielerlei Hinsicht sogar bei all der Zerstörung geholfen hat, die Zukunft Deutschlands zu sichern – ich denke, dass wir sicherstellen müssen, dass unser Partner am anderen Ende eine besondere Verantwortung wahrnimmt.
Und so würde ich diese beschreiben: „Was auch immer du sonst tust oder nicht tust, du musst dich verpflichten, den Juden keinen Schaden zuzufügen. Ich weiß nicht, ob du mein Freund sein willst. Ich weiß nicht, ob du Zionist werden willst. Ich weiß nicht, ob du Israel unterstützen wirst. Aber wenn jemand, egal wer, in Deiner Gesellschaft auftaucht und darüber spricht, Juden zu schaden, dann ist das inakzeptabel und es sollte für Deutsche nicht akzeptabel sein, weil sie Deutsche sind.“
Es wird sehr interessant sein, in Deutschland, unserer Schwesterndemokratie, zu sehen, was in den nächsten fünf bis zehn Jahren passieren wird und was in Bezug auf die Integration von arabischen und muslimischen Migranten oder deren Ausbleiben geschehen wird. Denn das wird Bände sprechen.
Wir können auf andere Länder verweisen, die zwar anders, aber von ziemlich ähnlichen Auswirkungen betroffen sind ... Frankreich: Wir haben eine katastrophale Situation mit der Aufspaltung eines Landes. Skandinavien: Vergessen Sie's. Ich meine, die Juden dort ... die giftige Kombination des traditionellen Antisemitismus mit der islamistischen Einbindung der extremsten Einstellungen gegenüber Juden und Israel – ich glaube nicht, dass es in diesen Ländern eine große Zukunft gibt. Und wir haben heute noch nicht einmal über Jeremy Corbyn gesprochen.
Es gibt also viele Herausforderungen. Aber das zeigt uns auch, wie viel an Deutschland hängt. Wenn Deutschland sich auch davon überzeugen kann und wir in fünf Jahren noch eine lebendige jüdische Gemeinde in Deutschland haben, bedeutet das, dass es eine starke Demokratie ist. Es kann ein Beispiel für den Rest der EU sein. Wenn die Deutschen scheitern, werden sich unsere Sorgen um die jüdischen Gemeinden in Europa meiner Meinung nach nur noch verstärken.