Von Manuel Menéndez.
Vor einigen Tagen hat die kubanische Regierung umfangreiche Wirtschaftsreformen angekündigt, und diese mit dem Kampf gegen die Auswirkungen der Corona-Krise begründet. In der Corona-Zeit war es in den deutschen Medien still um Kuba geworden. Allerdings mit einer Ausnahme. Als Kuba begann, Ärzteteams auch in europäische Länder zu verkaufen, zuerst nach Italien, war das eine echte Nachricht für die Nachrichten, allerdings wurde diese als „Hilfe“ und als „Entsendung“ bezeichnet. Kürzlich nahm diese „Entsendung“ eine Gruppe deutscher Intellektueller, von Mitte links bis zu linksradikal-altkommunistisch, zum Anlass, in einem Aufruf an die Bundesregierung diese sogenannte Hilfe Kubas dem verschärften amerikanischen Embargo gegenüberzustellen:
„Es ist unerträglich: Kubanische Ärzteteams unterstützen 27 Länder im Kampf gegen das Coronavirus – und die Trump-Administration verschärft weiterhin ihre völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Kuba.“ (siehe „Amerika21“)
Sie rufen Bundesregierung und EU zu zwei Maßnahmen auf: Die Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba fortzuführen und aktiv gegen „die illegale Blockadepolitik“ der USA vorzugehen. Selbstverständlich ist in diesem Aufruf kein Wort enthalten, dass die kubanischen Regierung ihrer Mediziner nicht so einfach entsenden, sondern sie sich dies bezahlen lässt (In der offiziellen kubanischen Statistik von 2018 sind dazu auch erstmals Zahlen enthalten, aber wenn es um den Sozialismus geht, haben sich Linke stets vom Zahlendickicht ferngehalten. Es ist also keine „Hilfe, sondern der Verkauf einer Dienstleistung) und ebenso kein Wort zur Meinungsfreiheit in Kuba.
Das ist verständlich. Linke Intellektuelle sind äußerst sparsam mit Kritik an geistig Verbündeten. Die Erinnerung an das gemeinsame Papier von SPD und SED vom Frühjahr 1987 ist verblasst. In diesem ging die SPD-Führung von einer ewigen Existenz der DDR und von einer gegenseitigen Annäherung der beiden deutschen Staaten aus. Bekanntlich entschied sich die Geschichte nicht für die Sichtweise der SPD zum Charakter der DDR. Eine Demokratie zeichnet sich dadurch aus, nicht nur unterschiedliche, sondern auch völlig gegensätzliche Auffassungen zuzulassen. Gleichfalls muss auch die Frage erlaubt sein, ob derartige Aufrufe den sachlichen Blick auf das kubanische Gesellschaftssystem sowie auf seine Wirtschaftssituation nicht verstellen und damit die deutsche Politik nicht in eine Sackgasse manövrieren wollen.
Probleme nicht ursächlich durch Corona entstanden
Die gegenwärtigen Wirtschaftsprobleme Kubas sind zweifellos – wie auch in allen anderen Ländern - durch Corona massiv verschärft worden, aber nicht ursächlich durch Corona entstanden. Bereits vor einem Jahr hatte Achgut.com als einziges Informationsmedium in Deutschland auf die hoffnungslose Wirtschaftssituation Kuba aufmerksam gemacht. (siehe 1.8.2019) Die jetzt angekündigten Reformen konzentrieren sich hauptsächlich auf Exporterleichterungen für staatliche Unternehmen und ebenso für die bis immer noch sehr kleinen privaten Unternehmen. Erstmalig seit der kommunistischen Revolution sollen Unternehmen selbständig exportieren können. Die daraus resultierenden Fragen sind wichtig für die deutsche und für die EU-Exportförderungen, denn diese betreffen den Einsatz von Steuergeldern.
Was sollen die Unternehmen exportieren?
Bisher verfügt Kuba außer Nickel, Rum, Zigarren sowie in geringem Umfang auch andere landwirtschaftliche Erzeugnisse über keine nennenswerten Exportgüter. Der Export der ersten drei erfolgt über Joint Ventures mit westlichen Unternehmen. Deren Exportsteigerung liegt nicht in kubanischer Hand. Für alle anderen ist völlig unbekannt, was sie überhaupt exportieren können. Nach der offiziellen kubanischen Statistik liegt die Industrieproduktion gegenwärtig bei ca. zwei Drittel des Standes von 1989, also noch nicht einmal eine Rückkehr des Standes vor dreißig Jahren. Gravierend dabei: Der größte Teil der einstmals umfangreichen kubanischen Konsumgüterproduktion ist nicht mehr existent.
Wer stellt den Unternehmen das Kapital für den Einkauf der Ausgangsprodukte und der Maschinen zur Verfügung?
Der Kapitalstock der reinen staatlichen Unternehmen (ohne die Joint Ventures mit westlichen Unternehmen) ist weitgehend zerstört. Bis zum Corona-Ausbruch hatte die Regierung vier Einnahmequellen für Devisen: Exporte - gravierender Rückgang; Verkauf von Medizinern - Rückgang der Zahlungen pro Person und der absolut verkauften Anzahl; Überweisungen kubastämmiger Amerikaner - einschneidender Rückgang über die US-Bank Western Union und deren kubanischen Partner Fincimex, aber Zunahme direkter privater Geldgeschenke; Tourismus - 2017 leichter Rückgang, 2018 deutlicher, 2019 Einbruch. Nach offiziellen Aussagen der Regierung konzentrierte sich diese auf den Tourismus und auf die Einwerbung westlicher Kredite von Staaten sowie von Unternehmen. Der Tourismus wird – wenigstens in seiner alten Bedeutung – für Jahre verloren sein. Die Kredite können bereits seit 2019 nicht mehr bedient werden.
Aus welchen Quellen will der Staat seine aufgelaufenen internationalen Verbindlichkeiten und seine Verbindlichkeiten gegenüber den westlichen Partnern der Joint Ventures bezahlen?
Seit fünf Jahrzehnten hält Kuba den Weltrekord in Staatsbankrotten. Jedes zehnte Jahr ein neuer, beginnend mit 1972. Warum Kuba erst Kredite von der Sowjetunion erhielt und später von China ist selbsterklärend. Warum Kuba jedoch auch von westliche Staaten, wie Spanien, Frankreich oder Japan, Kredite erhielt, trotz der bekannten Unfähigkeit, diese zurückzuzahlen, müssen die Regierungen dieser Länder ihren Steuerzahlern erklären. Laut der offiziellen kubanischen Statistik weist der kubanische Außenhandel seit 1960 Jahr für Jahr ein Defizit auf. Zu keinem Zeitpunkt konnte Kuba dieses Defizit durch andere Einnahmen ausgleichen, gelegentlich verkleinern aber niemals kompensieren, häufig wuchs es jedoch an. Jeder Staat konnte wissen, dass Kuba nicht fähig sein wird, die Kredite zurückzuzahlen. Nichts ist in einer Demokratie geduldiger, als die Geduld der Steuerzahler. Zur Zeit bedient Kuba gegenüber westlichen Staaten und westlichen Unternehmen nicht Kredite in Höhe von ca. 10 Mrd. Dollar (nach anderen Schätzungen 20 Mrd.). Wenn Staatskredite erlassen oder umgeschuldet werden, waren dies keine Kredite, sondern Geldgeschenke an Kuba.
Woher sollen Mitarbeiter mit Erfahrungen in westlichen Märkten kommen?
Bisher sind außerhalb der Joint Ventures der Import und der Export in wenigen staatlichen Unternehmen konzentriert. Deren Mitarbeiter kennen westliche Märkte nur rudimentär. Importe werden zumeist mit großen westlichen Unternehmen getätigt, die Genehmigung dafür wird von der obersten Führung getroffen, die vorbereitenden Mitarbeiter der mittleren Ebene werden von den westlichen Exporteuren hingebungsvoll gepflegt. Auch bei den geringfügigen nicht gebundenen Exporten ergeben sich für die kubanischen Mitarbeiter durchaus auch persönliche Vorteile, worauf die Analyse westlicher Märkte unbedeutend wird. In den Joint Ventures verantworten westliche Manager die Exporte. Es gibt bei weitem keine ausreichenden Experten für westliche Märkte.
Woher sollen Mitarbeiter mit Erfahrungen in der Produktion von Exportgütern kommen?
Bei der Anwerbung von westlichen Investitionen rühmen kubanische Offizielle unentwegt die gute Ausbildung kubanischer Fachkräfte. Bei den in Kuba bereits tätigen westlichen Unternehmen – auch bei den Hotelbetreibern – erzeugt dies nur ein müdes Lächeln. Ihre Fachkräfte mussten sie selber ausbilden. In den staatlichen Unternehmen sind moderne Maschinen und Geräte für die Ausbildung von Fachkräften nur rudimentär vorhanden. Gäbe es sie, hätte Kuba schon längst seine Exporte steigern können.
Keinen Reichtum zulassen
Die seit 2009 eingeleiteten Reformen haben teilweise das Leben der Kubaner erleichtert, beispielsweise ihre Bewegungsfreiheit in ihrem eigenen Land. Auch die mobile Kommunikation und der Internetzugang wurden wesentlich verbessert, aber nicht für alle, denn die monatlichen Preise dafür entsprechen dem staatlichen Mindestlohn von 35 Euro im Monat. Zugleich wurde eine privatwirtschaftliche Tätigkeit ermöglicht, vor allem im Gast-, im Unterbringungs-, im Transport und im Kleingewerbe, ebenso in einigen Bereichen der Landwirtschaft, aber nicht in der Industrie. Inzwischen arbeitet die Hälfte aller Beschäftigten in diesen privaten Bereichen. Allerdings betonte die kubanische Führung stets, keinen Reichtum zulassen zu wollen, was sie versuchte, mit zahlreichen Regulierungen und Gesetzen durchzusetzen. Niemals konnte die Regierung den Kubaner erklären, wie ein Kapitalismus ohne Kapitalakkumulation funktionieren soll. Es war ein Kleinkapitalismus mit angezogener Handbremse, der zudem in weiten Teilen ausschließlich auf dem Boom der Touristen basierte und auf den Dollar-Überweisungen der kubastämmigen Amerikaner. Beides existiert nicht mehr. Ein selbsttragender Aufschwung sieht anders aus.
Auch die gegenwärtige kubanische Regierung setzt nur den Wirtschaftskurs des letzten Jahrzehnts fort: Exportförderung um jeden Preis, um die Nahrungsversorgung der Bevölkerung zu sichern (bei einer Importabhängigkeit zwischen 80 und 85 Prozent), aber dies auf einer Insel mit den für Lateinamerika besten landwirtschaftlichen Bedingungen. Die Hoffnungen auf eine Exportsteigerung, um die Importabhängigkeit Kubas und seine Kreditabhängigkeit zu verringern, einschließlich des Geschäftsmodell „Mediziner“ sind hilflos. Dafür nur ein Beispiel. Algerien hat gerade ein Abkommen zum Einsatz kubanischer Mediziner für ca. 60 Millioneno. Dollar getroffen. Das sind ca. 5 Millonen Dollar monatlich. Durch den Zusammenbruch des Tourismus verliert Kuba monatlich wenigstens 200 Millionen Dollar.
Die ersten vier Schritte für realistische Veränderungen auf Kuba wären:
- Privatisierung der Landwirtschaft, entsprechend der Produkte in Abstufungen und einschließlich westlichen Kapitals
- Rechtssicherheit für private Unternehmen, einschließlich westlicher Investitionen
- Offenlegung des tatsächlichen Zustandes der gesamten Wirtschaft, einschließlich der Deviseneinnahmen und der Verbindlichkeiten
- Freien Zugang aller Kubaner zu internationalen Informationen, einschließlich westlicher Fernsehsender
Derartige Reformvorstellungen liegen außerhalb des politischen Horizonts der kubanischen Führung (auch des ihrer linken deutschen Apologeten). Demgegenüber erwartet die kubanische Regierung, dass westliche Regierungen ihr hilfloses Reformprogramm finanziert. Sollte in Deutschland eine Koalition von SPD, Die Linke und Die Grünen an die Regierung kommen, wäre diese Vorstellung gar nicht so unrealistisch. Das ist auch die Intention der Unterzeichner des oben angeführten Aufrufes, die sämtlich aus diesen politischen Lagern stammen. Kuba dient ihnen als Vehikel für gesellschaftliche Veränderungen in Deutschland. Traditionell begeben sich linke Intellektuelle – oder wie sie sich in dem Aufruf selber bezeichnen „Kulturschaffende“ - nicht in die Untiefen der Wirtschaft, das würde für ihre gesellschaftlichen Reformvorstellungen nur Verschmutzungseffekte mit sich bringen.
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