Ahmet Refii Dener / 28.04.2025 / 16:00 / Foto: Montage achgut.com / 32 / Seite ausdrucken

Der Umweg über Deutschland – Wie das Kopftuch seinen Weg zurückfand

Es ist eine bittere Ironie: Ausgerechnet in Deutschland, das sich einst Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung auf die Fahnen schrieb, formieren sich Verteidigerinnen eines Symbols, das genau diese Werte untergräbt.

Die Rede ist vom Kopftuch – und von jenen, die es zur feministischen Errungenschaft verklären. Was viele dieser Kämpferinnen nicht verstehen – oder nicht verstehen wollen – ist die politische Dimension des Kopftuchs. Es war nie nur ein Stück Stoff. In weiten Teilen der Welt ist es ein Machtinstrument: aufgezwungen, kontrolliert, durchgesetzt.

Das Kopftuch als Befehl, nicht als Bekenntnis

Im politischen Islam ist es nicht Ausdruck individueller Frömmigkeit, sondern sichtbares Zeichen kollektiver Unterwerfung. Und dass ausgerechnet Deutschland – mit seiner gut organisierten, oft geschützten muslimischen Diaspora – zum Verstärker dieser Dynamik wurde, ist mehr als nur ein historischer Zufall.

Ein europäischer Export der Rückschrittlichkeit

Gerade die Türkei zeigt, wie solche Prozesse sich entfalten: Die religiös-konservative Wende ab den 1980er Jahren wurde nicht zuletzt durch Impulse aus Europa beschleunigt – insbesondere aus Deutschland. Hier lebte nicht nur die zahlenmäßig größte türkisch-muslimische Community Europas, hier fanden islamistische Bewegungen früh akademische Schutzräume, mediale Plattformen und staatliche Fördermittel.

Die neue deutsche Naivität

In Talkshows, Stiftungen und Universitäten wurde das Kopftuch zur kulturellen Identitätshülle verklärt – fern jeder historischen Realität und oft in erstaunlicher Ignoranz gegenüber den Stimmen von Exil-Iranerinnen, säkularen Türkinnen oder afghanischen Frauen, die genau davor warnten.

Von der Toleranz zur Mittäterschaft

Die neuen Islamversteher – oftmals Frauen – ob aus falsch verstandener Toleranz oder ideologischer Verblendung, wurden so zu unfreiwilligen Multiplikatorinnen eines Systems, das Frauen systematisch auf ihre Rolle als sittsame Trägerinnen religiöser Ideologie reduziert.

Ein Sommerbild sagt mehr als tausend Worte

Besonders sichtbar wurde dieser Wandel in den frühen 1990er Jahren: Wer damals im Sommer in die Türkei flog, konnte im Flieger beobachten, wie sich das Bild veränderte – plötzlich trugen auffallend viele junge wie ältere Frauen aus Deutschland Kopftücher. Ein Bild, das es in dieser Dichte vorher nicht gegeben hatte und in der Türkei schon gar nicht.

In der Türkei sagten die Menschen mit Fingerzeig: „Schau, wieder Almancı!“ – Deutschländer. Denn diese Kopftücher waren fest geschnürt und auffällig für das damalige Straßenbild. Viele machten mit – in einem Land, in dem „Was sollen die Nachbarn denken?“ mehr zählt als jede innere Überzeugung.

Ältere Frauen nutzten das Tuch in der Türkei einst noch praktisch: locker gebunden, jederzeit abnehmbar, auf dem Land eher traditionell – nicht religiös begründet, sondern gewohnt.

Haube unter dem Tuch – Kontrolle in zwei Lagen

Mit Organisationen wie Milli Görüş – damals in Köln, heute europaweit vernetzt – begann eine neue Etappe: Unterwerfung wurde systematisiert. Recep Tayyip Erdoğan stammt ebenfalls aus dieser Schule.

Es blieb nicht beim Kopftuch. Darunter kam ein weiteres Kleidungsstück zum Einsatz – das sogenannte bonnet, auf Deutsch: Haube. Eine textile Doppelschicht gegen jede Haarsträhne. Sicher ist sicher.

Parallel dazu wurden Bärte bei Männern Mode. Ich erinnere mich an die Hochzeit meines Cousins, die im Militärcasino stattfinden sollte. Ich wurde nicht eingelassen – mein Dreitagebart galt als Regelverstoß auf militärischem Gelände. Man drückte mir Rasierzeug in die Hand. Aus Trotz blieb ich fern. Das war 1995. 

Der Widerspruch in Lack und Farbe

Ironisch ist: Die gleichen Frauen, die sich angeblich vor männlichen Blicken schützen wollen, treten gleichzeitig mit lackierten Nägeln, figurbetonter Kleidung und aufwendiger Kosmetik auf.

In Istanbul – etwa in bestimmten schicken Cafés am Bosporus – geben sich Kopftuchträgerinnen ein Stelldichein, als ginge es darum, wer mehr Blicke auf sich zieht. Ich kam beim Frühstück gar nicht mehr zum Essen – so sehr wurde ich zum Gaffer wider Willen. So viele hübsche Frauen. So viele Kopftücher. Der Widerspruch war nicht zu übersehen.

Mit Religion hat das nichts zu tun. Es geht um Kontrolle. Um ein System. Und um ein Frauenbild, das seine Freiheit selbst bemäntelt.

Freiwillig? Vielleicht. Informiert? Kaum.

Natürlich – einige tragen das Kopftuch freiwillig. Doch freiwillig heißt nicht informiert. Viele glauben, es müsse so sein – weil sie es nicht anders kennen. Wer es infrage stellt, wird schnell als unsensibel, intolerant oder gleich rassistisch abgestempelt.

Auch dieser Text hier wird manchen aufstoßen – nicht etwa wegen seiner Inhalte, sondern weil sie der Realität zu nah kommen. Ich erinnere mich an eine Szene in Berlin: Eine junge Türkin trug sexy Latschen, die Nägel knallrot lackiert – und ich fragte sie auf Türkisch, halb im Spaß: „Glauben Sie, das geht im Islam?“ Die Röte stieg ihr ins Gesicht. Keine Widerrede. Nur Schweigen. Vielleicht Erkennen. Wenn ihr Mann, der Vater oder die Brüder dabei gewesen wären, hätte man mich sicher im Krankenhaus besuchen können. 

Deutschlands gefährliche Rolle

Dabei wäre eine ehrlichere Frage: Um wie viele Jahre hätte sich der politische Islam in der Türkei verzögert, wenn Deutschland nicht so bereitwillig als ideologischer Resonanzraum fungiert hätte?

Die Millionen, die das Schweigen kaufen

Das eigentlich Erschütternde: Die Organisationen, die man in einem laizistischen, freiheitlichen Staat kritisch hinterfragen – ja, verbieten – müsste, erhalten hierzulande Millionenbeträge an staatlicher Förderung.

Wer glaubt, Deutschland stelle sich gegen den politischen Islam, verkennt die Realität. Deutschland ist längst keine Bastion gegen islamistische Ideologie – wenn es das je war. Es ist ihr Rückzugsraum.

  • Freiheit beginnt nicht mit dem Tuch – sie beginnt ohne Zwang
  • Denn Freiheit heißt nicht, dass man das Kopftuch tragen darf.
  • Freiheit beginnt erst dort, wo man es nicht mehr muss.

 

Ahmet Refii Dener, Türkei-Kenner, Unternehmensberater, Jugend-Coach aus Unterfranken, der gegen betreutes Denken ist und deshalb bei Achgut.com schreibt. Mehr von ihm finden Sie auf seiner Facebookseite und bei Instagram.

Foto: Montage achgut.com

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L. Luhmann / 28.04.2025

“In weiten Teilen der Welt ist es ein Machtinstrument: aufgezwungen, kontrolliert, durchgesetzt.”—- Das ist eine typisch westliche Sichtweise. Soweit ich weiß, sind Muselmaninnen im Großen und Ganzen sehr stolz auf ihre Rolle - und zwar mit allem Drum und Dran!

Isabella Martini / 28.04.2025

Ich finde diese Kopftücher einfach nur schauderhaft.  Aber es geht ja noch schlimmer. Letztes Jahr sah ich im Schwimmbad ein Mädchen von ungefähr 9 Jahren mit einem Ganzkörper Burkini. Nur die vordere Gesichtspartie, die Hände und Füße waren noch zu sehen. Was muss in dem Kind vorgegangen sein, das ausschließlich von anderen Kindern umgeben war die Badehosen, Badeanzüge und Bikinis trugen?

Rolf Mainz / 28.04.2025

Der Autor hat völlig Recht. Nur: dass Deutschland derart zu dieser Fehlentwicklung beitrug und beiträgt, liegt zum Teil auch daran, dass insbesondere aus den rückständigen Regionen der Türkei (in Sachen Bildung, wirtschaftlich und religiös) nach Deutschland ausgewandert wurde. Sicher war dies den türkischen Herrschern gar nicht unlieb, konnte doch so Deutschland als erzkonservativer islamischer Brückenkopf in Westeuropa auf- und ausgebaut werden. So wurde Entwicklungshilfe in der Türkei gespart und gleichzeitig Einfluss in Westeuropa verfestigt - perfekt. Und so zählen heute die “Deutsch-Türken” zu den glühendsten Verfechtern Erdogans und tragen über Fertilität und laufende Einfuhr von streng islamischen Bräuten zur religiös-politischen Landnahme sowohl in osmanischem wie islamischem Interesse bei. Mission erfüllt.

P. Krämer / 28.04.2025

Das von Ihnen beschriebene sogenannte bonnet, die textile Doppelschicht gegen jede Haarsträhne, gehört in meiner Kleinstadt längst zum Alltag. Das noch vor einigen Jahren hier eher seltene Kopftuch genügt nicht mehr, um das “anders sein” muslimischer Frauen auszudrücken. Vermutlich werden bald bei diesen Personen offene Haare überhaupt nicht mehr zu sehen sein und auch die Männer dürften ihre “Mode” anpassen.

Boris Kotchoubey / 28.04.2025

Das ist keine Ironie, sondern das längst bekannte Paradox der Freiheit. Für die Freiheitsfeinde ist die Freiheit willkommen, denn sie macht den Weg frei, unfrei zu leben und andere zu versklaven. Noch im Mittelalter verstand ein Lokalfürst die Freiheit als die Möglichkeit, die Felder seiner Bauern zu vernichten und jeden Tag ein neues Mädchen in sein Bett ziehen; er war empört, wenn ein “tyrannischer” König oder Kaiser versuchte, ihn dieser Freiheiten zu berauben. Aber man muss nicht ins finstere Mittelalter schauen. 2020-22 bestand die universitäre Freiheit etwa in der Schweiz darin, drastische antiepidemische Maßnahmen auf ihrem Gelände aufzuhängen, die vom Staat bzw Kanton gar nicht erforderlich waren. Heute erleben die Universitäten v.a in den USA und in Berlin ihre Freiheit von sozialen Druck darin, dass man dort frei und straflos zur Vergasung aller Juden aufrufen darf. Soweit zum Freiheitsbegriff.

Jochen Lindt / 28.04.2025

Ich denke auch die Gentrifizierung deutscher Großstädte spielt hier eine Rolle.  Wo früher “Türken” (damals Sammelbegriff für Muslime), wohnten, macht sich heute eine snobistische grüne Elite breit. Hamburg Ottensen und Sternschanze etwa sind auf bestem Weg zu exklusiven Reichenvierteln, vorher waren das klassische Arbeiter-und-Türkenquartiere.  Kopftücher gab es damals natürlich auch, aber es trugen nur ältere Frauen.  Insgesamt wurden die Leute (nicht nur Muslime),  aus ihren Vierteln verdrängt von Menschen, die so taten als wären sie ihre Freunde. Waren sie aber nie.  Das Kopftuch gehört insofern auch zur Gegenreaktion. Ebenso wie der biodeutsche Arbeiter, der AfD wählt.

Peter Holschke / 28.04.2025

Auf YouTube findet man das Video “Als arabische Muslime noch über die Vorstellung eines Kopftuches lachten”. Eine Rede von Nasser. Da staunst du!

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