Von José Ruprecht.
Reformen sind in Deutschland nicht angesagt, schließlich waren die zurückliegenden 16 Jahre Angela Merkel eine einzigartige Erfolgsgeschichte, wie auch die vier Kandidaten für ihre Nachfolge nicht müde werden zu betonen, schließlich kann dies auch jeder Bürger mit einem Blick auf seine Stromrechnung mühelos kontrollieren. Aber so ganz klappt die kommunikative Einvernahme der Bürger noch nicht, zwar bei 99 Prozent der Journalisten durchaus, aber es gibt halt immer noch Deutsche, die von ihren Erinnerungen an die Zeiten der hemmungslos ausgenutzten Meinungsfreiheit partout nicht lassen wollen. Um auch noch diesen klitzekleinen Rest friedlich zu überzeugen, könnte ein Blick nach Kuba hilfreich sein. In Kuba findet gerade eine Währungs-, Preis-, Lohn-, Steuer- und letztlich auch eine Verteilungsreform statt.
Bisher hatte Kuba zwei offizielle Währungen. Die Umstellung ist „an sich“ unproblematisch: Ein früher begrenzt im Inland konvertibler CUC zu 24 Pesos und diese theoretisch gleich einem Dollar. Diese Währungsrelation ist zuerst einmal nur eine papierne, allerdings macht die Regierung den Besitzern höherer CUC-Konten das Angebot, diese in Dollar zu tauschen. Sie verspricht eine Auszahlung in Dollar zu dem Zeitpunkt, an dem sie wieder über genügend Devisenreserven verfügen würde. Zwar traf dies in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten niemals zu, doch rein logisch schließt diese Erfahrung per se nicht zukünftige Erfolge aus. Allerdings gibt es dabei eine klitzekleine Einschränkung, und die bezieht sich auf einen bösen imperialistischen, neokolonialistischen und neoliberalen (Zitat in Kuba: „Granma“, in Deutschland: „Neues Deutschland“ und „Junge Welt“) Import, der landläufig „Schwarzmarkt“ genannt wird.
Auf diesem steht die Relation nicht mehr ein Dollar zu 24 Peso, sondern inzwischen bei 1: 48. Hiesige Korrespondenten westlicher Medien preisen die Währungsreform als Weichenstellung an (dumm nur, dass eine Weiche immer wenigstens zwei Richtungen aufweist), um gleichzeitig mit ihren privaten Devisen fleißig diesen verdammenswerten Schwarzmarkt zu befeuern. Jeder westliche Besucher Kubas profitiert von der Währungsreform. Auf wessen Kosten?
Die Kubaner erfahren, dass Kuba heute nur noch eine Währung aufweist. Seit 1990 verwendeten die Kubaner außer Peso und CUC auch den Dollar, allerdings beschränkt auf privat, welche Währung meinen sie jetzt? Die kubanische Regierung verfügt dabei jedoch über eine erprobte Perspektive. Der Besitz von Dollars über die Bankkarte bleibt erwünscht, schließlich sind dafür die Dollarläden da, hingegen könnte zukünftig wieder der physische Besitz – wie es so poetisch auf Deutsch heißt – strafbewehrt sein.
Strompreis an die Steuerzahlung koppeln
Die am stärksten diskutierte Preisreform (welch schönes Wort „Reform“ und wie hässlich „Preissteigerung“) ist die der Strompreise. Seit 25 Jahren gelten in Kuba Stromtarife in Abhängigkeit vom Verbrauch. Je höher der Verbrauch desto höher der Tarif. Die Reicheren mit hohem Stromverbrauch subventionierten die Ärmeren mit niedrigem Verbrauch. So bleibt es auch nach der Reform. Allerdings soll eine drastische Preiserhöhung dem bisherigen gleichgültigen Umgang mit der Elektroenergie entgegenwirken.
Es gibt zehn Untergruppen, von 100 kW monatlich bis über 5.000. In der ersten Gruppe erhöht sich der Preis pro kWh von 0,09 Peso auf 0,40, in der höchsten von 5 auf 25. Die Preissteigerung für die drei geringsten Gruppen beträgt das 4,4-fache, für die höchsten sieben das 5-fache. 45 Prozent der Verbraucher in den höheren sieben Tarifgruppen zahlen mehr als die 55 Prozent der Verbraucher in den ersten drei Tarifgruppen. Zwar sind die deutschen Stromkosten bereits die höchsten in Europa, aber die kubanische Regierung zeigt, wie geschickter Deutschland damit umgehen könnte. Anstelle von einem Einheitstarif, einfach die Tarife an die Steuerzahlung koppeln.
Die Kubaner freuen sich über beträchtliche Lohn- und Rentenerhöhungen. Damit sie diese in den Preiserhöhungen richtig einzuordnen wissen, hat die Regierung sämtliche Veränderungen übersichtlich zusammengestellt. Auf rund 800 Seiten wird jede kleinste Detailveränderung akribisch aufgelistet. Darunter beispielsweise auch die Preise für die bei Touristen beliebten „Genre-Gemälde“, gestaffelt nach Größe und gemaltem Inhalt, wobei ein großes mit einer nackten Frau weniger kostet als ein kleines mit einer bekleideten, weil darin ja schließlich mehr Arbeit steckt. Eine Gesetzesveränderung auf einer Seite kann jeder nachlesen. Das könnte Ärger geben.
800 Seiten haben höchstens die Autoren gelesen. Detailverliebtheit ist besser als eine Nacht der langen Messer! Frau Merkel scheint von Kuba bereits gelernt zu haben. Für die Hotels gelten ebenfalls die Lohnerhöhungen, unklar ist, ob auch die Tariferhöhungen, aber beides zusammen würde die Zimmerpreise erheblich nach oben treiben. Kuba benötigt Einnahmen aus dem Tourismus, koste es, was es wolle. Würden Touristen die Klimaanlagen in ihren Zimmern herunterdrehen, damit die Hotels geringere Kosten haben? Sicherlich nicht, aber mit einem kleinen Zettel auf dem Nachttisch, dass es um das Klima geht, vielleicht doch, siehe die Handtücher in deutschen Hotels.
Schlange stehen verhindert demonstrieren gehen!
In Kuba gibt es gegenwärtig drei Einzelhandelsgeschäfte: Die Dollargeschäfte mit einem begrenzten Sortiment (nur bargeldlos!), aber immerhin, mit täglich ellenlangen Schlangen. Die (einst) normalen Geschäfte, ebenso mit ellenlangen Schlangen, aber nur, wenn es entweder tiefgefrorene Hühnerteile oder Waschpulver (2 Päckchen á 100 Gramm pro Person) gibt, sonst keine Schlangen, aber zumeist Mineralwasser eigener Produktion. Die „Bodegas“ für die Lebensmittelkarte und einige nur dort frei verkaufte zusätzliche Produkte. Dort bleiben die Preise teilweise stabil, teilweise erhöhen sie sich von 100 Prozent bis zu beträchtlich. Möglicherweise sind der Regierung dabei allerdings kleine Ungenauigkeiten unterlaufen. Beispielsweise kostete bisher ein normales kubanisches weiches Brötchen, das Hauptbrot der Kubaner, in der Bodega 5 Centavos (100 Centavos ein Peso). Jetzt soll es 2 (auch 5 werden genannt) Pesos kosten. Die Kubaner sind an sich ein friedfertiges Völkchen. Deshalb hören sie an dem Punkt auf zu rechnen. Aber insgesamt kann Deutschland lernen: Schlange stehen verhindert demonstrieren gehen!
Gleichfalls beginnt eine Besteuerung sämtlicher Löhne und Einkommen, moderat zwischen 3 und 5 Prozent. Ausnahmen für die unteren Lohngruppen, von insgesamt 32, sind angekündigt. Die Zeiten der „kostenlosen“ Sozialleistungen (bisher über die niedrigen Löhne gegenfinanziert) sind endgültig vorbei. Der Clou dabei, auch im Ausland erzielte Einkommen müssen in Kuba versteuert werden. Da nicht völlig auszuschließen ist, dass einige Kubaner, wenngleich bestimmt nur sehr wenige, sich darum herumwinden werden, hat der Staat eine intelligente Lösung gefunden. Jeder Kubaner muss pro einem Monat Auslandsaufenthalt nach Rückkehr in Kuba 500 Peso (20 Dollar) löhnen.
Ein ähnliches früheres Gesetz wurde damit „modernisiert“. In den USA leben zehntausende Kubaner, die sich in Kuba nicht abgemeldet haben, damit sie ihre Lebensmittelkarte behalten, die dann von den Verwandten benutzt wird. Wenn davon einer nach zwei Jahren Kuba mal wieder einen Verwandtenbesuch abstattet, klingelt die alte kubanische Registrierkasse. Allerdings könnte eine Spende an die Caritas in gleicher Höhe das Problem erheblich mildern, denn schließlich sind Steuern ein Graus, während Mildtätigkeit Segen bringt ins Haus. Die Caritas könnte dafür Lebensmittel im Ausland erwerben, was den Etat der Regierung entlasten würde.
Verwerflichen Kleinkapitalismus zugelassen
Die Reformen verfolgen das Ziel, mehr wirtschaftliche Effektivität und Gerechtigkeit herbeizuführen. Das ist verständlich. Soll damit allerdings die angestrebte Kalkulationsfähigkeit der Wirtschaft erreicht werden, dürfen die Lohn- und Preiserhöhungen kein Nullsummenspiel werden. Doch keine Sorge, das kubanische Verständnis von „Gerechtigkeit“ steht dem entgegen, denn bekanntlich ist dieser trefflich dehnbar. In Kuba befinden sich ca. 4,5 Millionen Personen im Arbeitsprozess, davon arbeiten etwa drei Millionen für den Staat, nach einer anderen Rechnung deutlich weniger, nämlich inzwischen rund die Hälfte, diese Hälfte wird nicht direkt von den Reformen erfasst. Das widerspricht dem Grundprinzip einer jeglichen sozialistischen (oder sozialen?) Revolution: mehr Gerechtigkeit.
In den letzten zehn Jahren war die kubanische Regierung gezwungen (durch das amerikanische Embargo, wie jeder aufrechte deutsche Linke ganz genau weiß), verwerflichen Kleinkapitalismus zuzulassen. Jetzt greift sie auf die bekanntermaßen erfolgreichen Rezepte früherer sozialistischer Staaten zurück. Jeder private Kleinunternehmer (mittlere gibt es kaum und größer überhaupt nicht) hat die Tariferhöhungen zu zahlen, sodann wird er auch den erhöhten staatlichen Mindestlohn übernehmen müssen. Unbekannt ist allerdings, wie viele dieser Kleinunternehmen nach den Lohn- und Tariferhöhungen übrigbleiben werden. Je weniger, desto besser für die soziale Gerechtigkeit, was ja auch ein Slogan aller deutscher Parteien ist, denn welcher Politiker könnte sich wohl in einer Einkaufsstraße (Entschuldigung, ein Lapsus, denn dies sind ja heutzutage gerechterweise alle leer) hinstellen und für Ungerechtigkeit plädieren. Indessen vollzieht sich die wahre Revolution nur im Herzen, und das Herz verlangt nach mehr Gerechtigkeit und Gleichheit.
Die beiden großen Brocken im kubanischen Import sind Öl und Nahrungsmittel. Die Regierung ist weise und gerecht, denn zuerst geht sie die Reduzierung des einheimischen Ölverbrauches über die Energiekosten an. Für die Landwirtschaft ist sie sich sicher, mit zahlreichen aufmunternd beherzten Reden und stimulierungsfähigen Artikeln eine Produktionssteigerung zu erreichen, schließlich hatten die Sowjetunion und die DDR das ja vorgemacht. Am Ende jeder Verkündung einer neuen Regelung betont die Regierung, keinen Kubaner zurücklassen zu wollen. Das ist auch für die deutsche Regierung ein geeigneter rhetorischer Flankenschutz, denn von der Gegenwart aus können die Regierenden immer genau voraussagen, wie die Zukunft aussehen wird, das ist ihr genetisch bedingter Vorteil gegenüber den Untertanen.