Von Frank Bothmann.
Ein Beispiel aus dem Umweltbereich.
In seinem kürzlich hier auf der Achse erschienen Beitrag „Staatliche Schattengesellschaft“ hat Markus Vahlenfeld postuliert, dass der Staat mittlerweile seine eigenen Feinde herangezüchtet hat und hierdurch das demokratische Staats- und Rechtswesen von innen heraus zerstört werden. Wörtlich schreibt er: „Staat, Politik und Regierung fördern nicht nur ihre größten Zerstörer, sie sind sogar dazu verpflichtet, weil sich niemand traut, an dem Prinzip des verstaatlichten Geisteslebens zu rütteln.“ In diesem Beitrag soll am Beispiel des Verbandsklagerechts aufgezeigt werden, mit welchen Strukturen und rechtlichen Rahmenbedingungen dies tatsächlich passiert. Das Beispiel ist aus dem Umweltbereich. Ähnliche Strukturen wird es in vielen anderen gesellschaftlichen und politischen Handlungsfeldern geben.
Das Verbandsklagerecht
Das Verbandsklagerecht erlaubt sogenannten anerkannten Verbänden, gegen Verwaltungsvorgänge Klage zu erheben. Das Besondere daran ist, dass ein Verband keine direkte Betroffenheit aufweisen muss. Ein Bürger kann beispielsweise nur vor einem Verwaltungsgericht klagen, wenn er durch einen Verwaltungsakt eine direkte Betroffenheit vorweisen kann.
Im Zuge der Umweltgesetzgebung, die in den 1970er und 80er Jahren zuerst die Grundzüge von Immissions- und Emissionsgrenzwerten angingen, wurde auch das damals vollkommen neue Verbandsklagerecht erstmals im Bundesnaturschutzgesetz im Jahr 2002 eingeführt. Dies war eine strategische Entscheidung und hat maßgeblich zur Stärkung von Umweltverbänden und der grünen Bewegung beigetragen.
Grundsätzlich folgt die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem System des Individualrechtsschutzes. Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist nur derjenige klagebefugt, der geltend macht, durch den Verwaltungsakt in eigenen Rechten (subjektiv-öffentliches Recht) verletzt zu sein (Zitat aus Wikipedia).
Am weitesten geht die Regelung durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, dass diesen Grundsatz erheblich einschränkt. Für bestimmte umweltrechtliche Entscheidungen und Genehmigungen haben nun auch anerkannte Verbände ein Klagerecht und können vor den Verwaltungsgerichten die Rechtswidrigkeit des Genehmigungsbescheides rügen.
Mittlerweile ist eine Verbandsklage neben dem Naturschutzrecht auch im Umweltrecht, dem Behindertengleichstellungsgesetz, dem Tierschutz und auch im Zivilrecht möglich.
In der Weiterentwicklung und Anwendung des Verbandsklagerechts wurde dieses Instrument vielfach eingesetzt, um der Umweltbewegung mehr und mehr administrative Macht zukommen zu lassen. Die Umweltbewegung und die Grünen haben sich hierdurch sehr qualifiziert und sind nun die besten Vorschriften und Gesetze-Erfinder, weil sie so viele Prozesse geführt haben.
Das prominenteste Beispiel ist sicherlich die Deutsche Umwelthilfe e.V. (DUH). In Anwendung des Verbandsklagerechts hat die DUH beispielsweise mit Bezug zu EU-Regelwerken zahlreiche Städte in Deutschland verklagt, Maßnahmen zur Luftreinhaltung durchzuführen und Fahrverbotszonen auszuweisen. Im Ergebnis gibt es nun in zahlreichen Städten sog. „Umweltzonen“, viele Straßen mit Fahrbeschränkungen und Tempo-30-Zonen. Hierüber haben die Bürger der Städte nie abgestimmt, die Ratsmitglieder auch nicht. Die Maßnahmen wurden – ohne Betroffenheit der DUH – vor Gerichten erstritten. Es ist auch klar, dass diese Verfahren mit den Staatssekretären im Umweltministerium immer abgestimmt waren. Die DUH wurde instrumentalisiert, um ohne Gesetzgebung einen bundespolitischen Durchgriff auf die Kommunen zu haben – und in Umgehung demokratischer Entscheidungsprozesse.
Das alles ist ein struktureller Machtmissbrauch und hebelt demokratische Strukturen vollkommen aus.
Ausweitung des Klagerechts – Vergrößerung der „Zivilgesellschaft“
Wir müssen uns leider von der Vorstellung verabschieden, dass die Gängelung durch die DUH mit deren Abschaffung gelöst werden kann. Die von Markus Vahlefeld genannte Heranzüchtung der eigenen Feinde ist im Wirkungsbereich des Verbandsklagerechtes bestens organisiert und auf Wachstum ausgelegt.
Mit Bezug zum § 3 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes können Umweltverbände eine Anerkennung beantragen. Mit der Anerkennung erhalten sie besondere Beteiligungs- und Klagerechte. Das Umweltbundesamt (UBA) und die Anerkennungsbehörden der Länder sind hierfür zuständig.
Im Ergebnis dieser laufend stattfindenden Anerkennung wird also eine Heerschar von klageberechtigten Verbänden herangezüchtet, für die nach Vahlefeld der Begriff „Zivilgesellschaft“ angewendet wird.
Das UBA wurde von einer nachgeordneten Bundesbehörde als Umweltdaten-Sammelstelle in eine grün-woke gleichgeschaltete Institution umgewandelt und aufgebläht. Es passt also perfekt in diesen Geschäftsbereich, die umweltbezogene „Zivilgesellschaft“ ständig auszuweiten.
Die aktuelle Liste des UBA umfasst auf 20 Seiten rund 160 Verbände, die deutschlandweit klageberechtigt sind. Der NABU ist beispielsweise mit einer Armada von 15 Bundes- und Landesverbänden in dieser Liste vertreten. Es finden sich in dieser Liste jedoch auch Verbände wie „Bundesverband Meeresmüll e.V.“ oder „Bürgerinitiative für eine verträgliche Retention im Paminaraum e.V.“. Das Klagerecht ist nicht auf Umweltverbände beschränkt, weshalb in der Liste auch Verbände wie der Deutsche Alpenverein e.V. (DAV), der Deutscher Bahnkunden-Verband e.V., Prellbock Altona e.V. oder Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. aufgeführt sind.
Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Jedes Bundesland kann weitere Verbände als klageberechtigt anerkennen, wenn deren Wirkungskreis räumlich auf ein Bundesland oder Teile davon beschränkt ist. Für Nordrhein-Westfalen beispielsweise erfolgt die Anerkennung über das Umweltministerium und enthält in dieser Liste insgesamt 38 Vereinigungen und Verbände.
Wenn Sie, lieber Leser, politisch mitgestalten wollen, Ihnen der Weg über Parteien, Wahlen und Ratssitzungen zu mühselig ist, gründen Sie einen gemeinnützigen Verein, beantragen die Klagebefugnis, und dann können Sie sich einmischen – auch ohne demokratische Legitimation. Ein schönes Beispiel kann man hier nachlesen. Der Verein wirbt hier für sich mit „vom UBA anerkannter Umweltverband“.
Das Verbandsklagerecht als Machtinstrument
Das Verbandsklagerecht kann man heutzutage getrost als ein eingeführtes Machtinstrument bezeichnen. Kritiker bemängeln, dass die Ablösung vom System des Individualrechtsschutzes ein erheblicher Eingriff in unser Rechtswesen ist. Dieser Umstand wird als moderne Form der Inquisition interpretiert und steht auch in deutlicher Konkurrenz zu den individuellen Grundrechten.
Auch die Nicht-Anwendung des Verbandsklagerechts kann durchaus als Machtinstrument betrachtet werden. Bei der Ausweisung und dem Bau von riesigen Windenergieanlagen im Reinhardswald in Hessen haben beispielsweise nur die Naturschutzinitiative und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald gegen das Vorhaben geklagt. Die beiden anderen viel größeren und mächtigeren Umweltverbände wie der NABU oder der BUND unterlassen hier ihre Klagebefugnis. Beide Verbände sind auf die Klimaagenda eingeschworen, und aus diesem Grunde können und wollen sie nicht gegen Wind- und Solaranlagen klagen.
Auch aus diesem Grunde wurde vor 10 Jahren die Naturschutzinitiative e.V. gegründet, die eine dezidierte Gegenposition zu dem Ausbau von Windenergieanlagen im Wald vertritt.
Deutlich wird hierbei, dass hier eigentlich notwendige gesamtgesellschaftliche Diskussionen, im Sinne des von Vahlefeld angesprochenen Geisteslebens, die offen geführt werden müssten, nun an Vereine und Gerichte ausgelagert sind. Die Vereine greifen – nur ihren Satzungszielen folgend, ohne eigene Betroffenheit und ohne eine demokratische Legitimation – nach einer formalen und Diskurs bestimmenden Macht.
Ein aktuelles und surreales Beispiel für die Wirkungsweise des Verbandsklagerechts spielt sich rund um den Goldschakal auf Sylt ab. Hier hat ein eingewandertes Tier bis zu 90 Schafe gerissen oder verletzt. Die wirtschaftliche Situation des Schäfers ist dadurch sicherlich sehr stark beeinträchtigt. Ob und wie nun der Schakal „entnommen“ werden kann, hängt von den Umweltverbänden ab, die sich zu einer Klage entscheiden oder dies unterlassen wollen. Die individuellen Grundrechte des Schäfers und der Küstenbewohner spielen in diesem juristischen Spektakel offensichtlich keine Rolle. Und das ist ein anderes großes Desaster in Verbindung mit dem Verbandsklagerecht und damit auch der Beeinflussung des Geisteslebens.
Frank Bothmann (Jahrgang 1962), Diplom-Geograph, ist als Landschaftsplaner im Ruhrgebiet tätig.