News-Redaktion / 05.09.2019 / 16:54 / Foto: ZDF / 92 / Seite ausdrucken

Der ungarische Botschafter zum Wahrheitsgehalt des Merkel-Dokudramas

Am Mittwoch den 4. September sendete das ZDF ein sogenanntes Dokodrama über die Flüchtlingskrise und die Rolle von Angela Merkela: „Stunden der Entscheidung“. Inzwischen sah sich der ungarische Botschafter genötigt, zu dieser Sendung Stellung zu nehmen. Wir dokumentieren seinen Brief im Wortlaut.

Botschafter von Ungarn 

An Herrn 
Dr. Thomas Bellut, Intendant 
Zweites Deutsches Fernsehen 

CC: 
An Herrn 
Dr. Peter Frey, Chefredakteur 
Zweites Deutsches Fernsehen 

Berlin, den 4. September 2019 

Sehr geehrter Herr Intendant, 

das ZDF hat am 4. September 2019 zur Hauptsendezeit ein "Dokudrama" zu den Ereignissen von vor vier Jahren ausgestrahlt. Ohne Zweifel ist das Thema (nicht nur) in  Deutschland von besonderem öffentlichen Interesse. Unter Wahrung der geschriebenen und ungeschriebenen Regeln meines Berufes und der gebotenen Achtung für die deutschen Bürger und Politiker kommentiere ich die damit verbundenen internen Debatten nicht öffentlich. Ich verfolge sie lediglich und natürlich berichte ich darüber in angemessener Form an meine Hauptstadt. 

Nun gab es in dem erwähnten Film derart viele Elemente, die Objektivität und Tatsachen missen haben lassen, und in Form von „Einspielungen“ eine Reihe von Anspielungen auf mein Land und seinen mehrfach demokratisch gewählten Ministerpräsidenten, dass ich mich gezwungen sehe, darauf zu reagieren. 

Was die ethischen und moralischen Normen verletzenden Passagen und Andeutungen angeht, kann ich nur hoffen, dass die Autoren und Macher sie mit ihrem Gewissen vereinbaren können. 

Aber ich beschränke meine ins Traurige spielende Frustration auf die Tatsachen. Der „Mythos vom Budapester Ostbahnhof“ ist nicht neu. Die auch im Film immer wiederkehrende Behauptung, alles hätte hier und jetzt seinen Anfang genommen und wäre Quelle aller Probleme, läuft der schlichten geographischen Realität, den Bestimmungen des internationalen und europäischen Rechts und den Ereignissen vom Sommer und Herbst 2015 diametral entgegen. 

Der 4. September war einer von vielen Tagen in der seit Monaten andauernden Migrationskrise. Ich selbst hatte damals, noch als Ständiger Vertreter bei der EU in Brüssel, meinen Kollegen schon Wochen zuvor signalisiert, dass die Zahl der täglich eintreffenden illegalen Migranten bereits die zehntausender Marke überschreitet. Kenntnis und Verständnis der Situation belegt kaum etwas deutlicher als die Tatsache, dass das Bundesministerium des Innern am 19. August, zwei Wochen bevor sich der „Marsch der Hoffnung“ in Bewegung setzte, die Zahl der bis zum Jahresende erwarteten Zuwanderer auf 800.000, also auf das Doppelte der bis dahin geltenden Schätzung, korrigiert hatte. Es waren dann am Ende – wenn ich mich nicht irre – 890.000. Nicht unerwähnt lassen sollten wir auch den Tweet des BAMF vom 25. August über die Aussetzung der Anwendung der Dublin Verordnungen, der der Zuwanderung durchaus eine neue Dynamik verlieh. 

Auch sollte man die simple geographische Gegebenheit berücksichtigen, dass den Budapester Ostbahnhof mehr als 1000 km von der Außengrenze der EU und des Schengenraumes trennen. Beachten wir internationales Recht (Art. 31 der Genfer Konvention) oder europäisches Recht (Schengener Grenzkodex, Dubliner Verordnung) sind zwei Dinge festzuhalten: Die illegalen Einwanderer sind auf ihrem Weg durch nicht weniger als fünf oder sechs Staaten gezogen, in denen ihr Leben nicht in Gefahr war, sie also keine Flüchtlinge mehr waren. Zudem ignorierten sie bewusst alle Dubliner und Schengener Regelungen, denn ihnen war klar, wohin sie wollten. 

Ungarn hat mit der Entscheidung europäische Regelungen durchzusetzen große materielle, politische und moralische Risiken auf sich genommen. Wir haben weder Dank noch Anerkennung erwartet, dafür wurden uns täglich unbegründete Kritik und moralische Belehrungen zuteil. Seitdem sind vier Jahre vergangen, die Dinge haben sich langsam wieder in Richtung der Einhaltung von Recht und Ordnung bewegt, schrittweise gelingt es uns Ordnung und Humanität miteinander in Einklang zu bringen, doch die realitätsfremde, und von Fall zu Fall an Ehrverletzung grenzende Propaganda hört nicht auf. 

Jedenfalls kann ich nur erneut und immer wieder anbieten, dass ich dem ZDF und anderen öffentlich-rechtlichen oder privaten Medien bei Interesse an den Tatsachen oder dem ungarischen Standpunkt jederzeit bereitwillig zur Verfügung stehe. Es wäre an der Zeit statt Schmutzkampagnen und Fiktionen, die die geografische Realität außer Acht lassen und als Wahrheit präsentieren, die Fakten gewähren zu lassen. 

Mein beruflicher Werdegang hat es mit sich gebracht, dass ich die Ereignisse sowohl 1989 (damals als für die DDR zuständiger Referent des ungarischen Außenministeriums) als auch im Sommer und Herbst 2015 (zunächst als ständiger Vertreter bei der EU, dann ab Oktober 2015 als Botschafter in Berlin) aus unmittelbarer Nähe verfolgen konnte. Den ersten Stein aus der Mauer, die das eigene Volk eingeschlossen hielt, haben die Ungarn herausgeschlagen. 2015 hat sich Ungarn für die Einhaltung und Durchsetzung europäischen Rechts und für den Schutz der Lebensform und des Wirtschaftsmodells, die die Grundlage der EU bilden, und des durch Schengen geschützten Binnenmarktes eingesetzt, und den illegalen Zustrom über die grüne Grenze gestoppt. 

Grundlage und ein natürlicher Zug unseres gemeinsamen Daseins und unserer Zusammenarbeit ist, dass wir die Welt in manchen Fällen aus anderem Blickwinkel und durch andere Sichtweise betrachten. Situationen wie diese zu klären gelingt jedoch nur auf der Basis von Respekt für unser Gegenüber und für die Tatsachen. Der von Ihnen gezeigte Film tut keinem dieser Kriterien Genüge. 

Mit freundlichen Grüssen 

Dr. Péter Györkös

 

Foto: ZDF

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Leserpost

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Christiana Hofmann / 05.09.2019

Wie überaus peinlich. In mehrfacher Hinsicht. Ich hoffe sehr, dass die Merkelära endlich ein Ende findet.

Werner Arning / 05.09.2019

Wie peinlich für uns Deutsche. Wie entlarvend für unsere Medien. Wie anklagend in Bezug auf unsere Politiker. Ich habe den Film nicht gesehen. Propaganda-Fernsehen habe ich seinerzeit vom Fernseher meiner Schwester, die nahe der Grenze zur DDR lebte, aus angesehen. Ich fand es interessant. Heute brauche ich es nicht mehr. Die Vorgehensweise habe ich noch von damals gut in Erinnerung. So vermeide ich lieber bestimmte Sendungen. Man ahnt den Inhalt im Voraus. Danke für die klaren Worte, Herr Botschafter. Hilfe kann wohl nur noch von außen kommen.

Marc Blenk / 05.09.2019

Liebe Redaktion, an dieser Stelle meinen Dank an das ungarische Volk und seine Politik. Wir haben ihm so viel zu verdanken. Was sich das ZDF zum wiederholten Male hier an Politoperette geleistet hat, ist unsäglich. Regierung und ZDF gehen im gleichen Schritt und Tritt, dass ich nur die Hoffnung hegen kann, dass dieser Framing - Club finanziell und organisatorisch bald gestutzt wird. Statt Parteien, Kirchen und Verbände haben die Bürger über die ÖR die Kontrolle zu erhalten.

W. Schulze / 05.09.2019

Dieses ganze Deutschland mit den Akteuren seiner Regierung, den meisten seiner Politiker, vielen Bundesämtern und allen seinen öffentlich rechtlichen Medien ist nicht nur unendlich peinlich sondern auf dem direkten Weg in die Diktatur. Allerdings mit einem ellenlangen Schwanz von Lemmingen, die sich kollektiv dem Untergang verschworen zu haben scheinen. Ich schäme mich angesichts der Ausstrahlung dieses Propagandafilms für mein Land und möchte das auch dem ungarischen Botschafter sagen. Hier will ich eigentlich nur noch weg!

Harald Hotz / 05.09.2019

Nachdem bereits Tage zuvor die Werbetrommel gerührt wurde bis zum Quietschen habe ich mir dieses Propagandamachwerk erspart. Noch vor 10 Jahren wäre es völlig undenkbar gewesen, daß im öffentlich rechtlichen Fernsehen ein derartiger Film im Stil von “Triumpf des Willens” ausgestrahlt werden könnte ?! Was ist aus dieser Republik nur geworden?! 70% SED, 30 % AFD und solange das so bleibt ist angeblich alles bestens ?! Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Wer gerne Volksmusik hört und/oder auf dem Land lebt ist noch lange nicht blöd, vielleicht entspannt er ja einfach bei belangloser Musik mit belanglos heiteren Texten nur vom unerträglichen Gesülze der SED-Politiker. Man fragt sich schon: Gibt es eigentlich in den etablierten Parteien keinen mehr mit Haltung, niemanden der mal auf den Tisch haut und sagt, er lasse sich nicht mehr gleichschalten und zum Klatschhasen degradieren?

P. Werner Lange / 05.09.2019

Manche Lügen sind unverzichtbare Grundlagen des gesamten Propagandasystems (z.B. “Die größte Gefahr im Nahen Osten geht von Israel aus” oder “Die AfD ist eine rechtsextremistische Partei” usw.) Die bis heute andauernde (täglich erreichen noch immer bis zu 500 illegale Migranten Deutschland) Lüge von der humanitären Geste angesichts menschlicher Not gehört dazu.

Georg Thielemann / 05.09.2019

Meine Hochachtung Herr Botschafter, der Untertitel der Sendung lautet in der ZDF Mediathek: “Falsche Hoffnungen und dreiste Lügen” Das kann man auf verschiedene Weise verstehen. Die dreisten Lügen sehe ich auf der Seite der deutschen Regierung. Die falschen Hoffnungen ebenfalls. Beste Grüße!

Heinz Becker / 05.09.2019

Vielen Dank fuer die klare Ansage an die Dreckschleudern vom Lerchesberg, Herr Botschafter. Normalerweise muesste der Vertreter des Merkel-Regimes in Budapest ins Aussenministerium einbestellt oder gleich ausgewiesen werden. Ich kann nur jedem Achgut-Leser empfehlen, in diesem schoenen Land Ungarn einmal seinen Urlaub zu verbringen oder gleich ganz dorthin ueberzusiedeln. Getreu der Devise: Rette sich, wer kann! PS: Vielen Dank an die Redaktion von Achgut fuer den Abdruck dieser Klatsche fuer die Mainzer Luegenbande.

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