Cora Stephan / 16.10.2015 / 15:01 / 4 / Seite ausdrucken

Der Student als Denunziant (2)

Bewunderung kann mitunter seltsame Züge annehmen. Denn wer bewundert, möchte, dass das Objekt der Zuneigung auch stets dem Bild entspricht, dass man von ihm hat, egal, ob es stimmt oder nicht. Das, weiß jeder Küchenpsychologe,  kann nur zu Enttäuschung führen.

Nicht jeder kann sich jedoch so wortreich rächen wie ein bitter enttäuschter ehemaliger Student von Jörg Baberowski, der im „Tagesspiegel“ öffentlich darunter leidet, dass er damals seinen Star nicht „Jörg“ nennen durfte.
Mit ungeminderter Dankbarkeit verbietet sein ehemaliger Schüler dem einst so Verehrten das Maul. Warum? Weil sich der Professor für die Geschichte Osteuropas an der HU Berlin auf „wissenschaftlich unbekanntes Terrain“ wage, indem er „die Gegenwart“, und die „Flüchtlingskrise“ zu analysieren versuche.

Was daran so schlimm ist? Zumal wir es nicht mit einer „Flüchtlingskrise“ zu tun haben, was Baberowski weiß, sein Schüler aber nicht? Keine Ahnung, mehr als Behauptungen bringt der Enttäuschte nicht.

Dafür wird umso kräftiger gemutmaßt: „Vorwürfe, dass er (Baberowski) der extremen Rechten angehöre, mehren sich. Auch in französischen Medien ist davon die Rede.“ Wo? Und von wem?

Nun sind solche Vorwürfe mittlerweile an jeder Straßenecke zu haben, aber einer „Qualitätszeitung“ wie dem Tagesspiegel müsste zuzumuten sein, ihren Autoren Beweise abzufordern für derlei ehrabschneidende Thesen wie der „einstmals angesehene“ Historiker verspiele sein akademisches Renommee.  Möchte sich der Tagesspiegel dem Verdacht aussetzen, der Lügenpresse anzugehören?

Der ehemalige Student jedenfalls möchte nicht nur die Ehre, sondern auch das Wort abschneiden. Er wünscht, von medienstarken Historikern – auch Heinrich-August Winkler ist genannt – künftig nichts mehr zu hören, sie seien (im Unterschied zu jedem dahergelaufenen Journalisten) für die Analyse komplexer Themen der Gegenwart „im Handumdrehen“ nicht ausgebildet. Handumdrehen, muss man daraus schließen, können Lohnschreiber am besten.
Nun, als Jürgen Habermas weiland den Historikerstreit eröffnete, indem er die Vergleichbarkeit von Hitlers und Stalins Verbrechen bestritt, war er eingestandenermaßen für derlei historische Themen mitnichten ausgebildet.  Das hat insbesondere Journalisten damals kein bisschen irritiert. Der historischen Wahrheitsfindung aber hat die Intervention des Soziologen auf Jahre geschadet.

Wem schadet Baberowski und vor allem: wodurch? Wir erfahren es nicht, der Artikel im Tagesspiegel endet im Wolkigen. Die „Politikberatung“ des Historikers, heißt es zum Schluss, stifte Unverständnis – und „Unfrieden.“
Mir scheint, hier liegt ein Fall für den Psychiater vor. Und für eine Selbstbefragung der Tagesspiegel-Redaktion, was ihre journalistischen Standards betrifft.

Denn dieser Artikel ist nichts anderes als ein besonders übler Fall von Denunziation.

 

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Leserpost

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Max Wedell / 16.10.2015

Mit dem Vorwurf des “Unfriedens” ist doch wohl folgendes gemeint: Der linke Soziologe Heinz Bude sprach kürzlich im Deutschlandfunk über die Möglichkeit eines Rechtsrucks größerer Bevölkerungskreise aufgrund der momentanen Flüchtlingseinwanderung. Von dieser Möglichkeit sind wir aber - laut Bude - “weit entfernt, weil es eine ganz wichtige Kategorie gibt, die noch zum Positiven ausschlägt. Da denkt man immer, das sei so was Fluides, Nebulöses. Es ist aber sehr wichtig. Das ist die Kategorie der Stimmung. Die Stimmung in Deutschland von den stimmungstragenden Gruppen ist eindeutig die: Wir können uns Solidarität leisten, wir können die Arme öffnen für Leute, die wir nicht kennen, weil wir uns stark genug in uns selber fühlen. Das ist die starke Stimmungsdominanz in unserer Gesellschaft. Alle, von denen ich jetzt gerade gesprochen habe [die Unzufriedenen, Wutbürger usw.], befinden sich in einer Art von Schweigespirale.” Es geht also in der Frage des gesellschaftlichen Friedens nicht darum, wer recht hat… diejenigen, die erhebliche Chancen für eine wunderbare Zukunft aufgrund der Flüchtlingseinwanderung vorhersehen, oder diejenigen, die diese Chancen als eher gering erachten, eher große zusätzliche Probleme heraufdämmern sehen. In der Frage des gesellschaftlichen Friedens geht es hingegen darum, ob die bisherige, schönfärberische Ausrichtung der Stimmung der “dominanten stimmungstragenden Gruppen” erhalten bleibt oder nicht… Sobald es Autoritäten in größerer Zahl wagen, das Fiktive in den allgemeinen Schönwettermeldungen zu entlarven, wird die Sedation großer Teile der Bevölkerung, ihr Hinnehmen des “Unvermeidlichen”, stark gefährdet. “Wehret den Anfängen” ist hier die Devise, wenn sich unter die stimmungtragenden Gruppen auf einmal Autoritäten mit kritischer Haltung mischen, weswegen jede einzelne von ihnen abgestraft werden muß... völlig unabhängig davon, ob das, was sie sagt, Hand und Fuß hat oder nicht. Jörg Baberowski, Heinrich-August Winkler, auch Michael Stürmer wurde schon auffällig… nicht auszudenken, wenn das Schule machte… die “Stimmung” muß positiv bleiben, und wer das aufs Spiel setzt, egal wie, fördert den Unfrieden. Wer seine andere Meinung hat, sodaß er nicht bei der Stimmungserzeugung mitmachen kann, soll gefälligst in der “Schweigespirale” bleiben. Und so wird dann ein Popanz der “Komplexitäten im Globalisierungs-Zeitalter” aufgebaut, die so enorm undurchschaubar sein sollen, daß selbst unzweifelhafte Kapazitäten der politischen Geschichtswissenschaften mit ihrer Erfassung und Bewertung angeblich heillos überfordert sind… das muß man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen… die Zeitläufte, zu denen Baberowskis Expertentum unbestritten ist, liegen weniger als 100 Jahre zurück? Egal, heute ist ja alles ganz anders geworden, und für jemanden wie Baberowski unbegreiflich (wirklich?)... Geschichtliches Expertentum entsteht nicht nur durch reiches Faktenwissen, sondern auch analytische Denkfähigkeit, tiefere Einsicht in die Conditio humana, Beherrschung allgemeingültiger kritischer Arbeits- und Denk-Methoden? Nützt heute leider alles nicht viel (wirklich?)... Was für ein Bär, den Bütow uns da aufbinden will!

Paul Mittelsdorf / 16.10.2015

Hier der Link zu Baberowskis Artikel, der wirklich gut und für einen sich noch nicht im Ruhestand befindenden Professor mutig ist: http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/deutschland-verwandelt-sich-in-eine-tugend-republik-ld.2198

Günter K. Schlamp / 16.10.2015

Was ist mit dem Tagesspiegel los? Er bringt eine unsägliche Serie über Genderismus. Kein einziges Mal wird - seit Wochen - einem Wissenschaftler Gelegenheit gegeben, die Behauptungen zu untersuchen und richtig zu stellen. Die Arbeit der Stasi-Unterlagenbehörde war für das selbst ernannte Berliner Leitmedium “birthlern”. Sie sähe die DDR nur aus der Opferperspektive. Der Haus-Karikaturist zeichnet so, wie Jakob Augstein im Spiegel schreibt: Schuld sind immer die USA, Israel, die EU. Und jetzt biedern sie sich den Denunzianten in der Humboldt-Universität an.

Wolfgang Schmid / 16.10.2015

Einspruch! In einem muss ich Einspruch erheben: Der Tagesspiegel ist keine Qualitätszeitung. War es nicht und wird es auch nicht mehr. Seit einiger Zeit versucht der Tagesspiegel, sich in Artikeln und “Agenda”-Tagungen als “Hauptsdtadtzeitung” zu etablieren - was im Klartext heißt, dass er sich an Regierung und Lobbyvereinigungen ranwanzt:  (”...trafen Politik-Entscheider auf die 30 Präsidenten oder Hauptgeschäftsführer der wichtigsten Interessensverbände in Deutschland. Sie stellten ihre Forderungen für das Jahr 2015 an die Politik” - im kommenden Jahr zahlt man dafür 1178,10 € pro Teilnehmer) Man kann also getrost annehmen, dass der “enttäuschte Student” nur ein Mietmaul ist. Der Dank der Partei wird ihm sicher gewiss sein!

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