Wolfram Weimer / 11.05.2018 / 10:00 / Foto: Donkey Hotey / 22 / Seite ausdrucken

Der Stuhl dieses Herren wackelt nicht

Er ist 65 Jahre alt und beherrscht die Politik im größten Land der Welt seit nunmehr 18 Jahren – und er beherrscht sie unumstritten. Seit Stalin ist eine derart lange Herrschaft keinem russischen Regenten gelungen. Und die Verfassung sieht vor, dass die neue Amtszeit bis 2024 dauert. Er hat Clinton, Bush und Obama politisch überlebt, und auch Trump und Merkel dürfte er überdauern.

Bei der Abstimmung am 18. März bekam Putin mit rund 77 Prozent der Stimmen sein bestes Wahlergebnis. „Ich sehe das als großes politisches Kapital” sagt Putin – und damit hat er durchaus recht. Denn trotz aller Repressionen genießt er in der Bevölkerung Russlands – das wird im Westen gerne übersehen – einen gewaltigen Rückhalt. Putin wird von seinen Landsleuten gutgeschrieben, dass er Russland nach Jahren des postkommunistischen Chaos stabilisiert hat und das Land sich unter seiner Ägide wirtschaftlichen und sozialen Erfolg erarbeiten konnte. Der im Putinismus zielsicher befeuerte Nationalismus bis hin zur politisch kalkulierten Unterstützung der national-orthodoxen Kirche hat das moderne Russland mit einem neuen kollektiven Selbstbewusstsein überwölbt.

Putin regiert Russland gleichwohl mit einer Mischung aus geheimpolizeilicher Unterdrückung, Fassadendemokratie und Protzertum. Wer seiner Machterhaltung gefährlich werden könnte, endet rasch im Gefängnis – von widerspenstigen Oligarchen wie Michail Chodorkowski über Kremlkritiker wie Alexej Nawalny und Menschenrechtler wie Ojub Titijew bis zu Journalisten oder Künstlern wie Pussy Riot. Putins Russland ist immer noch kein demokratischer Rechtsstaat. Pressefreiheit, Menschen-, Minderheits- und Bürgerrechte gibt es nur nach Gönnergelüsten des Kreml. Und wenn ein Geheimdienstler die Seiten wechselt, muss er selbst in der britischen Provinz mit giftiger Rache rechnen.

Zurückgebombt zur globalen Ordnungsmacht

Und doch registrieren auch die kritischsten Diplomaten, dass Putin Erfolge verbuchen kann. Der Wirtschaftseinbruch infolge des Ölpreis-Crashs und der westlichen Sanktionen ist mittlerweile überwunden. Putin hat sich aus der Defensive heraus mit neuen Macht-Allianzen weltpolitische Gestaltungsräume eröffnet. Einmal sucht er den Schulterschluss zu Peking, dann öffnet er die Tür zu Teheran, schließlich schmiedet er mit Ankara ein neues Bündnis. Neben milliardenschweren Wirtschaftsprojekten (etwa „Turkish Stream” oder das Atomkraftwerk Akkuyu, das Russland in der Türkei errichtet) hat Putin damit seine internationale Rolle des Machtpolitikers gestärkt.

Seine Kriege in der Ukraine und Syrien sind völkerrechtswidrig und inhuman – doch auch hier gibt es einen erheblichen realpolitischen Gewinn für Putin: Er hat Russland wieder zurückgebombt zur globalen Ordnungsmacht. Durch sein militärisches Eingreifen in Syrien ist er zielsicher in das Vakuum gestoßen, das die USA mit ihrer zaudernden Nahost-Strategie geschaffen haben. Russland ist plötzlich ein Entscheider im Nahen Osten – gegen den Willen Putins gibt es keine Friedensregelung mehr. Nebenbei wird der Marinestützpunkt Tartus zur dauerhaften Basis Russlands ausgebaut – Moskau bekommt damit erstmals einen Stützpunkt der Atommacht an der Mittelmeerküste.

Und auch die blitzkriegartige Annexion der Krim hat die Weltöffentlichkeit inzwischen stillschweigend akzeptiert. Die Sanktionen des Westens gegenüber Russland verfehlen ihre Wirkung, ernsthaften Widerstand der Nato oder der EU gibt es nicht mehr, stattdessen setzt sich unter Diplomaten allenthalben die Ansicht durch, dass man Russland letztlich die Krim überlassen muss. Damit hat Putin den Schattenkrieg zur Teilung der Ukraine gewonnen und die russische Einfluss-Sphäre deutlich westwärts ausgedehnt. Die Chance, aus der Ukraine wieder einen souveränen, einheitlichen Staat zu formieren, sind vertan. Im Westen will niemand für Simferopol sterben.

Merkel am 18. Mai in Sotschi

„Es wird Zeit, die westliche Isolationsstrategie gegenüber Moskau zu überdenken”, fordern daher nicht mehr nur notorische Putinversteher wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder. In den EU-Hauptstädten mehrt sich die Einsicht, dass die Strategie des Westens im Umgang mit dem Staatszerfall der Ukraine bislang nicht erfolgreich war. „Da Krieg keine Option ist, sollten wir mit ihm Frieden schließen – und die Ukraine teilen”, hört man aus der neuen Wiener Regierung. Die Spaltung des Riesenstaates in einen pro-russischen Osten und pro-europäischen Westen sei die langfristig bessere Lösung für Ukrainer, Russen und Europäer, zumal die überwältigende Mehrheit der Menschen auf der Krim und in der Ostukraine zu Russland gehören wolle.

Auch in der Berliner Regierung reifen Gedankenspiele, wie man mit Putin verhandeln und einen diplomatischen Weg aus der Krise finden könne. „Ewige Sanktionen sind keine kluge Politik”, wissen die Experten im Auswärtigen Amt. Aber ohne Gegenleistung wolle man die Sanktionen auch nicht aufheben. Während Außenminister Heiko Maas noch zaudert, fordern immer mehr seiner Parteigenossen das Ende der Sanktionen, so die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig oder der Ex-Parteichef Matthias Platzeck. Nachdem Linke und AfD ohnedies für ein Ende der Sanktionspolitik sind, bröckelt auch der Widerstand in den Parteien der Mitte – von Wolfgang Kubicki in der FDP bis Horst Seehofer bei der CSU. Angela Merkel sondiert derzeit die Optionen einer Öffnung.

Unmittelbar nach der Vereidigung Putins kündigte der Kreml jedenfalls einen Besuch von Kanzlerin Angela Merkel am 18. Mai in Sotschi an. Zudem will Putin am 5. Juni nach Österreich reisen. In Wien sieht man die Zeit für eine neue, bessere Etappe der Beziehungen bereits reif – Berlin wird sich entscheiden müssen. Und Putin wird gewinnen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.

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Leserpost

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Werner Arning / 11.05.2018

Für Putin geht es wohl darum, den russischen Einflussbereich gegenüber einer möglichen Ausdehnung von NATO und EU zu schützen und zu bewahren. Dabei geht auch um Zugang zu den Meeren und um die Besetzung strategisch wichtiger Gebiete, die im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung von großer Bedeutung sind. Alles geschieht im Sinne der Macht und des Einflusses Russlands. Das spüren die Russen und stehen deshalb auch wohl zum größten Teil hinter Putin. Jelzin verkörperte zu dieser Politik, in den Augen vieler, das Gegenstück. Er betrieb in den Augen vieler, eine Art Ausverkauf der russischen Interessen. Nur einer Minderheit unter den Russen dürften etwa demokratische Werte von großer Wichtigkeit sein. Sie wünschen sich ein Russland, auf das sie stolz sein können. Ein Russland, welches in der Welt respektiert und vielleicht auch etwas gefürchtet wird. Putin gibt den Russen dieses „Selbstwertgefühl“ zurück und dafür schätzen sie ihn.

Karla Kuhn / 11.05.2018

“Und doch registrieren auch die kritischsten Diplomaten, dass Putin Erfolge verbuchen kann.”  Ach wie gnädig !! Wer sich heute noch über Putin aufregt, sollte mal einen langen Spaziergang durch die Weltpolitik machen. WAS ist zum Beispiel mit deutschen Waffenlieferungen, die schon wieder angestiegen sind, auch oder vor allem. an “lupenreine Demokratien?” Was für Kriege führt Putin ? Wenn Syrien gemeint ist, müßte die Liste auf viel andere Länder ausgedehnt werden. Wahrscheinlich wird Putin in die Liste der “Haßobjekte"wie Trump, Orban u. a. eingereiht, weil er sich nicht den Vorstellungen der europäischen, besonders der deutschen Politik unterwirft. Und genau das ist es, was viele Menschen an Putin und den anderen “Ungezogenen” schätzen, sie handeln !! Aber dafür wird der “lupenreine Demokrat"Erdogan hofiert!!  Irre. Außerdem sind Sanktionen wirtschaftlich auf lange Sicht für die Länder, die sanktionieren nur von Nachteil. Rußland hat enorme Bodenschätze und kann sich andere Länder als Partner suchen.  Außerdem scheinen die “Pösen” auch wunderbar dazu zu dienen, von dem eigen Politikversagen z. B. in der Asylkrise abzulenken. Bitte erst vor der eigenen Türe kehren.

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