Der Sonntagsraser: Wir haben es eilig

Es war der Renner der Woche. Baden-Württembergs grüner Umweltminister Franz Untersteller, wurde auf der Autobahn zwischen Stuttgart und Karlsruhe mit 177 km/h aktenkundig. Erlaubt waren 120. Die Meldung erregte insofern meine besondere Aufmerksamkeit, als ich am selben Wochenende, mit der gleichen Automarke, auf der gleichen Strecke ebenfalls rüstig auf Reisen war. Im Sonntagsfahrer  von letzter Woche („Diese Kolumne ist systemrelevant“) habe ich es ahnungsvoll so beschrieben: „Und siehe da, der Herrgott schickte uns Corona und mir eine am Sonntagmorgen absolut leere Autobahn. Selbst um das notorisch verstopfte Stuttgart herum war es so einsam, als habe Donald Trump den Schwaben zum Abschied eine Neutronenbombe unters Neckarstadion gebettet“.

„Ich hatte es eilig“, gab Untersteller als Entschuldigung zu Protokoll, womit der erste Unterschied zu meiner Fahrt bereits umrissen ist: Ich hatte es nicht eilig. Ich hatte einfach nur Spaß. Bin ja auch kein Minister. Der zweite Unterschied: Er wurde erwischt. Ich nicht. Bin ja auch kein Trottel. Das liegt offenbar an meiner jahrzehntelangen Kenntnis der Strecke zwischen Stuttgart und Karlsruhe, die nicht nur die bergige Topografie einschließt sondern auch das kantige Wesen der dort diensthabenden Autobahnpolizei.  

Die dreispurig ausgebaute Teilstrecke führt hinter Heimsheim über eine Kuppe und von da an kurvt man bergab wie beim Riesenslalom auf dem Hahnenkamm. 177 km/h – der Tachometer dürfte etwa Tempo 200 anzeigen – zeugen hier von unbedingtem Siegeswillen, zumal Untersteller als Tischtennisspieler (TTF Neckarhausen in der Kreisklasse C) über gute Reaktionszeiten und Reflexe verfügt. Auf der Seite des Tischtennisverbandes Baden-Württemberg  heißt es in einem dem Minister gewidmeten Bericht: „Sport ist ein idealer Spielraum für nachhaltiges Handeln: Energie, Ehrgeiz, Engagement, Teamgeist und unterschiedlichste Talente treffen hier zusammen.“ 

Im idealen Spielraum hinter Heimsheim trafen zusammen: Ein ehrgeiziger Umweltminister, sein Audi mit unschlagbarem Verbrennungsmotor und zwei engagierte Diensthabende der Autobahnpolizei mit Teamgeist. Letztere haben dort in einer gesperrten Zufahrt ein Stammplätzchen und verzögern den Verkehr wie der Juchtenkäfer Stuttgart 21. Wenn sie gerade kein Pingpong spielen, lauern sie mit laufendem Motor und einer Laserpistole olympiaverdächtigen Verkehrsteilnehmern auf und bitten sie umgehend und nachhaltig zur Kasse. Ich salutiere immer freundlich, wenn ich da vorbeikomme und hole dann zukunftsfähig Schwung für den nächsten Berg. Eilig bin ich aber nicht. Deshalb habe ich auch keine Bio-Tomaten auf den Augen, sondern erspähe die endemische Juchtenkäfer-Population rechtzeitig am Wegesrand. Untersteller war offensichtlich alleine unterwegs, sonst hätte ihn vielleicht der Beifahrer auf die dräuende Gefahr aufmerksam gemacht. Außerdem hätte er dann behaupten können, die Geschwindigkeitsgrenze gelte seiner Ansicht nach pro Person.

Hummer aus Hamburg

Stattdessen tat er brav kund: „Das ist natürlich kein Kavaliersdelikt, wenn man so deutlich über der vorgeschriebenen Geschwindigkeit unterwegs ist, wie ich es war.“ Ich finde, damit bleibt er entschieden hinter den Möglichkeiten kreativer Zerknirschung zurück. Vielleicht hätte er angeben sollen, er habe "im Rahmen eines humanitären Einsatzes" Gas gegeben respektive fehlgetreten, so wie dieser Hummer aus Hamburg

Dem schnellen Untersteller klebt die Fahrt jetzt jedenfalls an der Sohle wie einem Bundespolizisten die Scheiße im Hambacher Forst. Denn das einzige, was Heuchler einem anderen Heuchler wirklich übelnehmen, ist nicht der Fehltritt an sich, sondern die Tatsache, dass er sich beim Heucheln erwischen lässt. Der schnelle Untersteller, die beschwingte Käßmann, der zweigleisige Seehofer, sie alle fielen Verkehrsdelikten anheim. Bill Clinton ebenfalls, aber der spielte nicht beim TTF Neckarhausen in der Kreisklasse C. Ich finde die kleine Heuchelei zwischendurch ehrlich gesagt gar nicht so schlimm. Denn die Damen und Herren richten mit ihren Ausflügen ins Menschliche meist deutlich weniger Schaden an als auf Dienstfahrt. Das gefährliche sind nicht die kleinen Heucheleien, sondern die großen Lügen, die sie selbst glauben.

Der neueste grüne Verkehrsunfall wird gerade aus Brüssel gemeldet. Im Windschatten der Corona-Krise wurde dort beschlossen, dass Im Vergleich zu 1990 im Jahre 2030 nicht mehr nur 40 Prozent, sondern 55 Prozent weniger CO2, sprich Kohlendioxid emittiert werden soll. Benzin, Gas, Heizöl und Strom sollen noch viel teurer werden als heute schon. Autoindustrie, Landwirtschaft, Kraftwerke werden mit überhöhter Geschwindigkeit abgewickelt und das Land aus humanitären Gründen gegen die Wand gefahren. Oben drauf auf die Corona-Krise kommt also ein zusätzliches Armutsbeschaffungs- und Deindustrialisierungs-Programm zur Rettung der Menschheit. So eine Art Lockdown plus. Leider gibt es dafür kein Tempolimit und auch keine wackeren schwäbischen Polizisten, die es überwachen. Nur Umweltminister, die Gas geben.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Bain News Service/Library of Congress via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Peter Wachter / 13.12.2020

Gerade seh ich auf phoenix: “DDR - 6 Tage Eiszeit” Kann uns aber nicht passieren, den in Zukunft haben wir ja Klimaerwärmung und CO2-Reduzierung !?

E. Albert / 13.12.2020

Klingt wie üblich nach “Wasser predigen, aber selbst Wein saufen”. Das unterstreicht erneut das Selbstverständnis unserer selbsternannten “Exzellenzen”, die sich mittlerweile ganz selbstverständlich wie die legitimen Nachfolger der absolutistischen Monarchen verstehen und entsprechend gebärden. Restriktionen aller Art gelten selbstverständlich nur für uns “Equals”.  Es heißt ja auch “Sie werden weniger XYZ…”, nicht “Wir werden weniger…” (vgl. Schwab/WEF) Freuen wir uns also auf die Neuauflage des Feudalismus, nur diesmal geschickter verpackt und mit schlimmsten digitalen Möglichkeiten untermauert. - Apropos: Hat jemand noch ein paar Böller vom letzten Jahr übrig? Das wäre doch was: Silvester-Knallerei als Form von Widerstand. (So weit sind wir schon!) Die können uns schließlich nicht alle wegsperren. (Unsere Neuankömmlinge werden sich diesen Spaß sowieso nicht nehmen lassen…) (@ Reinhard Ickler - Ihr Wort in Gottes Ohr!)

Christina M. Kerpen / 13.12.2020

Ist doch wunderbar, wir Europaer reiten jubelnd ins Mittelalter und, bis auf einige Landesfürsten, in die grasierende Armut zurück, während alle Länder die noch vor kurzem von uns ihrer Rückständigkeit wegen belächelt oder bedauert wurdem, mit Raketen in den Wohlstand an uns vorbeischießen. Es lebe die verlogene, kriminelle Diktatur aus Grünen und Merkel.

Lars Bäcker / 13.12.2020

Man sollte den Umweltminister in Schutz nehmen. Immerhin war er schneller am Ziel und hat somit die Umwelt kürzer belastet. Okay, der war alt und auch nicht besonders intelligent, dürfte sich aber auf dem Niveau von Unterstellers geistigem Zustand bewegen.

R. Fetthauer / 13.12.2020

Es bleibt eine Hoffnung: Die Herrschaften der augenblicklichen Zeitgeistströmung entblöden sich nicht Ihre eigenen Ansprüche (die hauptsächlich für die Anderen gelten sollen) in der Hoffnung darauf unentdeckt zu bleiben, beständig zu unterlaufen. Der Wähler entblödet sich nicht, dies bei den nächsten Wahlen mit dem notwendigen Wohlwollen zu goutieren und Ihrem Handeln damit die Zwanghaftigkeit zu nehmen! Damit wären beide Seiten befreit!

Hans-Peter Dollhopf / 13.12.2020

Wolf von Fichtenberg, glasklar Treffer unter der Gürtellinie und versenkt! Leider sind wir als Schanghaite nun an Bord dieser “D.S. Realität” und müssen mit ihr zusammen absaufen oder allein weiter schwimmen ins Nichts.

Maren Müller / 13.12.2020

Der größte Skandal ist doch, dass Herr Untersteller als Minister in Ba-Wü einen AUDI fährt!!!!!!

Peter Wachter / 13.12.2020

@M.-A. Schneider, ich hätt´ da noch was zum Heulen, in diesen lustigen Zeiten. Kennen sie schon die zukünftigen AHA-Regeln, so ab 2022 oder spätestens 2030 ? Arbeit weg / Haus weg / Angespartes weg.

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