Felix Perrefort / 24.07.2020 / 14:00 / Foto: achgut.com / 14 / Seite ausdrucken

Der Tunnel ins Jahr 2020

In der sehenswerten deutschen Netflix-Serie „Dark“ gibt es, in einer Höhle verborgen, einen Tunnel mit einem Wurmloch, durch den man aus dem Jahr 2019 zurück in das Jahr 1986 reisen kann. In einer Szene begleitet die Kamera Jonas, eine der Hauptfiguren, der auf diese Weise in die Vergangenheit zurückgereist ist, beim irritierten Entdecken dieser für ihn neuen Welt: Während im Hintergrund der Achtziger-Klassiker I Ran (So Far Away) von A Flock Of Seagulls spielt, läuft er über den Schulhof des kleinen Kaffs Winden, sieht Schüler mit Skateboards, Achtzigerfrisuren und -kleidung, bis er auf ein Mädchen trifft, das den Song auf ihrem Walkman hört. Ungläubig ob seiner Eindrücke fragt er sie nach dem Jahr, in dem sie sich befinden. 

Nun müssen es nicht sofort 33 Jahre sein, in denen sich eine Menge verändert. 

Angenommen, Jonas kehrte nicht gleich wieder um, sondern verbliebe noch zwölf Monate, aber nicht in Winden, sondern in West-Berlin: Sicher hätte er eine gute Zeit im Far Out, im Big Eden oder im Sound, in Clubs, die damals noch Discotheken hießen und von so legendärem Ruf waren, dass sie Ende der Siebzieger selbst einen wie David Bowie in die Hauptstadt lockten. Nach einer durchtanzten Nacht würde sich Jonas statt seiner gelben 2019er-Funktionsjacke seine Stoned-Washed-Jeansjacke umhängen, um sich für ein ausgedehntes Katerfrühstück in Richtung Schwarzes Café aufzumachen.

Im Walkman hätte er Bizarre Love Triangle von New Order, in der Jackentasche eine Packung Marlboro (die gerade mit einem großartig kitschigen Werbespot nach dem „Abenteuer Team 87“ suchten) und in der Hand einen anarchisch-liebevollen Comic von Édika, anhand dessen Anachronismus man heutzutage erkennen könnte, welch humorloses Neo-Spießertum sich in den letzten Jahren zur kulturellen Hegemonie aufgeschwungen hat. Derart gut gelaunt, säße er rauchend auf der Toilette, ohne dass sich daran jemand störte, würde sich anschließend die Hände waschen und dabei in den Spiegel blicken, zufrieden mit sich und dem Leben, die Tür öffnen und gedankenverloren hinaus in ein zweites Wurmloch treten.

Psychiatrie, Ausgangssperre, Altenisolation 

Wie man sich fühlen würde, derart abrupt aus den Achtzigern ins Jahr 2020 geworfen zu werden – wenn die Leute um einen herum plötzlich Masken und Tücher tragen, und das auch noch im Hochsommer, aber sich auch noch in anderer Hinsicht äußerst merkwürdig verhalten? Was sich ein Zeitreisender bei solchen Meldungen wohl denken würde? 

„Fremde Autos werden mit Steinen beworfen, der Lack zerkratzt, Menschen bei der Polizei angeschwärzt: Auf den Ostseeinseln spitzt sich die Lage für vermeintliche Touristen und Auswärtige zu. Die Angst vor dem Corona-Virus treibt die Anwohner zu immer drastischeren Aktionen.“ (5. April, rtl.de); „Wer in Sachsen in Quarantäne muss und sich nicht daran hält, muss nun mit harten Strafen rechnen. Das Bundesland hat knapp zwei Dutzend Zimmer in psychiatrischen Kliniken freigeräumt, in denen Unbelehrbare von der Polizei bewacht werden sollen.“ (10. April, welt.de„Regierender Bürgermeister Müller droht Berlin mit Ausgangssperre“ (18. März), „Vor Corona gab es in einem Alten- und Pflegeheim in der Nähe von Heidelberg regelmäßig Modenschauen, Bastelstunden und Ausflüge. Seit März werden alte Menschen von der Welt und voneinander abgeschottet.“ (5. Juli, deutschlandfunkkultur.de)

Sollte er Passanten fragen, was denn nur passiert sei, würde er erfahren, dass eine neue Variante innerhalb der Familie der Coronaviren entdeckt worden sei. Das Virus habe eine grippeähnliche Letalität von unter 1 Prozent, löse grippeähnliche Symptome aus, übertrage sich grippeähnlich über Tröpfcheninfektion und kann grippeähnlich eine Pneumonie auslösen, die bei manchen tödlich endet. Es sei darüber hinaus auch schon in anderen Organen gefunden worden, man habe keinen Impfstoff, hier und dort seien ungewöhnliche Symptome zu beobachten. Außerdem wären in manchen Ländern und bestimmten Regionen sehr hohe Sterblichkeitsraten zu beklagen gewesen. 

Und deshalb, würde 80's-Jonas einen Passanten fragen, habt ihr improvisierte Masken auf, die ihr euch in die Hosentaschen knüllt, nachdem ihr aus der verschwitzten U-Bahn aussteigt? Oder wenn ihr vom Toilettengang zu eurem Platz im Restaurant zurückkommt? – Ja. – Daher studiert ihr nicht im Hörsaal und Seminarraum, sondern vom PC aus? – Ja. – Und dürft auch nicht ins Theater, in die Oper und lasst die Festivals ausfallen? – Ja. – Aha. – Nun, die Regierung sorgt auf diese Weise dafür, dass es keine zweite Welle gibt. Wir retten so viele Menschenleben. – Achso. 

Opfer bringen bis zum Impfstoff 

Junger Mann, wir stehen hier so gut da, weil Merkel, Spahn, Drosten und das RKI uns mit Augenmaß durch die Krise geführt haben, andere Länder sind viel schlechter weggekommen und haben viel härter durchgegriffen. Und nicht vergessen: Man kann Leute schon infizieren, wenn man noch symptomfrei ist. Man muss doch auch an die Alten und Schwachen denken. – Okay, ich frag ja nur. Was macht ihr eigentlich mit denen? – Ja, das ist schwierig gerade. Die trennen wir von ihren Enkeln, besuchen sie nur selten. Wir isolieren sie in den Pflege- und Altenheimen, was sollen wir denn sonst machen? – Ja, aber vereinsamen sie da nicht? – Nun, wir halten sie eben am Leben. Und sie haben doch auch noch die Pfleger. – Klingt irgendwie nach dem „nackten Leben“, von dem ich mal bei Agamben gehört habe? Was ist denn mit Depressionen und Vereinsamung, können die nicht auch tödlich enden? – Hör' mal, Freundchen, es sind für uns gerade alle schwere Zeiten, wir alle bringen Opfer, müssen eben noch ein bisschen durchhalten. Das Virus kann nun einmal überall sein, man weiß doch noch so wenig, symptomlose Übertragung, Langzeitschäden ... das alles ist doch noch gar nicht erforscht?! 

Ja, ich verstehe schon, allzu menschlich, allzu menschlich. Aber was ich mich schon frage: Wann wollt ihr denn wieder eure Verwandten besuchen, die Alten wieder ihren Besuch empfangen lassen, euer kulturelles Leben wieder aufnehmen? Nicht mit keimigen Tüchern vor dem Mund herumlaufen? Wann wollt ihr denn wieder normal leben? – Wenn von Anfang an entschieden durchgegriffen worden wäre und wenn sich nicht so viele so unverantwortlich verhalten hätten, dann wäre das Virus längst besiegt. Nun müssen wir eben bis zum Impfstoff warten. Und die alte Normalität, wollen wir dahin wirklich zurück? – Verstehe, na dann mal viel Erfolg mit dem Impfstoff. Ich suche mir lieber den Weg zurück. – Was willst du denn in den Achtzigern? – Hm, einen Roman schreiben. Mal schauen. Was Dystopisches vielleicht.  

Foto: achgut.com

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Richard Loewe / 24.07.2020

um ganz ehrlich zu sein: wenn ich nicht den 2. Verfassungszusatz haette, waere ich schon bekloppt geworden. Der dumme Mob beherrscht das Leben. Heute morgen habe ich mit einem Waffenschmied in Georgia telephoniert und der sagte mir, dass er kaum Material von den Herstellern bekommt, da die alle drei Schichten fahren und alle selbst verbauen, weil alle Vernuenftigen im Lande sich seit 5 Monaten mit allem eindecken, was einen Abzug hat. Das Wurmloch, das es (noch) gibt, ist die Flucht nach Amerika.

Peter Sieve / 24.07.2020

Vielen Dank, Herr Perrefort, für diese anschauliche Beschreibung meines aktuellen Lebensgefühl. Leider gibt es hier kein Wurmloch und auch sonst keinen Ausweg. Vielleicht sollte ich anfangen, Franz Kafka zu lesen.

J.G.R. Benthien / 24.07.2020

Das würde alles NICHT passieren, denn am Ausgang des Wurmlochs würde die »Party-Szene« mit »jungen Männern« warten, die dem guten Jonas mit Teppichmessern das Gesicht zerschneiden und von der Polizei wieder nach Haus geschickt werden würden. Nur Jonas, der würde hilflos verbluten. Macht aber nichts, denn die Verbrecher-Diktatorin Merkel findet das alles so toll, dass sie das Wurmloch konfiszieren lässt, um noch mehr Messerstecher, Vergewaltiger, Antänzer, Clan-Mitglieder, Drogendealer, Partymacher und sonstige Kriminelle ins Land holen zu können.

Arthur Sonnenschein / 24.07.2020

Ein junger Mensch, der in die Achtziger reist, würde zunächst feststellen, dass es so gut wie keine Skater gab. Die waren nämlich grösstenteils in den Ballungszentren zu finden, wo sich die kommenden Wellen der amerikanischen Massenkultur erst ankündigten. Freier Zugang zu kulturellen Erzeugnissen von gottweisswo über das Netz, Information und Kontakt zu Freunden und Bekannten in Echtzeit, Mobiltelefone: Fehlanzeige. 1986 war ‚I ran‘ von Flock of Seagulls schon 4 Jahre her, von den meisten komplett vergessen oder gar nicht bekannt, MTV gab‘s in Deutschland noch nicht. Im Prinzip waren viele der heute zurecht als 80iger gefeierten Erzeugnisse der Kreativbranche für die Mehrheit komplett ausser Sichtweite und galten den meisten nichts. Stattdessen: Europe, Status Quo, Elton John, die schlimme Phase von Queen und Bruce and Bongo. Die gesellschaftlichen Positionen waren verstopft von der Generation darüber, den Jahrgängen von 1950 bis 1965, die allen rund um die Uhr mit ihrem linken Gesülze über die ach so tollen 60iger auf den Zeiger gingen. Die 30 Jahre nach 1986 waren ohne Zweifel trotzdem die Goldgräberphase in vielerlei Hinsicht, ein weltgeschichtlich beispielloser Aufschwung, der einfach passierte und von wenigen, aber kreativen Köpfen jenseits von Vorbehalten und Zwängen gestaltet wurde. Jetzt machen sich die 15jährigen von damals mit ihren älteren Geschwistern daran, alles abzureissen. Man stand der Welt und den meisten ihrer Angebote immer skeptisch gegenüber und mit dem Alter schwindet die Zukunft, an die die meisten eh niemals glaubten. Lasst sie alle untergehen.

Johannes Schuster / 24.07.2020

Das ist das Überübermorgen - Land, nach dem Atomkrieg, das ist MAD MAX. Captain Walker wird uns alle dahinbringen. Aber Leute hier in BATERTOWN wo eine aufgedunsene Variante von Master Blaster die Menschen tyrannisiert, waren nicht die 80er die Zeit in der alle die Dystopien anbeteten, die heute als Thema herhalten. Atomkriege, Klimatod (Terra Titanic), das alles ist aus den 80ern, es ist bloß mutiert. HIIIIIIILLLLLLLFFFFFEEEE überall Mutanten ?!!!!!!  Aber ich würde gerne noch mal zurück ins Jahr 1986 - 87. Noch einmal ganz normal Kaffee trinken, noch einmal für 1,80 DM (jawohl, ich will die Mark zurück !!!) ne Pommes reinpfeifen. Fettig mit Nitrosamine und Cholesterin. Und ich würde noch ein verstorbene Menschen besuchen, die ich vermisse und würde noch einmal die Luft riechen, die mir noch verhieß, daß Kritik zum schreiben und die Bejahung fürs Leben der Tag ist. Noch einmal Frieden im kalten Krieg, noch einmal Freiheit in Besatzung UND noch einmal das Bewußtsein, daß die Mauer da steht und ich weiß, sie, diese eine, die ich meine, ist dahinter und Reagan segne die NATO. Danke für die Steilvorlage, jetzt bin ich sentimental traurig und werde wieder depressiv in diesem falschen Jahr 2020.

RMPetersen / 24.07.2020

Guter Artikel. Bin beeindruckt, Herr Perrefort. Schön, dass die Achse solche Talente hat. Solche Artikel verhindern, dass ich bei den Blick auf die Medienlandschaft in Depression versinke. Denn wenn Andere das ebenso sehen, besteht noch Hoffnung, dass der Wahnsinn irgendwann endet.

hans Kloss / 24.07.2020

Mit Letalität von. 0.1 müsste es bei Tönnies in Gütersloh mindestens eine Leiche geben. Nur nebenbei: die Statistiken von allgemeinen Sterberaten zeigen tatsächlich dass je größer der Gipfel mit Exzess Toten , desto tiefer Untersterblichkeit danach. Diese Berichte über USA, die auch so schwer unter Corona leiden, sind also mit Vorsicht zu genießen. Das sieht man in diesen Statistiken auch. Entweder sind meiste Journalisten doof oder sie haben eine Agenda. Oder beides.

Karsten Dörre / 24.07.2020

Mit der produzierten Coronoia werden gleichzeitig Grippewellen zu musealen Ereignissen. Vielleicht haben kommende Menschengenerationen bei Geburt bereits ein genetisch, eingewachsenes Mund-Nasen-Tuch im Gesicht, welches bei Bedarf umgelegt wird. Wer weiß, was noch in den modern-ideologischen Köpfen rumort, wenn Angst und Hysterie anerkannter und gewählter Politik-Stil wird (links, grün wie rechts). Zum Thema Zeitreise: ich reise zu Mohammed und Jesus, um live dabei zu sein, wie deren einfacher und unspektakulärer Alltag vom Schafehüten bis zur Heirat mit einer 15 Jahre älteren Kaufmannswitwe verlief (und somit finanziell ausgesorgt und wohl wegen Langeweile eine Religion erfunden) bzw. einem Analphabeten beim Rezitieren und Auslegen von Texten der Thora lausche. Vermutlich waren es Zeitreisende wie ich, die damals Neues Testament und Koran verfassten und unters Volk streuten. Wer weiß, wieviel Zeitreisende überhaupt jetzt und früher unter uns weil(t)en. Somit wäre ich beim Thema, ob es Zeitreisen gegeben haben wird.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com