Schon die Protestslogans „Lieber tanz ich als G20“, „Einhörner gegen G20“ oder „G20 Bier holen!“ sind Beleg dafür, wie angepasst, unpolitisch und kindisch die heutige Protestkultur ist. Es geht gar nicht um politische Klärung, sondern darum, im Protest die eigene Identität zu inszenieren. Dieses irre Nebeneinander von Karneval, Krawall und Kirchentag zeigt, wie degeneriert und zerrissen das linke politische Spektrum ist. Zum Anhören geht es hier entlang.
Tim Lauth: Wir gehen wir auf Zeitgeisterjagd im WochenWahnsinn. Mein Name ist Tim Lauth, und ich spreche über den Wahnsinn unseres Alltags mit dem Mann, der das Hardcover-Buch und das E-Book Zeitgeisterjagd geschrieben hat: Matthias Heitmann. Matthias, Du interessiert Dich doch sehr für die Protestkultur. Wie schätzt Du die Proteste gegen den G20 ein?
Heitmann: Es ist eine seltsame Situation: Auf der einen Seite spazierten die Leute am Mittwochabend zwischen Wägen mit Lautsprechern und DJs durch die Stadt, es wurde getanzt und gegrooved, manche waren verkleidet, andere betrunken oder bekifft oder beides. Zwischendrin mal ein paar Leutchen mit Schildern, auf denen standen so Sachen wie „Einhörner gegen G20“ oder „G20 Go Home!“. Das war eine skurrile Mischung aus Karneval, Love Parade und Kirchentag.
Lauth: Ja, das habe ich auch gesehen. Aber wie passt das dann zu der gestrigen Gewalteskalation bei und nach der Hauptdemonstration „Welcome To Hell“?
Heitmann: Das ist ja das Interessante: Wir sehen in Hamburg alte linksradikale Protestformen und die dazugehörende Gewaltbereitschaft, die sich auch im Slogan Welcome To Hell widerspiegelt. Doch diese Rituale finden quasi ohne entsprechende radikale politische Inhalte statt. Die Gewalt richtete sich gegen die Polizei, weil diese die zentrale Demo nach wenigen Metern gestoppt hat. Ob das besonders klug war, mal dahingestellt. Aber unabhängig davon ist die Gewaltbereitschaft einiger Teile der Demonstranten ziemlich entkoppelt von den eher naiven und kindisch-trotzig klingenden politischen Forderungen, die man auf den Plakaten sehen konnte, wenn man überhaupt welche gefunden hat.
Lauth: Was genau meinst Du mit kindischen politischen Forderungen?
Heitmann: Natürlich gibt es bei den Demonstranten einen gewissen Grundkonsens, gegen das System zu sein. Was das genau heißt, bleibt aber total unklar. Und dann schau Dir das konkrete Motto an: „Lieber tanz ich als G20“ oder „G20 Bier holen!“. Etwas Kindischeres und Unpolitischeres gibt es gar nicht. Hier geht es darum, im Protest die eigene Identität zu inszenieren, und dazu bedient man sich der üblichen Zeitgeisthemen: gegen die Gier, gegen die Reichen, gegen die böse Wirtschaft und die Spekulanten, gegen den Klimawandel, gegen Trump, gegen den Krieg, bestimmt auch gegen Gentechnik und Atomkraft und für eine gerechtere Welt für Eisbären – und Einhörner, versteht sich. Also letztlich ist das alles nicht besonders radikal und inhaltlich gar nicht weit von Angela Merkels Kurs entfernt. Dieses Nebeneinander von kindisch unpolitischen Inhalten, Partystimmung und Krawallen zeigt, wie degeneriert und zerrissen das linke politische Spektrum eigentlich ist.
Lauth: Apropos kindisch: Der deutsche Fußballnachwuchs hat ja schwer aufgetrumpft am letzten Wochenende.
Heitmann: Das stimmt. Am besten gefallen hat mir aber das Tor unseres Mexikaners Marco Fabian. Wenn er solche Freistöße in der kommenden Saison öfter hinkriegt, dann mache ich mir um unsere Eintracht keine Sorgen.
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