Matthias Heitmann, Gastautor / 15.09.2017 / 14:41 / 13 / Seite ausdrucken

Der Wochen-Wahnsinn: Wider die parteiübergreifende Dünnhäutigkeit

„Wir werden regiert von pseudodemokratischen und dünnhäutigen Debattenfeinden“, stellt Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann im Gespräch mit TV- und Radiomoderator Tim Lauth in der aktuellen Ausgabe der Radiokolumne „Der WochenWahnsinn“ fest. „Und das Irre ist“, fügt er an, „dass in dieser Hinsicht die AfD durch und durch Mainstream ist und es schon immer war: Denn kaum eine Partei hat die Opferkultur so sehr verinnerlicht. Es zeigt sich: Je mehr sich eine Gesellschaft in eine Opfermentalität flüchtet und die eigene Verletzlichkeit feiert, desto unfreier wird sie.“ Zum Anhören geht es hier entlang.

Tim Lauth: Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des WochenWahnsinn! Mein Name ist Tim Lauth, und ich gehe wieder auf Zeitgeisterjagd mit dem Mann, der das gleichnamige Hardcoverbuch und E-Book geschrieben hat: Matthias Heitmann.

Matthias, es wird stürmisch. Nicht nur in den USA, auch bei uns wird das Klima rauer – insbesondere im Bundestagswahlkampf, der ja langsam auf die Zielgerade einbiegt…

Matthias Heitmann: Entschuldigung, dass ich unterbreche, aber findest Du wirklich, dass der Wahlkampf rauer wird?

Lauth: Naja, der Ton ist schon ruppiger und schärfer geworden, findest Du nicht?

Matthias Heitmann:  Aber verzweifelte Stimmungsmache ist das Gegenteil von inhaltlicher Schärfe. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir es mit einer offenen Streitkultur zu tun haben. Ich finde es eher erbärmlich, wie dünnhäutig heute Politiker sind. Nimm die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel: Die macht in einer Talkshow den Bosbach, verlässt das Studio und kündigt an, künftig nicht mehr mit Leuten zu reden, die sie in die Pfanne hauen wollen. Ausgerechnet eine Politikerin von der AfD, in deren Umfeld Aussagen wie „Hau ab! und „Halts Maul!“ doch weit verbreitet sind. Entschuldige mal, ich dachte bislang, dass man harte Kontroversen sucht und bereit ist etwas einzustecken, wenn man für eine Alternative streitet. Was dachte Frau Weidel, was in so einer Talkshow passiert? Und was wird erst, wenn sie in den Bundestag einzieht? Geht sie dann jede Woche raus?

Lauth: Da magst du Recht haben, Matthias. Andererseits ist es doch aber kein guter politischer Stil, andere in die Pfanne zu hauen.

Matthias Heitmann: Das Problem heute ist aber nicht, dass Politiker und Journalisten zu unhöflich sind. Was fehlt, sind offene und handfeste Debatten um die wichtigen Inhalte. Und weil diese fehlen, rutschen die Wortgefechte beinahe automatisch unter die Gürtellinie. Das fühlt sich dann so an, als sei das alles viel härter als früher. Aber schau Dir mal ältere Debatten an, zwischen Brandt und Kohl und was die sich vor laufender Kamera an den Kopf geworfen haben. Alice Weidel wäre da wahrscheinlich weinend zu Boden gegangen.

Lauth: Dir fehlt es also an tatsächlicher Kontroverse. Das kann ich nachvollziehen. Aber die kann man ja auch nicht künstlich erzeugen, oder.

Matthias Heitmann: Nein, das kann man nicht. Aber deswegen muss man ja das Abwürgen von Kontroversen auch nicht als guten Stil feiern. Wir werden regiert von pseudodemokratischen Debattenfeinden, von einer parteiübergreifenden Koalition der Angsthasen und Waschlappen. Und das Irre ist: Die AfD ist da mitten drin, und sie war es schon immer. Kaum eine Partei versucht so gezielt, die verbreitete Opferkultur für sich zu nutzen, wie die AfD. Je mehr sich eine Gesellschaft in eine Opfermentalität flüchtet und die eigene Verletzlichkeit feiert, desto unfreier wird sie.

Lauth: Wenn aber alle Parteien Teil dieser Opferkultur sind, wen wählst Du denn dann am 24. September?

Heitmann: Gute Frage. Ich suche noch nach der Partei, die deutlich weniger jammert und weniger Sündenböcke sucht als alle anderen, die weniger Verbote und mehr Freiheit fordert, weil sie den Menschen mehr zutraut. Mein Casting läuft noch.

Lauth: Tja, das sieht so aus, als wärst Du damit noch bis zum Wahltag beschäftigt, Matthias – aber man soll ja nie die Hoffnung aufgeben. Ob es Gründe für Optimismus gibt und wo wir sie finden können, das werden wir in der nächsten Woche weiter vertiefen im WochenWahnsinn mit Matthias Heitmann. Bis dahin: Machen Sie‘s gut – und besser!

Das komplette Archiv des „WochenWahnsinns“ findet sich unter http://www.zeitgeisterjagd.de/wochenwahnsinn/.

Am 5. Oktober 2017 feiert das Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ von Matthias Heitmann und Tim Lauth Premiere im Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“. Das Programm ist „ein Fitnessprogramm für den Verstand und ein „Würg-Shop“ für den zynischen Mainstream, denn es liefert, was heute gar nicht gut ankommt: gute Gründe für Optimismus. Weitere Infos und Karten unter: http://www.zeitgeisterstunde.de

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Jochen Brühl / 16.09.2017

In Anbetracht dessen, dass ausschließlich gegen Parteimitglieder der AFD offen zur Attacke und damit auch Gewaltanwendung aufgerufen wird (Ralf Stegner - SPD), und das dann von der sogenannten Antifa, die wiederum mit staatlich alimentierten Gruppierungen in engem Kontakt steht, umgesetzt wird, ist da meine Wahrnehmung eine andere.

Roland Müller / 16.09.2017

Bei Licht betrachtet besteht die Auseinandersetzung der etablierten Parteien mit der AfD aus bloßen Diffamierungen bzw. Gelaber darüber wer was gesagt haben soll oder hat. Wenn man das ernst nimmt, kann man alle Parteien in Deutschland auf den Misthaufen der Geschichte befördern. Das übliche Skandalgeschrei ist zum Beispiel vollständig ausgeblieben, als der CDU-General Doktor Taube-Nuss jeden als Arschloch bezeichnet hat, der nicht für Merkel ist. Argumente in der Sache sind immer und überall Fehlanzeige. Nein Herr Heitmann, man braucht keine Opferkultur um sich an diesem infamen Dreckskram zu stören. Das Geschwätz von Mimosen und Opferkultur beruht darauf, das den etablierten Politikern und Pressevertretern der Allerwerteste mit Grundeis geht. Die haben nämlich schon längst, ohne es explizit zu sagen, den intellektuellen Bankrott erklärt.

Herwig Mankovsky / 16.09.2017

Aha, körperliche Attacken und Existenz bedrohende Aktionen mit verbalen Attacken gegenzurechnen - äußerst ,,intellektuell”.

Hjalmar Kreutzer / 16.09.2017

Ach, Herr Heitmann, wenn in NRW oder RLP schon fast jeder AfD-Abgeordnete oder Parteifunktionär körperlich attackiert wurde, zzgl. Familienmitgliedern Häusern, Büros etc., wenn selbst Sammler von Unterstützerunterschriften plötzlich in ihren Firmen und Praxen durch Begehungen durch diverse Ämter und Auflagen und Bußgelder schikaniert werden, weil sie “spezielle Freunde” des Innenministeriums geworden sind, kann man wohl kaum von “Opferkult” und Dünnhäutigkeit sprechen. Es war auch im ZDF die deutliche Absicht der anwesenden Politiker, der parteiischen Moderatorin und der bestellten Klatschaffen, Frau Weidel einfach niederzubrüllen, die sachliche Auseinandersetzung, die AfD mit Argumenten zu stellen, war gar nicht gewollt. Insofern verstehe ich, dass Frau Weidel diese Zeitverschwendung einfach beendet hat.

Thomas Hellerberger / 15.09.2017

Matthias Heitmann konstruiert hier ein Hase-und-Igel Axiom, bei dem jeder Teilnehmer immer nur verlieren kann. Ich bin Zeitgenosse der Jahre von Strauß, Schmidt, Brandt und Kohl. Damals war mehr Lametta? Ich erinnere mich, daß man für Strauß Wahlkampf 1980 eine sogenannte “Eiwurfgrenze” definieren mußte, die die Polizei bei seinen Auftritten immer vor der Bühne abzusperren hatte. Die Eltern der heutigen Antifas standen dann in Form von Uni-Asta, Jusos und K-Gruppen am Rand und insgesamt grüßt mich erheblich das Murmeltier, wenn ich diese Auftritte und den Allatg auf AfD-Veranstaltungen heute vergleiche. Am Wahlabend, zur (damals noch) “Bonner Runde” wurde Strauß als Talking Head auf einem Fernseher aus München ins Bonner Studio zugeschaltet - schon das ziemlich bizarr - und war stockbesoffen. Vor Frust, Wut? Dünnhäutigkeit? Auf der Wahlveranstaltung, die ich damals mit ihm besuchte, war er vor lauter Gegröle und Trillerpfeifen kaum zu verstehen, obwohl er ebenfalls, in seiner typischen Art wippend und nickend, ins Mikrofon brüllte. Und sein Leibwächter hielt ihm einen Regenschirm vor, wegen der Eier. Die Jusos hatten gut trainiert (Doping aus der DDR?) Nein, man muß sich gar nichts gefallen lassen. Ich will solches Geholze nicht. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her, nichts symbolisiert das besser als Angela Merkel. PS: Es sei jeder einmal aufgefordert, nachzudenken, was aus Deutschland geworden wäre, wenn Strauß damals Kanzler geworden wären und nicht Kohl ein Jahr später durch das Umfallen der FDP. Meint Ihr, wir hätten heute den Euro? Oder Kohls Mädchen? Was wäre aus dem gelben Pullunder geworden?

Karl Kaiser / 15.09.2017

Na ja.

Gerhard Amrhein / 15.09.2017

Man schaue sich mal auf YouTube etc. die Debatte zwischen Schmidt, Kohl, Strauß und Genscher vor der Bundestagswahl 1976 an. Verglichen damit war das Duell Merkel/Schulz ungefähr zu spannend wie Wandfarbe beim Trocknen zuzusehen, und Mimosen-Alice hätte wahrscheinlich eine Therapie gebraucht, auch wenn hier der Verdacht eines kalkulierten Skandälchens sehr naheliegt. Aber wie bei Trump etc. hopsen die Medien zuverlässig über jedes Stöckchen, das ihnen die AfD hinhält. Politische Verantwortung? Nebbich. Auflage! Quote!

Andreas Rochow / 15.09.2017

Der Wochen-Wahnsinn ist es, wenn die Etablierten statt sachlich, meinetwegen kämpferisch zu argumentieren, lieber vor laufenden Kameras eine großkoalitionäre Rüpelei gegenüber einer Dame von der AfD demonstrieren. Die Gastgeber haben sich das nicht verbeten und sich nicht zur ö.-r. Ausgewogenheit bekannt. Ein Tiefpunkt des Wahlampfes.

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