Was läuft schief im deutschen PEN? Eine Menge, muß man nach den letzten Eskapaden von dessen Vorstand und Geschäftsführung vermuten. Zuerst gefällt es dem Vorstand eigenmächtig, die deutsche Übersetzung der internationalen Charta so abzuändern, daß es an Fälschung grenzt. Heißt es doch im Originalton der Charta seit 1927 unverändert: “PEN declares for a free press and opposes arbitrary censorship in time of peace.” Auf deutsch also: “Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und widersetzt sich jeglicher willkürlichen Zensur in Friedenszeiten.” Daraus wurde vor einiger Zeit ohne viel Federlesens in der deutschen Charta (mit dem Segen des deutschen Vorstands, nehme ich an): “Der P.E.N. erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft jede Form der Zensur.” Na ja, o.k., diese Wortwahl ist prinzipiell durchaus akzeptabel, obwohl ein qualitativer Unterschied zwischen “widersetzen” und “verwerfen” besteht; das erstere fordert aktives Handeln, das letztere höchstens eine große Klappe. Und das mit der “willkürlichen Zensur in Friedenszeiten” mag ein nicht unbedingt verteidigungswertes Relikt aus Zeiten sein, in denen man meinte, während kriegerischer Verwicklungen potentiell verräterische bzw. wortwörtlich feindselige Worte schnell unterbinden zu müssen. Darum geht es hier jedoch weniger als darum, daß der deutsche PEN selbstherrlich das von allen PEN-Zentren der Welt anerkannte und unterschriebene gemeinsame Grundgesetz mittels schiefer deutschsprachiger Spitzfindigkeiten so mir nichts dir nichts übersetzerisch uminterpretiert hat.
Und dann, und dann: Lädt dieser deutsche PEN für den 6. September zu einer Ausstellung in Berlin ein, indem er mit geschichtlichen Tatsachen wurschtelt. Nimmt sozusagen Photoshop, um bei seinem eigenen Antlitz zumindest in der Vorankündigung das blinde Auge zu vertuschen und dabei eben noch den ungeliebten älteren Bruder, das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (vormals “deutscher Autoren im Exil”), wegzuretuschieren. Der ältere, wenn auch kleinere Bruder läßt sich jedoch von dem größeren Bully diese Winkelzüge nicht unwidersprochen bieten; er haut mal kurz zurück, indem sein Vorsitzender Günter Kunert und sein Ehrenmitglied Ralph Giordano scharf gegen die Geschichtsklitterei der “Usurpatoren” protestieren (nachzulesen hier und hier).
Am 26.8.11 griff die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Story auf. Unter dem Titel “Verderbtes Erbe” ging FAZ-Autor Andreas Kilb in einem sehr fundierten, bisher nur in der Druckausgabe nachlesbaren Artikel mit dem deutschen PEN ins Gericht. In unmißverständlichem Klartext bezog er sich dabei ausdrücklich auf die Fehler bzw. Falschdarstellungen in der Ankündigung der Ausstellung, nicht die Ausstellung selbst (wie auch, sie ist ja noch nicht eröffnet). Trotzdem meinte Herbert Wiesner, der Generalsekretär des deutschen PEN, dem nicht nur mit “freundlichen”, sondern gar freundlichsten Grüßen hastig konterkarieren zu müssen, wobei er in seinem krampfhaften Bemühen um Schlaumeierei einen für einen Schriftsteller erschreckenden Mangel an Textverständnis und Logik bewies.
Daß solch uneinsichtige Selbstgerechtigkeit nicht unwidersprochen bleiben konnte, verstand sich für den Vorsitzenden des Exil-PEN-Fördervereins, den 1942 im Schanghaier Exil seiner Eltern geborenen Peter Finkelgruen, von selbst. Und so setzte er sich hin und verfaßte den folgenden “Offenen Brief an den Generalsekretär des Deutschen PEN”:
Sehr geehrter Herr Wiesner,
erlauben Sie mir, als einem im Exil geborenen Autodidakten der deutschen Sprache, Ihnen folgendes zu sagen: Wäre ich ein Lehrer, der die Texte Ihrer Presseerklärungen vom 9. August 2011 und vom 26.August 2011 zu beurteilen hätte, so hätte ich einige Zeilen am Rande rot angestrichen und daneben geschrieben: „missverständlich“. Unter Ihrem Text stünde: „Wiesner nachsitzen!!“
Bereits im Januar dieses Jahres hatte ich das fragwürdige Vergnügen eines Briefwechsels mit Ihnen, bei dem es im Prinzip um dasselbe ging. Nein, nicht um die Anbringung einer Gedenktafel im Gedenken an die seinerzeit in Sanary versammelten vertriebenen Autoren aus Deutschland. Dafür habe ich Ihnen sogar gedankt. Es ging damals wie heute um Ihren Umgang – nein, nicht mit den Toten, sondern mit den Überlebenden.
Heute geht es um Ihre, um es milde zu sagen, missverständliche Wortwahl bei der Einladung zu einer Ausstellung, die gewiss sehr berechtigt ist, fehlt es doch in Deutschland wie im deutschen PEN an einer zusammenhängenden Schau der Verfolgungs- und Nachkriegszeit. Der Zeit, in der, um es in biblischer Ausdrucksweise zu formulieren, jene, die gemordet hatten, auch noch erbten.
Es geht darum, dass Sie, Herr Wiesner, in einer Einladung in Bezug auf den deutschen PEN von SEINER „Auflösung um 1933“ und von SEINER „Exil-Zeit“ sprechen. Dies hat mit der Ausstellung, die erst am 6. September eröffnet werden wird, wie Sie nicht müde werden zu betonen, vorläufig noch nichts zu tun, zeigt aber deutlich, wer mit den Possessivpronomen zuerst um sich geworfen hat und sich die historische Rolle seines Verbandes schönfärbt.
Und wenn Sie jetzt versuchen, die Dinge so darzustellen, als würden Günter Kunert und Ralph Giordano die Ausstellung kritisieren, setzen Sie auf die Verfälschung der Vergangenheit jetzt auch noch eine Verfälschung der Gegenwart.
Mein Vorwurf an Sie lautet, dass Sie als Sekretär des deutschen PEN gewollt oder ungewollt einen allzu lässigen Umgang mit der deutschen Sprache pflegen.
Darüber hinaus meine ich, wie ich in meinem Schreiben vom 24. Januar zum Ausdruck brachte, bei Ihnen einen auffälligen Mangel an Takt und Fingerspitzengefühl gegenüber Überlebenden der Verfolgung und des Exils festzustellen. Günter Kunert, den Sie öffentlich wissen lassen, dass er, wenn er bei der Ausstellungseröffnung einen Zwischenruf machen sollte, nicht des Saales verwiesen wird, wird gewiss erleichtert sein ob dieses Zugeständnisses.
Wenn Günter Kunert in seinem Brief davon spricht, dass Geschichtsfälschung eine deutsche Spezialität sei, erlauben Sie mir angesichts Ihrer Äußerungen noch eine hinzuzufügen: Rechthaberei.
Zum Schluss noch eine Frage an den Generalsekretär des deutschen PEN: In Ihrer Erklärung vom 26. August 2011 sprechen Sie im Hinblick auf Günter Kunerts und Ralph Giordanos Erklärungen davon: „Es wiederholt sich damit ein vor vielen Jahren schon entbrannter Kampf um die Existenzberechtigung zweier deutscher P.E.N.-Zentren.“ Ist dem so? Jedenfalls wissen wir nichts davon.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Finkelgruen
Vielleicht ist es an der Zeit, daß sich die deutschen PEN-Brüder und -Schwestern nach einem neuen Geschäftsführer umsehen—und, wenn sie schonmal dabei sind, vielleicht auch nach einem neuen Vorstand, der Zensur nicht nur verwirft, sondern sich ihr widersetzt.