Nikolaus Blome hat es schon wieder getan. Von ihm stammt der Satz „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen“, womit er Ungeimpfte gemeint hatte. Nun fordert er „Strafpolicen für Übergewichtige und Trinker“ von den gesetzlichen Krankenkassen.
Nikolaus Blome hat es schon wieder getan. Der bekannte Spiegel-Kolumnist war während der Coronazeit als absoluter Hardliner aufgefallen und hatte in seinem berüchtigten Text „Impfpflicht! Was denn sonst?“ im Dezember 2020 unter anderem verkündet: „Ich hingegen möchte an dieser Stelle ausdrücklich um gesellschaftliche Nachteile für all jene ersuchen, die freiwillig auf eine Impfung verzichten. Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“
Dieses zutiefst herzlose Statement ist denkbar schlecht gealtert: Die Corona-Impfungen entpuppten sich als wirkungslos und sogar gefährlich, denn die Impfschäden liegen jenseits des Vorstellbaren, wie Achgut regelmäßig berichtete (über ein „Impflügengebirge“ schrieb kürzlich etwa Andreas Zimmermann in einem Dreiteiler, siehe hier, hier und hier).
Etwas Bescheidenheit, Vorsicht oder gar Reue stünde Blome – wie all den anderen, die während der Coronazeit hetzten und ausgrenzten – also sehr gut. Doch in seiner neuesten Kolumne offenbart der Journalist ein weiteres Mal eine aus meiner Sicht menschenverachtende Haltung. Es geht um den Vorschlag des Gesundheitsökonomen Bernd Raffelhüschen, dass aufgrund explodierender Kosten im Gesundheitsbereich „gesetzlich Krankenversicherte pro Jahr gestaffelt bis zu 2000 Euro Selbstbeteiligung zahlen sollen“, wie der Spiegel berichtete.
„Wir können uns das System nicht mehr leisten. Patienten müssen künftig mehr aus eigener Tasche dazu bezahlen (…) Die Zuschüsse zum Beispiel für Geringverdiener müssen aus dem Bundeshaushalt kommen“, hatte Professor Raffelhüschen gegenüber der Bild-Zeitung geäußert. Und vorgeschlagen, „dass Versicherte Verletzungen nach selbst gewählten Risiken – wie Skifahren – komplett selbst bezahlen sollten“. Ebenso sollen sich Raucher an „Folgekosten von Behandlungen stärker selbst beteiligen“. Der Beitragssatz werde ansonsten bis 2035 auf bis zu 22 Prozent vom Bruttolohn steigen.
„Skifahren nur mit selbst bezahlter Risikopolice“
Nikolaus Blome nimmt den Vorschlag begeistert auf. Und setzt gewohnt polemisch noch einen drauf, wie schon die Überschrift „Wir brauchen eine Sündenversicherung“ verspricht. „Die Krankenkassen sind bald pleite. Höchste Zeit, dass die verhaltensblinde Solidargemeinschaft Strafpolicen für Übergewichtige und Trinker einführt“, heißt es schon im Teaser. Pflichtschuldigst bringt er zuerst Gegenargumente ins Spiel. Er bemüht die „lebensweltliche Toleranz“ und die „Freiheit“ – „sei es auf Kosten anderer“. Die Schwierigkeit der Sünden-Abgrenzung führt Blome ebenfalls an:
„Skifahren nur mit selbst bezahlter Risikopolice, aber Hobbyfußball auf Kranken(kassen)schein? Für adipöse Antialkoholiker zahlt die Solidargemeinschaft, nicht aber für koksende Marathonläufer? Und ab wann genau ist Zucker zu viel, Rohkost zu wenig, und welche Sünden lassen sich mit einer vierwöchigen Haferschleimkur kassentechnisch kompensieren?“
Gelten lässt er die Einwände jedoch nicht. Denn für die „großen Risiken“ sollten seines Erachtens weiterhin die Versichertengesellschaften aufkommen. „Darum fand ich es damals grundfalsch, auch nur zu diskutieren, ob die gesetzlichen Kassen die Behandlungskosten für freiwillig ungeimpfte Coronakranke auf den Intensivstationen übernehmen sollen oder nicht. Natürlich mussten sie das. Oft ging es um Leben und Tod.“
Wie mildtätig. Und dreist, dass Blome vor dem oben skizzierten Hintergrund die Chuzpe besitzt, ein weiteres Mal Ungeimpfte in Misskredit zu bringen.
Im weiteren Verlauf seiner Argumentation pocht er auf die „Eigenverantwortung“, die für Strafbeiträge spräche – und zwar in dem Sinne, „die Leute für bestimmte Sonderheiten ihres Lebenswandels haftbar zu machen“. Zum Beispiel „Terrorradler in der Berliner Innenstadt“. Dem Problem der Unschärfe begegnet er mit der Feststellung, dass wir „in der Lage (sind), Hunderte von (Lebens-)Risiken trennscharf zu formulieren, zu kalkulieren und hernach zu versichern, inzwischen selbst schlechtes Ferienwetter“. Schon jetzt könne man hochpreisige Körperteile nur privat absichern – die einen die Beine, die anderen die Zähne. Und wer mit 1,1 Promille einen Unfall baut, fiele teilweise aus der Kfz-Haftpflicht.
„Gesamtgesellschaftlich aushandeln“
Doch Blome vergleicht hier Äpfel mit Birnen – Zahnzusatzversicherungen werden nicht „aus Solidarität“ abgeschlossen, sondern weil der Versicherte mit schlechten Zähnen und voraussichtlich vielen (nicht vollständig abgedeckten) Behandlungen hofft, mit dieser zusätzlichen Investition unterm Strich kostengünstiger dazustehen. Es ist ein aktiver, optionaler Schritt und keine „Bestrafung“, die ihm von vornherein aufgebürdet wird. Ähnliches gilt für Heilpraktiker-Zusatzversicherungen. Und dass eine Kfz-Haftpflichtversicherung für einen durch Trunkenheit am Steuer herbeigeführten Sachschaden nicht gänzlich aufkommt, liegt aus meiner Sicht im Bereich des Logisch-Überschaubaren.
Wenn es um Gesundheitsfragen geht, herrscht jedoch keine Vorhersehbarkeit oder Eindeutigkeit. Doch auf das Dilemma der von ihm selbst bemühten „Abgrenzungsprobleme“ geht Blome nicht befriedigend ein. Man solle dies „gesamtgesellschaftlich aushandeln“ und die Allgemeinheit jedenfalls nicht „für die unbelehrbar Doofen und freiwillig Dicken bezahlen“ müssen.
Sollten Singles stärker belangt werden?
Machen wir doch einmal die Probe aufs Exempel: Was spricht denn jetzt für oder gegen die versicherungstechnische Übernahme eines Ski- oder Fahrradunfalls? Sollte man Gelegenheitsraucher genauso belangen wie Kettenraucher? Und wo genau verliefe die Grenze? Soll man Alkoholiker zur Kasse bitten, und wenn ja, ab wann ist man einer? Sollten Stadtbewohner höhere Beiträge zahlen als jene auf dem Lande, weil sie mehr Abgase einatmen? Und ebenso diejenigen, die weniger schlafen als offiziell empfohlen?
Sollten Singles stärker belangt werden, weil Alleinlebende laut Studien eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, körperlich und psychisch krank zu werden? Apropos Psyche: Wie ist es mit jenen, die es einfach nicht schaffen, sich aus ungesunden Beziehungen zu lösen, ständig familiäre Probleme haben oder einfach nicht das umsetzen können, was ihnen ihr Psychiater rät? Das macht doch alles auch krank, oder nicht?
Fragen über Fragen und die Antwort lautet, dass man in Teufels Küche kommt, wenn man daraus eine ernsthafte Debatte macht. Man landete geradewegs in einem skurrilen Bewertungsschema, das dem chinesischen Sozial-Kredit-System in nichts nachstünde. Die von Blome bemühte „Freiheit“ und „Eigenverantwortung“ hätte mit der Sanktionierung all dessen, was man gemeinhin „normales Leben“ nennt, nichts zu tun.
Wie schwierig die Bewertung eines gesundheitlichen Risikofaktors ist, kann ich an meinem eigenen Beispiel verdeutlichen. Weil ich Asthma habe, werde ich von meiner privaten Krankenkasse mit einem monatlichen Zusatzbeitrag von rund 100 Euro belegt – zuzüglich zum Normaltarif. De facto verursachte ich bislang jedoch – toi, toi, toi – deutlich unterdurchschnittliche Kosten, sodass ich eine versicherungstechnische Bereicherung anstatt einer Belastung darstelle. Der Vergleich hinkt natürlich insofern, alsdass ich, wie gesagt, privat versichert bin und es hier um gesetzliche Kassen geht. Wie schwer eine reale Risikoabschätzung selbst bei eindeutiger Diagnose ist, dürfte das Beispiel jedoch veranschaulichen.
Menschenfeindliche Lebensstil-Kritik
Abschließend sollte ich natürlich nicht den rosa Elefanten vergessen, der bei der Feststellung im Raum steht, dass die gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2023 „ein Defizit von 17 Milliarden Euro erwartet“. Warum ist das so? „Kassen entsteht durch Flüchtlinge ein Milliardendefizit“, titelte bereits 2016 die WELT:
„Ohne eine Anhebung des Steuerzuschusses werde demnach bereits in diesem Jahr eine Lücke von mehreren Hundert Millionen Euro entstehen, weil der Bund für Flüchtlinge und andere Hartz-IV-Empfänger viel zu geringe Krankenkassenbeiträge überweise.“
Und das Branchenmagazin „Versicherungsbote“ schrieb im vergangenen September, also sechs Jahre später: „Die Zahl der Mitglieder bei den gesetzlichen Krankenkassen ist so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht. Ein Grund: Flüchtlinge aus der Ukraine genießen Krankenversicherungs-Schutz. Das belastet auch die Finanzen der Versicherer zusätzlich.“
Der Hauptgrund für die Mehrkosten sei dies laut Beitrag jedoch nicht, sondern „Faktoren wie die Alterung der Gesellschaft, steigende Medikamenten-Preise, teure Gesundheitsreformen sowie die Inflation“. Eine Rolle spielt sicherlich auch, dass 2022 die Anzahl der Asylanträge um 27,9 Prozent gestiegen ist, wie im Januar bekannt wurde. 244.132 Menschen haben laut tagesschau.de im vergangenen Jahr 2022 einen Asylantrag in Deutschland gestellt, vor allem aus Afghanistan und Syrien. Eine gute Million ukrainischer Flüchtlinge kamen noch hinzu, die derartige Anträge gar nicht erst stellen müssen. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen demnach also über 1,2 Millionen zusätzliche Patienten versorgen – für die der Staat jeweils nur einen Mindestbeitrag überweist.
Anstatt sich also in menschenfeindlicher Lebensstil-Kritik von Beitragszahlern zu üben, sollte man sich lieber die realpolitischen Verhältnisse anschauen.
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.