Der ehemalige Deutsche-Welle-Redakteur Peter Finkelgruen sagt über die Fülle von antisemitischen Äußerungen von DW-Redakteuren, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind: „Ich bin nicht überrascht.“
Peter Finkelgruen, ein ehemaliger Redakteur der Deutschen Welle, wurde 1942 in Shanghai geboren, wohin seine Eltern – deutsche Juden – vor dem Holocaust geflohen waren. Sein Großvater Martin Finkelgruen wurde 1942 in der kleinen Festung Theresienstadt von einem SS-Wachmann zu Tode geprügelt.
Von 1951 bis 1959 lebte Peter Finkelgruen in Israel, dann kam er nach Deutschland und wurde Journalist.
Im Juni 2017, vor dem Hintergrund der Kontroverse um die Antisemitismus-Doku „Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa“ von Joachim Schroeder und Sophie Hafner, schrieb er in einem offenen Brief an WDR-Intendant Tom Buhrow über den Antisemitismus, den er immer wieder im staatlichen beziehungsweise öffentlich-rechtlichen deutschen Rundfunk erfahren hatte:
„1974 fuhr ich mit meiner Frau zu einem Besuch nach Israel. Ich erlebte dort das Ma’alot-Massaker. Es war eine Folge der Besetzung einer Schule und der Geiselnahme aller Anwesenden durch DFLP-Terroristen [Teil von Jassir Arafats PLO und heute auch in der Führung von BDS; S.F.] im nordisraelischen Ort Ma´alot am 15. Mai 1974. Alle 21 Schüler kamen ums Leben.
Es war noch nicht die Zeit der modernen technologischen Medien, und ich war mit einigen Schwierigkeiten in der Lage, bei meiner Redaktion im Funkhaus [der Deutschen Welle; S.F.] anzurufen und zu fragen, ob ich einen telefonischen Bericht durchgeben sollte. Der diensttuende Redakteur erwiderte: 'Nein. Aber melde Dich, wenn die Israelis zurückschlagen.'“
„Achtung, Vorsicht, Jude!“
47 Jahre später. Als ich am Montagvormittag mit Finkelgruen telefoniere, erzählt er mir:
„Ich bin zu einer Zeit zur Deutschen Welle gekommen, als ich noch nicht über den Hintergrund aller Personen in der Bundesrepublik Bescheid wusste. Es stellte sich aber bald heraus, dass ich in ein Nest aus lauter ehemaligen NS-Leuten geraten war.
Im deutschsprachigen Programm – also auch im Nahostbüro – war ein Mann, der Leiter des Deutschen Nachrichtenbüros gewesen war. Und so zog sich das eigentlich durch nachher.“
Ein deutscher Mitarbeiter der Nahostredaktion habe einmal einen älteren Redakteur aus der Abteilung Politik gefragt, „ob es denn richtig sei, dass ein Jude einen Kommentar zu einem Thema des Nahen Ostens schreibt“. Einmal, erzählt Finkelgruen, sei er von einem Interviewpartner, mit dem er zusammen mit einem WDR-Journalisten verabredet gewesen sei, mit den Worten begrüßt worden:
„Ah, Herr Finkelgruen, ich habe heute von Ihnen gehört. Ich habe bei der Deutschen Welle nachgefragt, da sagte man mir: Achtung, Vorsicht, Jude!‘“
Deutsche-Welle-Redakteur will „Kollaborateure hinrichten“
Knapp ein halbes Jahrhundert ist dies her, nun erleben wir Historisches: Nachdem Journalisten von der Süddeutschen Zeitung, Vice, Die Welt und Bild seit Ende November immer neue Belege für den Antisemitismus von Mitarbeitern der Deutschen Welle publik gemacht haben, sieht sich die Führung des Staatssenders nach anfänglichem Leugnen und Verharmlosen des Problems erstmals gezwungen, zumindest so zu tun, als wolle sie dagegen etwas unternehmen und hat einige der schlimmsten Judenhasser unter den Redakteuren und Journalistenausbildern „freigestellt“.
Zudem wurden die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und der Psychologe Ahmad Mansour mit der Untersuchung der Vorfälle beauftragt. Sie haben viel zu tun.
Die jüngste Berichterstattung begann mit Moritz Baumstiegers Beitrag „Ein Sender schaut weg“ in der Süddeutschen vom 30. November. Der Autor hatte sich angesehen, was Mitarbeiter der Deutschen Welle im Internet über Juden, den Holocaust und Israel schreiben.
Etwa Bassel Aridi, Leiter des Korrespondentenbüros in Beirut, der 2014 geäußert haben soll:
„Jeder, der mit den Israelis zu tun hat, ist ein Kollaborateur und jeder Rekrut in den Reihen ihrer Armee ist ein Verräter und muss hingerichtet werden.“
Heute „bedauere“ Aridi die Formulierung, schreibt Baumstieger, der Zweifel an der Aufrichtigkeit des Bedauerns hat:
„Bei seinem vorherigen Arbeitgeber, dem Sender Al-Jadeed TV, veröffentlichte [Aridi] Beiträge, in denen die schiitische Miliz Hisbollah, ihr Führer Nasrallah und ihre Erfolge im Krieg 2006 gegen Israel recht positiv dargestellt wurden.“
Dr. Jekyll und Mr. Hyde
DW-Redakteur Morhaf Mahmoud „prahlte“ laut Baumstieger im Juli 2017 in einem Facebook-Post, ein Gespräch in einem Café mit einer Dame abgebrochen zu haben, als er von ihrem jüdischen Glauben erfuhr. „Wir haben viel gegen euch“, habe er der Frau nach eigener Aussage gesagt und habe es „hinterhältig“ genannt, dass sie ihm nicht sofort ihre Religionszugehörigkeit mitgeteilt habe.
„Drei Wochen später“, so Baumstieger, „bezeichnete er unter einer Beileidsbekundung für einen verstorbenen deutschen Holocaustleugner (Ernst Zündel; S.F.) den Massenmord an den Juden als ‚künstliches Produkt‘.“
Wie Lennart Pfahler in einem Beitrag für die Welt vom 8. Dezember schreibt, konfrontierte ein Zuschauer der Deutschen Welle im Februar 2020 die Pressestelle des Senders mit Äußerungen Mahmouds. Unter anderem habe dieser Israel als „Feind“ bezeichnet. Der Pressesprecher der Deutschen Welle, Christoph Jumpelt, soll damals geantwortet haben, Mahmoud habe diese Aussage „als Privatperson getroffen und nicht als Mitarbeiter der Deutschen Welle.“
Das erinnert an Dr. Jekyll und Mr. Hyde beziehungsweise an den Fall des Chefkorrespondenten des Deutschlandfunks, Stephan Detjen. Dieser hatte 2020 seinen Namen unter einen Text gesetzt, in dem die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestages angeprangert und gefordert wurde, Aktivisten der BDS-Kampagne – die den Staat Israel durch einen Boykott von Waren und Menschen zerstören will – dürften nicht „aus dem kritischen Dialog ausgegrenzt werden“.
Als Kritik daran geäußert wurde, dass der DLF-Chefkorrespondent auf diese Art Politik im Sinne der Anti-Israel-Bewegung macht, teilte der DLF mit, Detjen sei „nicht als Vertreter des Deutschlandradios aufgetreten“, es gebe daher keine „Rollenvermischung“.
„Jüdische Netzwerke kontrollieren den Kulturbereich“
Wie Baumstieger in seinem Beitrag in der Süddeutschen weiter schreibt, äußerte DW-Redakteur Morhaf Mahmoud im Januar 2018 auf Facebook, „der Kulturbereich“ werde „von jüdischen Netzwerken kontrolliert“:
„Nichtjuden hätten deshalb keine Chance, die Juden würden zudem ‚die Gehirne der Menschen durch Kunst, Medien und Musik‘ kontrollieren. Nur im Sport seien Juden nicht gut, da komme es auf ‚echte Leistung‘ an.“
Solche Kommentare seien bei der Deutschen Welle „bislang nicht karriereschädlich“, konstatiert Baumstieger.
Das Leugnen des Holocausts offensichtlich auch nicht: Daoud Ibrahim, ein Ausbilder der Deutsche-Welle-Akademie, der in Beirut journalistische Workshops gibt, habe „neben vielen anderen fragwürdigen Dingen“ getwittert: „Der Holocaust ist eine Lüge #FreedomOfSpeech.“
Den Tweet einer libanesischen Sängerin, dass es kein Israel gebe, sondern nur „IsraHELL“, habe der Ausbilder der Deutschen Welle mit den Worten kommentiert: „All meinen Respekt.“
DW-Sprecher Christoph Jumpelt sagte dazu laut Baumstieger, die Ausbilder durchliefen „ein mehrmonatiges Assessment und dann eine mehrmonatige Ausbildung“ und seien „spezialisiert auf Themen rund um Qualitätsjournalismus“. Aha.
Wie die Deutsche Welle ihm bestätigt habe, so Baumstieger, sei Daoud Ibrahim der Bruder des stellvertretenden Hauptabteilungsleiters von DW Arabia, Mohamed Ibrahim. Dieser wiederum, so Baumstieger, habe früher für das Beiruter Blatt Al-Diyar gearbeitet, das der Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei (SSNP) nahestehe; die SSNP steht nach eigenen Angaben fest an der Seite des syrischen Diktators Bashar al-Assad.
Diese „Nebentätigkeit“ sei von der Deutschen Welle genehmigt worden, teilte DW-Pressesprecher Jumpelt der Süddeutschen Zeitung mit. Auf seinen Tweet angesprochen, in dem er den Holocaust als „Lüge“ bezeichnet hatte, sagte Daoud Ibrahim der Süddeutschen Zeitung, er habe bloß für „Redefreiheit“ eintreten wollen.
„Assad-Befürworter gezielt gefördert“
Welt-Autor Lennart Pfahler machte in seinem Beitrag „Lügen, Judenhass und Ignoranz“ vom 8. Dezember auf weitere dubiose DW-Mitarbeiter aufmerksam.
Etwa Farah Maraqa, die 2017 als freie Mitarbeiterin von Jordanien nach Berlin geholt worden sei, obwohl, wie Pfahler schreibt, ihre Referenzen „bis dahin spärlich“ gewesen seien. Es muss wohl auch in diesem Fall ihr fanatischer Judenhass gewesen sein, der Farah Maraqa qualifizierte.
Pfahler weist auf einen ihrer Beiträge hin, in dem sie im Dezember 2015 – also wenige Wochen nach den vom Islamischen Staat (IS) verübten Bombenanschlägen und Massakern in Paris mit 130 Toten und über 400 Verletzten – erklärte, sie werde sich dem IS anschließen, wenn dieser „in Palästina für die Befreiung kämpft“.
Die Deutsche Welle holte also mit Steuergeldern eine Terrorunterstützerin in die Redaktion, verschaffte ihr eine Aufenthaltserlaubnis und ein Schengen-Visum.
Am 12. Dezember berichtete Pfahler in der Welt über die „Assad-Connection“ der Deutschen Welle. „Assad-Befürworter“ seien dort offenbar lange Zeit „gezielt gefördert“ worden:
„Mehrere Mitarbeiter des deutschen Auslandsrundfunks sollen die Berichterstattung über den syrischen Bürgerkrieg zugunsten des Regimes in Damaskus beeinflusst und Fürsprecher des Diktators Baschar al-Assad intern unterstützt haben.
Insbesondere der regelmäßige Sendungsgast Aktham Suliman sorgte intern für Diskussionen. Journalist Suliman bekam immer wieder Einladungen und prestigeträchtige Projekte bei dem Sender, obwohl der Redaktionsleitung bekannt war, dass er dem Assad-Regime nahesteht, dem die Vereinten Nationen Kriegsverbrechen vorwerfen.“
DW und Bashar al-Assad: Freunde im Äther
Schon im Juli 2021 hatte die syrische Journalistin Yahya Alaous – die auch für die Süddeutsche Zeitung, das Handelsblatt und Qantara schreibt – dies auf dem Medienblog Übermedien angeprangert. „Der Assad-Apologet Suliman“, schrieb sie, „wurde von der Deutschen Welle nicht nur zum Thema Syrien eingeladen, sondern auch in andere Sendungen. Dort wurde er als ‚Deutschlandexperte‘ oder auch ‚Integrationsexperte‘ präsentiert, was ich befremdlich finde.“
2014 und 2015 habe die Leitung der arabischen DW-Redaktion Suliman dann damit beauftragt, „journalistische Trainings im Sender durchzuführen, und betraute ihn auch mit größeren, lukrativen Projekten wie der Koordination einer Reihe von Magazin-Reportagen.“
Wieso? Alaous Fragen hierzu habe der Pressesprecher der Deutschen Welle unbeantwortet gelassen. Mitarbeiter der DW-Redaktion, mit denen Alaous gesprochen habe, hätten ihr gesagt, auch in der Redaktion selbst gebe es Assad-Sympathisanten:
„Wenn sich die Gelegenheit biete, würden sie die Berichterstattung zugunsten des syrischen Regimes färben: indem sie ungünstige Nachrichten in der Berichterstattung auslassen, kritische Formulierungen abändern oder Assad-Sympathisanten zu Interviews bitten, in denen diese als angeblich neutrale Experten auftreten.“
Dann ist da noch Abdel Bari Atwan, Chefredakteur jenes Blattes, in dem Farah Maraqa ihre Äußerung publiziert hatte, sie würde sich dem IS anschließen, wenn dieser „in Palästina für die Befreiung kämpft“.
„Keinen Flughafen finden, von dem aus sie fliehen können.“
Atwan wurde, wie Pfahler in der Welt schreibt, von der Deutschen Welle ab 2017 regelmäßig zu Liveschaltungen und Talkshows eingeladen. „Anders als Maraqa“, so Pfahler, „war Atwan zu diesem Zeitpunkt bereits international bekannt und sein Hang zu Islamismus und antisemitischen Kommentaren gut dokumentiert.“
Das stimmt, man findet Atwan im Archiv von Mena-Watch: So sagt er etwa etwa über israelische Juden, diese würden bald ins Ausland fliehen müssen:
„Sie werden keine andere Möglichkeit haben, als über das Meer zu fliehen. Bei Allah, sie sollten auf den Rat von Hassan Nasrallah hören und anfangen, schwimmen zu lernen, denn ihre einzige Option wird Zypern sein, ihre einzige Option wird das Mittelmeer sein. Die Afghanen sind zum [Kabuler] Flughafen gegangen. Die Israelis werden keinen Flughafen finden, von dem aus sie fliehen können.“
Atwan sagt auch:
„Die Sirenen, die heulen, wenn Hamas-Raketen Aschdod treffen, sind in meinen Ohren wie eine Beethoven-Symphonie.“
Atwan scheint wie geschaffen für die Deutsche Welle. Er war mit seinen Kollegen bestimmt von Anfang an – wie soll man sagen? Auf derselben Wellenlänge.
Ich frage den ehemaligen Deutsche-Welle-Redakteur Peter Finkelgruen am Telefon, was er über die Fülle von antisemitischen Äußerungen von Redakteuren der Deutschen Welle – bis hin zur Holocaustleugnung – denkt, die in den letzten Tagen bekannt geworden sind. Seine Antwort: „Ich bin nicht überrascht.“
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.