Die Deutschen tun sich zunehmend schwerer damit, die Amerikaner zu verstehen. Vice versa. Sand ist in das Getriebe der Freundschaft gekommen. Wer sich dennoch berufen fühlt, der Großmacht moralische Vorhaltungen zu machen, ist mit Verlaub dümmer, als es die Weltlage erlaubt.
Uncle Sam will nicht einsehen, warum er weiter einen Zögling unterstützen und beschützen soll, der nichts mehr auf das geben will, was ihm beigebracht wurde – die Garantie der freien Meinungsäußerung als oberstes Staatsziel. Darauf gründen die Vereinigten Staaten von Amerika politisch. Das ist der Nährboden ihrer Demokratie.
Damit, dass er dem deutschen Parteienstaat vorhielt, nicht jeden sagen zu lassen, was er sagen will, hatte der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance die deutschen Politiker schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor knappen zwei Wochen aufgeschreckt. Und nun wurde er in Washington noch deutlicher: „...natürlich werden wir weiterhin wichtige Bündnisse mit Europa pflegen.“ So weit so beruhigend. „Aber“, fuhr er fort, „wird die Stärke dieser Bündnisse davon abhängen, ob wir unsere Gesellschaften in die richtige Richtung lenken.“
Das saß. Denn genau hier gehen die Meinungen auseinander. Während die Amerikaner überzeugt sind, in der Demokratie müsse man jedwede Meinungsäußerung ertragen, ohne sie gleich gut zu heißen. Wie hätte es ihnen sonst gelingen sollen, ihren Staat aufzubauen? Schließlich waren es keine Parteien, die aus der alten in die neue Welt ausgewandert sind, sondern einzelne Menschen, alle mit ihren ganz eigenen Vorstellungen, so dass sich Mehrheiten erst allmählich herausbilden konnten.
Eigene Angebote und überzeugende Persönlichkeiten fehlen
Mit dieser Erfahrung haben die Amerikaner auch mehr als die anderen Besatzungsmächte nach 1945 versucht, den Deutschen die Demokratie beizubringen. Sind sie, durchaus vernünftig, nach der krachenden Niederlage des Nationalsozialismus doch davon ausgegangen, dass sie es mit einer Gesellschaft zu tun haben würden, die nach Orientierung sucht und deshalb auf die freie Meinungsäußerung aller angewiesen sein müsste. Eine Weile lief das auch ganz gut. Mit der Zeit bildeten sich Parteien heraus, von denen sich unterschiedliche Schichten angesprochen fühlten. Alles verständlich, ganz normal. Kein amerikanischer Präsident hat bisher an diesen deutschen Verhältnissen Anstoß genommen, auch Donald Trump nicht.
Nun aber beschränken sich die Parteien nicht mehr darauf, Wähler mit dem zu gewinnen, was sie in deren Interesse durchsetzen wollen. Sie warnen die Bürger vielmehr davor, sich für andere zu entscheiden, für konkurrierende Politiker und Parteien, von denen es heißt, sie würden Unheil über das Land bringen. Wo eigene Angebote und überzeugende Persönlichkeiten fehlen, muss man sich mit der bisweilen sogar ehrabschneiderischen Verurteilung des politischen Gegners profilieren. Im Plenarsaal des frei gewählten Parlaments wird symbolisch eine „Brandmauer“ errichtet, um die Mitbewerber von vornherein auf Distanz zu halten, sie mit Verfahrensregeln mundtot zu machen und nach Möglichkeit vom demokratischen Procedere auszuschließen. Ihre Stimmen sollen nicht gelten, weil ihnen nachgesagt wird, eine Rückkehr in diktatorische Verhältnisse zu planen, als ob die sogenannten „demokratischen Parteien“ nicht längst schon auf diesen Holzweg eingeschwenkt seien.
Eine derart gelenkte Demokratie, von Angela Merkel nach dem Vorbild der „sozialistischen Demokratie“ der DDR durchgesetzt, übersteigt das ursprüngliche Politikverständnis der Amerikaner. Da sind keine Brücken mehr zu schlagen. Nachdem er daran erinnert hatte, dass „die gesamte deutsche Verteidigung vom amerikanischen Steuerzahler subventioniert“ wird, fragte J.D. Vance denn auch: „Glauben Sie, dass der amerikanische Steuerzahler es hinnehmen wird, wenn jemand in Deutschland ins Gefängnis kommt, nur weil er einen gemeinen Tweet gepostet hat?“
Trump löst ein, was er dem Volk im Wahlkampf versprach
Die Ansage war deutlich, und sie muss um so ernster genommen werden, als amerikanische Politiker ihren Worten in der Regel Taten folgen lassen. Auch das eine neue Erfahrung für die Deutschen. Nichts, was Donald Trump seit seiner Wahl zum 47. Präsidenten der USA angeordnet hat, hat er von hinten durch die kalte Küche durchgesetzt. Er löst nur ein, was er dem Volk im Wahlkampf versprach.
Das Wahlverständnis amerikanischer Politiker unterscheidet sich völlig von dem ihrer deutschen Amtskollegen. Nun wollen wir hier aber keineswegs Legenden spinnen. Deshalb: Es stimmt schon, auch die „Amis“ nehmen den Mund gelegentlich zu voll, auch sie können nicht alles umsetzen, womit sie auf Stimmenfang gehen, und manches, das ihre Präsidenten hektisch auf den Weg bringen, müssen sie wieder zurücknehmen. Aber sie sind doch zuerst einmal leistungs- und erfolgsorientiert, keine Bedenkenträger, die vor der Wahl groß tun und Pläne schmieden in dem sicheren Vertrauen darauf, dass nachher ohnehin nichts daraus wird, sei es, dass die Angelegenheiten so lange hin und her erörtert werden, bis sie sich von selbst erledigt haben, oder sei es, dass der „Vorgang“ auf dem Weg durch die Instanzen irgendwo verlorengeht.
Der Vorwurf, ein Dealmaker zu sein, hierzulande gern abwertend und namentlich gegen Trump erhoben, wird in Amerika keineswegs abwertend verstanden, schon gar nicht von vornherein. Denn was wäre gegen einen Mann zu sagen, der es versteht, Geschäfte zu machen, die dem Land zum Vorteil gereichen? Dass er hart und erfolgreich verhandelt, wenn es darum geht, die Interessen seines Landes durchzusetzen, die USA wieder stark zu machen, dass er rechnen kann, lag ja gleich nach dem Wahlsieg auf der Hand. Dass die Deutschen dem nichts als moralische Verurteilung entgegenzusetzen haben, stellt unserer Politik kein gutes Zeugnis aus. Noch immer scheint es, sind wir gebannt von einem romantischen Politikverständnis, dem „Geschäfte“ und „Geschäfte machen“ a priori verächtlich gelten.
Das mag den „schönen Seelen“, den zartfühlenden, ebenso gefallen wie den politischen Sprücheklopfern, nur wird es nicht helfen, weiter auf dem Weltmarkt zu bestehen und militärisch so abgesichert zu sein, dass sich der deutsche Michel die Schlafmütze in der Nacht beruhigt über die Ohren ziehen kann. Es ist an der Zeit, aufzuwachen aus dem Traum, der reiche Onkel aus Amerika werde es schon richten, uns den Putin vom Halse zu halten. Wollen wir diese Sicherheit nicht verlieren, heißt es erstens, wieder mehr Demokratie zuzulassen, die freie Meinung jedermann und jeder Frau zuzugestehen. Und zweitens nach den Wahlen zu dem zu stehen, was zuvor versprochen oder in Aussicht gestellt wurde. Bei dem einen wie dem anderen sind uns die USA weit voraus.
Wer sich dennoch berufen fühlt, der Großmacht moralische Vorhaltungen zu machen, ist mit Verlaub dümmer, als es die Weltlage erlaubt.
Dr. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, Dr. phil., verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“. Auf Achgut.com kommt immer Neues hinzu.
