Henryk M. Broder / 29.01.2015 / 02:26 / 44 / Seite ausdrucken

Deutschland am Rande des Nervenzusammenbruchs

Irgendetwas stimmt nicht in diesem Land. Irgendetwas läuft aus dem Ruder. Kurt Tucholsky würde sagen: „Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen.” Nicht, dass Deutschland immer das Land der kühlen Vernunft und der rationalen Entscheidungen gewesen wäre, da gab es ein paar Ausraster, die bis heute nachwirken, aber noch nie haben die Deutschen in Friedenszeiten und unter dem Schirm eines Sozialstaates dermaßen hyperventiliert wie in den letzten Wochen und Monaten.

Hannah Arendt hat im Zusammenhang mit dem Organisator der „Endlösung”, Adolf Eichmann, von der „Banalität des Bösen” geschrieben. Sie würde heute über die „Grausamkeit der Guten” staunen.

Letzten Montag, heute-journal im ZDF. Nachdem die Pegida-Leute ihre Demo auf den Sonntag vorverlegt haben, gehört Dresden jetzt den „Guten”, Herbert Grönemyer, der aus London eingeflogen ist, und über 200 Künstlern aus der ganzen Bundesrepublik, die „ein Zeichen” für ein buntes, tolerantes und weltoffenes Dresden setzen wollen. Oder ein buntes, tolerantes weltoffenes Berlin, Bremen und Frankfurt, denn auch dort finden Demos gegen Fremdenfeindlichkeit statt.  Tausende junge Menschen wollen ein Zeichen setzen, sie schwenken Leuchtstäbe und Taschenlampen hin und her, wie einst ihre Eltern in einer Vorstellung der „Rocky Horror Picture Show”. Auch dagegen wäre an sich nichts zu sagen, denn „ein Zeichen” zu setzen ist die einfachste Art, Engagement zu zeigen, ohne dabei mehr zu riskieren als kalte Füße in der Abenddämmerung. Und kosten tut es auch nichts, denn die Künstler treten ohne Gage auf.

Mitten in der Menge eine junge Frau mit Wollmütze,  die ein pinkfarbenes Plakat an einer Holzlatte in die Höhe hält. Darauf steht: „Menschenrechte statt rechte Menschen”. Ich würde gerne auf die Frau zugehen und sie fragen: „Was soll denn mit den rechten Menschen passieren? Wollen wir sie umbringen, einsperren, ausbürgern? Und wo fängt für Sie rechts an?” Aber es geht nicht, denn die junge Frau ist in Dresden, Bremen oder Freiburg unterwegs und ich stecke in einem Hotel in Frankfurt fest. Schade, ich hätte gerne gewusst, wie sie auf diesen Spruch gekommen ist, ob sie vielleicht schon als Kind mit ihren Eltern gegen den Bau eines AKW’s demonstriert hat, eine Papptafel mit dem Satz „Ich habe Angst!” an einer Schnur um den Hals.

Ich fürchte, ich bin einer der wenigen, die sich über eine solche Zurschaustellung der Folgen frühkindlicher Gehirnwäsche aufregen. Denn ich bin ein „Rechtspopulist”, ein „Hetzer”, einer der spaltet, statt zu versöhnen. Alle anderen wollen Zeichen für Toleranz setzen, Brücken bauen, auf fremde Menschen zugehen, sogar mit den Taliban beten - vorausgesetzt, es sind Gleichgesinnte und Gleichgepolte. „Rechte Menschen” dürfen ausgegrenzt und diffamiert werden, im Namen und zugunsten der „Menschenrechte”.

Als ich noch viel jünger, schlanker und dunkelhaariger war, habe ich mal einem Professor, dessen Vorlesungen ich hörte, anvertraut, dass ich die SPD wählte. Fortan sprach er mich nur noch mit „Mein bolschewistischer Freund!” an. So war es in den 60er Jahren,  ein kluges Wort, und schon war man Kommunist. Heute ist es genau umgekehrt. Ein Hinweis darauf, dass das Demonstrationsrecht unabhängig von den politischen Zielen der Demonstranten gilt, so lange sich diese an die Gesetze halten, und schon ist man ein „Rechter”. Die „Guten”, also die Linken, die Friedensbewegten, die Brückenbauer und diejenigen, die sich die Erde nur von ihren Kindern geliehen haben, bleiben gerne unter sich und bestätigen sich gegenseitig, wie gut sie sind.

Wer diesem Club der Selbstgerechten angehören möchte, der muss an die Klimakatastrophe glauben, die Energiewende unterstützen, einen Toyota Prius fahren,  auf seine CO2-Bilanz achten, kulturzeit auf 3sat schauen und immer eine Erklärung dafür parat haben, warum „der Westen” an allem schuld ist, während es „den Islam” als solchen gar nicht gibt. Er muss auch über ein sehr selektives Wahrnehmungsvermögen verfügen. Wenn eine Autonomengang eine Polizeiwache überfällt oder Veranstaltungen der AfD und der taz sprengt, weil dort „falsche Ansichten” geäußert werden, dann sind das Petitessen, die achselzuckend ad acta gelegt werden. Wenn aber ein älterer leicht besoffener Herr einer jungen Journalistin etwas zu lange in den Ausschnitt guckt, dann ist das „menschenverachtend” und ein Vorratslager für wochenlange Entrüstung.
Dieser Gesellschaft ist der innere Kompass abhanden gekommen. Sie hat sich nicht liberalisiert. Sie ist autoritärer, dogmatischer und rigider geworden, wobei es die Antiautoritären von gestern sind, die heute den Ton angeben. Sie kaufen ihr Küchenzubehör bei manufaktum ein und rümpfen die Nasen über „Spießer” und „Kleinbürger”, die sowohl beim Konsumieren wie beim Politisieren ästhetisch versagen. „Spießer” und „Kleinbürger” sind heute die beliebtesten Invektive, mit denen sich die Angehörigen der Kultureliten vom gemeinen Volk absetzen.

Diese Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten so gründlich pazifiziert worden, dass sogar die Pazifizierer nicht mehr wissen, wie sie ihre Aggressionen loswerden sollen. Deswegen tun sie so, als hätten sie keine. Aber es reicht, an der Oberfläche der Friedfertigkeit nur ein wenig zu kratzen, damit das unterdrückte Elend zum Vorschein kommt. An keinem Stammtisch in Wanne-Eickel geht es so passiv-aggressiv zu wie an der Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts, wo Toleranz gepredigt und Sektierertum praktiziert wird.

Nun, da sich die Pegida von allein erledigt hat, werden die Guten und die Selbstgerechten einen neuen Sündenbock brauchen, an dem sie sich abarbeiten und dem sie das anlasten können, woran sie gescheitert sind - die Transformation der Gesellschaft.

Die Parteien und Bewegungen kommen und gehen. Aber die Fragen und Probleme bleiben. Lotta continua!

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Leserpost

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Thomas Preissler / 31.01.2015

Danke lieber Herr Broder….was für göttliche Sätze. Danke, danke, danke. Wenn ich mein persönliches Umfeld in Gedanken durchstreife, nun, dann ist Herr Bütikofer wohl mehr als gewöhnlich. Und das ist auf Dauer immer schwerer zu ertragen. Und für all die anderen, die sich auf dieser Seite umtun, weil sich in ihnen ein allgemeines Unwohlsein ob des gemeinen Durchschnittsdenken breit macht:- Ihr seid nicht die Einzigen.

Rainer Haase / 31.01.2015

Vielen Dank Herr Broder. die alten 68 iger Fenster lassen sich nur schwer öffnen. Als guter Handwerker haben Sie die Fenster wenigstens etwas öffnen können, so dass ich endlich mal wieder frische Luft bekam. Zu viele Lichterketten im Wohnzimmer Deutschland können eben auch zu erheblichem Sauerstoffmangel führen, was sich bekanntermaßen auch auf das Denken und eine gesunde Wahrnehmung auswirken kann. Denken Sie bitte daran: gute Handwerker werden immer gebraucht. Herzliche Grüße  

Tilman Kloeble-Erwig / 30.01.2015

Immer wieder ein großes Vergnügen die Überlegungen von Herrn Broder lesen und teilen zu dürfen. Mutig und kompetent, ein Stachel im Fleisch des überall wabernden Gutmenschentums und dabei nicht ungefährlich: Denn Gutmenschen sind nicht immer gut, sie werden gerne ungut und rabiat wie im Alltag oft zu erleben. Ich drücke Herrn Broder die Daumen, dass er von dieser sich um die Welt sorgenden ´Fürsorge` einigermaßen verschont bleibt. Die nicht ausbleibenden verbalen Attacken wird er mit Sicherheit überleben.Tilman Klöble-Erwig

Dietmar Burow / 30.01.2015

Ich würde schon Wert darauf legen, die “Grausamkeit der Guten” auf die bornierte Dämlichkeit des allgegenwärtigen Gutmenschen zu begrenzen. Die wirklichen Grausamkeiten stehen uns unzweifelhaft erst noch bevor und ob man deren Verursacher noch als “Gute” wahrnehmen wird, wage ich zu bezweifeln. Man ist geneigt, in diesem Zusammenhang den Begriff der frühen Geburt doch schon etwas positiver zu sehen. Nicht jedes Elend dieser Welt muß man noch miterleben wollen. Spannend wird es, wenn man die Gutmenschen beim Verlassen ihrer geistig-moralischen Komfortzone beobachten darf, das dürfte zu schmerzlichen Erkenntnissen führen. Da werden dann Kräfte wirksam, die sich von den Leiden dieser gescheiterten Sozialklempner genauso wenig beeindruckt zeigen wie die Schwerkraft.  

Adam Csillag / 30.01.2015

Es ist (fast ) alles gut und richtig, was Sie schreiben, Herr Broder , aber es gibt nichts Leichteres als die Lebenslügen einer seit Jahrzehnten demoralisierten, zielverlorenen, “atmosphärischen Linke” zu enthüllen…

Gunter Maierhofer / 30.01.2015

Neben dem Gerede, dass man den Extemismus egal von welcher Seite er kommt ablehnt, gibt es ja noch ein Steigerungsstufe. Man will mit “denen” nicht mal reden. Churchill hat man gesagt: “Wenn in einer Diskussion zwei die gleiche Meinung haben, ist einer überflüssig” Also warum darf man mit den Organisatoren von Pegida nicht reden - wie soll man sie sonst bloßstellen - wie über sie lustig machen? Fast jeder Prediger der Salafisten hat schon seine Auftritt in den Talkshows bekommen und die Politik war vertreten.

Susanne Petermann / 30.01.2015

Lieber Herr Broder, Danke sehr. Ich dachte schon ich sei die Einzige, die das alles für bekloppt hält. Herzliche Grüße, Susanne Petermann

Matthias Kratzsch / 30.01.2015

Die Menschen, denen Sie Herr Broder diesen Spiegel hinhalten, werden das nicht lesen wollen. Zu sehr sind sie von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt. Zu sehr hassen sie andere Meinungen und Auffassungen, wohl hassen sie auch die Menschen, die diese Auffassungen teilen. Linke Gewalttäter erledigen unter dem Stillhalten oder vielleicht gar mit Unterstützung dieser Gutmenschen die Drecksarbeit und bedrohen oder verletzen die sich versammelten Andersdenkenden. Diese Zustände erinnern mich an die Jahre 1988 – 89 in meiner alten Heimat Dresden; an die Jahre der friedlichen Demonstrationen und der gewalttätigen Reaktionen der DDR – Staatsorgane. Anscheinend ist nun Gesamtdeutschland wieder soweit. Damals wie heute geht es bei diesen Einsätzen nur um die Erhaltung der Macht der derzeit Mächtigen. Mit dem Schüren von Angst vor Gewalt kann man noch die große Masse des Volkes am aufrechten Gang hintern. Nicht für alle Zeit allerdings.

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