Volker Seitz / 19.01.2018 / 06:29 / 16 / Seite ausdrucken

Der Traum vom guten Leben in Europa

Immer noch machen sich tausende von Afrikanern auf den Weg nach Europa. Die spanische Küstenwache hat nach eigenen Angaben am 13. Januar 2018 etwa 150 afrikanische Migranten auf dem Mittelmeer gerettet. Das Rote Kreuz kümmerte sich um sie und stattete sie mit Decken aus, wie die Nachrichtenagentur AFP meldete. Diese Meldungen sind schon Alltag geworden. Da Italien und Libyen verstärkt gegen Schlepper auf der zentralen Mittelmeer-Route vorgehen, weichen immer mehr Migranten wieder auf die Route nach Spanien aus.

Der senegalesische Schriftsteller Abasse Ndione befasst sich in seinen Romanen mit den Gründen und Folgen der afrikanischen Migration. Er sagte bei den Nibelungen-Festspielen in Worms 2015 in einer Rede: 

„Die führenden Politiker in Afrika haben die Rückschrittlichkeit des afrikanischen Kontinents durch fehlende Visionen, ihre Unfähigkeit, die Probleme der jeweiligen Bevölkerung, von der sie ja gewählt worden sind, in Angriff zu nehmen und zu lösen, durch die Misswirtschaft ihrer Regime, die auf Veruntreuung öffentlicher Gelder, Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung aufgebaut sind, zu verantworten. Alle afrikanischen Staatschefs, die nicht bei einem Putsch getötet werden, sterben in europäischen oder amerikanischen Krankenhäusern. (Siehe auch Warum afrikanische Präsidenten im Ausland sterben. Kein einziger hat in seinem Land eine Universität gebaut, in die er seine eigenen Kinder zum Studium schicken würde. Sie haben die Möglichkeiten nach Europa zu gehen und nützen diese auch ausgiebig."

2012 ist der Spielfilm „Die Piroge“ von (Moussa Touré) erschienen. Im selben Jahr wurde er beim Filmfestival in Cannes und beim Filmfest München ausgezeichnet. Der Regisseur Moussa Touré ist in Dakar aufgewachsen und wurde einem größeren an Afrika interessierten Publikum durch seinen Film „TGV Express – Der schnellste Bus nach Conakry“ bekannt.

Der eindrucksvolle Film „Die Piroge“, der auf dem gleichnamigen Roman von Abasse Ndione fußt, beschreibt die Bootsflucht von dreißig Afrikanern und basiert auf den Erfahrungen von drei jungen Männern. Von einem kleinen senegalesischen Fischerdorf machen sich 40 Bauern aus dem Landesinneren auf, um ihr Glück in Europa zu suchen. Sie haben alle teuer bezahlt für die Überfahrt und träumen von Karrieren als Musiker, Fußballer oder einer Arbeit auf einer spanischen Gemüseplantage. Europa ist die Hoffnung. Viele kennen jemanden, der es geschafft hat, und der Traum vom angeblich unbesorgten, wohlhabenden Leben treibt die Menschen weiter an.

Abasse Ndione schreibt in seinem Buch „Die Piroge“ (Transit Verlag, 2014) über die Träume der Migranten:

 „Sie sahen sich schon in Europa: Bei ihrer Ankunft hatten sie neue Kleider bekommen, waren auf den Kanarischen Inseln in ein Rot-Kreuz-Lager in Quarantäne gesteckt und dort geimpft worden und man hat sie mit gutem Essen im Überfluss versorgt. Dann, am neununddreißigsten Tag, hatte jeder von ihnen ein Mobiltelefon und fünfzig Euro erhalten. Am nächsten Tag hatte man sie mit anderen Emigranten aus demselben Lager in ein Flugzeug in Richtung Kontinent gesetzt und sie dann auf die großen Städte des spanischen Königreichs aufgeteilt. Dabei wurde ihnen erklärt, dass sie den Status von Einwanderern ohne Papiere hatten. [Baye Laye und Kaaba empfahlen den Dorfbewohnern, ihre Ausweispapiere zu verbrennen, damit sie von den spanischen Behörden nicht in ihr Land zurückgeschickt werden konnten. S.23]

Sehr bald hatten sie dann in den riesigen landwirtschaftlichen Betrieben zu arbeiten begonnen, halfen bei der Weinlese, fuhren auf den Mais- und Weizenfeldern mit dem Traktor, ernteten Zitrusfrüchte, Tomaten und Oliven. Eine tolle Arbeit, viel weniger anstrengend als die harte Feldarbeit, die sie gewohnt waren, sehr gut bezahlt, tausendzweihundert Euro, achthunderttausend CFA-Francs pro Monat. Ein wahres Vermögen! Die Hauptsache war jetzt, den im Dorf in der ärgsten Armut zurückgelassenen Verwandten Geld zu schicken, eine große Villa zu bauen, Vater, Onkel oder Mutter auf die Pilgerreise nach Mekka zu schicken, und eine Toubab, also eine weiße Frau zu heiraten, um zu zeigen, dass man es geschafft hatte, endlich wünschte sich das lang begehrte junge Mädchen, das mit dem armen Verehrer früher nicht einmal sprechen wollte, jetzt nichts sehnlicher, als die Ehefrau des reichen Emigranten zu werden, der regelmäßig Euros schickte, für schöne Kleider, einen Mercedes, einen Obstgarten, Rinder, eine Zahnprothese, um das Fleisch, das man jetzt kaufen konnte, zu kauen.." (S.60/61)

Eindringlich gezeigt werden, besonders in dem Film, Furcht, Hunger und Krankheit der Emigranten – und ihre nur geringen Überlebenschancen. Angesichts des dramatischen Ausmaßes der Migration könnten Filme wie dieser manchem Afrikaner das hohe Risiko einer Flucht nach Europa vor Augen führen. Allerdings ist es inzwischen ein Statussymbol, die Kinder nach Europa geschickt zu haben. Die Migration nach Europa wurde zum Inbegriff des Erfolgs. Familienangehörige, das Dorf legen zusammen, um die Überfahrt zu finanzieren. Auslandsüberweisungen sind die erhoffte Dividende.

Zahlreiche Popsongs in Westafrika verklären Migranten als Helden. So rechtfertigt der ivorische Raggae Musiker Tiken Jah Fakoly in „Ouvrez les Frontières“ (Öffnet die Grenzen) die gegenwärtige Auswanderung mit dem Traum vieler junger Afrikaner nach einem besseren Leben. Wer Europa erreiche, habe das große Los gezogen. Jeder Migrant, der es geschafft hat, zieht mit einem Eintrag in den sozialen Medien Freunde und Verwandte nach. Besonders Menschen ohne ausreichende Schulbildung träumen immer noch von einem unermesslich reichen europäischen Paradies, in dem selbst Menschen, die keine Arbeit haben, vom Staat Geld bekommen.

Als ein Beitrag zur immer noch aktuellen Migranten-Problematik ist der Film auch für Europäer unbedingt sehenswert.

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Thomas Nuszkowski / 19.01.2018

Die Antwort: Entweder Grenzen hoch oder Kolonialismus 2.0. Aus Gründen des Selbstschutzes müssen wir so schnell wie möglich die Grenzen dicht machen. Längerfristig wäre eine erneute Kolonisation afrikanischer Staaten vorstellbar. Also, den gierigen und egoistischen Diktator beseitigen und selbst dort die Kontrolle übernehmen, die Rohstoffe übernehmen und das Land aufbauen. Mit unserer derzeitigen, armseligen Regierung ist das aber völlig außer Reichweite. Deshalb gibt es aktuell keine Alternative zum konsequenten Grenzschutz. Das die Afrikaner, deren Land von ihrem jeweiligen Staatschef ausgeplündert wird, ähnlich gierig sind wie ihr Staatschef und keine Hemmungen haben UNS auszuplündern, sollten wir zur Kenntnis nehmen - mehr aber auch nicht. Mit weiterhin offenen Grenzen steuern wir unvermeidlich auf die Frage zu: Die oder Wir? Die Antwort muss WIR lauten, ansonsten gibt es bald kein WIR mehr.

Andreas Rochow / 19.01.2018

Weshalb beruft die UN-heimliche Weltregierung keinen Völkerwanderungsgipfel ein? Hier könnte das Gift des “Armregierens” detailliert und schonungslos analysiert werden. Hier wäre auch der Ort, die gigantischen Pro-Asyl-Bewegungen der One-World-Phantasten anzuprangern und ein Machtwort im Namen der noch funktionierenden Staaten zu sprechen. Nationale Kulturen, staatliche Souveränität, die wirtschaftliche “Macht” der Industriestaaten zu bezichtigen, für Elend und Misswirtschaft in Afrika und Maghreb verantwortlich zu sein, ist eine Demagogie, die ebenfalls an den Pranger gehört. Und: Unkontrollierte Flüchtlingsströme plündern funktionierende Sozialstaaten aus und treiben die Verelendung der Herkunftsländer voran. Massenflucht zu fördern ist der katastrophal falsche Weg. Die Situation kann nur durch konsequente Wiederherstellung funktionierender Grenzregieme bewältigt werden. Alles Weitere ist Diplomatie!

Gisela Horn / 19.01.2018

Geld vom Staat - warum schreiben Sie das nicht in Anführungsstrichen ? Der Staat hat Ihr Geld, unser aller Geld, zu verwalten, und zwar im Sinne der Gemeinschaft, die es erarbeitet hat. Tut er das? Er verschenkt es, verschwendet es, mißbraucht es.  Für mich ist die Floskel “GELD VOM STAAT” das Unwort deR JahrE. Gisela Horn

Toni Keller / 19.01.2018

aber genauso ist es doch! In Europa, speziell in Deutschland, bekommt man vom Staat Geld auch wenn man Nichtstut und man kann sogar, auch dann noch, den einen oder anderen Euro nach Hause schicken! Und es ist deshalb einfach so, dass derjenige, der es nach Europa geschafft hat, das große Los gezogen zu haben scheint, auch und weil er ja iener ungeheurern Erwartungshaltung seiner Leute sich gegenübersieht. Kehrt er zurück gilt er als Versager. Und was die afrikanischen Herrscher angeht, die ihr Land nicht entwickeln, schon meine Großmutter spendete regelmäßig “für Afrika”, es sind also auch die vielen Spender, die den afrikanischen Herrschern das Geld zu verprassen erst gegeben haben. Auch das gehört wohl zu den Verrücktheiten der ganzen Situation, das was was wert ist, die Rohstoffe, die kauft man den Afrikanern ab, ohne sie richtig ordentlich zu bezahlen und das Geld, dass man ihnen hier vorenthält, das wirft man ihnen dann wieder via Spenden hinterher. Davon noch mal abgesehen, kamen, schon bei Beginn der “Flüchtlingskrise” sehr viele junge Afrikaner an, und wenn man das, unter Hinweis auf die Hautfarbe feststellte, hieß es man sei Rassist. Ich möchte der Achse des Guten für ihren Mut danken, auch und wenn es so scheint als nutze es überhaupt nichts.

Christian Erkelenz / 19.01.2018

Sehr geehrter Herr Seitz, vielen Dank für Ihre anschaulichen und differenzierten Worte. Ich werde mir den Film “La Pirogue” anschauen. Wenn so etwas auf der Achse empfohlen wird, dann weiß ich, dass es kein Gutmenschenprodukt ist, welches ideologisch verklärt und einseitig Schuld zuweist. Ich will ehrlich sein: Sonst hätte ich mir diesen Film nie und nimmer angeschaut. Ich erwarte bei diesem Thema mittlerweile nur noch süßlich-aggressive Migrations-Propaganda. Das mag überogen von mir sein, aber es ist leider Erfahrungssache. Vielleicht verstehen die Meinungsmacher ja irgendwann, dass sie mit ihren Methoden nur noch die 150-Prozentigen erreichen. Der Rest schaltet im doppelten Sinne ab…

Albert Pflüger / 19.01.2018

Das ist es ja, was uns gegenüber der muslimischen Invasion so hilflos macht: wir sind Menschen, die gleichfalls ihre Träume haben- oder jedenfalls noch wissen, wie sich das anfühlt- und die deshalb jeden Einzelnen, der kommt, im Grunde verstehen können. Und wir sind individualistisch erzogen, kennen kaum noch die Verpflichtungen und Vorteile, die große Familien mit sich bringen, ganz zu schweigen von solchen Bindungen wie Stammeszugehörigkeit und Ethnie. Wenn wir aber uns zwingen, das Ganze zu sehen, anstelle der Individuen, erkennen wir eine “Armee” von Zuwanderern. Und wenn man sich einer Armee gegenübersieht, denkt man den Einzelnen nicht mehr als Individuum, sondern als Teil eines Machtinstrumentes. Und sein Tod bedeutet nicht das Sterben eines Einzelnen, sondern einen Verlust des Feindes. So unmenschlich es auch klingen mag, wir haben viel zu verlieren. Der Reichtum unseres Landes,  ja Europas, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde durch Generationen unserer Vorväter erarbeitet. Noch zu Zeiten der gallischen Kriege gab es in Deutschland vor allem eines: Urwald. Und Sümpfe. Mit Einsprengseln von menschlichen Siedlungen, entstanden durch Brandrodungen. Wer heute durch die Kulturlandschaft fährt, fühlt sich in der “Natur”. Das ist eine Illusion. Sie ist das Ergebnis harter Arbeit vieler Generationen. Sie gehört uns und unseren Kindern. Warum sollten wir sie verschenken, aufgeben, anderen überlassen, die es geschafft haben, herzukommen und nun ihre Stammesgenossen herholen wollen, um zu nehmen, was uns gehört? Unser Reichtum und unsere Lebensweise bedingen sich gegenseitig. Es gibt das Eine nicht ohne das Andere. Wer eine fremde Lebensweise mitbringt und fortführen will, zerstört die Grundlagen unserer Gesellschaft. Wir haben keine Wahl: wir müssen dem Einhalt gebieten!

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