Im “Schönreden” sind nicht nur Politiker Spitze. Da muß man sich doch mit der Niederlage gar nicht erst auseinandersetzen. Das ist wie mit der Schmerztablette bei Schmerzen. Anstatt dem Übel auf den Grund zu gehen und eine Anamnese zu erstellen, stopft man sich mit Tabletten voll. Augen zu und durch ist die Parole. Aussitzen ist viel einfacher als Farbe zu bekennen, denn die WAHRHEIT kann sehr schmerzlich sein. Traurig aber wahr.
Kleine Korrektur, Gentlemen: Der Satz “Während des Untergangs der Titanic spielte das Bordorchester lustige Musik” stimmt nicht. Das Bordorchester hatte sich längst verstreut. Auf dem sich neigenden Oberdeck spielte ein Streichquartett (2 Violinen, Bratsche, Cello) mehrmals “Nearer My God to Thee”, einen alten englischen Choral — im Angesicht des nahenden Todes keine schlechte Wahl. (Dieses Lied gibt es auch in der deutschprachigen Kirchenmusik als “Näher, mein Gott, zu Dir”.) “Titanic”-Regisseur Cameron folgte Augenzeugenberichten der Überlebenden und setzte diese Szene in seinem Blockbuster ergreifend um. Aber dem Bordorchester der EU trau’ ich alles zu.
Das Titanic-Syndrom ist schon länger Bestandteil des Dahinwurstelns der westlichen Welt, insbesondere Europas. Der Eisberg ist seit einer Weile gerammt und das Wasser dringt unaufhaltsam ein. Das Europa-Schiff hat Schlagseite und die Musik spielt dazu. Der erste Rammstoß war die Einführung des Euro, der auch noch bejubelt und wurde, da man die Tragweite dieses Ereignisses nicht erkannte. Die Beule, die sich das Euro-Schiff dabei gefangen hat, wurde zu einem großen Leck. Der zweite Rammstoß erfolge mit dem ” Flüchtlings”-Tsunami, der ein eben so großes Loch riss, das durch den Brexit noch vergrößert wurde. Aber immer noch fährt die Führungsmannschaft volle Kraft voraus, als ob nichts passiert wäre. Das Schiff schlingert, aber getan wird nichts. Man lässt weiterhin das Wasser eindringen. Kein Versuch, die Lecks zu stopfen. Man erkennt die Menetekel an der Wand nicht. Man geht nicht auf diejenigen zu, die versuchen, das Schiff zu retten. Nein, man weist sie ab - und geht lieber unter.
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