Deutsche Medien: Polen macht alles falsch – immer

Von David Engels.

Die Coronavirus-Krise zeigt einmal mehr: Der polnische Staat macht alles falsch. Immer und überall. Jedenfalls in den Augen der deutschen Medien. Wenn es nicht der EU-Superstaat, die Flüchtlingskrise, der Umweltschutz, der Anspruch auf EU-Subsidien oder die polnische Rechtsreform ist, dann ist es halt das Coronavirus, wo die „rechtspopulistische“ polnische Regierung wieder einmal fahrlässige Fehler begeht. Zum Glück sind die deutschen Medien gerne und rasch zur Stelle, um den Polen zu zeigen, wo es langgehen soll.

Nämlich auf eben dem Weg, den die deutsche Regierung gerade für richtig erklärt hat – auch, wenn der in etwa so konsequent ist wie die Echternacher Springprozession: zwei Schritte vor, einer zurück. Seit die deutsche Regierungschefin zur Weltkanzlerin und Führerin der freien Welt (so die New York Times) ernannt wurde, scheinen auch die deutschen Leitmedien die Lizenz zum globalen Besserwissen erhalten haben, und selten ist dies klarer geworden als am Beispiel der polnischen Bekämpfung des Coronavirus.  Ein paar Beispiele.

Der Spiegel kritisierte wie viele andere deutsche Zeitungen Polen für die am 15.3. verhängte Grenzschließung und zitierte etwa Kommissionspräsidentin von der Leyen, die befürchtete, daß tausende Menschen „stranden“ könnten, und vielmehr „gemeinsame Lösungen“ forderte –  wobei sich die Frage stellt, wieso sie als höchste Instanz in dieser Hinsicht eigentlich keine dieser famosen Lösungen entwickelt hat. Auch Kanzlerin Merkel hatte schließlich am 11.3. verordnet, „Grenzschließungen sind keine adäquate Lösung der Herausforderung“, während im Bundestag die Grünen-Abgeordnete Schulz-Asche allen Ernstes erklärte, „Viren machen nicht vor vernagelten Türen oder Grenzen halt, Verschwörungstheorien und Rassismus fördern die Verbreitung von Viren.“

Die deutschen Leitmedien verunsicherten dann ihre Bevölkerung mit Schauergeschichten über Monsterstaus an der geschlossenen Grenze zu Polen und lobten – selbstverständlich – die Verdienste der Bundeswehr, welche die leidenden polnischen Autofahrer mit Wasser versorgte, während die polnische Regierung hier eine humanitär bedenkliche Situation hervorgerufen habe. Daß die Polen aber offensichtlich lieber stundenlang im Stau standen, um in die böse Heimat zurückzukehren, anstatt sich dem deutschen Coronavirus-Management zu überlassen, wurde dezent ausgeblendet.

Auch, daß bald darauf so ziemlich alle anderen europäischen Staaten außer Deutschland ihre Grenzen hermetisch dichtgemacht haben, und Deutschland sich seine Welt- und Virenoffenheit (wie in der Flüchtlingsfrage) mittlerweile nur noch darum leisten kann, weil es die Kontrollfunktion weitgehend an die Nachbarstaaten delegiert hat (Afrika hat am 17.3. sogar pikanterweise ein Einreiseverbot für Europäer verhängt) – all das führt offenbar zu keinerlei Infragestellung der ursprünglichen Verurteilung des östlichen Nachbarn: Hauptsache schließlich, man hat die moralisch richtige Seite gewählt.

Bald darauf die Kehrtwende

Nachdem Polen also zunächst wegen der Radikalität seiner Maßnahmen gescholten wurde,  kam es bald darauf zur Kehrtwende, als die deutschen Leitmedien sich von Coronavirus-Verharmlosern urplötzlich zu Coronavirus-Verstehern wandelten. Dem polnischen Gesundheitsminister, habilitierter Professor für Medizinwissenschaften, wurde etwa in der Süddeutschen Zeitung vom 20.3.2020 vorgeworfen, die Gefahr nicht ernst genug genommen zu haben, obwohl Polen immerhin einer der ersten europäischen Staaten nach Italien war, der am 11.3. eine Schließung aller Bildungsinstitute und bald darauf ja auch die Grenzschließung angeordnet hatte.

Demgegenüber kann man nur die in „Tichys Einblick“ zusammengestellte nützliche Übersicht über die Aussagen des deutschen Gesundheitsministers, seines Zeichens Bankkaufmann, empfehlen, welcher das Virus bis vor wenigen Wochen systematisch verharmlost hat; ganz zu schweigen von einer Bundesregierung, die sich lange mit rein kosmetischen Seuchenbekämpfungsmaßnahmen begnügt hat, um solange wie möglich die deutsche Exportmaschinerie laufen zu lassen – auf Kosten von schwächeren Nachbarn wie Polen, deren schwere Entschlüsse erheblich früher zu drastischen wirtschaftlichen Einbußen geführt haben, dafür aber wahrscheinlich Menschenleben retteten.

Geradezu bösartige Züge nahm die Verformung der Realität an, als die „Süddeutsche Zeitung“ am 20.3.2020 reißerisch mit dem Titel „Ein Dutzend Schutzmasken“ aufmachte, einer Art Generalabrechnung mit dem polnischen Gesundheitssystem. Es stellt sich bei der Lektüre allerdings heraus, daß der Titel sich auf eine Aussage des polnischen Oppositionsblattes „Gazeta Wyborcza“ bezieht, die sich selber nur auf den Zustand eines einzigen Krankenhauses in Łódz bezieht, wo es allerdings immerhin „ein paar Dutzend“ Schutzmasken und -Kleidung“ gäbe. Noch weiter im Artikel erfährt man dann, daß der polnische Gesundheitsminister versicherte, Polen habe 10.000 Notfallbetten, 1000 Beatmungsmaschinen und 1000 Schutzmasken und -anzüge für jedes Krankenhaus bereitgestellt. Was soll da der Titel „Ein Dutzend Schutzmasken“, außer unnötig böses Blut stiften?

Selbst die Feststellung, daß Polen vorläufig weiter am Termin für die nächsten Präsidentschaftswahlen festhält, nämlich dem 10. Mai, wenn die Epidemie wahrscheinlich schon wieder im Abflauen begriffen ist, wertete die Süddeutsche Zeitung am 23.3. als Zeichen dafür, daß „jedes Mittel recht sei“, den „Rechtsstaat auszuhebeln“, da der entschlossene Einsatz gegen das Virus es dem Präsidenten ermögliche, eine Art Wettbewerbsvorteil im Wahlkampf zu nutzen. Gelungene Politik als Wettbewerbsvorteil im Wahlkampf – das muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und wo blieb der Protest der SZ, als Emmanuel Macron trotz Eingaben von Ärzten und Politikern seinerseits daran festhielt, am 15.3. in ganz Frankreich Kommunalwahlen abzuhalten? Und wieso drängt sich der Eindruck auf, daß die SZ wahrscheinlich auch dann, wenn Polen die Wahlen abgesagt hätte, hierin wohl ebenfalls einen „Anschlag auf den Rechtsstaat“ gesehen hätte, etwa mit dem Argument, daß die Regierung bewußt auf den Abschluß der Krise warte, um auf ihre Kompetenz bei der siegreichen Seuchenbekämpfung hinweisen zu können?

Die nächsten Nachbarn einmal ohne herablassenden Ton darstellen

Bald werden wir in den deutschen Leitmedien wohl unter dem Stichwort der „Undankbarkeit der Osteuropäer“ auch davon lesen, daß Polen und Tschechien unlängst auf einer Razzia gegen Preiswucher eine Reihe von Atemmasken beschlagnahmt haben, die für Italien bestimmt waren, bevor die Güter dann schließlich freigegeben wurden, nachdem das Mißverständnis diplomatisch aufgeklärt worden war. Werden wir in diesem Zusammenhang auch davon lesen, daß Frankreich schon am 3.3.2020 alle Atemmasken auf seinem Territorium beschlagnahmt hat, Deutschland am 4.3. mit einer analogen Maßnahme nachgezogen ist und vor wenigen Tagen übrigens ebenfalls 830.000 für Italien bestimmte Atemmasken aufgehalten hat? Wahrscheinlich nicht.

Als Belgier sehe ich eine gewisse deutsche Tendenz, auf den östlichen Nachbarn herabzuschauen, mit Bestürzung; jenen „mitleidigen Ton und […] überlegenen Blick, wenn das Fernsehen über den Umgang Donald Trumps, Boris Johnsons oder der PiS-Regierung in Polen mit dem Virus berichtet“, wie der Tagesspiegel noch vor kurzem einräumte. Sollten nicht gerade die deutschen Leitmedien, die so gerne europäische Solidarität und toleranten Multikulturalismus beschwören, den Anfang damit machen, die nächsten Nachbarn einmal ohne jenen herablassenden Ton darzustellen, der Deutschland noch nie gut bekommen ist? Deutschland weist mittlerweile 40.585 Infizierte und 229 Tote auf, Polen 1.120 Infizierte und 14 Tote (Stand 26.3.2020). Vielleicht sollte man sich angesichts dieser Zahlen in manchen Redaktionsräumen lieber auf das Wesentliche, nämlich das Leid der Menschen und die Gefahr eines völligen Zusammenbruchs der europäischen Wirtschaft konzentrieren: Bevor „am deutschen Wesen die ganze Welt genesen“ kann, sollte es seine epidemiologischen Fähigkeiten zunächst einmal besser im Inland unter Beweis stellen.

 

Prof. Dr. David Engels unterhält eine Forschungsprofessur am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-westeuropäischer Beziehungen.

Redaktioneller Nachtrag: Sehen Sie zu diesem Thema auch einen Kommentar in den Tagesthemen von gestern Abend ab Minute 8:28: "...und so sind (den) Polen die Pflegebedürftigen und Kranken hier offenbar egal."

Foto: Frank Vincentz CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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W.Schneider / 27.03.2020

Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die Stimmen der (sonst mindesten rechtspopulistischen)  PIS bei der Wahl von Frau von der Leyen zur Kommissionspräsidentin denn doch sehr willkommen waren, sonst hätte es nämlich nicht gereicht! Da hat man ein freundliches Gesicht gemacht. Moral ad libitum.

Wilhelm Mueller / 27.03.2020

Ich möchte die Achgut-Kommentarfunktion hier mal dazu mißbrauchen, unsere europäischen und außereuropäischen Freunde demütigst um Nachsicht zu bitten. Weder unsere Regierung noch ihre Trompeten in den Medien sprechen für das deutsche Volk! Vielen Deutschen ist Hass und Hetze, wie sie hier verbreitet werden, unendlich peinlich. Wir sitzen in Bezug auf Corona in einem Glashaus, und jeder Stein, der geworfen wird, wird uns demnächst mit voller Wucht treffen. Dann muss gerade auch bei den Medien auf der Schleimspur gründlichst aufgeräumt werden. Das sind wir unseren Freunden und Partnern in der Welt in höchstem Maße schuldig!

Thomas Holzer, Österreich / 27.03.2020

Aus dem Artikel: “Als Belgier sehe ich eine gewisse deutsche Tendenz, auf den östlichen Nachbarn herabzuschauen,...” Nicht nur auf den östlichen Nachbarn ;) Die Schweden “bekämpfen” Covid-19 ziemlich anders als alle anderen europäischen Staaten, erlaube ich mir zu erwähnen ;)

Karsten Dörre / 27.03.2020

Monsterstaus gab es wirklich. Die A11 nach Stettin war kilometerweit auf allen Spuren dicht, so das deutsche Anwohner an der letzten Ausfahrt nicht rauskamen und auf der Autobahn übernachteten. Wirtschaftlich waren die verschärften Grenzkontrollen ein Gau für die polnische Wirtschaft, da ihre LKWs nicht rechtzeitig neu beladen werden konnten und Strafzahlungen und Auftragsverluste drohten.

Achim Kaussen / 27.03.2020

Hallo zusammen, so wie GB immer noch glaubt, es sei das Empire, so glauben wir immer noch, wir waeren ein erfolgreicher Staat, der alles geregelt bekommt, zu dem alle aufschauen und den die Welt bewundert. Phantomschmerzen aus einer glorreichen Aera, als wir noch Fluhaefen in bauen konnten.  Die Realitaet zu akzeptieren kann dauern, siehe GB. Gruss

Kathrin Zimmer / 27.03.2020

Herr Engels, nicht nur Polen wird von unserer Regierung und den Medien abgestraft, obwohl sie in der Rangliste ziemlich weit oben stehen. Der Deutschen (damit meine ich nicht die Bevölkerung, habe selbst polnische Wurzeln) liebstes Hassobjekt ist und bleibt der Russe. Rußland und seit der Trump-Regierung die Vereinigten Staaten liefern sich da ständig ein Kopf an Kopf-Rennen. Dann kommen Polen, Ungarn, Tschechien und auch immer mal Österreich. Ach so und natürlich auch UK, die gern mit Häme von der deutschen Presse übersät werden. Ich weiß aber, daß die Polen das wissen und es ist ihnen schlicht egal. Anders als bei uns in Deutschland hält dort die Bevölkerung zusammen, sie lieben ihr Land und der “common sense” wurde ihnen noch nicht abtrainiert. Wir wohnen seit 2 Jahren in Österreich und werden hier von den Einheimischen hin und wieder auf dieses Phänomen angesprochen. Ich schäme mich dafür und erkläre ihnen dann, daß sie nicht die Bundesregierung und den Staatsfunk mit der Bevölkerung gleichsetzen sollten. Jeder, der schon mal in Polen war, im Urlaub oder auf Geschäftsreise weiß, wie bezaubernd die Menschen dort sind und kehrt immer wieder gern dorthin zurück…. Was soll man dazu sagen: Deutschland fühlt sich wieder wie der Nabel der Welt, sie haben Gutmenschentum und Besserwisserei für sich gepachtet. Viele Deutsche der jüngeren Generation hassen ihr Land sogar oder es ist ihnen egal, Heimatliebe und Nationalstolz gelten als Schimpfworte. Eigentlich ist Deutschland nur zu bedauern….

Wolfgang Kaufmann / 27.03.2020

In der Not offenbart sich der wahre Charakter. Und da sehe ich bei der deutschen Intelligentsija fast nur Ideologie, Arroganz und Gehässigkeit. Die Relotiusaden gehen weiter, das Bashing gegen die üblichen Feindbilder ebenfalls. Opium des Volkes war gestern; heute hängen wir am Tropf des Narrativs vom besten Deutschland aller Zeiten; die Wahrheit könnte uns verunsichern. – Vermutlich bleiben unsere Grenzen nun für lange Zeit verriegelt. Denn welcher Nachbar holt sich schon gerne die Pest ins Haus. Oder doktrinäre spongiforme Enzephalitis.

Gerd Heinzelmann / 27.03.2020

Bei soviel Deutlichkeit müsste jedem deutschen Diplomaten das Trommelfell platzen, aber ich fürchte, das bleibt ungehört. Die Verantwortlichen in Deutschland wähnen sich in einem Wettbewerb, den es gar nicht gibt. Sie wissen, was das bedeutet.

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