Archi W. Bechlenberg / 25.08.2019 / 06:02 / 29 / Seite ausdrucken

Der Tag, an dem Carlos Santana zum Weltstar wurde

1969, August. Unbemerkt von mir, einem allmählich dem Abitur entgegen wankenden Gymnasiasten mit den Schwächen Latein und Mathematik, fand im fernen US Bundesstaat New York ein Open Air Festival statt, das bis heute seinesgleichen sucht, es aber nicht mehr fand, abgesehen vom Isle Of Wight Festival im Süden der britischen Insel ein Jahr später. Das war an diesem Wochenende vor exakt 49 Jahren. Jimi Hendrix, Joni Mitchell, Miles Davis, Ten Years After, The Doors, The Who und zahlreiche andere Rockstars gaben sich vor geschätzten 700.000 Zuhörern die Mikrophone in die Hand. Ich habe daran keine Erinnerungen mehr, da ich die vollen vier Tage dabei war. 

Wight hatte mehr Stars, mehr Besucher und besseres Wetter, dennoch ist Woodstock zu der Legende und zu einem Synonym für alles mögliche geworden, nicht zuletzt durch den professionell gedrehten Dokumentarfilm über die Musik und die Besucher. Es war der Film, der ein Jahr nach dem Festival hier in die Kinos kam und einen Eindruck davon vermittelte, was bei einem solchen Ereignis alles abgehen konnte. Es war faszinierend! Ab dann war ich für gut zwei Jahre auf dem Open Air Festival Trip durch halb Europa, eine Zeit, an die ich so gut wie gar keine Erinnerungen mehr habe – es muss also cool gewesen sein und hat mich vermutlich damals so sehr geprägt, dass ich später zum Leitkulturwart wurde.

Immerhin, ich schaffte das Abitur, eine Etappe, die mich bis heute traumatisch verfolgt. Wenigstens einmal im Monat habe ich einen Albtraum, der mich jedesmal an den Rand der Bettkante treibt. Meist geht es darum, die mündliche Prüfung in Mathematik abzulegen, und man will mich nicht zulassen, weil der Prüfer, mein Mathelehrer, mich angeblich noch nie gesehen habe. Was alle anderen Lehrer lebhaft abnicken. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ob es LSD oder Meskalin war?

„We got one more tune for you!“ Mit diesen Worten leitete der Gitarrist einer vollkommen unbekannten Gruppe den letzten Song ihres Auftritts ein. Das geschah am Samstag, 16. August 1969 am frühen Nachmittag, zu einer Tageszeit also, in der Bands eher zum Aufwärmen des Publikums spielten, als die Bühne zu rocken. Niemand kannte Santana, benannt nach ihrem Gitarristen, erst recht nicht in Deutschland, es gab noch nicht einmal eine Platte von ihnen. Dass sie überhaupt für Woodstock gebucht waren (es gab 2.500 Dollar), verdankten sie dem legendären Promoter Bill Graham, der die Band irgendwo bei einem kleinen Gig gesehen und ihr Potenzial erkannt hatte. Sie saßen also auf der Ersatzbank und warteten darauf, ob und wann sie auftreten könnten. 

Was macht man als kalifornischer Musiker auf einem High-sein-frei-sein-Festival, wenn einem langweilig ist und wenn man Schiss hat? („Wir hatten schon Panik, vor dermaßen vielen Menschen auf die Bühne zu gehen“, sagte Carlos Santana später in einem Interview) Man wirft einen Trip, um sich die Zeit zu vertreiben. Ob es LSD oder Meskalin war, darüber gibt es unterschiedliche Aussagen; Carlos meint, es sei Meskalin gewesen. Auch ist nicht ganz raus, ob jeder von ihnen auf Trip war, man lehnt sich aber nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man hier einen Generalverdacht hegt.

Fest steht, dass die Band, allen voran der gerade 22-jährige Carlos Santana, schwer nach Luft schnappte, als jemand kam und ihnen mitteilte, gleich seien sie dran, ab auf die Bühne. Dabei hatte man ihnen morgens beim Eintreffen noch gesagt, sie seien auf keinen Fall vor 8 p.m. dran. „Und dann kommt auf einmal dieser Typ und sagt 'Wenn ihr nicht auf der Stelle auftretet, werdet ihr gar nicht auftreten!'“ (Santana). Die Band war das Opfer eines Clinchs zwischen Graham, der sauer war, dass man ihn nicht mit ins Veranstalterteam geholt hatte und den Veranstaltern von Woodstock, die sauer waren, weil Graham sauer war. Aber das wussten die Santanas nicht. So nahmen sie ihre Instrumente und gingen auf die Bühne, stoned bis in die Haarspitzen und alles andere als professionell-souverän. Grundgütiger! Vor ihnen „so weit ich schauen konnte, ein Meer von Haut und Haaren und Zähnen und Händen“ (Carlos Santana).

Nur wer die Bee Gees mitbrachte, musste draußen bleiben 

„Er sieht aus, als jage ihm jemand ein Messer in den Bauch“ schrieb ein Biograf über Carlos' Auftritt. In der Tat macht Santana einen, sagen wir mal, „angespannten“ Eindruck. Carlos erzählte später, er habe nicht Gitarre gespielt, sondern mit einer Schlange gekämpft, die er in den Händen hielt und die er unter Kontrolle bekommen musste. Nicht weniger entfesselt die weiteren Musiker, darunter der gerade 20 Jahre junge Drummer Mike Shrieve, der zum Abschluss ein fulminantes Solo abliefert; mit dabei außerdem Gregg Rollie an den Tasten, José Chepito Areas und Mike Carabello an den Percussionsinstrumenten und der Bassist David Brown. 

Man kann es im Film sehen und auf der Platte hören: Eine solche Symbiose aus Blues, Rock und lateinamerikanischen Klängen hatte man bis dahin noch nie gehört. Und sie kam an! Ein Riesenjubel belohnte die Band nach den letzten Klängen von Soul Sacrifice. „Ladies and Gentlemen..... SANTAAANAAAA!“ Und ein neues Subgenre des Pop war geboren, „Latin Rock“ genannt.

Man mag es gar nicht glauben, dass das jetzt bereits 50 Jahre her ist. Carlos Santana wurde durch diesen Auftritt ein Weltstar, spielte später eine Menge Mist, verirrte sich gar zu dem indischen Guru Sri Chinmoy und bekam doch immer wieder einigermaßen die Kurve. Ich erinnere mich, wie ich 1970, noch vor Erscheinen des Woodstock-Films, zum ersten Mal seine Musik hörte. Jingooooooooo... Es war unter einem Buchladen, dessen freundlicher, linker Besitzer im Keller einen Raum mit Matratzen und einem Plattenspieler eingerichtet hatte, wo wir Kids für 30 Pfennig Cola und Fanta trinken und dabei unsere mitgebrachten LPs gemeinsam hören konnten. Stones, Pink Floyd, King Crimson, Santana... Nur wer die Bee Gees mitbrachte, musste leider draußen bleiben.

Ich kehrte oft dort ein; meine Freundin war Holländerin, und die durfte sich daheim nicht mit einem Moffen blicken lassen und ich zu Hause nicht mit einem Mädchen. Dort unten kamen wir uns dann auch zum ersten Mal so richtig nahe, im Buchlager neben dem leider schon belegten Matratzenlager, der Bequemlichkeit halber nicht auf dem Boden, sondern auf einer Palette mit der Marx-Engels-Gesamtausgabe aus dem Dietz Verlag. Aber das wäre eine andere Geschichte.

Santana: Jingo auf dem ersten Album der Band 

Santana: Woodstock 1969 Soul Sacrifice 

Der komplette Auftritt in Woodstock ist auf dem Doppelabum „Santana (Legacy Edition)“ zu hören. Den Film über das Festival gibt es als WOODSTOCK Special Edition – Director's Cut für sehr kleines Geld.

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Heinrich Moser / 25.08.2019

@Detlef Tremper Sie waren damals schon nicht frei. “Wer die Bee Gees mitbrachte, musste draußen bleiben”. Ausgrenzung ist ein linkes Gen. Egal, in welchem Alter.

Gerhard Rachor / 25.08.2019

Anfang der 70er. Gymnasium, Abitur, viel Musik ( Canned Heat und Ten Years After waren auch in Woodstock), Easy Rider - Born to be wild und ja Santana. Santana, die mit dem Löwenkopf, war gut. Doch dann kam Abraxas. Alleine das Cover, eine Show. Und die Musik erst - Black Magic Woman, Samba pa ti. Noch heute, fast 50 Jahre später, bin ich fasziniert von dieser Musik. Einfach klasse. Übrigens, Albträume vom Abitur hatte ich noch, als ich schon promoviert war. Ich musste noch einmal antreten. Furchtbar.

Johannes Schuster / 25.08.2019

Ich brauche eine Zeitmaschine, dann wurmloche ich mich zurück und einen Tag nur Sex und Drogen, kein Aids und keine Merkel. Hätten die Deutschen nicht ihr Jewish - Entertainment vergast totgehungert und ein Spaß an der Orgie zu “Negermusik”, unser Land könnte echt modern und geistig aufgeräumt sein. Ach ja, war da nicht ein deutscher (verhinderter Nazi)  irgendwie in die Herstellung der Vorsubstanzen für Agent Orange verwickelt ? Da war doch was….. Love Stops Delusion: LSD.

Sabine Schönfelder / 25.08.2019

Lieber Herr Bechlenberg, wenn ich diese Bilder sehe, wird es mir ganz warm ums Herz! Welche Freiheitsgrade existierten gesellschaftlich bereits! Der Neger war schwarz? Keine Ahnung. War er cool, war er dein Freund! Es wurde alles mögliche geraucht und geschluckt, geliebt, gehört, was man wollte, wenn man wollte oder auch nicht. In dieser Atmosphäre entstand Kreativität, Musikalität und ein unglaubliches Freiheitsgefühl! Die Jugend begehrte auf in ungezügelter Form, frei, heiß und wild!! Heute sitzen sie in den Bäumen (de Juchend) angeleitet und angestachelt von alten Propagandisten. Kleine Vollzugsdeppen mit der Einschränkung der Freiheit betreut unter dem Ökosiegel, als gesellschaftliche Aufgabe. Traurig. Danke.

Manni Meier / 25.08.2019

Mündliche Matheprüfung? Nicht cool, Bechlenberg, gar nicht cool. Sowas “berechnet” man vorher. Vornote 5! Abiklausur 5! Hat sich was mit mündlicher Prüfung in Mathe (!) und 49 Jahren daraus resultierender Albträume. Matratzenlager, buntes Schummerlicht, Musik hören und knutschen? Cool - 29 Jahre, tolle noch immer anhaltende, nostalgische Träume.

Dr. Christian Rapp / 25.08.2019

So ziemlich das beste was die Musikwelt, neben Dee Dee Brigdewater und Charlie Parker jemals hervorgebracht hat. Als 14 jähriger in der ersten Reihe eines Programmkinos in Hamburg…..

Detlef Tremper / 25.08.2019

Was müssen das für schöne Zeiten gewesen sein, als „links“ noch nach Freiheit schmeckte und aussah!

Frank Stricker / 25.08.2019

Schöner Bericht über Carlos Santana und seinem nicht ganz unproblematischem Verhältnis zu Drogen. Ich hab seinerzeit ein Konzert von ihm 1996 im Kölner Tanzbrunnen erlebt , erste Reihe, nur knapp 1 Meter vom “großen Meister” entfernt. Als großer Fan von “Abraxas” mit der legendären Cover-Illustration von Mati Klarwein,  hatte ich auf die Klassiker wie “Samba pa Ti” oder “Black magic women” gehofft.  Wurde leider nix , Carlos war offensichtlich vollgedröhnt , packte zu Beginn des Konzertes ein Bild vom Baghwan im Din A 3 Format aus , und so spielte er auch. Die Szenerie war irgendwie unwirklich , nur Bekiffte um mich herum und Carlos spielte im Drogenrausch irgendwelche unbekannte B-Seiten bis zum Exzess .Als Höhepunkt kam Carlos zu einem Fan , der gleich neben mir stand , nahm einen tiefen Zug aus dessen Joint und machte “Daumen hoch”.

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