Menschen vor Unmenschlichkeit zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen (UN). Durch das Mehrheitsprinzip durften jedoch jahrzehntelang Staaten über Prinzipien wachen, die sich an diese Prinzipien selbst nicht halten. Dass Libyen der UN-Menschenrechtskommission vorsaß, hat mit dazu geführt, dass das Gremium abgeschafft wurde. Staaten, die es mit dem Thema nicht so genau nahmen, konnten sich gegenseitig in der Kommission schützen. An ihre Stelle ist deshalb im Juni der UN-Menschenrechtsrat getreten, dem 47 von der UN-Vollversammlung gewählte Staaten angehören. Das Glaubwürdigkeitsproblem jedoch blieb.
Am Mittwoch hat der scheidende UN-Generalsekretär Kofi Annan darauf gedrängt, “glaubwürdig für die Menschenrechte” einzutreten. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) pflichtete ihm am Donnerstag bei: Im Rat entwickele eine Gruppe von Staaten zunehmend Selbstbewusstsein, die eine “ganze andere Auffassung von Menschenrechtsschutz” hätten. Diese “Gruppe von Staaten” sind jene afrikanischen und asiatischen Regimes, die despotisch regiert werden und/oder stark islamisch geprägt sind. Wie die Auffassung dieser Staaten aussieht, verdeutlicht ein Blick auf den Umgang mit Kindern. In Saudi-Arabien, Pakistan, Indonesien und Malaysia ist es laut der “Weltweiten Initiative gegen Körperstrafen an Kindern” aufgrund der islamischen “Scharia”-Gesetzgebung legal, Minderjährige als Strafe auszupeitschen, zu schlagen, zu verstümmeln oder zu steinigen. Diese Länder sitzen im Menschenrechtsrat und machen dort Politik. Welche, das ließ Annans Schreiben erahnen: Er bemängelte, dass der Rat sich einseitig auf den arabisch-israelischen Konflikt konzentriere und in drei Sondersitzungen Israel verurteilt habe. “Es gibt sicher andere Vorkommnisse, ganz besonders im sudanesischen Darfur, die genauso oder noch dringender der Aufmerksamkeit bedürfen.” Schon vor zehn Tagen fragte Annan in Genf, “was der Rat macht - haben die keinen Sinn für Fairness?”
Eine Verurteilung des Sudan wegen Darfur ist diese Woche im Rat gescheitert. Mitte Dezember soll es immerhin eine Sondersetzung geben. Bisher können sich die westlich orientierten Staaten aber mit ihren Anliegen mangels Mehrheit und Geschlossenheit nicht durchsetzen. Daran wird sich wohl nichts ändern, solange sich die Mitglieder nicht strikt an die Prinzipien der UN-Menschenrechtserklärung halten. Diese sieht verschiedene Definitionen dessen, was Menschenrechte sind und für wen sie gelten, nicht vor - auch nicht aus religiösen Gründen. Zwar dürfen Staaten, die systematisch Menschenrechte verletzen, theoretisch nicht Ratsmitglied werden. In der Praxis gibt es aber keine Instanz, die darüber wacht.
Menschenrechte werden immer wieder verletzt, fast überall. Aber in vielen Staaten (darunter Israel, der Lieblingsfeind des Gremiums) können sich Betroffene erfolgreich vor Gericht dagegen wehren - und das sollte aus Sicht von Menschenrechtlern das Mindeste sein. In fünf Jahren soll das Statut des Rates in der UN-Vollversammlung überprüft werden. Dass dann die Konstruktionsfehler behoben werden, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Mehrheitsverhältnisse in der Staatengemeinschaft sprechen dagegen.
(Kölner Stadt-Anzeiger, 1. Dezember 2006)