Thilo Sarrazin / 21.02.2022 / 06:15 / Foto: achgut.com / 200 / Seite ausdrucken

Deutschland, das Schlusslicht

Es geht nur langsam voran, dafür aber schneller denn je bergab in Deutschland. Bei der Bahn, der Post, der Bundeswehr, im Internet. Hat Kanzler Scholz einen Masterplan, wie er das Land sanieren könnte?

Wenn ich in den Achtzigerjahren als Bonner Ministerialbeamter dienstlich nach Frankfurt musste, was einmal in der Woche geschah, nahm ich den Zug um 7:23 Uhr. Er fuhr stets pünktlich ab und kam nach zwei Stunden pünktlich an, auf der Rückfahrt war es genauso. Exakt konnte ich meine Reisezeiten und Termine planen, und bei gelegentlichen Reisen nach Hannover oder München war es nicht anders. Auf die Bahn war unbedingter Verlass.

Das Management bestand aus durchschnittlich bezahlten, aber sehr gut ausgebildeten Beamten, die einfach nur das taten, was sie verstanden, nämlich Züge fahren und das ganze komplizierte System ingenieurmäßig in Schuss zu halten. Damals arbeiteten in der Frankfurter Hauptverwaltung der Bahn 350 Mitarbeiter, heute sind es in den Bahnzentralen in Berlin und Frankfurt mehr als 3.000 Mitarbeiter, und über ihnen schwebt ein mit Millionengehältern bezahlter Vorstand, von denen keiner mehr eine originäre Bahnkompetenz hat.

Die von den Bundesbahnzentralämtern entwickelten Loks und Waggons hielten 50 Jahre lang, sie waren quasi unkaputtbar, und übel ging es dem Lieferanten, der Schrott ablieferte. Auch in den damals noch viel strengeren Wintern fuhr die Bahn pünktlich. Es gab einen funktionierenden Winterdienst, der von eigenen Mitarbeitern durchgeführt wurde und bei Wind und Wetter um vier Uhr morgens auf die Strecke ging. Auch bei Stürmen funktionierte die Bahn weiter, denn Äste und Bäume, die auf die Leitungen und Gleise hätten fallen können, waren längst vorher abgeschnitten worden.

Heute kostet die Bahn mehr Geld als jemals zuvor. Aber noch nie funktionierte sie so schlecht, ihr Marktanteil im Güterverkehr ist so gering wie nie zuvor, und es ist überhaupt nicht absehbar, wann endlich die Zulaufstrecken für die Alpentransversalen in Betrieb gehen.

Kosten von 47 Milliarden Euro. Wofür?

Spezialfahrzeuge für den Transport von militärischem Gerät gibt es bei der Bahn nicht mehr. Selbst wenn man der Ukraine zu Hilfe kommen wollte – was bekanntlich niemand möchte – würde es an der Möglichkeit fehlen, Panzer und Artillerie dorthin zu transportieren, wo es die Russen beeindrucken könnte. Das ist aber deshalb nicht so schlimm, weil es in der ganzen Bundeswehr trotz der jährlichen Ausgaben von 47 Mrd. Euro nur noch wenige unmittelbar einsatzfähige Kampfflugzeuge, Panzer und Schiffe gibt.

Die Flugabwehr des Heeres ist ganz abgeschafft. Feindlichen Drohnenangriffen aus der Luft wäre man hilflos ausgeliefert. Die Anschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr hat die SPD untersagt. Aber die Anordnung der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie auch bei der Truppe anzuwenden ist, gilt nach wie vor. Eine Folge: Kein Schiffskommandant kann mehr mit seiner Mannschaft auf See üben, wenn diese an Bord übernachten müsste.

Im Fernstraßennetz, einst für seine Leistungsfähigkeit und Modernität berühmt, bröckeln mehr und mehr Brücken. Technisch bedingte Stilllegungen an Verkehrsknotenpunkten greifen um sich. Die Stauzeiten wachsen.

Bei der digitalen Infrastruktur sieht es nicht besser aus: Zu Zeiten der staatlichen Deutschen Bundespost hatte Deutschland das modernste Telekommunikationsnetz der Welt. Heute ist es unter den entwickelten Ländern Schlusslicht beim schnellen Internet.

Deshalb brauchen wir das russische Erdgas

Zum Schlusslicht wird Deutschland auch bei der Energie- und Klimawende: Einst war es weltweit führend in der Kernenergie. Die entsprechende Industrie existiert nicht mehr, die letzten Kernkraftwerke werden gerade abgeschaltet, und der Zubau von Wind- und Solarenergie ist im Dickicht von Bau- und Umweltschutzvorschriften weitgehend zum Stillstand gekommen.

Deshalb brauchen wir nötiger als je zuvor das russische Erdgas. Und der schweigsame, weitgehend unsichtbare Bundeskanzler Scholz schweigt besonders konsequent, wenn sein Vorvorgänger und Parteifreund Gerhard Schröder einem mit seiner Militärmacht drohenden Putin Honig um das Maul schmiert, denn dieser, das sagte Schröder schon früher, ist ja ein „lupenreiner Demokrat“.

Vielleicht arbeitet Scholz ja an einem Masterplan, wie er die Deutsche Bahn, das Autobahnnetz, die Bundeswehr und das Internet wieder so leistungsfähig machen will, wie es dem deutschen Selbstverständnis entspricht. Wir wissen es nicht, er schweigt ja. Immerhin hat seine Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in der Sicherheitspolitik einen Akzent gesetzt, indem sie den bedrängten Ukrainern 5.000 Stahlhelme versprach.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

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George van Diemen / 21.02.2022

Bei einem mittelständischen Unternehmen traf ich einst auf einen “Berater” eines weltweit aktiven Softwarehauses der die Einführung seiner Produkte vorbereitete. Auf meine Frage ob die bekanntlich teure und schwierige Umstellung hier halbwegs schmerzfrei ablaufen könnte kam schlicht: “Wir haben schon Größere als euch kaputt gemacht.”

giesemann gerhard / 21.02.2022

Das ist alles schiere Absicht. Denn ein dekompensiertes DE ist unattraktiv für alle, die Einheimischen gehen, sofern sie was taugen, die anderen kommen nicht mehr, wenn es nichts mehr zu holen gibt. So gewinnen alle, die Deutschen, die fast von der ganzen Welt dereinst eine derart auf die Schnauze gekriegt haben - völlig zu Recht übrigens - , dass sie von Militär die Schnauze endgültig gestrichen voll haben - ein guter Lerneffekt. Und so lange es noch Polen gibt, ist Deutschland nicht verloren ... . Sollten wir uns dadurch die Invasionskosten sparen, dann könnte mensch mit dem Geld die Infrastruktur behutsam wieder aufpäppeln - nicht zu viel, nicht zu pünktlich, nur mäßig attraktiv, damit trotzdem kaum einer kommt, um es dann wieder zu verschleißen. So könnte es gehen, DE ein beliebtes Reiseland, nur zahlende Gäste, vielleicht wieder ein attraktiver internationaler Wissensstandort wie vor den Nazis - mit guter Gastronomie, guter internationaler Küche, sitzend inmitten der innovativsten Region der Welt. Und das ganz ohne Armee. Nur pünktlich fahrende Züge und Brücken, die nicht (mehr) einstürzen. Alles, was Strom braucht und was Dreck macht unterlassen wir, sollen die anderen machen. Mit unseren Einnahmen aus dem Tourismus bezahlen wir das locker. Wir veredeln, aber hallo. In jeder Hinsicht. Das Wetter wird auch besser, etwa wärmer bitte. Usw.

Bernhard Freiling / 21.02.2022

Ob das Alles “dem Zeitgeist” zu verdanken ist? # Der war es, der aus einem danieder liegenden Land zwischen 1945 und 1970 eine führende Industrienation werden ließ. “unser Dorf soll schöner werden” und “haste was, biste was”, waren angesagt. # Die folgenden 30 Jahre waren durch “Verteilungskämpfe” geprägt. “Auch wenn du nix bist, sollste doch was haben”. Die Sozialgesetzgebung expandierte und zog immer mehr Mittel aus produktiven Bereichen ab. Sozialisten und Kommunisten bemächtigten sich sämtlicher Bildungseinrichtungen und großer Teile des Behördenapparats. # Ungefähr seit der Jahrtausendwende wird das Land von Traumtänzern dominiert, die von Mindergebildeten getragen werden und deren Verwirrtheit seinen vorläufigen Höhepunkt darin findet, daß ein MzF-Transvestit über die Frauenquote der Grünen zum Bundestagsmandat kommt. # War es “der Zeitgeist”, der formulierte?: “Die erste Generation erschafft die Werte, die Folgegeneration verwaltet sie und die 3. Generation verspielt sie”. # Alles nichts wirklich Neues. Nach meiner Einschätzung könnte, um 2030/2035 herum, ein neues Spiel wieder bei 0 beginnen. Genügend Trümmer werden vorhanden sein.

Jacob Gröning / 21.02.2022

Die Wiedervereinigung hat Deutschland überhaupt nicht gutgetan. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist dieses Land - wenn nicht sogar der gesamte westliche Kulturkreis - politisch-idiologosch völlig auf die schiefe Bahn geraten. Die Liste der aufgezeigten Verfallserscheinungen ließe sich mühelos fortführen, z.B. im Bildungs- und Gesundheitssystem. Alles längst bekannt. Deutschland ist auf dem Weg in den selbstverschuldeten Untergang.

Karsten Kaden / 21.02.2022

Ich bin überzeugt, sein Masterplan läuft. Herr Scholz sieht seine Aufgabe allerdings nicht darin, Deutschland zu sanieren oder gar zu neuem Wohlstand zu verhelfen. Nein, gemeinsam mit den anderen jungen, weltweiten Führern möchte er vollenden, was die alliierten Bomber nicht vermochten, Deutschland dem Erdboden gleich zu machen. Klingt komisch, ist aber so.

Ludeloff Klaus / 21.02.2022

Ein Horrorgemälde der Wirklichkeit. Mal sehen, was uns die Politik dazu sagen wird, wenn denn überhaupt, und wie die Staatsgrenzen Medien das Gemälde retuschieren werden.

Mario Bast / 21.02.2022

Lieber Herr Sarazin, bei der Aufzählung, an welchen Ecken und Enden es überall klemmt, haben Sie mMn haben einen entscheidenden Punkt vergessen: Die Parteienlandschaft! Früher wusste der Wähler, was er bekommt, wenn er (a), (b) oder (c) ankreuzt. Es gab klare Linien und Unterschiede. Heute? Ist alles gleich. Mainstream, wie das neudeutsch so schön heißt. Unterschiede? Vielfalt? Auswahl? Weg! Vorbei! Nicht mehr vorhanden. Heute kann sich der “Souverän” nur auf zwei Dinge verlassen: (1) Den Herren und Damen in den Parlamenten geht es - vor allem finanziell - blendend. Und (2) Jede Entscheidung ist alternativlos. Eine Folge von 16 Jahren Angela Merkel. Immerhin: Alles, was wir gesagt und übergestülpt bekommen, ist geschlechtersensibel formuliert. Damit sich keiner diskriminiert fühlt. Toll!!! PS: In einem seiner Strips wurde die Comic-Figur Werner in den 80er gefragt von zwei Freunden auf der Straße gefragt, welche Partei er denn wählen würde. Nach kurzem Überlegen antwortete er mit einer Gegenfrage: Wenn Du 4 Haufen Sch… zur Auswahl hast: welchen isst Du? Da wusste wohl einer schon, wo die politische Reise hinging ;-) PPS: Als Werner weiterging, diskutierten seine Freunde weiter. Und einer meinte: Eins hat Werner vergessen - grüne Flitzkacke!

Walter Weimar / 21.02.2022

“Hat Kanzler Scholz einen Masterplan, wie er das Land sanieren könnte?”. Die brauchen keinen Masterplan, nicht mal einen Plan. Die passen die Norm nach unten an. Schluß und Aus!

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