Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man einfach nur lachen. Geschlechter sind nur noch „Biologismus“. „Unhinterfragte Weiblichkeit“ – nur rechtsextrem! „Mutterschaft“? War gestern, ist rechte Ideologie!
Vielleicht komme ich ja auch zu spät, und solche Beiträge wie der vom Tagesspiegel, einer der beiden großen Hauptstadtzeitungen, werden sowieso nicht mehr ernst genommen, weil die Menschen – langsam, aber sicher – bei solchen Dingen nicht mehr jeden Quatsch einfach glauben. Aber das, was das Blatt jetzt abgesondert hat, ist dann doch erschreckend.
Ein hoch eingeflogener Beitrag (einen Tag lang online der Aufmacher) mit dem Titel „Gutaussehend, fürsorglich und völkisch. Wie subtil und effektiv rechtsextreme Frauen ihr Netzwerk mobilisieren“ sollte die TSP-Leser gegen Rechts wachrütteln, aufgemacht als investigativer Report. Nebenbei: Was so gefährlich an rechten Weibern sein soll, wird in dem Artikel nicht so recht klar, offenbar setzt man auf reine Implizität nach dem Motto: Sieht doch jeder. Geschenkt auch, dass in dem Artikel die Feststellung, es gebe nur zwei Geschlechter, nicht nur als „biologisch“ (biologisch ist sie korrekt, wie man weiß) hingestellt, sondern gleich als „biologistisch“ inkriminiert wird. Dazu ist in letzter Zeit ausreichend viel gesagt worden, das lassen wir einfach rechts liegen.
Aber was sagen wir denn dazu, dass die beiden Autorinnen den „rechten Frauen“ allen Ernstes vorwerfen: „Weiblichkeit und Mutterschaft sind in den Frauen fest verankert und werden nicht hinterfragt.“ Nein, nein, es geht hier nicht darum, dass Weiblichkeit nicht automatisch zur Mutterschaft führen müsse. Nein, es geht um Weiblichkeit und Mutterschaft beides für sich genommen, und darum, dass jede Frau von heute doch wohl selbstverständlich beides einzeln zu „hinterfragen“ habe. Es sei denn, sie ist „rechtsextrem“.
Der Tagesspiegel macht also zwischen den Zeilen deutlich: Frau? Wirklich? Bist du dir wirklich sicher? Denk nochmal darüber nach, und nimm das bloß nicht einfach hin, prüf das nochmal und erlöse dich aus deinem Biologismus. Der ist nämlich von gestern, „old school“. Damit, mit unhinterfragter Weiblichkeit gehörst du nicht mehr zu uns, kannst du beim Latte Machiato an der Bar nicht mehr reüssieren. Am besten wohl: Geh morgen zum Amt, und lass dich einfach umschreiben, amtlich umpolen, erstmal für ein Jahr, beim nächsten Christopher Street Day kannst du dich kräftigen lassen, danach kannst du dann ja, wenn du willst, wiederum deine Männlichkeit hinterfragen. So geht das heute. Meint der Tagesspiegel. Wie es scheint, allen Ernstes.
Ja dann bin ich wohl auch rechtsextrem
Einfach nur Frau geht nicht: Da lauert nämlich der Feind, die Feindin. Denn so heißt es gleich in der Unterzeile des Beitrags: „Rechtsextreme Frauen nutzen auf Social Media „weibliche“ Themen für ihre Zwecke.“ Frau sein zum Beispiel, das ist besonders verwerflich. Und das Muttersein erst: Über eine seiner rechten Protagonistinnen heißt es in dem Blatt: „Sie heiratete im Juli und wird, sofern sie selbst der Ideologie folgt, die sie verbreitet, eine Familie gründen und sich möglicherweise zurückziehen. Mutterschaft, natürlich von zentraler Bedeutung für die rechten Frauen, steht vor allem anderen…“ Immerhin, ein Trost für die Autorinnen: Eine Mutterschaft, so ideologisch verblendet sowas auch ist, zieht rechte weibliche Stimmen wenigstens vorübergehend aus dem Verkehr.
Es gibt Grund zur – beruhigenden – Annahme, dass die meisten Frauen, die das lesen, Mütter zumal, jetzt nicht sofort ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale prüfen oder sie, wie geboten, uminterpretieren. Sondern sich einfach denken: Also wenn die eine unhinterfragte eigene Weiblichkeit als Kennzeichen von Rechtsextremismus brandmarken, dann – ja dann bin ich wohl auch rechtsextrem, egal, nächstes Thema. Man geht 2024 nicht mehr jedem Quatsch auf den Leim. Folgen hat sowas dennoch.
Die neue Skepsis gegenüber dem Wokismus dürfte man inzwischen auch bei Zeitungen wie dem Tagesspiegel realisiert haben. Beunruhigenderweise lässt man dennoch nicht locker. Obwohl Umfragen immer deutlicher zeigen, dass die Menschen vom gesamten Genderthema vor allem genervt sind. Dennoch wollen es die Kämpfer weiter auf die Spitze treiben, und merken nicht oder wollen nicht merken, wie sehr diese Haltung die Gesellschaft spaltet. Und: Wie sehr sie wie geschildert der Titulierung „rechtsextrem“ die Schärfe nimmt, weil die Vorwürfe immer beliebiger und hanebüchener werden. Heiraten und Kinderkriegen, und das auch noch als unhinterfragte Frau, auf rechtsextreme Ideologie zurückzuführen – es soll Leute geben, die so etwas genauso in Zukunftsängste treibt wie andere der Klimawandel. Konsequenzen beim Wahlverhalten nicht ausgeschlossen. Aber hinterher will es dann keiner gewesen sein.
Ulli Kulke ist Journalist und Buchautor. Zu seinen journalistischen Stationen zählen unter anderem die „taz“, „mare“, „Welt“ und „Welt am Sonntag“, er schrieb Reportagen und Essays für „Zeit-Magazin“ und „SZ-Magazin“, auch Titelgeschichten für „National Geographic“, und veröffentlichte mehrere Bücher zu historischen Themen.