Eine für die Berliner Regierenden brisante Dokumentation über die Entfernung von Hubertus Knabe aus dem Amt als Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen wurde kurzfristig aus dem rbb-Programm gekegelt – bis nach der Wahl.
Sondervorgänge waren laut Lexikon der Stasi von 1960 bis 1976 Bezeichnungen "für registrierte Akten über einzelne Personen oder Personengruppen, für die das Ministerium für Staatssicherheit ein spezifisches operatives Interesse hatte.“ So stand es bis Dienstag auf der Homepage des Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb), die den Dokumentarfilm von Maurice Philip Remy "Sondervorgang MeToo – Protokoll einer Entlassung" bewarb, der die Entfernung von Dr. Hubertus Knabe als Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen aufarbeitet. Merkwürdigerweise trug nämlich genau die Akte von Hubertus Knabe den Namen "Sondervorgang", und sie war von niemand Geringerem erstellt worden als der Senatsverwaltung für Kultur unter Leitung von Klaus Lederer (Die Linke, ehemals SED).
Dass der Fisch vom Kopf her stinkt, hat sich als umgangssprachliche Beschreibung für politische Inkompetenz, die von höchster Stelle auf die niedrigeren Ebenen durchtröpfelt, durchgesetzt. Dass das Prinzip des stinkenden Fisches ebenfalls aus dem Zersetzungsjargon der Stasi stammt, ist weniger bekannt. Jemanden einen stinkenden Fisch anzubinden, bedeutete nichts anderes, als haltlose Unterstellungen "durchzustechen", die dann von willfährigen Haltungsjournalisten aufgegriffen werden. Egal wie haltlos und widerlegbar die Unterstellungen auch waren, mindestens der Gestank würde schon hängen bleiben.
Dieses Prinzip des stinkenden Fisches wurde beim Sondervorgang um Hubertus Knabe wie im stalinistischen Lehrbuch angewandt. Hauptakteure waren dabei der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) sowie sechs Frauen, die gegen den Stellvertreter von Hubertus Knabe anonym sexistische Vorwürfe erhoben. Ziel war es, den ständigen Querulanten Knabe zu treffen, der die Harmonie des "demokratischen Blocks" störte, zu dem auch die Nachfolgepartei der SED gezählt werden will. In einem Land, in dem alle Kräfte geeint im "Kampf gegen rechts" gebraucht werden, gilt so einer wie Knabe als Zersetzer. Kompetenz als Historiker und Erfolg mit seiner Gedenkstätte konnten ihm zu keinem Zeitpunkt abgesprochen werden. Aber Kompetenz und Erfolg sind in der Merkelrepublik eben auch verdächtig.
Tausende teilweise als geheim eingestufte Unterlagen
Nun hat es also nach Hubertus Knabe auch den Filmemacher Maurice Philip Remy getroffen. Seine Kompetenz in Sachen Recherche und Dokumentation ist in der deutschen Medienlandschaft selten, wenn nicht einzigartig. Einen Namen machte er sich mit Filmen wie „Holokaust“ oder „Mythos Rommel“ und dem wie ein Krimi geschriebenem Buch „Der Fall Gurlitt“. Remy hat "tausende teilweise als geheim und vertraulich eingestufte Unterlagen eingesehen und ausgewertet sowie in über 50 Interviews und Hintergrundgesprächen unter anderem mit Klaus Lederer sowie erstmalig nach ihrer Entlassung auch mit Hubertus Knabe und seinem Stellvertreter Helmuth Frauendorfer gesprochen". Eine spannende Dokumentation konnte man also erwarten.
Aber so, wie die Presseerklärung des rbb inzwischen gelöscht wurde, so wurde auch das bereits feststehende Ausstrahlungsdatum zum 1. September 2021 gelöscht. Die Ausstrahlung des Films werde, so die Erklärung des rbb-Pressesprechers Justus Demmer gestern, auf den 27. Oktober verschoben. Der Grund? Remy habe 2018 einen Spendenaufruf auf seinem privaten Facebook-Konto geteilt, der um Spenden für Knabes Gerichtskosten gegen das Land Berlin bat. "Nachdem uns der Autor dies bestätigt hat, halten wir es für unabdingbar, dass auch dieses Engagement im Film transparent wird."
Nun hat es etwas wirklich Lustiges, sich vorzustellen, dass vor jedem Sundermeyer-Restle-Reschke-Film das private Engagement "transparent gemacht" werden müsse, also vor jeder Dokumentation eine Dokumentation über den Dokumentierenden geschaltet würde, damit der Zuschauer "Transparenz" genösse. ARD und ZDF kämen aus lauter Dokumentationen über ihre eigenen Haltungsjournalisten gar nicht mehr zum Programmauftrag.
Vor allem aber: ein Film, der bereits im Programm angekündigt wurde, ist von der Redaktion begutachtet und abgenommen worden. Man kann also davon ausgehen, dass Remy inhaltlich gute und juristisch saubere Arbeit geleistet hat. Eine Art Warnhinweis wie bei Zigaretten – "Achtung! Der Autor des Films findet, Knabe sei Unrecht getan." – kann man, wenn man dem politischen Druck schon nachgeben will, vor den Film schalten und kostet im Studioschnitt keine zwei Minuten. Eine Verschiebung auf den 27. Oktober ist also noch nicht einmal sachlich darstellbar.
Die Begründung, ein vor drei Jahren geteilter (!) Spendenaufruf würde die Dokumentation über Hubertus Knabe in einem anderen Licht erscheinen lassen, darf man also getrost als vorgeschoben bezeichnen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ein Klaus Lederer als Berliner Kultursenator und eine Monika Grütters als Kulturstaatsministern, die beide in dem Fall Knabe eine mehr als unrühmliche Rolle spielen, ein großes Interesse daran gehabt haben, die Ausstrahlung des Films vor der Bundestagswahl (und der gleichzeitigen Landtagswahl in Berlin) zu verhindern. Dass der rbb da einknickt, ist ein weiterer Beleg für Feigheit und die desaströse Verzahnung von Politik und staatlich kontrollierten Medien.
Man darf gespannt sein, wann endlich Brüssel ein Verfahren gegen Deutschland eröffnet wegen Verletzung der Medienfreiheit.