Johannes Eisleben / 16.03.2019 / 06:25 / Foto: pixabay / 21 / Seite ausdrucken

Der Zukunftsmarkt für Unterdrückungs-Technologien

Macht ist ein zentrales Element jeder Vergesellschaftung. Im Zeitverlauf verstetigte, institutionalisierte Macht ist Herrschaft, lernen wir von den Soziologen. Um Machtausübung zu institutionalisieren, muss die Macht entpersonalisiert, formalisiert und in eine übergreifende Ordnung integriert werden. [1] Die höchste Stufe der Machtverfestigung zur Herrschaft ist staatliche Macht, mit der wir es in der technisch hochentwickelten Kultur der nördlichen Hemisphäre überall zu tun haben. Die beiden wichtigsten Faktoren zur Machtabsicherung sind Eigentum und Verfügungsgewalt über Technologien.

Wir wissen, dass die Ungleichverteilung von Realeigentum in den OECD-Staaten ein historisch bisher nicht beobachtetes Niveau erreicht hat. [2] Daher sehen wir heute auch eine hochgradige Konzentration von Macht mit zahlreichen Folgen. Hier interessiert uns vor allem ein wesentlicher Faktor der Machtabsicherung, die Technologie. Sie ermöglicht eine effektivere und effizientere Nutzung der folgenden Typen von Machtausübung (nach Popitz): Aktionsmacht, instrumentelle Macht, autoritative Macht und datensetzende Macht.

Aktionsmacht ist Macht, die durch physische Gewaltanwendung entsteht und augenblicklich wirkt. Ihre Wirkung kann wieder verschwinden, sobald die Gewalt aufhört: Sie ist Macht im Jetzt. Technologie verstärkt die Wirksamkeit und den Radius dieser Art von Machtausübung: vom Faustkeil, dessen Einsatz riskant ist und mit ungewissem Ausgang erfolgt, bis hin zur Atombombe, die ein Machthaber aus sicherer Distanz als Massenvernichtung einsetzen kann.

Derzeit besteht in der Skala der technischen Aktionsmachtmittel eine Lücke zwischen anthropozentrischen Technologien und Interkontinentalraketen. Jene benötigen Soldaten, die am Einsatzort Kriegshandlungen vornehmen; diese werden aus der Ferne bedient. Erste Ansätze, um diese Lücke zu schließen, sind Marschflugkörper und Drohnen. Beide können unbemannte Präzisionsangriffe mit besserer Dosierung des Ausmaßes der Gewalt ausführen, als dies mit Massenvernichtungswaffen möglich ist.

Die nächste wesentliche Steigerung der Aktionsmacht, die diese Lücke schließen und sogar den Einsatz anthropozentrischer Technologien für Gewaltanwendung auf ein Minimum reduzieren könnte, erfolgt durch Synsekten: synthetische, insektoide Kampfmaschinen, die man in Schwärmen einsetzen wird, um Gegner aufzuspüren und zu töten oder deren Infrastruktur zu vernichten. [3] Sie werden eine perfekte Dosierung des Gewaltmaßes erlauben, was die Machtausübung optimiert. Denn die genaue Dosierung der Gewalt, ihre Anpassung an die spezifische Situation, senkt die Kosten der Machtausübung, weil nur die für die Verhaltenssteuerung erforderliche Grenzgewalt (die Gewalt, die gerade ausreicht, um das Ziel zu erreichen) angewendet werden muss. Außerdem wird sich die Diskrepanz zwischen Machthabern und Unterworfenen extrem vergrößern, da Synsekten jeglicher anthropozentrischen Kriegsführung so überlegen sind, dass auch Guerilla-Taktiken, deren sich unterlegene Kombattanten heute bedienen, unmöglich werden.

Überwachung: Effektivere Gewaltanwendung

Instrumentelle Macht [1] ist Macht, die das Verhalten von Menschen langfristig im Interesse der Machthaber steuert. Sie wird durch glaubhafte Drohungen, Strafen und Belohnungen etabliert. In der Massengesellschaft ist die Grundlage dieser Form von Machtausübung das Überwachen des Verhaltens von Menschen, bei denen Machthaber abweichendes Verhalten befürchten. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, überwachen sich die meisten Menschen in einem gut etablierten Machtsystem selbst.

Doch die potenziellen Abweichler, die die Herrschaft gefährden können, müssen überwacht werden. Die entsprechenden Potenziale hierzu sind heute größer denn je. Brauchte man früher im Feld arbeitende Spitzel und Botschafter, kann heute zumindest die Informationssammlung und -übermittlung für die Massenüberwachung über Aufzeichnungen von Kommunikation im Internet, per Telefon und durch öffentliche Kameras erfolgen. Diese Datensammlung führen alle modernen Staaten durch; die Frage ist nur, in welchem Ausmaß sie ausgewertet wird.

Hier dürften China und Russland führend sein, dicht gefolgt von den USA. Heute erfolgt die Verwertung der aufgezeichneten Texte, Gespräche und Videos noch weitgehend traditionell durch Einsatz von Analysten, von denen die Geheimdienste, aber auch die Social-Media-Betreiber ganze Heere beschäftigen. Maschinen können in Texten aller Gattungen bisher nur verbesserte Schlagwortsuchen durchführen; ihnen entgehen noch sämtliche Feinheiten der Sprache wie beispielsweise prädikative Negation oder Ironie, weil die mathematischen Modelle zur Verarbeitung von Kommunikationsinhalten, die heute für generellen Sprachgebrauch verfügbar sind, noch keine Abbildung der Semantik erlauben, sondern lediglich morpho-syntaktische Abbildungen bieten. Dialoge zu modellieren, die für Beobachtung extrem wichtig sind, weil die meisten Menschen sich nur in Dialogen wirklich entäußern [4], fällt besonders schwer. Denn Bedeutung in Dialogen kann nicht durch Semantik, sondern muss mit Hilfe der Pragmatik modelliert werden. Dialoge sind erratische zeitliche Sequenzen – für die mathematische Modellierung derzeit kaum formalisierbar. [5]

Noch mühevoller zu interpretieren sind Videos, weil in ihnen sich über die Zeit entfaltende Pragmatik durch die Interaktion visueller und akustischer Signale erzeugt wird. Immerhin funktioniert die Gesichtserkennung aus Bildern von Foto- und Videokameras so gut, dass die Identifikation von Subjekten (der Macht Unterworfenen), die die Machtausübung gefährden oder sich dieser entziehen wollen, nahezu perfekt möglich ist, wenn man Augen und Mundpartie präzise ins Bild bekommt.

Mathematische Modelle für Semantik und Pragmatik werden jedoch mit der Zeit optimiert, insbesondere als Anwendung auf semantische Spezialfelder wie beispielsweise Störung von Migrationsplänen, Negierung des anthropogenen Klimawandels oder Bestrebungen nach EU-Austritt in weiteren Ländern. Dadurch wird es in den nächsten Jahrzehnten möglich werden, die Überwachung von Subjekten der Herrschaft zu automatisieren. Automaten können dann Inhalte bündeln und Analysten zur Entscheidung vorlegen. Mit gleicher Anzahl von Analysten können weitaus mehr Untertanen umfassend überwacht werden.

Abweichungen können dann abgestuft bestraft werden: vom Entzug von Handlungsmöglichkeiten wie Reise- und Konsumchancen, was China bereits prototypisiert, bis hin zu Freiheitsentzug, Folterung und staatlicher Eliminierung („Todesstrafe”) einzelner oder ganzer Gruppen, sporadisch oder systematisch (Genozid, Soziozid). Entscheidend ist, dass die totale Überwachung Drohungen und Belohnungsversprechen extrem realistisch macht und den tatsächlichen Aufwand der Gewaltanwendung reduziert, so dass mehr Mittel in den Herrschaftsausbau investiert werden können.

„Likes” als Anerkennung konformen Verhaltens

Autoritative Macht [1] ist Macht, die die ihr Unterworfenen verinnerlichen und an sich selbst vollziehen. Dies hat Max Weber als „stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit” beschrieben. Diese Form der Macht, die Autoritätsbindung, beruht auf dem Anerkennungs- und Autoritätsbedürfnis der Menschen. Wie kann Technologie hier wirken? Das Autoritätsbedürfnis wird gesteigert, wenn Menschen in instabilen Verhältnissen aufwachsen (siehe hierzu den nächsten Abschnitt). Doch auch bei konstantem Bedürfnis kann Technologie die autoritative Macht steigern, indem sie Anerkennung (teil-)automatisiert verteilt.

Damit ist Anerkennung zweier sozialer Rollen möglich, die bislang nur im direkten menschlichen Kontakt möglich war: der öffentlichen Rolle und der eigenen Individualität. Beides ermöglichen soziale Medien, in denen herrschaftstragende Akteure wie Politiker, Parteien, Stiftungen, Künstler oder staatliche Exekutivarbeiter Anerkennung für konformes Verhalten verteilen. Ansatzweise geschieht dies schon heute, wenn man sich anschaut, von wem „Likes” auf Twitter oder Facebook, die an Konformisten vergeben werden, stammen. Auch automatisierte Belohnungssysteme (wie das oben erwähnte Verfahren in China) sind denkbar, um die Autoritätsbindung zu festigen. Ein weiteres Mittel ist automatisierte Propaganda, die Medien mit konformistischem Material überschwemmt. Allerdings ist das Potenzial von Technologie, diese Art der Machtausübung zu stärken, kleiner als bei den drei anderen Typen, weil die Verinnerlichung von Autoritätsmustern echte menschliche Interaktion erfordert.

Datensetzende Macht [1] ist Macht, die dadurch entsteht, dass Machthaber die Lebenswelt der Subjekte architektonisch, infrastrukturell und institutionell gestalten. Sie ist Ausdruck der vollendeten, konsolidierten Errichtung von Herrschaft. Neue Technologien haben seit der Erfindung der Infinitesimalrechnung durch Newton und Leibniz die Chancen von Machthabern, unsere Wirklichkeit zu gestalten, drastisch verbessert, so dass wir heute – abgesehen von überwältigenden Naturereignissen (wie Tsunamis und natürlicher Klimaveränderung) – in den OECD-Staaten weitgehend von einer menschlich kontrollierten Technosphäre sprechen können. Diese eröffnet zahlreiche Möglichkeiten der datensetzenden Machtausübung, wie beispielsweise anonymisierend-isolierende Siedlungsformen (Hochhaussiedlungen), die das Anerkennungsbedürfnis der Menschen steigern, Arbeitsbedingungen, die dem Einzelnen jederzeit seine Abhängigkeit vor Augen führen, Institutionen, die seine Abhängigkeit vergrößern (wie etwa staatliche Krippen) und ihn im Sinne der Herrschenden indoktrinieren, wie unsere heutigen Universitäten, wo diese Art von Anpassungszwang in den Geisteswissenschaften vorherrscht. [7, 8]

Ohne weitere Technologie lässt sich schon heute datensetzende Macht durch Veränderung von Institutionen und legislativen Prozessen deutlich erweitern; ein gutes Beispiel ist die Verlagerung von legislativer Kompetenz weg vom Nationalstaat zur EU. Das Feld des Einsatzes von Technologie in diesem Bereich ist so groß wie unsere Lebenswelt. In naher Zukunft sind beispielsweise möglich: vollständige staatliche Feinsteuerung des Individualverkehrs und aller Reisemöglichkeiten, auch im Inland, die (automatisierte) Steuerung der Möglichkeit von Mediennutzung (an Individuen angepasst, semantisch, schwer nachvollziehbar) und der Energie- und Wasserzuteilung.

Wir erkennen, dass bereits verfügbare oder absehbare Technologien die Machtausübung auf durchschlagende Weise effektiver und effizienter machen können. Was ist notwendig, um Missbrauch durch den Staat zu verhindern? Wir müssen auf die erprobten Möglichkeiten der Machtkontrolle setzen: Verhinderung dichotomer Eigentumsverteilung, Isonomie, Grundrechte, Gewaltenteilung, Verfahrensnormen, Besetzungsnormen und Öffentlichkeitsnormen mit echtem Pluralismus. [1, S. 65] Inwieweit uns dies wieder gelingt, entscheidet darüber, ob wir wieder in Frieden miteinander leben können oder unsere Herrschaftssysteme sich vollends in Systeme der Willkür verwandeln.

Literatur

1) Heinrich Popitz: „Phänomene der Macht“, 2. Aufl. Tübingen 1992.
2) Thomas Picketty: „Le Capital au XXIe siècle“, Paris 2013.
3) Johannes Eisleben: „Waffensysteme des 21. Jahrhunderts: reloaded“, In: Tumult,    Herbst 2018, S. 27-29.
4) Martin Buber: „Ich und Du“, Leipzig 1923.
5) Johannes Eisleben (2018): Zensurautomaten sind nichts als Hochstapelei 
6) Michel Foucault: „Surveiller et punir“, Paris 1975.
7) Egon Flaig: „Die Niederlage der politischen Vernunft“, Springe 2017.
8) Norbert Bolz (2018): Treibhäuser der Konformität

Dieser Beitrag erschien zuerst in „Tumult – Zeitschrift für Konsensstörung“ – Frühjahr 2019.

Foto: pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Bernhard Freiling / 16.03.2019

Unterdrückungs- und Machttechnologien - vergessen Sie das doch Alles. Wenn der “Durchschnittsbürger” auf Deutschland schaut, wird er sagen: “Gibt es bei uns nicht. Allenfalls ansatzweise. Ich lebe im besten aller Deutschlande”. Deutschland ist da schon längst mehrere Schritte weiter. Indem sich sämtliche Mainstreammedien anscheinsweise zusammen geschlossen haben um dem Bürger zu berichten, nicht was ist, sondern was gut oder böse, richtig oder falsch ist. Ist es nicht ein Witz, daß über den von 408 Bundestagsabgeordneten abgelehnten Antrag der FDP - man möge bei der Zustimmung zu UN-Resolutionen, gerichtet gegen Israel, achtungsvoller verfahren - von keinem großen Medium berichtet wird? Statt dessen erhält die Frau Kipping, die auch gegen den Antrag gestimmt hat, auf WO gestern 7 Minuten Lesezeit um ihren “Kampf gegen Rechts” zu führen und Andere als Neonazis beschimpfen zu können. Diese Kanaille! Ob die sich jeden Morgen im Spiegel selbst anspuckt?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Johannes Eisleben / 28.03.2024 / 10:00 / 59

Wird der Schuldenturm „kontrolliert” gesprengt?

Der globale Schuldenturm wächst und wächst und wächst. Stürzt er zusammen oder wird er gesprengt, könnte die größte Umverteilungsaktion aller Zeiten von unten nach oben…/ mehr

Johannes Eisleben / 24.07.2023 / 06:00 / 57

Wie geht’s dem Schuldenturm?

Wie alle Propheten der Schuldenkrise weiß auch ich nicht, wann und wie der Schuldenturm kippt. Die globale Verschuldung hat Ausmaße angenommen, die in relativen oder absoluten…/ mehr

Johannes Eisleben / 08.04.2023 / 06:00 / 86

Covid-19 und die Massenunterwerfung

COVID war die Gelegenheit für die Etablierung eines globalen Systems der direkten Massenkontrolle. Russland und China entwickelten eigene „Impfstoffe”, um diese Kontrolle unabhängig von westlichen…/ mehr

Johannes Eisleben / 20.04.2021 / 06:15 / 129

Der Anfang vom Ende des Rechtsstaats

Die Berliner Republik war die demokratisch legitime, rechtsstaatliche Nachfolgerin des Deutschen Reichs. Diesen Rechtsstaat wird es bald nicht mehr geben. Schon am 18. November 2020…/ mehr

Johannes Eisleben / 12.04.2021 / 12:00 / 33

Wenn der Staat deinen Körper kontrolliert

Um „Corona zu bekämpfen”, wird unsere Wahrnehmung neu geprägt, unser Verhalten beobachtet, werden unsere Bewegungen überwacht und unsere Körper der staatlichen Kontrolle unterworfen. Dabei wissen…/ mehr

Johannes Eisleben / 09.04.2021 / 06:25 / 54

Sie wissen nicht, was Vollgeld ist? Dann schnallen Sie sich an

Die Bilanzsumme des Eurosytems (Aktiva der EZB und der Nationalbanken) betrug 2019 4.671 Milliarden EUR, Ende 2020 waren es 6.979 Milliarden EUR. Das ist ein Anstieg…/ mehr

Johannes Eisleben / 09.03.2021 / 06:00 / 62

Das Armuts-Beschaffungs-Programm

Die Erosion der Ersparnisse durch reale Negativzinsen währt nun seit mehr als zehn Jahren, deutsche Sparer haben dadurch schon hunderte von Milliarden an Alterssicherung verloren.…/ mehr

Johannes Eisleben / 13.02.2021 / 06:00 / 121

Querdenker-Demos schuld an Infektionen? Analyse einer Schrott-Studie

Von Deutschlandfunk bis Welt, von Ärzteblatt bis FAZ wird – „pünktlich zum Corona-Gipfel“ seit Mitte der Woche eine „Studie“ aufgeblasen, die nachweisen soll, dass „Querdenker“(-Demos) zu einer Verbreitung des Corona-Virus beigetragen haben. “Querdenken-Demos für…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com