Matthias Heitmann, Gastautor / 28.04.2017 / 13:33 / 3 / Seite ausdrucken

Der WochenWahnsinn: Das Titanic-Syndrom der EU

In ihrer Radio-Kolumne „Der WochenWahnsinn“ gehen Achse-Autor Matthias Heitmann und Antenne Frankfurt-Moderator Tim Lauth jede Woche auf Zeitgeisterjagd. Seit Kurzem ist der WochenWahnsinn nun auch auf der Achse zu hören und zu lesen.Diese Woche geht es um die Wahlen in Frankreich und die völlig unverständliche „Erleichterung“ der Europäischen Union. Zum Anhören geht es hier entlang.

Tim Lauth: Matthias, am letzten Sonntag haben die Franzosen entschieden, dass in ihrer Republik demnächst entweder eine Rechtsextreme präsidiert oder aber ein junger parteiloser Mann, der mit seiner ehemaligen Lehrerin verheiratet ist. Was hältst Du davon?

Matthias Heitmann: Nun, mit wem der Herr Macron verheiratet ist, ist mir genauso egal wie die Frage, mit wem die zweifach geschiedene Marine Le Pen derzeit das Bett teilt. Die Deutschalternativen werden seit letztem Wochenende von einer bekennenden Lesbe in den Wahlkampf geführt. Das macht sie für mich auch nicht wählbarer. Mich interessiert aber, ob es nun demnächst Frauen-Demonstrationen für Frau Le Pen oder für Frau Weidel geben wird, wie es sie für Frau Clinton nach den US-Wahlen gab, mit Pussy-Hüten und allem drum und dran.

Lauth: Haha, sehr witzig, Matthias. Aber mal im Ernst: Was bedeuten die Frankreich-Wahlen für Europa?

Heitmann: Es setzt sich das fort, was wir derzeit bei jeder Wahl erleben: Das politische Establishment wird vernichtend  abgestraft. Die Franzosen haben eben gerade ihren beiden großen und europafreundlichen Parteien den Stinkefinger gezeigt und dafür gesorgt, dass sie erstmals nicht den Präsidenten stellen. Das ist ein Kracher! Und dass der Front National trotzdem keinen Erdrutschsieg davongetragen hat, zeigt uns wieder, dass Kritik an den Etablierten und an Europa eben nicht automatisch nationalistisch, rückwärtsgewandt oder rechts ist. Es wird Zeit, sich den Kritikern zu stellen und sie nicht nur mit Dreck zu bewerfen.

Lauth: Ok Matthias, Du sagst, das sei wieder eine Klatsche für Europa gewesen. Aber die Reaktionen auf das Wahlergebnis sind doch allgemein recht positiv, und in Brüssel zeigt man sich sogar „erleichtert“. Wie bringst Du das zusammen?

Heitmann: Das ist das Absurdeste an den Wahlen. Sowohl in Frankreich als auch zuletzt in den Niederlanden werden die jeweiligen engsten lokalen Partner der EU vernichtend geschlagen – und in Brüssel feiert man, dass irgendwelche Rechtsextreme nicht an die Macht gekommen sind! Das ist schon arg weltfremd und erinnert an das, was man das Titanic-Syndrom nennt: Während des Untergangs der Titanic spielte das Bordorchester lustige Musik. In Brüssel läuft diese Mucke offensichtlich in einer Dauerschleife, damit man die ständigen Warnsignale nicht hört.

Lauth: Ja, das ist schon auch irgendwie wahnsinnig, was da passiert. Aber Wahnsinniges gibt es ja auch über unsere Eintracht zu berichten! Was sagst Du zu unserem Auftritt im Halbfinale in Mönchengladbach, und wie schätzt Du die Chancen ein, endlich mal wieder den Pokal nach Frankfurt zu holen?

Heitmann: Das Spiel in Gladbach war typisch für die Eintracht in dieser Saison. Ein super Start, in der ersten Halbzeit hätte man eigentlich schon alles klar machen müssen, schafft das aber nicht, und dann beginnt das große Zittern, bis irgendwann dann doch die Erlösung kommt. Aber die Spieler bleiben cool und haben offensichtlich gute Nerven. Da musst Du als Fan schon kerngesund sein. Die Eintracht wird wenige Chancen haben in Berlin, die Frage ist nur: Wie viele braucht sie? Eins steht fest: Egal wie das Finale ausgeht – wir werden in Berlin nicht aus Angst feiern, sondern aus Freude!

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Leserpost

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Karla Kuhn / 28.04.2017

Im “Schönreden” sind nicht nur Politiker Spitze. Da muß man sich doch mit der Niederlage gar nicht erst auseinandersetzen. Das ist wie mit der Schmerztablette bei Schmerzen. Anstatt dem Übel auf den Grund zu gehen und eine Anamnese zu erstellen, stopft man sich mit Tabletten voll.  Augen zu und durch ist die Parole.  Aussitzen ist viel einfacher als Farbe zu bekennen, denn die WAHRHEIT kann sehr schmerzlich sein.  Traurig aber wahr.

Peter Zentner / 28.04.2017

Kleine Korrektur, Gentlemen: Der Satz “Während des Untergangs der Titanic spielte das Bordorchester lustige Musik” stimmt nicht. Das Bordorchester hatte sich längst verstreut. Auf dem sich neigenden Oberdeck spielte ein Streichquartett (2 Violinen, Bratsche, Cello) mehrmals “Nearer My God to Thee”, einen alten englischen Choral — im Angesicht des nahenden Todes keine schlechte Wahl. (Dieses Lied gibt es auch in der deutschprachigen Kirchenmusik als “Näher, mein Gott, zu Dir”.)  “Titanic”-Regisseur Cameron folgte Augenzeugenberichten der Überlebenden und setzte diese Szene in seinem Blockbuster ergreifend um. Aber dem Bordorchester der EU trau’ ich alles zu.

Sepp Kneip / 28.04.2017

Das Titanic-Syndrom ist schon länger Bestandteil des Dahinwurstelns der westlichen Welt, insbesondere Europas. Der Eisberg ist seit einer Weile gerammt und das Wasser dringt unaufhaltsam ein. Das Europa-Schiff hat Schlagseite und die Musik spielt dazu. Der erste Rammstoß war die Einführung des Euro, der auch noch bejubelt und wurde, da man die Tragweite dieses Ereignisses nicht erkannte. Die Beule, die sich das Euro-Schiff dabei gefangen hat, wurde zu einem großen Leck. Der zweite Rammstoß erfolge mit dem ” Flüchtlings”-Tsunami, der ein eben so großes Loch riss, das durch den Brexit noch vergrößert wurde. Aber immer noch fährt die Führungsmannschaft volle Kraft voraus, als ob nichts passiert wäre. Das Schiff schlingert, aber getan wird nichts. Man lässt weiterhin das Wasser eindringen. Kein Versuch, die Lecks zu stopfen. Man erkennt die Menetekel an der Wand nicht. Man geht nicht auf diejenigen zu, die versuchen, das Schiff zu retten. Nein, man weist sie ab - und geht lieber unter.

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