Markus Vahlefeld / 12.04.2016 / 06:29 / 1 / Seite ausdrucken

Der Wahnsinn ist ein Meister aus Deutschland

Jetzt, wo der deutsche Innenminister dank Schließung der Balkanroute wieder davon phantasieren darf, die Grenzen des Landes ganz weit aufzumachen, folgt in seinem Bühnenstück mit dem Titel „Der Irrsinn ist ein Meister aus Deutschland“ der nächste Akt. Nach „Härtere Gesetze“ und „Rigoros Abschieben“ kommt - es war nicht anders zu erwarten - der Teil, den man mit „Deutschsein heißt Auschwitz lieben“ überschreiben könnte.

In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, das zur Mediengruppe Madsack gehört und vor allem deutsche Regionalzeitungen bedient, teilte Innenminister Thomas de Maizière - an die Adresse der Neu-Bürger aus islamischen Ländern gerichtet - folgendes mit: „Jeder muss wissen, was in Auschwitz passiert ist.“ Das gehöre einfach zur deutschen Leitkultur. Und auch das Existenzrecht Israels sei zu akzeptieren.

Nun entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ein Land, das vor gar nicht so langer Zeit versucht hat, alle Juden auszurotten, sich nun damit brüstet, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Eine merkwürdige Sinneswandlung, die vielleicht für viele Neubürger mit streng antisemitischer Sozialisierung nicht ganz so schnell nachzuvollziehen ist. 

Dabei sind wir Deutschen im Nahen Osten doch so beliebt, weil kein anderes Volk sich mehr Mühe gegeben hat, das Judenproblem zu lösen als wir. Das wird uns hoch angerechnet und im Gegensatz zum Rest der westlichen Welt wird uns eben deswegen eine gute Portion Sympathiebonus gewährt. Wollen wir uns den jetzt verscherzen? Oder wollen wir ihn betonen? Noch ist das Ansinnen des Innenmisters nicht ganz eindeutig.

"Jeder muss wissen, was in Auschwitz passiert ist" - wie hat man sich das vorzustellen? In der ersten Woche Deutschkurs geht es um Subjekt, Prädikat, Objekt und die unregelmäßigen Verben; und in der zweiten Woche dann um die Gaskammern und die Weihnachtslieder der SS-Schergen in Auschwitz, Bergen-Belsen und anderswo? Kommen unsere Neubürger also als Facharbeiter und gehen als Geschichtslehrer?

Und wie werden unsere gutmütigen Deutschlehrer reagieren, wenn bei den unschönen Tatsachenbeschreibungen auf einmal spontan applaudiert und Bewunderung bekundet wird? Werden sie die Hände zur Mäßigung des Applauses erheben, insgeheim aber glücklich und zufrieden über so viel gelungene Integration sein? Oder werden sie die Applaudierenden direkt bei Anetta Kahane melden, die sie dann höchstpersönlich in die Türkei zurück bringt?

Bereits zum Beginn des Flüchtlings-Punks gab es eine wunderbar authentische Schilderung eines Refugee-Welcome-Engagierten, der mit einem befreundeten Flüchtling einen Ort im Havelland besuchte, in dem einige Tage vorher eine Sporthalle, die als Notunterkunft hätte dienen sollen, gebrannt hatte. In einer der Eckkneipen trafen sie auf junge Autochthone, die ganz offenkundig etwas gegen Ausländer hatten. Sie kamen ins Gespräch. Aus Höflichkeit wollte der aus dem Libanon stammende Flüchtling den anwesenden Deutschen ein Kompliment machen und sagte: „Seit ich klein bin, bewundere ich Deutschland. Ihr habt mit Hitler soviel Gutes gemacht und eure Fußballteams sind die besten der Welt."

Nach dem ersten Zusammenzucken bei der Erwähnung des Gottseibeiuns entspann sich eine angeregte Diskussion, bei der auf einmal die als Nazis verschrienen Deutschen das Hitler-Lob zurückwiesen. „Autobahnen klar, aber die Juden ..." „Ja, es war doch gut, dass er die Juden umbrachte!", strahlte Fayez — und dann begann der ganze Stammtisch wild zu diskutieren, wie man das denn nun jetzt sagen könne, und wie ein Ausländer Hitler gut finden könne, Hitler war doch gegen Ausländer — und die Verwirrung war groß.“ Es ist eine wirklich köstliche Szene, die sich kein Integrationsbeauftragter je besser ausdenken könnte.

Bekanntlich haben wir Deutschen ein Holocaust-Mahnmal, um das uns „andere Länder bereits beneiden“, so der Historiker Eberhard Jäckel in seiner Festrede am fünften Jahrestag des Mahnmals. Das war sicher etwas großspurig daher geplappert, aber im Kern schon richtig. Andere Länder beneiden uns, weil wir in unserem Judenwahn wirklich sehr weit gekommen sind, viel weiter als der Iran oder andere islamische Länder, die die Juden auch gerne ins Meer treiben würden. Diese Länder hätten auch gerne so ein Mahnmal, quasi als Abschluss ihres historischen Auftrags. Haben sie aber noch nicht. Also schauen sie voll Neid auf uns.

Zurück zu unseren Neubürgern, an die sich der deutsche Innenminister ja wendet. "Jeder muss wissen, was in Auschwitz passiert ist" - das führt natürlich zur nächsten Frage, mit welchem Gesichtsausdruck unser gutmütiger Deutschlehrer dieses Wissen denn vermitteln soll? Soll er sich dabei schämen und sich schuldig fühlen, seine Stimme senken und bedröppelt dreinschauen, vielleicht sogar eine heiße Träne vergießen? Man kann sich die tröstenden und aufmunternden Worte der Neubürger, dass das doch alles nicht so schlimm gewesen sei, sehr lebhaft vorstellen. Soll er dann auf seiner Traurigkeit als Teil der deutschen Staatsräson  bestehen oder soll er sich schütteln, herzhaft lachen und zu Goethe und Schiller übergehen? Fragen über Fragen.

Und was passiert, wenn die Neubürger dem gewöhnlichen Deutschlehrer auf die Schliche kommen und herausfinden, dass er das Existenzrecht Israels ja nur deswegen anerkenne, weil er sich schuldig fühlt? Ob er denn nicht wisse, dass Israel ein Unrechtsstaat sei, in dem Apartheid herrsche und die Palästinenser wie in einem KZ gehalten werden? Wie reagiert dann der arme Deutschlehrer: sagt er, dass Israel nur deswegen existiere, weil wir Deutschen den Juden so viel Leid angetan haben, nimmt er also neben der Schuld des Judenmords auch noch die Schuld der Palästinenser-KZs auf sich? 

Oder sagt er, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten sei und wer etwas anderes behaupte, kann ja wieder verschwinden? Der Verdacht, dass es dem armen Deutschlehrer leichter fiele, sich vor den Neubürgern in den Staub zu werfen und sein Haupt mit Asche zu bedecken, als mit Verve einen Rechtsstaat zu verteidigen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Welche der beiden Alternativen also integrationsförderlicher ist, müsste auch noch geklärt werden.

Oder aber die Deutschlehrer werden vom Innenminister höchstpersönlich instruiert, mit etwas Pathos in der Stimme und mit vor Stolz geschwellter Brust die Geschehnisse um Auschwitz darzustellen. Das macht gleich Eindruck, schafft Bewunderung und gleichzeitig auch eine gewisse Distanz, damit klar ist, wie wir Deutschen mit Menschen umgehen, die uns trotz bester Integration irgendwann nicht mehr genehm sind. Andererseits stünde es in einem eklatanten Widerspruch zu dem freundlichen Gesicht, das wir Deutschen par ordre du mufti zu zeigen angehalten sind. Dieser Vorschlag wird sicher keine Akzeptanz bei der Kanzlerin finden.

Am integrationsförderlichsten dürfte es wohl sein, wenn der Deutschlehrer mit leicht süffisantem Gesichtsausdruck augenzwinkernd die Geschehnisse um Auschwitz herunterreißt und dann mit strenger Mine auf die Rechtslage in Deutschland hinweist: Leugnung ist zwecklos, da justiziabel. Außerdem dürfe man den Deutschen den Holocaust nicht wegnehmen, da sonst kein Grund mehr bestünde, sich von so vielen Neubürgern beschenken zu lassen. Alles von Auschwitz zu wissen, ist also auch in deren ureigenstem Interesse.  Ja, so könnte es funktionieren.

Nachtrag: seit dem Ende des Weltkriegs hat Deutschland auf schamlose Weise seine moralische Überlegenheit und sein zweifelndes Selbstverständnis aus dem Holocaust gezogen. Dabei hat der deutsche Staat wirklich alles unternommen, um Ansprüche von Überlebenden abzuweisen. Wer den deutschen Sündenstolz für eine integre Seelenregung hält, der schaue sich diesen Link an

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Helmut Driesel / 12.04.2016

Niemand muss wissen, was in Auschwitz passiert ist. Insbesondere nicht unter schulisch belehrendem Zwang. Und zwar deshalb nicht, weil man nicht sagen kann, zu welchen Überzeugungen dieses Wissen nachfolgend führt. Es genügt, wenn jeder ganz allgemein verstanden hat, welche Möglichkeiten es gibt, auf existenzielle Bedrohung zu reagieren: Kampf, Flucht, Unterwerfung und Kollaboration, Pazifismus und passiver Widerstand, Leidensbereitschaft, Suizid. Die jüdischen Bürger im Einflussgebiet der damaligen deutschen Diktatur haben versucht, sich jeder für sich intellektuell aus der Bedrohungslage heraus zu reden. Auf Basis der christlichen Moral und Ethik. Das war ein großer Fehler. Es waren ja die 50 Millionen deutschen Christen, die es versäumten, den Rassenwahn als solchen rechtzeitig zu entlarven, zu belächeln, öffentlich unhaltbar zu machen, einer Therapie zuzuführen. Stattdessen luden sie die wahnhaft veranlagten Neurotiker ein, ihre irrationalen Reden zu halten, jubelten ihnen massenweise vom Straßenrand zu, machten sie zu Ehrenbürgern ihrer Städte, legten zuletzt ihr ganzes Leben und auch das ihrer Kinder in deren Hände. Was lässt sich daran heute zum Sündenstolz hochzüchten, Herr Vahlefeld?

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