Für alte Männer, die nicht loslassen können, wie Moshe Zimmermann und Shimon Stein, sind es schwere Tage. Der notorisch israelfeindliche "Spiegel" gibt ihnen aber willig eine Plattform für einen seltsamen Auftritt.
Der 81-jährige Moshe Zimmermann, seit anderthalb Jahrzehnten in Pension, einst Professor für Zeitgeschichte an der Universität Jerusalem, und der 76-jährige Shimon Stein, gleichfalls pensioniert, zuletzt Botschafter Israels in Berlin, sorgen sich um die „rechtswidrige Palästinapolitik“ der israelischen Regierung. Sie fühlen sich, da beide des Deutschen mächtig, dazu aufgerufen, ihre Besorgnisse in Deutschland öffentlich zu machen und finden, wenig überraschend, im notorisch Israel-feindlichen Magazin Der Spiegel eine willige Plattform. Doch das genügt ihnen nicht: Sie fordern auch gleich die deutsche Regierung auf, sie müsse der Politik Israels „eine Absage erteilen“.
Nein, ich mache mich nicht über das vorgerückte Alter der beiden aufgeregten alten Herren lustig – ich bin selbst kaum jünger, 70 immerhin. Und weiß, dass wir alle in diesen Jahren mit ein paar Problemen zu kämpfen haben. Mit nachlassendem Kurzzeitgedächtnis und schwindenden koordinativen Kapazitäten, mit einem unweigerlich einsetzenden Entfremden des eigenen Welt- und Zeitgefühls von zunehmend unbegreiflichen neuen Realitäten. Meine Enkelin bei der Armee kann eine bewaffnete Drohne lenken wie ein Spielzeug, und ich bin kaum imstande, mein Smartphone zu bedienen. Manche – und gerade solche, die früher viel Geltung hatten – werden von Eifersucht geplagt gegenüber den Jüngeren, die jetzt das Sagen haben. Und manchen fällt es auch einfach schwer, sich zurückzuziehen, in die wohlverdiente Ruhe des Alters, in das von Cicero gepriesene Otium cum dignitate, die heilsame Abkehr von der Geschäftigkeit einer eitlen Welt.
Ein Mann wie Moshe Zimmermann scheint dazu weder willens noch imstande. Er murrt und rumort und raschelt im Blätterwald mit seinen immerwährenden Klagen. Erst kürzlich erklärte er gegenüber HaAretz – der letzten israelischen Zeitung, die ihn noch interviewt – seine These vom „Scheitern des Zionismus“. Schon seit Jahrzehnten entwickelt sich Israel seiner Ansicht nach falsch. Nichts geht so, wie er sich dachte: Weder gibt es einen Palästinenserstaat, noch hat in Jerusalem die israelische Linke das Sagen, die guten Kubbuzniks der heroischen Frühzeit, deren sozialistische Träume leider durch ihre Insolvenz im Sturzflug endeten.
Den zeitgleichen enormen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, die Hightech-Revolution, die umwerfende Weltoffenheit der israelischen Jugend hat Zimmermann kaum mitbekommen, die fantastische demographische Entwicklung ist an ihm vorbeigegangen: Israel ist ein junges Land, fast 40 Prozent aller Israelis sind unter 20 Jahre alt, und keiner von ihnen interessiert sich für die Apodikte Moshe Zimmermanns. Die meisten dieser jungen Leute waren noch gar nicht geboren, als Zimmermann an der Uni Jerusalem das große Wort führte.
Extremist innerhalb der linkesten israelischen Linken
Er hatte schon damals Schwierigkeiten mit der israelischen Jugend. „Er wurde mehrfach (von Studenten – C.N.) vor Gericht verklagt, weil er Kinder von Siedlern in Hebron mit der Hitlerjugend gleichsetzte“, dokumentiert die NGO Israel Academia Monitor im Internet. „Oder weil er die 'Motivation und die Dienstbedingungen einiger Eliteeinheiten' in der israelischen Armee mit der Waffen-SS (…) verglich und die Bibel mit Hitlers Buch 'Mein Kampf'. Er seinerseits verklagte eine ehemalige Magisterstudentin wegen Verleumdung, da sie ihm vorgeworfen hatte, solche 'Äquivalenz-Theorien' zu vertreten, um den deutschen Stiftungen zu gefallen, die ihn mit Ehrungen und Geldspenden überhäuften. Seine Klage gegen die Studentin wurde abgewiesen.“
In der Tat wird das Studienzentrum, an dem Zimmermann seine Professur innehatte, durch deutsche Regierungsgelder finanziert, er gehörte zum Richard Koebner Minerva Center for German History, an dem allerdings auch anständige Lehrkräfte unterrichten. Die zitierten Ansichten weisen Zimmermann selbst innerhalb der linkesten israelischen Linken als Extremisten aus. Falls es sich nicht um eine bizarre Selbstdarstellung handelt, die ärztlicher Behandlung bedarf. Auf keinen Fall kann jedoch dieser 81-Jährige als Stimme für irgendeine Gruppe der israelischen Gesellschaft herhalten, womöglich für eine Mehrheit, als die ihn Der Spiegel verkauft. Vielleicht hat Zimmermann irgendwo ein paar alte Freunde, die ihn in seinen Ansichten bestärken, aber es handelt sich um Leute, die hier in Israel derzeit keine Zuhörer finden. Gewiss, vor zwanzig Jahren sah das alles noch ein wenig anders aus. Doch unter Umständen kann Älterwerden dahin führen, Veränderungen nicht mehr mitzubekommen und damit auch nicht die eigene Marginalisierung.
Für alte Männer, die nicht loslassen können, wie Moshe Zimmermann und Shimon Stein, sind es schwere Tage. Daher dieser Aufschrei, dieser seltsame Auftritt zweier Pensionäre, die sich für israelische Granden halten. Es gehört zu den harten Realitäten des Krieges, dass jetzt die Jugend das Sagen hat, weil sie es ist, die unter Waffen steht und das Land an mehreren Fronten verteidigen muss. Denn es ist ein Verteidigungskrieg, er ist unvermeidlich und wird von der überwältigenden Mehrheit so gesehen, auch wenn Zimmermann in altersstarrer Obsession behauptet, es sei ein Krieg, den Netanyahu, ein paar Generäle und Siedlerführer gegen die Interessen der israelischen Bevölkerung führen. Unter Dauer-Raketenbeschuss durch die Hisballah ist kein normales Leben möglich, also muss es auch im Norden Krieg geben – oder besser gesagt: Es gibt ihn längst –, ob es uns passt oder nicht. Ob man im Alter geistig erstarrt, ist nicht so sehr eine Frage des Alters als des Charakters, der eben jetzt, im Alter, immer deutlicher zutage tritt. Tolerant war Moshe Zimmermann nie. Auch nicht generös. Er hat Deutungshoheit nie gern geteilt. Auch jetzt weiß er wieder besser als alle anderen, wie es hätte gemacht werden müssen.
Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.