Deutsche Bahn. Zuverlässig unzuverlässig, aber woke!

Ökostrom, veganes Essen, kontaktlose Bezahlung: Die Deutsche Bahn gibt sich jede erdenkliche Mühe, aus mir einen besseren Menschen zu machen. Und ich? Ich bin so kleinlich, zu erwarten, dass ich pünktlich von A nach B komme.

Wahrscheinlich bin ich altmodisch: Ich betrete einen Zug lediglich mit dem Wunsch, halbwegs pünktlich von A nach B zu gelangen und dabei möglichst zu sitzen. Mehr nicht. Doch die Deutsche Bahn hat eindeutig Größeres mit mir vor: Sie will mich zu einem besseren Menschen erziehen. Das fängt schon beim Fahrkartenkauf an. Ich buche meist online und drucke mir das Ticket dann aus. Dabei habe ich als bevorzugte Zahlungsweise den Bankeinzug angegeben. Beim Kauf der ersten Fahrkarte funktioniert das in der Regel auch problemlos. Wenn ich anschließend allerdings eine weitere Fahrkarte buchen will, sind die Zahlungsweisen plötzlich eingeschränkt: Nun soll ich entweder mit Kreditkarte oder per PayPal zahlen. Da ich das nicht möchte, logge ich mich flugs wieder aus, warte kurz, logge mich erneut ein, und siehe da: Jetzt darf ich wieder via Bankeinzug zahlen. 

Noch rätselhafter verhält es sich mit den Platzreservierungen: Wenn ich eine Fahrkarte buche, schaue ich gerne über die Reservierungsfunktion nach, wie viele Plätze schon besetzt sind. Manchmal kaufe ich eine Fahrkarte, aber noch keine Reservierung, oft mache ich es auch umgekehrt ‒ je nachdem, wie festgezurrt meine Reisepläne schon sind. Kürzlich erwarb ich eine Karte mit Zugbindung, sah, dass noch viele Plätze frei waren, und entschied mich gegen eine Reservierung. Fünf Minuten später erschien es mir dann doch ratsam, einen Platz zu reservieren, also rief ich die Webseite der Bahn erneut auf, um einen Sitzplatz auszuwählen.

Das war aber plötzlich für den von mir gebuchten Zug nicht mehr möglich, da eine zu hohe Auslastung erwartet werde. Stattdessen wurde ich aufgefordert, eine andere Verbindung zu suchen, was wegen der Zugbindung natürlich keine Option für mich war. Probehalber loggte ich mich erneut ein, und tatsächlich: Jetzt war es mir wieder ohne Einschränkungen möglich, einen Platz in dem gewünschten Zug zu reservieren. Und nicht nur das: Ich hatte die Auswahl zwischen zahlreichen freien Plätzen in dem eben noch als zu ausgelastet angezeigten Zug.

Bäumchen-wechsle-dich-Spiel

Bei Fahrtantritt im ICE, der ausnahmsweise nur geringfügig verspätet losfuhr, funktionierte das Internet nicht. Dennoch wurde mir per Bildschirm im Mittelgang angezeigt, dass ich über die DB-App „einfach und kontaktlos einchecken“ solle. Der „DB Navigator“ im O-Ton: „Mit dem kostenlosen Komfort-Check-in entwerten Sie Ihr Ticket einfach selbst und reisen noch komfortabler ‒ ganz ohne Kontrolle im Zug.“ Ohne Internet stellt sich dieser Komfort allerdings als wenig praktikabel dar. Außerdem wurde mir auf dem Screen bedeutet, dass ich dank des Navigators jetzt „schneller den richtigen Platz finden“ könne. Auch diese Funktion erweist sich ohne Internet als nicht umsetzbar.

Darüber hinaus halte ich sie jedoch für durchaus sinnvoll, da es zumindest auf der von mir regelmäßig genutzten Strecke Köln-Hamburg häufig vorkommt, dass die Sitzplatzreservierungen nicht angezeigt werden. Dadurch ist ein Chaos von umherirrenden Sitzplatz-Suchenden sowie von den Reisenden ohne Reservierung, die von denjenigen mit Reservierung verscheucht werden, programmiert. 

Manchmal sind die Reisenden mit Reservierung auch zu höflich, um ihren reservierten Platz von den nicht berechtigten Besetzern ohne Reservierung einzufordern, und setzen sich ihrerseits wiederum auf einen vermeintlich freien Platz, der tatsächlich jedoch reserviert ist, was lediglich nicht angezeigt wird. Dann ist ein Bäumchen-wechsle-dich-Spiel angesagt. Hinzu kommt, dass nicht selten die Wagenreihung kurzfristig geändert wird. Das führt dazu, dass mitunter ein Wendemanöver unterwegs nötig ist, damit beispielsweise die richtigen Wagen in Niebüll abgehängt werden können.

So erwachte ich kürzlich aus einem Schlummer, weil ich plötzlich „rückwärts“ fuhr, obwohl ich ursprünglich nach dem Einstieg in Köln in Fahrtrichtung saß und es keinerlei Sackbahnhöfe auf der Strecke gibt. Ein Mitreisender bemerkte meine Verwirrung und erklärte mir, dass eine außerplanmäßige Zugwendung bei Oberhausen eingeleitet worden sei, um die Wagenreihung zu korrigieren. Dass sich dadurch eine nicht unwesentliche Verspätung ergab, erwähne ich nur am Rande. Zumal es darauf auch nicht mehr ankam, weil der Zug unterwegs sowieso noch auf „verspätetes Personal aus vorheriger Fahrt“ warten musste. Immerhin gab es keinen „kurzfristigen Personalausfall“, wie ich ihn zurzeit häufiger im Nahverkehr erlebe. Und da ich generell mit etwa einer Stunde Verspätung rechne, blieb ich vollkommen gelassen.

„Pflanzungen standortheimischer Bäume“

Als Wiedergutmachung bereitet mir die Deutsche Bahn dafür ein strahlend reines Gewissen, indem sie auf dem Bildschirm verkündet: „In unseren Fernverkehrszügen sind Sie mit 100% Ökostrom unterwegs.“ Außerdem ermuntert sie mich charmant zum Besuch ihres Speisewagens: „Jetzt mehr veganer & vegetarischer Genuss an Bord.“ Dazwischen erscheinen immer wieder Hinweise darauf, dass ich „einfach papierlos reisen“ und mein „digitales Ticket jetzt im DB Reisezentrum“ kaufen könne. Außerdem sorgt sich die Bahn um meine Sicherheit, die sie mit Freiheit gleichsetzt. Ihr Slogan lautet: „Für die Freiheit, sicher zu reisen.“

Damit ist gemeint, dass ich meine FFP2-Maske oder meinen medizinischen Mund-Nasen-Schutz tragen, regelmäßig meine Hände waschen sowie in meine Armbeuge husten und niesen soll. Dabei ist der Hinweis auf meine Freiheit, sicher zu reisen, noch mit dem Hashtag #impfenhilft verbunden. Nicht zuletzt verfügt die Deutsche Bahn jedoch über ein Belohnungssystem: Bleibe ich ihr treu und mache alles richtig, kann ich Punkte sammeln und in Prämien wie etwa in „Pflanzungen standortheimischer Bäume“ einlösen, was „zum Umbau zu naturnahen Wäldern in verschiedenen Regionen Deutschlands“ beitrage. 50 Prozent der Prämien seien nachhaltig, wird mir versichert. Was mir sofort ein noch besseres Gewissen beschert. Dieses System wird auf dem Mittelgangscreen wie folgt auf den Punkt gebracht: „Fahren. Punkten. Freuen.“ 

Ich fasse zusammen: Die deutsche Bahn will mich offenkundig sanft dazu bewegen, digital zu buchen und zu zahlen. Allerdings möchte sie nicht, dass ich in bestimmten Zügen einen Platz reserviere, obwohl es noch zahlreiche freie Plätze gibt. Sie legt mir nahe, dass ich im Zug die Entwertung meiner Karte selbst kontaktlos durchführe. Sie wünscht sich von mir, dass ich im Bordbistro vegan oder wenigstens vegetarisch esse. Sie möchte, dass ich mir die Hände wasche und mich impfen lasse. Sie belohnt mich dadurch, dass sie mir ein gutes Gewissen bereitet, indem sie mir versichert, dass ich mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs bin, und indem ich Punkte sammeln darf, die ich in Ökoprämien umwandeln kann. Kurzum: Die Deutsche Bahn gibt sich jede erdenkliche Mühe, aus mir einen besseren Menschen zu machen. Und ich? Ich bin so kleinlich, zu erwarten, dass ich pünktlich von A nach B komme: How dare I?

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Leserpost

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A. Ostrovsky / 13.06.2022

“Deutsche Bahn”, was ist damit gemeint. Haben “Die Deutschen” eine Bahn? Wenn ja, kann es nur die schiefe Bahn sein. Mal Herrn Schuster fragen.

Rüdiger Riedel / 13.06.2022

Ich muss leider draußen bleiben, weil ich die Maskierung nicht vertrage.

Ludwig Luhmann / 13.06.2022

Solcherlei Malaisen werden mittelfristig zu unseren schönsten Erinnerungen gehören. In Zukunft werden die korruptesten und dysfunktionalsten Länder zu den freiesten gehören.

Sabine Heinrich / 13.06.2022

Ist die Bahn eigentlich auch in ihrem Magazin und generell im schriftlichen Bereich zu dieser unsäglichen plump-dreisten Duzerei übergegangen? Ich konnte das nicht herausfinden. - Ich will nicht die Mißstände aufführen, die schon seit Jahren thematisiert werden. Geändert hat sich nichts - m.E. zumindest nicht zum Guten. Zuverlässig und pünktlich ist die DB allerdings stets bei den Fahrpreiserhöhungen. - Wiederholte Feststellung - zum letzten Mal 8/2020: Die ÖBB ist in nahezu allen Bereichen deutlich besser als die DB - und dabei nicht teurer.

Heiko Loeber / 13.06.2022

Räder müssen rollen für den Zeitgeist. Vermeintliche Kernkompetenzen geraten dabei bisweilen unter erstere.

Lutz Herrmann / 13.06.2022

Digital ist gleichbedeutend mit Einsparung von Mitarbeitern. Ökologisch ist gleichbedeutend mit dreckig und ausbeuterisch. Kennt man von nachhaltigen Hotels, die keine Handtücher mehr nachlegen.

Hintersdorf, Michael / 13.06.2022

Der Comfort-Check-In funktioniert auch, wenn man sein eigenes Internet verwendet - also das über Mobilfunk. An Bahnhöfen geht das eigentlich immer.

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