Seit dem Auftritt der isländischen Nationalmannschaft auf der Fussball-Europameisterschaft hat das kleine Inselreich da oben im Atlantik wieder Konjunktur. Die Isländer sind nämlich nicht nur erfahrene Seefahrer und begnadetet Stehaufmännchen, sondern auch ausgesprochene PR-Genies. Vielleicht ist es ja dem ein oder anderen aufgefallen: Im Wetterbericht wird der früher gebräuchliche Ausdruck „Island-Tief“ so gut wie nicht mehr verwendet. Die Isländer haben mächtig Lobby-Arbeit geleistet, weil der Terminus ihrer Meinung nach den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt und dem Tourismus auf ihrer schönen Insel schadet.
Nun, das berüchtigte Tief braut sich dort oben weiterhin zusammen, ich kann zuverlässig davon berichten. Habe gestern nämlich mit Henryk M.Broder telefoniert, der derzeit auf einem Schiff um die Insel herumkreuzt, weiß der Teufel warum. Das schöne an solchen Schiffen ist heute übrigens, dass man Telefon- und Internetanschluss hat. Weniger schön ist, dass man bei Sturm in manche Häfen nicht einlaufen kann und draußen in der atlantischen Suppenküche verharren muss. Und gestern war Sturm. Nix Landgang.
Die leicht flaue Stimme von Henryk erinnerte mich an meine eigene Seefahrer-Erfahrung dort oben, es ist ein paar Jahre her. Schon an Land beschrieb ein Hafenarbeiter die Wetterlage mit „horizontalem Regen“. Regen von der Seite bedeutet zugleich Sturm. Ich fand es damals trotzdem eine gute Idee, die Autofähre zu den der Küste vorgelagerten Westmänner-Inseln gebucht zu haben.
Die Überfahrt dauert normalerweise zweieinhalb Stunden, bei Sturm und Gegenwind können es aber auch mal vier Stunden werden. Die turmhohe Größe des Schiffes wirkte beruhigend, die Aktivität im Laderaum weniger: Sorgfältig wurde alles gesichert, mein Leihwagen mit dicken Riemen festgeschnallt. Kaum hatte die Fähre den ruhigen Hafen verlassen, wusste ich warum. Der Sturm packte das Schiff und es neigte sich langsam aber unaufhörlich zur Seite. Durch die Fenster auf der rechten Seite blickten die Passagiere in den Himmel, auf der linken Seite tief in die dunkle See.
Auf dem Wellen-Kamm befindet sich der Magen im Zustand der Schwerelosigkeit
An Bord gestaltet sich das Geschehen so: Tassen und Gläser auf den Tischen kommen ins Rutschen. Plötzlich stehen sie still und machen sich in die andere Richtung auf den Weg. Das schifft pendelt zur entgegen gesetzten Seite bis dort wiederum der Anschlag erreicht ist. Ab und zu verschwindet es in ein Wellental und es drückt den Magen der Passagiere tonnenschwer nach unten. Dann geht es die Welle wieder bergauf und auf dem Kamm befindet sich der Magen im Zustand der Schwerelosigkeit. Schade, dass kein Auto-Ingenieur an Bord ist: Er könnte Rollmomente, Gierwinkel, Längs- und Querbeschleunigung sicherlich prima erklären. Vielleicht würde er aber auch nur sterben wollen. So wie ich.
Als sich die Fähre nach bewegten Stunden durch die versteckte Hafeneinfahrt von Heimæy schiebt, beschliessen ich doch noch weiterzuleben, zumindest bis zur Rückfahrt. Am Anleger erwartet mich Kristìn Jóhannsdóttir, die hier geboren ist. Sie kennt auf Island praktisch jeden. Auf Island kennt überhaupt jeder fast jeden, zumindest um ein oder zwei Ecken - was angesichts von 300.000 Einwohnern auch kein Wunder ist. Kristìn hat lange in Deutschland gelebt und dort für den isländischen Tourismus geworben. Jetzt tut sie es aus der Heimat, sie hat einen Crashkurs in Sachen isländischer Mentalität und isländischem Optimismus versprochen. An dieser Lebenseinstellung liegt es, dass dem Besucher auf Island trotz des Wetters so warm ums Herz wird.
Kristìn freut sich besonders, dass ich ein Auto mitbringe. Ihr eigenes ist nämlich gerade kaputt. Ihr Sohn wurde damit einfach von der Straße geweht. Zum Glück ist weder ihm noch seinen Freunden etwas passiert. Die winzige Westermänner-Hauptinsel ist mit dem Auto eigentlich in ein paar Minuten umrundet. „Und dennoch hat der Junge es geschafft im letzten Jahr 5000 Kilometer zu fahren“, erzählt Kristìn in einer Mischung aus Belustigung und Verwunderung.
Der Reisende muss wissen: Das Auto dient dem Isländer im wesentlichen zu drei Zwecken: Transport, Schutz vor dem Wetter und Geselligkeit mit Freunden. Autocruisen und Autowandern stehen hoch im Kurs. Henryk M. Broder, beschrieb das einmal so: „Beim Cruisen, vor allem am Freitag- und Samstagabend, fahren sie dieselben Straßen rauf und runter, im Kreis, im Dreieeck oder im Viereck, es passiert nichts, außer dass jemand, der von diesem Brauch keine Ahnung hat, glauben muss, die Rushour in Island fände zwischen Mitternacht und 5 Uhr früh statt.“
Ja und dann wäre noch das Autowandern. Die Isländer fahren gerne in die Natur, rollen möglichst nah an einen Aussichtpunkt heran und genießen die Landschaft. Wobei sie leicht von Ausländern zu unterscheiden sind: Touristen steigen aus und bewegen sich zu Fuß. Isländer tun so was nicht. Außerdem haben sie den Schalk im Nacken. „Nur verrückte Ausländer gehen ‚hinaus’ in die isländische Natur“, meint der Schriftsteller Hallgrímur Helgason augenzwinkernd, „wenn Isländer solche Menschen unterwegs mit ihren Geländewagen überholen, versuchen sie immer, sorgfältig durch ein Pfütze zu fahren und sie von oben bis unten voll zu spritzen“.