Quentin Quencher / 06.12.2015 / 12:00 / 0 / Seite ausdrucken

Der Twitterer

Der Twitterer hat einen großen Schnabel, diesen reißt er bei jeder Gelegenheit weit auf, so wie das Küken im Nest, wenn sich einer der Elternvögel nähert. Es gibt Futter, einen Wurm vielleicht, oder Vorverdautes aus dem Kropf. Er muss schnell reagieren, der Erfolg im Augenblick ist wichtig, setzt er sich jetzt nicht durch, ist die Chance auf Futter vertan. Alle Strategie, jede Positionierung, ist nur auf den Augenblick ausgerichtet in dem der Twitterer die Chance auf Aufmerksamkeit bekommt. Der Elternvogel kann immer nur einen füttern, wenn er sich jetzt nicht bemerkbar macht, dann geht er leer aus.

Sein Nest sind die Talkshows der Republik. Dort sitzt er zusammen mit anderen Twitterern und ein Moderator verteilt seine Gunst in Form vom Redezeit. Diese ist immer zu kurz, der Twitterer muss alles was er sagen möchte auf zwei oder drei Sätze verdichten, genau so wie beim gleichnamigen Kurznachrichtendienst. Manchmal bekommt er Vorverdautes aus dem Kropf des Moderators angeboten, Friedman macht das besonders gern, dann wird es schwierig die eigene Botschaft unterzubringen. Falls er das Futter nicht annimmt, bekommt er die Aufmerksamkeit entzogen. Dann muss er besonders schnell, in nur wenigen Worten, seine Botschaft vortragen, bevor ihm der Moderator das Wort abschneiden kann und sich einem anderen Twitterer zuwendet.

Manchmal hat er Glück und ist im Nest allein, keine weitere Twitterer sind eingeladen. Eigentlich hätte er jetzt die Zeit und die Aufmerksamkeit ganz für sich, etwa bei Frank A. Meyer oder Michael Hirz, doch er hat es verlernt einen Standpunkt herzuleiten, sofort wie die Lichter im Studio angehen, die Kamera läuft, befindet er sich im Aufmerksamkeitserheischungsmodus und reiht eine verdichtete Aussage an die andere. Es ist die Natur des Twitteres, dass er den Schnabel weit aufreißen muss.

Es gibt Vögel die zwitschern und welche die singen. Die die singen, haben was zu erzählen, doch diese haben in einer Runde mit Twitterern nichts verloren. Selbst wenn sie dort zu Wort kommen, es bleibt nie genug Zeit für eine Geschichte. Die anderen Twitterer fallen ihnen ins Wort, wenn es der Moderator nicht tut. Dabei haben die anderen gar nicht zugehört was der Singvogel erzählt, sondern nur auf eine Gelegenheit gewartet mit weit aufgerissenen Schnabel die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Twitterer weiß im Nachhinein nie was ein anderer erzählt hat, seine ganze Aufmerksamkeit gilt nur dem Augenblick der Chance. Jetzt darf er etwas sagen, ein paar Sekunden hat er Zeit, und wenn es ihm gelingt den Moderator zu beeindrucken, dann kann er noch einen Satz anfügen.

Der Moderator aber, vielleicht sein ganzes Team, ergötzen sich an diesem unwürdigen Schauspiel welches die Twitterer abliefern. Herrlich wie weit die den Schnabel aufreißen können, nur um einen kleinen Augenblick der Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Am nächsten Tag kann man dann in der Zeitung lesen wer den Schnabel am weitesten aufgerissen hat, dieser wird als Sieger gekürt. Was gesagt wurde haben alle vergessen, dies hat nie wirklich jemanden interessiert.


Auch erschienen auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser

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