Tobias Kaufmann / 05.12.2006 / 11:29 / 0 / Seite ausdrucken

Despoten als Hüter des Rechts

Menschen vor Unmenschlichkeit zu schützen, ist eine zentrale Aufgabe der Vereinten Nationen (UN). Durch das Mehrheitsprinzip durften jedoch jahrzehntelang Staaten über Prinzipien wachen, die sich an diese Prinzipien selbst nicht halten. Dass Libyen der UN-Menschenrechtskommission vorsaß, hat mit dazu geführt, dass das Gremium abgeschafft wurde. Staaten, die es mit dem Thema nicht so genau nahmen, konnten sich gegenseitig in der Kommission schützen. An ihre Stelle ist deshalb im Juni der UN-Menschenrechtsrat getreten, dem 47 von der UN-Vollversammlung gewählte Staaten angehören. Das Glaubwürdigkeitsproblem jedoch blieb.

Am Mittwoch hat der scheidende UN-Generalsekretär Kofi Annan darauf gedrängt, “glaubwürdig für die Menschenrechte” einzutreten. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) pflichtete ihm am Donnerstag bei: Im Rat entwickele eine Gruppe von Staaten zunehmend Selbstbewusstsein, die eine “ganze andere Auffassung von Menschenrechtsschutz” hätten. Diese “Gruppe von Staaten” sind jene afrikanischen und asiatischen Regimes, die despotisch regiert werden und/oder stark islamisch geprägt sind. Wie die Auffassung dieser Staaten aussieht, verdeutlicht ein Blick auf den Umgang mit Kindern. In Saudi-Arabien, Pakistan, Indonesien und Malaysia ist es laut der “Weltweiten Initiative gegen Körperstrafen an Kindern” aufgrund der islamischen “Scharia”-Gesetzgebung legal, Minderjährige als Strafe auszupeitschen, zu schlagen, zu verstümmeln oder zu steinigen. Diese Länder sitzen im Menschenrechtsrat und machen dort Politik. Welche, das ließ Annans Schreiben erahnen: Er bemängelte, dass der Rat sich einseitig auf den arabisch-israelischen Konflikt konzentriere und in drei Sondersitzungen Israel verurteilt habe. “Es gibt sicher andere Vorkommnisse, ganz besonders im sudanesischen Darfur, die genauso oder noch dringender der Aufmerksamkeit bedürfen.” Schon vor zehn Tagen fragte Annan in Genf, “was der Rat macht - haben die keinen Sinn für Fairness?”

Eine Verurteilung des Sudan wegen Darfur ist diese Woche im Rat gescheitert. Mitte Dezember soll es immerhin eine Sondersetzung geben. Bisher können sich die westlich orientierten Staaten aber mit ihren Anliegen mangels Mehrheit und Geschlossenheit nicht durchsetzen. Daran wird sich wohl nichts ändern, solange sich die Mitglieder nicht strikt an die Prinzipien der UN-Menschenrechtserklärung halten. Diese sieht verschiedene Definitionen dessen, was Menschenrechte sind und für wen sie gelten, nicht vor - auch nicht aus religiösen Gründen. Zwar dürfen Staaten, die systematisch Menschenrechte verletzen, theoretisch nicht Ratsmitglied werden. In der Praxis gibt es aber keine Instanz, die darüber wacht.

Menschenrechte werden immer wieder verletzt, fast überall. Aber in vielen Staaten (darunter Israel, der Lieblingsfeind des Gremiums) können sich Betroffene erfolgreich vor Gericht dagegen wehren - und das sollte aus Sicht von Menschenrechtlern das Mindeste sein. In fünf Jahren soll das Statut des Rates in der UN-Vollversammlung überprüft werden. Dass dann die Konstruktionsfehler behoben werden, ist jedoch unwahrscheinlich. Die Mehrheitsverhältnisse in der Staatengemeinschaft sprechen dagegen.

(Kölner Stadt-Anzeiger, 1. Dezember 2006)

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Tobias Kaufmann / 17.12.2012 / 10:21 / 0

Das Waffenrecht ist schuld. Und was noch?

Waffenlobby wie Waffengegner versuchen das Massaker von Newtown für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Doch weder zusätzliche Waffen zum Schutz noch ein verschärftes Waffenrecht allein lösen…/ mehr

Tobias Kaufmann / 30.11.2012 / 11:16 / 0

Abbas, die Uno und der Frieden

Juhu! Die Palästinenser sind beobachtendes Mitglied der Vereinten Nationen! Mahmud Abbas schließt Frieden mit Israel und endlich kriegen die Palästinenser ihren Staat! Oder doch nicht. / mehr

Tobias Kaufmann / 13.11.2012 / 14:28 / 0

Die Palästinenser, das vergessene Volk

Was ist eigentlich aus den Palästinensern geworden? Ein Kommentar. / mehr

Tobias Kaufmann / 18.09.2012 / 10:35 / 0

Das Recht auf Provokation

Nach knapp einer Woche Terror und Gewalt wegen eines miesen Films ist es Zeit, die Mulsime in Schutz zu nehmen und ein paar Dinge klarzustellen.…/ mehr

Tobias Kaufmann / 31.05.2012 / 10:09 / 0

Zur Solidarität mit Israel: Warum Gauck sich irrt

Merkel hat in der Knesset gesagt, die von allen bundesdeutschen Regierungen vertretenen Bekenntnisse zu Israels Sicherheit dürften “in der Stunde der Bewährung keine hohlen Worte…/ mehr

Tobias Kaufmann / 12.10.2011 / 10:34 / 0

Schalit kommt frei – Sieg oder Niederlage?

Netanjahu war bis gestern derjenige, in dessen Regierungsperiode Israel von den größten sozialen Protesten seiner Geschichte und dem Umbruch im Nahen Osten gebeutelt wurde. Nun…/ mehr

Tobias Kaufmann / 26.07.2011 / 14:05 / 0

Der Mord ist kein Symptom

Hat ein wahnsinniger Einzeltäter in Norwegen mehr als siebzig Menschen getötet, oder ist Anders Breivik nur der bewaffnete Arm von Wilders, Sarrazin und PI-News? Meine…/ mehr

Tobias Kaufmann / 27.06.2011 / 13:44 / 0

Gilad Schalit, Geisel zwischen den Fronten

Ich hätte eine Wette abschließen sollen, wie lange es wohl dauert, bis der erste antisemitische Kommentar unter meiner sachlichen Zusammenfassung zum Fall Gilad Schalit erscheinen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com