Manfred Haferburg / 19.07.2017 / 11:00 / 6 / Seite ausdrucken

Der wahre Jacob

Eigentlich ist mir zu diesem kleinen Text zuerst die Überschrift „Jacob der Lügner“ eingefallen. Der Titel ist mir einfach zu geläufig. „Jacob der Lügner“ war einer der wenigen sehenswerten DDR-Filme, gedreht im Jahre 1977. Der einzige DDR-Film, der je für einen Oskar nominiert war. Aber um einen solchen Jacob soll es hier nicht gehen. Unser Jakob schreibt sich nicht nur anders, er hat es auch nicht verdient, dass er mit jenem Jacob verglichen wird, der im Ghetto mit erfundenen Nachrichten aus einem angeblich illegal in seinem Besitz befindlichen Radio Hoffnung verbreitet hat. Mögen die Auslassungen unseres Jakob auch oft wie erfundene Nachrichten wirken, Hoffnung verbreiten sie eher nicht.

Die Rede ist von Jakob Augstein, einem wohlhabenden Mann, der sich mit dem Titel des bestgekleideten Journalisten Deutschlands schmücken kann und sich ein selbst unter den Reichen und Schönen ausgefallenes Hobby gönnen kann: das Revoluzzern. Wer arm ist, hat sicher ein größeres moralisches Recht, all die Ungerechtigkeit der Welt zu beklagen und nach dem Aufstand zu verlangen, aber wenn man reich ist, macht das einfach mehr Spaß. Zumal man die Folgen eines kleinen Aufstandsspiels, wie beispielsweise ein verbranntes Auto, leichter verschmerzen kann, als so ein angepasster Kleinsparer. Da kann man dann auch mit Blick auf die Hamburger Krawalle am Rande des G20-Gipfels die Erkenntnis reifen lassen, in welcher Form sich die Besitzer der angezündeten Autos selbst schuldig gemacht haben:

Die Autos der kleinen Leute sind nämlich keine „wertneutralen Gegenstände, sondern politische Objekte. Sie bestehen aus Rohstoffen, die unter den Terms of Trade einer von den G20 beherrschten Welt gefördert und gehandelt wurden: Kupfer aus Chile, Bauxit aus Guinea oder Seltene Erden aus China – geschürft, transportiert, verarbeitet unter Bedingungen, die man mit gutem Gewissen weder den Menschen noch dem Planeten zumuten kann. Aber die Familie aus Ottensen hat kein schlechtes Gewissen. Wir alle haben kein schlechtes Gewissen. Wir erkennen die Gewalt nicht, die wir selber ausüben. Nur die, die wir selber erfahren.

Das schreibt Jakob Augstein im Freitag. Hier – und nicht nur hier – zeigt sich der wahre Jakob, um einen anderen Titel zu bemühen, der mir in den Sinn kam, als ich „Jacob der Lügner“ verworfen hatte. „Der wahre Jacob“ war zu seiner Zeit zwar links, aber das war noch lange nicht Mainstream. Vor allem wurde er bekannt als Satirezeitschrift. Nein, nein, man kann leider nicht hoffen, dass unser Jakob sich im folgenden Text an Satire versucht hat. Er führt wahrscheinlich tatsächlich seine Gesinnung vor, wenn er – diesmal bei Spiegel-Online – schreibt:

An jedem anderen Ort zu jeder anderen Zeit wäre das Anzünden eines Autos eine bedeutungslose Tat des Vandalismus gewesen. Im Zusammenhang mit dem Gipfel wird daraus ein politischer Akt - von einer kleinen Minderheit akzeptiert, von einer großen Mehrheit abgelehnt, aber von allen in den richtigen Zusammenhang gebracht. Jeder kann die brennenden Autos beim G20-Gipfel in den Kontext der militanten Ablehnung dieses Gipfels setzen. Niemand würde verstehen, wenn sie beim Kirchentag brennen würden. Aber von plündernden Protestanten hat auch noch niemand gehört.

„Plündernde Protestanten“, das ist schon recht originell. Falls jetzt aber doch die Hoffnung auf eine gelungene Satire aufkeimt. Sie wird gleich wieder zerstört:

Wie wirkt diese politisch motivierte Gewalt? Mal angenommen, die Gewalttäter von Hamburg haben gewonnen. Mal angenommen, dass auf absehbare Zeit kein solcher Gipfel mehr in einer deutschen Großstadt stattfindet. Wäre das dann die Kapitulation des Rechtsstaats? Oder gibt es in der funktionierenden Demokratie einen legitimen Ort für außerstaatliche Gewalt?

Diese Fragen rührt an das Gewaltmonopol des Staates - mithin an den Staat selbst.

Die Friedenspreisträgerin Carolin Emcke twitterte nach Hamburg: "Jede TV-Minute, die der Gewalt der Hooligans gewidmet wurde, war eine Minute, in der nicht die Beschlüsse der #G20 kritisiert werden konnten." Stellt sich die Frage, ob friedliche Proteste gegen den Gipfel auch nur annähernd so viel Beachtung gefunden hätten wie die gewalttätigen Auseinandersetzungen. Das gehört zum Wesen des politischen Protests im demokratischen Kapitalismus: Wenn er sich an die Regeln hält, bleibt seine Wirkung schwach. Wenn er die Regeln bricht, gefährdet er seine Akzeptanz.

Wie nachsichtig hätte sich Jakob Augstein, der Verständnisvolle in Sachen „außerstaatliche Gewalt“, wohl geäußert, wenn diese nicht von links gekommen wäre? Hätte er da nicht das zu lasche Durchgreifen der Vertreter des Gewaltmonopols gegeißelt?

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Leserpost

netiquette:

Erwin Gabriel / 19.07.2017

Ein Pippi-Langstrumpf-Journalist (“ich mach’ mir die Welt, wie sie mir gefällt”).

Werner Geiselhart / 19.07.2017

Zitat Augstein “Kupfer aus Chile, Bauxit aus Guinea oder Seltene Erden aus China – geschürft, transportiert, verarbeitet unter Bedingungen, die man mit gutem Gewissen weder den Menschen noch dem Planeten zumuten kann.” Da denke ich weniger an Autos, eher an diese unnützen, die Landschaft und die Natur zerstörenden, die Menschen krank machenden ... Windräder. Insofern hätte er Recht. Den Rest seines Geschwafels sollte man eher der Rubrik unreflektiertes, ideologisches Geschwafel eines verwöhnten, in der Wolle tiefrot gefärbten Menschen zuordnen.

Frank Mora / 19.07.2017

Wer würde eine Zeile von J.A. goutieren oder veröffentlichen, wenn er nicht durch “anstrengungsloses Eigentum”, durch eine Erbschaft , Großeigentümer eines Verlages geworden wäre und gebettet auf die dreistellige Millionensumme ungestört seinem Hobby nachgehen könnte. Trifft tendenziell und mit Abstrichen auch auf seinen Schwager H.P. aus München zu, dessen Postille via eines ominösen Rechercheverbundes mit Zwangsgebühren am Leben erhalten wird.

Reiner Steppkes / 19.07.2017

Na, da bin ich aber froh, dass es nur Protestanten waren, die in Hamburg agierten. Schließlich bin ich katholisch getauft…

Peter Rosé / 19.07.2017

Wäre es nicht endlich an der Zeit, J. A. den Titel “Florence Foster Jenkins der deutschen Publizistik” zu verleihen?

Mario Bernkopf / 19.07.2017

Herr Augstein hat das typische Problem eines Sohnes, der weiß, daß er nie an seinen Vater heranreichen wird.

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