Gerade aus New York zurückgekehrt, kann ich mir eine kleine grenzpsychologische Betrachtung nicht verkneifen. Ich finde den Kontrast zwischen der amerikanischen und der deutschen Auffassung von Grenzsicherung einfach zu faszinierend.
Nach Deutschland führt, wenn man nicht EU-Bürger ist, fast kein offizieller Weg zur dauerhaften Einreise. Offiziell sind wir groteskerweise immer noch kein Einwanderungsland. Da gibt es zwar diese halbherzige und zeitlich eng begrenzte Regelung für bestimmte Fachkräfte. Das ist es aber auch schon.
Umso breiter ist der Weg, der in das deutsche Asylwesen führt. Der Ankommende verliert aus später wirksamen prozesstaktischen Gründen seine Papiere, tritt an den Grenzbeamten heran und sagt das Zauberwort „Asyl“. Und schon ist er drin. Nun beginnt ein zweifacher Strang der Aktivitäten. Einerseits prüft der Staat, ob dem Asylsuchenden das Asyl zusteht. Im Gegenlauf versucht die von einem ganz bösen Mann namens Alexander Dobrindt so bezeichnete Abschiebungsverhinderungsindustrie, das dauerhafte Verbleiben des Probanten sicherzustellen. An dieser Konstellation ändert sich auch nach dem sogenannten Asylkompromiss kaum etwas.
Man sucht sich aus, wen man haben will
In die USA ist eine offizielle Einwanderung möglich, wenn auch sehr begrenzt. Man sucht sich aus, wen man haben will. Außerdem gibt es eine großzügige Verlosung von Green Cards, die jährlich 55.000 Gewinnern die Einwanderung und Arbeitserlaubnis bietet. Alle Achtung. Und dann ist da noch die illegale Einwanderung aus Mexiko. An dieser Grenze wird sich der Einwanderer allerdings hüten, mit guten Aussichten fröhlich „Asyl“ zu sagen. Er wird sich vielmehr aus Erfahrung wegducken und sich unter dem offiziellen Radar als Person ohne Papiere durchschlagen.
In beide Länder kann man natürlich als Urlauber einreisen. Und manche bleiben dann einfach. In Deutschland machen napoleonische Meldepflicht und Ausweiszwang das Bleiben ohne Dokumente schwerer als in Amerika, wo es keine Meldepflicht und keine Personalausweise gibt. Umso strenger wird der Urlauber an der Grenze beäugt. Und wer zu spät wieder ausreist, kommt so schnell nicht wieder rein.
Seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center, muss der Urlauber vorab online einen Fragebogen ausfüllen, der gründlich geprüft wird. Kommt nach ein paar Tagen die grundsätzliche Genehmigung, die Einreise anzutreten, so ist das noch lange keine sichere Sache. Die Genehmigung ist unter Vorbehalt, und es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die endgültige Entscheidung der Grenzbeamte vor Ort trifft.
In Deutschland sperrangelweit offener Hintereingang
Der scannt nicht nur, wie bei uns, die Passdaten in ein zentrales Register ein. Dem Einreisenden werden außerdem elektronisch die Fingerabdrücke abgenommen. Daumen rechts, vier Finger rechts, Daumen links, vier Finger links. Danach nimmt eine Kamera seine Gesichtszüge auf. Dann gibt’s, wenn alles glatt geht, den Stempel.
Ich habe damit kein Problem und durfte bisher auch immer rein. Und weil ich im US-Computer offenbar gut vertreten bin, musste ich diesmal nur vier Fingerabdrücke der rechten Hand hinterlassen, was ich als Ehre und besonders herzliche Begrüßung empfand.
Warum also diese Schilderung, die ja viele aus eigener Erfahrung kennen? Weil diese Strenge bei der Grenzsicherung sogar gegenüber schlichten Urlaubern wunderbar den Kontrast zur Haltung der deutschen Politik in der Grenzfrage beschreibt. Und dieser Kontrast könnte größer nicht sein. In Amerika grundsätzliche Offenheit aber strikte Kontrolle. Bei uns grundsätzliche Zugeknöpftheit aber ein sperrangelweit offener Hintereingang.
Ein Horst Seehofer, der bei uns als harter Hund der Grenzüberwachung verdammt wird, würde in den USA als bayerisches Weichei belächelt werden. Und das nicht erst seit Donald Trump. Die scharfe Grenzüberwachung hat Tradition und ist nach dem elften September 2001 von George W. Bush noch verschärft worden, woran auch der liebe Barack Obama festgehalten hat. Und Trump hat inzwischen die Bewohner von sechs moslemischen Ländern ganz ausgesperrt, worum allerdings weiter juristisch gerungen wird.
Wer in Deutschland amerikanische Strenge fordern würde, wäre sofort aus der guten Gesellschaft der Blauäugigen ausgeschlossen und müsste sein Dasein als politisch Verdammter am frostigen Rand fristen. Auch ich will bei uns keineswegs für die amerikanische Strenge werben. Man kann ja alles übertreiben. Aber die derzeitige deutsche Grenzschluderei ist sicher eine heftige Übertreibung in die andere Richtung.
Irgendwo in der Mitte dieses amerikanisch-deutschen Kontrastprogramms könnte für uns die grenzpolitische Vernunft zu finden sein, wenn man sie denn suchen wollte.