„Raubtierkapitalismus“? Ach Gottchen. Jeder, der viel Staat möchte, ist für Raubtieretatismus. Parteien machen sich den Staat zur Beute wie andernorts Clans oder Stämme.
Oft hört man die Bezeichnung „Raubtierkapitalismus“. Das hat mich immer gewundert, weil mich bisher weder der Bäcker noch der Möbelhändler oder sonst jemand mit Gewalt dazu zwang, dessen Waren oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Es ist ausschließlich der Staat, der dies unter Nutzung von Gewalt, der „Staatsgewalt“, tut. Er zwingt mich (sogar häufig) dazu, Dinge zu tun, die ich nicht möchte, oder Geld für etwas zu zahlen, was ich aus tiefstem Herzen ablehne. So möchte ich z.B. definitiv nicht die Hamas unterstützen und auch nicht die UNRWA. Aber der Staat zwingt mich. Er hat die Gewalt inne, das heißt Strafe bis hin zum Freiheitsentzug.
Richtig muss es also heißen Raubtieretatismus. Und jeder, der viel Staat möchte, ist für Raubtieretatismus. Die Parteien, die sich den Staat zur Beute machen wie andernorts Clans, Stämme oder religiöse Glaubensgemeinschaften, möchten ihre Macht mittels Staatsgewalt ausdehnen und natürlich auch ihre Gefolgsleute versorgen. Daher ist mehr Staat und Zwang logische Folge der Parteienherrschaft. Demokratie verkommt so zum Recht des Stärkeren, der die Staatsgewalt missbraucht, um den Willen seines Clans, seines Stammes oder seiner Sekte allen anderen aufzuzwingen. Das aber ist nicht Demokratie, schon gar nicht eine freiheitliche. Das ist Unterwerfung.
Die Grundidee der Demokratie ist gerade nicht, die Bürger mit Hilfe der Staatsgewalt dazu zu zwingen, den jeweiligen Phantasmagorien machthungriger Minderleister Folge leisten zu müssen; die Essenz der Demokratie liegt darin, den Bürgern zu ermöglichen, nach ihrer und nicht nach der Fasson der jeweiligen Machthaber leben zu können.
Wie fern der Staat mittlerweile von dem Idealzustand ist, zeigen ein paar Beispiele aus der Praxis:
Geldentzug
„Sehr geehrter… ich möchte Sie nachträglich über die Korrektur ihrer Versorgungsabrechnung informieren. In meiner Versorgungsmitteilung vom… habe ich versehentlich keinen Hinweis darauf gegeben, dass ein Betrag aufgrund einer Überzahlung automatisch einbehalten wurde und somit eine Aufrechnung mit Ihren Bezügen stattgefunden hat. …Der zu viel gezahlte Betrag in Höhe von… wurde bereits mit der aktuellen Abrechnung verrechnet, ohne dass Sie zuvor darüber informiert wurden. Für dieses Versäumnis sowie den Berechnungsfehler möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen.“
Was war geschehen? In einem Bundesland, welches ohnehin durch eine niedrige Besoldung „glänzt“ (die Besoldung von Beamten ist unterschiedlich, sie variiert nicht nur zwischen Bundesländern, sondern auch im Verhältnis zum Bund; identische Tätigkeiten werden bei derselben Eingruppierung völlig unterschiedlich entlohnt), wurde Beamten ohne Vorankündigung die Versorgung um einen erheblichen Betrag gekürzt. Hintergrund war ein Berechnungsfehler bei der schon länger zurückliegenden Sonderzahlung.
Der erste Fehler der Besoldungsstelle lag darin, keine ordentliche Abrechnung erstellt zu haben. Diese wäre nicht nur Voraussetzung für die Überprüfung seitens der Empfänger gewesen, der Fehler wäre der Behörde dann selbst aufgefallen. Aber über solche – früher selbstverständlichen – Vorgehensweisen scheint man sich heute erhaben zu fühlen.
Als dieser Fehler auffiel, wurde der Gesamtbetrag ohne Vorankündigung zurückgeholt. Für viele war das desaströs, z.B. für die unteren Besoldungsgruppen. Bekanntlich verdienen Beamte, die nicht über politische Beziehungen verfügen, nicht allzu viel. Manche verdienen praktisch so viel, wie Bürgergeldempfänger monatlich erhalten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, diesen Missstand zu beheben, wird ignoriert. Wenn dann in einem Monat überraschend kaum Gehalt kommt, wissen die Betroffenen ernsthaft nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Aber auch Andere trifft es, wenn z.B. Einzugsermächtigungen oder Daueraufträge nicht ausgeführt werden oder man beim Einkaufen nicht mehr mit der Karte bezahlen kann, weil das Konto völlig überraschend keine Deckung aufweist. Lustig ist das nicht.
Natürlich gab es einen Aufschrei, das zitierte Schreiben war die Reaktion. Die Bitte um Entschuldigung ist nett, hilft in der Sache aber nicht weiter. Sie kommt zu spät. Vor allem zeigt der Vorgang, wie kaltschnäuzig und autoritär vorgegangen wird.
Sie oder ich, wir hätten die Sache völlig anders gehandhabt, oder? Nachdem man den Fehler bemerkt hätte, hätte man die Betroffenen angeschrieben und ihnen dieses mitgeteilt. Übrigens mit einer Abrechnung, so dass eine Überprüfung möglich gewesen wäre; diese fehlt nämlich immer noch. Dann hätte man zu diesem Zeitpunkt um Entschuldigung gebeten und angekündigt, dass der überzahlte Betrag in zwei oder drei Raten einbehalten werde, verbunden mit der Bitte, mitzuteilen, wenn diese Regelung finanziell nicht tragbar sei. Und das macht man eben vorher, bevor das Geld einbehalten wird, so dass jeder rechtzeitig Bescheid weiß und sich darauf einrichten kann.
Nichts daran ist schwer, man muss auch nicht studiert haben, man muss einfach nur eine andere Einstellung zu seinen Mitmenschen haben. Weniger autoritär zum Beispiel.
„Rechtschutzverweigerung“
Nehmen wir einen anderen aktuellen Fall: Ein Unternehmen (Industrie) hätte eine staatliche Zuwendung im Rahmen von Corona erhalten sollen. Der Antrag ging durch, alle Voraussetzungen waren erfüllt. Dabei ging es um eine beträchtliche Summe, und diese war von durchaus existenzieller Bedeutung. Wie im obigen Fall wurden aber handwerkliche Fehler gemacht: Der Bewilligungsbescheid ging an einen Dritten, und irgendwann erfuhr das Unternehmen eher zufällig, dass die eigentlich bewilligte Zuwendung widerrufen worden war, ohne Begründung und ohne Anhörung. Dass dies rechtswidrig ist, weiß selbst ein Laie.
Das Unternehmen klagte. Dafür mussten Gerichtskosten gezahlt werden, die das Gericht in einer kaum zu begründenden Höhe festsetzte. Dies schmerzte das Unternehmen doppelt.
Nachdem das Verfahren schon gut 15 Monate läuft, wurde die Zuständigkeit auf eine andere Kammer übertragen. Letzte Woche kam folgende Mitteilung des Gerichts:
“... darauf hinzuweisen, dass die Kammer noch zahlreiche weitere, bisweilen deutlich ältere Verfahren aus dem Landwirtschafts- und Subventionsrecht (auch aus den Jahren 2017 ff.) übernommen hat, alleine in meinem Dezernat sind 30 ältere Verfahren. Diese werden nunmehr von der Kammer bearbeitet und gefördert; angesichts der großen Anzahl kann ich Ihnen aber einen Verhandlungstermin nicht seriös prognostizieren.”
Schaut man sich den Geschäftsverteilungsplan des fraglichen Gerichts an, so sind sämtliche Kammern umfangreich mit Asylsachen befasst. Bei anderen Verwaltungsgerichten sieht es ebenso aus.
Speziell die Asylverfahren sind allein schon wegen ihrer Anzahl für die Gerichte ein erhebliches Problem. Die Migration hat also nicht nur negative Konsequenzen im Bereich Sicherheit, Wohnraum, Schule, Kinderbetreuung usw. Sie führt auch dazu, dass Gerichte massiv überlastet sind und der “normale” Rechtsuchende auf der Strecke bleibt.
Man kann sich unschwer vorstellen, was Betroffene über Institutionen denken, die Anfängerfehler machen, damit erheblichen Schaden anrichten und über Gerichte, die zwar sofort Gerichtskosten einfordern, aber erst (wenn überhaupt) in ungewisser Zukunft Recht sprechen.
Betroffene nennen es Rechtsschutzverweigerung. Vom Rechtsstaat halten sie nicht mehr viel, von Deutschland auch nicht.
“Majestätsbeleidigung”
Ich könnte noch andere ähnliche Fälle aufführen, aber es wären letztlich nur Wiederholungen. Es lassen sich drei Kernkomponenten feststellen:
• Die Politik steuert den Staat zielgerichtet entsprechend ihrer Ideologien mit fatalen Folgen.
• Behörden und Institutionen handeln zunehmend fehlerhaft und autoritär.
• Gerichte kommen ihrer Aufgabe, dem Bürger Rechtsschutz zu gewähren, nicht angemessen nach.
Die Zeche dafür zahlen aber niemals die Verantwortlichen, diese zahlt stets der Bürger. Wagt er es, Kritik an diesen Zuständen zu äußern, bekommt er plötzlich die Staatsgewalt zu spüren.
Legendär sind die Anzeigen wegen “Majestätsbeleidigung” (§ 188 StGB) seitens sich beleidigt fühlender Politiker. Dabei sind Staatsanwaltschaften ohnehin überlastet: “Bundesweit türmen sich offene Verfahren bei den Staatsanwaltschaften – mehr als 900.000 sind es vergangenes Jahr gewesen”, so die Tagesschau.
Bei den Strafgerichten ist es nicht anders, es gibt immer mehr Fälle, in denen Verdächtige (u.a. Mörder) wegen überlanger Verfahren aus der U-Haft entlassen werden müssen.
Angesichts dieser Zustände habe ich überhaupt kein Verständnis dafür, wenn sich Politiker verschiedener Parteien das Recht herausnehmen, wegen ihrer verletzten Gefühle die Justiz zu belästigen. Hat sich auch nur einer der Damen und Herren einmal überlegt, dass der Staat nicht dazu da ist, ihre Herrschaft zu sichern, sondern dem Schutz der Bürger dient? Einer Aufgabe, der er nicht nachkommen kann, wenn die zuständigen Stellen von hochsensiblen Politikern in Anspruch genommen werden, statt sich um Schwerstkriminelle kümmern zu können.
Als wenn das nicht reichen würde, kommt nun der Digital Service Act, mit dem gegen von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerungen unter den Oberbegriffen „Hass und Hetze“ vorgegangen werden soll. Kein Wunder, die Kritik an diesem Staat wird aus gutem Grund immer lauter. Also „muss“ der Bürger zum Schweigen gebracht werden. Die Staatsgewalt wird gegen den Bürger eingesetzt, damit er pariert. Das ist Unterdrückung.
Der Westen
Kürzlich wurde bei X (vormals Twitter) eine Gruppe unter dem Hashtag #mehrFreiheit gegründet. Jeder, der mich nur halbwegs kennt, kann sich denken, dass ich dabei bin. Der kluge Michael Sander, ebenfalls Mitglied der Gruppe, hat als Credo verfasst:
„Der Westen, das ist die Idee einer freien Gesellschaft, wo ein jeder sein Leben eigenverantwortlich und frei von staatlicher Bevormundung, von Angst und Zwang leben kann, solange er keine Straftaten begeht. Es ist die Idee eines Rechtsstaates, der das private Eigentum garantiert und wo die staatlichen Organe selbst an das Recht gebunden sind und dieses Recht auf demokratische Weise beschlossen wird. Es ist die Idee eines Staates, der sich aus dem Leben seiner Bürger weitgehend heraushält und sich darauf beschränkt, die Gesellschaft vor äußeren und inneren Feinden zu schützen sowie Infrastruktur und Rahmenbedingungen für eine prosperierende Wirtschaft bereitzustellen. Dieser Westen lebt vom freien Austausch von Gütern und Ideen, und er ist erfolgreich, weil es einen freien Wettbewerb um die besten Güter und die besten Ideen gibt.
Es wird viel kritisiert am Westen, denn Meinungsfreiheit und Kritik sind Teil der westlichen Kultur. Den Westen jedoch grundsätzlich infrage zu stellen, nur weil Fehler gemacht wurden, ist falsch und dumm. Irrtümer gehören zum Leben und auch zur Entwicklung einer Gesellschaft. Es kommt nicht darauf an, dass man keine Fehler und Irrtümer begeht, sondern darauf, daraus zu lernen und es zukünftig besser zu machen. Das gilt für den Einzelnen, wie auch für Staat und Gesellschaft. Auch Fehlerkultur ist Teil der westlichen Kultur.
Den Westen zu verteidigen, bedeutet, die Ideen und die freien Gesellschaften des Westens gegen innere und äußere Feinde zu verteidigen, und es sind deren viele. Die inneren Feinde des Westens sind jene, welche seine grundsätzlichen Ideen infrage stellen und untergraben, indem sie zum Beispiel den Staat auf eine Weise überdehnen, sodass er unweigerlich mit der freien Gestaltung des Lebens seiner Bürger in Konflikt gerät. Und es sind natürlich auch jene, die die freie Gesellschaft und ihre Werte an sich ablehnen und durch ein System des Zwanges und der Bevormundung ablösen wollen. Von außen ist der Westen von unfreien, totalitären Staaten bedroht, welche die Offenheit der westlichen Gesellschaften ausnutzen, um ihn zu schwächen und zu destabilisieren, weil sie einen schwachen Westen wollen, um ihre eigene Vorherrschaft zu etablieren und auszubauen.
Es gibt kein Machtvakuum auf dieser Welt, und die Alternative zu westlicher Vorherrschaft ist die Vorherrschaft von Unfreiheit und Gewalt. Der Westen muss wieder stärker werden, nach innen wie auch nach außen. Nach innen bedeutet, die Ideen, die den Westen ausmachen und ihn stark und attraktiv gemacht haben, wieder zu re-etablieren und den übergriffigen Staat aus dem Leben seiner Bürger zurückzudrängen. Es bedeutet auch, entschlossen gegen jene vorzugehen, die an der Abschaffung der freien Gesellschaft arbeiten und deren Werte und Grundüberzeugungen ablehnen. Nach außen bedeutet, die Verteidigungsfähigkeit wieder vollumfänglich herzustellen, die NATO zu stärken und ja, den Westen als globale Ordnungsmacht wieder zu re-etablieren. Wir brauchen mehr Westen und nicht weniger.“
Besser kann man es nicht sagen. Und es gibt viel zu tun.
Annette Heinisch, Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg, Schwerpunkt: Internationales Bank- und Währungsrecht und Finanzverfassungsrecht. Seit 1991 als Rechtsanwältin sowie als Beraterin von Entscheidungsträgern vornehmlich im Bereich der KMU tätig.