Dirk Maxeiner / 29.05.2022 / 06:15 / Foto: Bundesarchiv/Georg Pahl / 55 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Wie kann man nur so doof sein?

„Besuchen Sie Europa, so lange es noch steht“, jodelte 1983 die Band Geier Sturzflug. Das ist zwar schon ziemlich lange her, scheint mir aber als Empfehlung sehr aktuell. Also beschlossen wir, noch einmal in den sonnigen Süden zu fahren, solange das noch nicht als staatsfeindlicher Umtrieb gilt – oder der Sprit rationiert wird, wie das Salatöl im Supermarkt.

Wir beschlossen den Urlaub mit einer Hamsterfahrt zu verbinden, denn aus Slowenien erreichte uns die Kunde von einem auf 1,56 Euro gedeckelten Benzinpreis. Der Sprit kostet dort im Monat Mai für alle überall das gleiche, und der Staat entschädigt die Mineralölkonzerne. Eine Regelung, so übersichtlich wie die Glatze von Olaf Scholz – und dennoch für Deutschland entschieden zu einfach. 

Damit sich unser Ausflug auch lohnt und wir maximal sparen, liehen wir uns von einem Freund einen dunkelgrünen Cadillac Fleetwood von 1995, so ausufernd, komfortabel und nervenschonend wie eine venezianische Gondel. Unser Ziel hieß Istrien, Slowenien liegt dahin am Wege. Das istrische Rovinji besitzt noch einen gewissen k.u.k-Charme und ist von Augsburg aus eines der nächsten gefälligen Ziele – aber gleichzeitig fern genug von den diversen in der Heimat grassierenden Affenseuchen. 

Fröhlich machten wir uns auf den Weg, Kreditkarten und Cholesterinsenker im Gepäck, also alles, was man in unserem Alter braucht. Als diensthabender Gondoliere zog ich mein Lieblings-T-Shirt mit den blauweißen Querstreifen an und warf eine Glenn-Miller-CD ein („In the mood“). Dann folgten wir brav den Anweisungen des Navigationssystems. Das übertrieb es mit der Sparsamkeit und war nach einem Update offenbar auf die Vermeidung von Mautstraßen programmiert – was es uns aber nicht mitgeteilt hatte. Als wir vor Salzburg von der Autobahn rechts ab in die schroffe Bergwelt abbogen, hielt ich das deshalb für eine kurzfristige Umfahrung eines Verkehrunfalls auf dem Canal Grande. 

Die Umleitung mit Merkel dauerte nur 16 Jahre

Und von da an ging es bergauf. Unsere Laune war ausgelassen und wir gondelten so dahin. Irgendwann ist schließlich jede Umleitung mal zu Ende, selbst die mit Frau Merkel dauerte nur 16 Jahre. Rechts und links türmten sich mit jedem Kilometer höhere Berge. Ich verlor so langsam das Vertrauen in das System, aber es behauptete standfest, auf der schnellsten Route zu sein. Sabine spürte meine Verunsicherung und sprach angesichts des Ortsschildes „Kitzbühel“: „Wir sind richtig, hier waren wir schon mal“. Ich antwortete: „Ja, aber waren wir da auch auf dem Weg nach Istrien?“. Daraufhin sie: „Jedenfalls habe ich mich über diese Gurkerei schon einmal aufgeregt.“ Es folgten dann Hinweisschilder wie „Großglockner“ und „Felber-Tauernstraße“ was Sabine zu der despektierlichen Mitteilung veranlasste: „Jetzt fehlt nur noch der Mont Blanc“. 

Durch Spitzkehren und über Passhöhen ging es weiter in den dunklen Tann, und ich bereitete Sabine nach zwei Stunden auf das Schlimmste vor: „Ich mache jetzt den Lauterbach.“ Sie: „Was meinst du damit?“ Ich: „Es ist zu spät, um umzukehren“. Sie: „Du meinst, wir hören einfach weiter auf diese durchgeknallten Anweisungen?“ Ich: „Ja meine Liebste, ich hab nämlich noch nicht einmal eine Landkarte dabei.“ Sie seufzte: „Wie kann man nur so doof sein.“ Ich, philosophisch: „Durch Verkettung solch ungeplanter Umstände fallen Flugzeuge vom Himmel und gehen Weltkriege verloren.“ Die Einstellungen der Navigation verweigerten weiterhin beharrlich die Akzeptanz mautbewährter Fahrbahnen.

Um Sabine etwas milder zu stimmen, mache ich aus den sich sinusartig abwechselnden Kurven eine imaginäre Gerade, es kommt ja niemand entgegen. Unsere Gondel schwingt auf und ab, als umrundeten wir Kap Hoorn. „Du weißt schon, dass wir nicht in England sind“, sagt Sabine, hier herrscht Rechtsverkehr.“ Ich: „Ja meine Liebste, wir sind nicht in England, zumindest noch nicht, dafür aber gleich in Italien.“ Sie: „Wie bitte? Ich will aber nicht nach Italien.“ „Ich auch nicht. Aber da steht auf Backbord ein Hinweisschild, und das Navi sagt, wir sollen da lang fahren.“ Sabine sehr bestimmt: „Nein, nix Plöckenpass, nix Italia, es reicht.“

Ich ignoriere die obskuren Wegweisungen der fehlgeleiteten Elektronik, fahre weiter geradeaus und wir treffen endlich auf eine Imbissbude, vor der vier in leuchtfarbigen Arbeitsanzügen steckende Mitarbeiter der Straßenverwaltung Jause machen. Die sehen im Gegensatz zu uns so aus, als wüssten sie, wo sie sich befinden. Wir kommen neben ihnen zu stehen und der Cadillac wirbelt eine Staubwolke auf, die sich wie Curry auf den Ketchup der Pommes legt. Die Straßenarbeiter schauen mich an, als sei das Luftschiff Hindenburg direkt vor ihrer Nase gelandet und der Kapitän steige aus, um nach dem Weg zu fragen. „Servus, wie komme ich am schnellsten auf die Autobahn, egal welche?“, frage ich. Einer der Vier fragt zurück „Hoam‘s es eilig?“ Ich: „Ja, meine Frau hat die Wehen.“ „Oha, da fahren‘s auf Villach, vierzg‘ Kilometerl alleweil geradeaus.“ Und noch eine zweite neugierige Nachfrage: „In wölches Spital wolln’s denn?“ „Nach Rovinj, die haben um diese Jahreszeit die beste Geriatrie.“ „Ah, dann an Lubijana vorbei und immer Richtung Riejeka, und von do auf Pula, da gibt’s koa andere Stroßn.“ Ich bedanke mich und fahre weiter: Im Rückspiegel sehe ich, wie die Arbeiterklasse den Staub von der Currywurst bläst. Der eine sieht so aus, als sage er gerade: „Hoffentlich hot der Olta sa Arznei net vergössen“.

Zwieback, eine Karaffe Rotwein und eine Bildzeitung vom Vortag

An der ersten Autobahntankstelle in Slowenien nahm der Fleetwood dann ein Fuder sozialverträglich gedeckelten 1,56 Euro Sprit, und ich sackte nach dem Tanken mit der Bemerkung in den breiten Ledersitz: „Ab jetzt können mich dieses grüne Pfeifen mal.“ Woraufhin Sabine mich mit der neuesten Gesetzeslage in Deutschland konfrontierte: „Diese Bemerkung ist dazu geeignet, den Staat zu delegitimieren und seine gewählten Vertreter außerhalb der zulässigen Meinungsfreiheit verächtlich zu machen.“ Ich beruhige sie: „Das schaffen die selbst ganz alleine, auch ohne meine tätige Mithilfe.“

In Rovinji kamen wir rechtzeitig zum Dienstschluss des Hotel-Buffets an, ich konnte aber noch etwas Zwieback, eine Karaffe Rotwein und eine Bildzeitung vom Vortag sichern. Um unsere gute Laune zu befördern, lassen wir elektronische Geräte und den Fernseher seitdem ausgeschaltet. Wenn wir eine Bildzeitung aus zweiter Hand rumliegen sehen, freuen wir uns aber sehr. Dann lesen wir uns den politischen Teil gegenseitig vor und sind froh, der geschlossenen Abteilung entkommen zu sein. „Polizei soll überfüllte Züge räumen!“, lese ich vor, „schon eine Million 9-Euro-Tickets verkauft“. Wir prusten gemeinsam los, sehr zur Verwunderung unserer Liegestuhl-Nachbarn. 

Neben einer News-Diät gehe ich übrigens morgens ins Fitness-Studio, sie nennen das hier „Gym“. Die Lichtverhältnisse vor dem Spiegel des Hotelbades arbeiten wesentliche Konturen meines Revuekörpers unvorteilhaft heraus. Das gilt auch für die anderen Hotelgäste, insofern sie überhaupt noch ins Bad passen. Mit ihrem Walle-Walle-Outfit erinnern sie mich ein wenig an die Stoff-Umkleidekabinen am Strand, allerdings haben diese Kabinen zwei Beine, können laufen und stehen abends pünktlich zum Buffet an. Es gibt hier wirklich viel Grund zu guter Laune. Gestern hat mich ein kroatischer Gymnast darauf aufmerksam gemacht, dass ich falsch herum auf einem Trainings-Gerät sitze. Daraufhin habe ich einfach weitergemacht und ihm erklärt: „Werter Freund, das machen die Deutschen immer so, wir sind da Vorreiter“. Seitdem bin ich dem Mann echt ans Herz gewachsen. 

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

Foto: Bundesarchiv/Georg Pahl CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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Rupert Drachmann / 29.05.2022

Moi Herr Maxeiner, sehr witzige Story. Auch sehr witzig fand ich das Thema mit der Spritpreisdeckelung in Slowenien auf 1,56 €/l. Für den Rest entschädigt der „Staat“ dann die Mineralölkonzerne. Das ist klasse. Wer war gleich wieder der „Staat“ und … wo wohnt der eigentlich. Egal. Besser nicht darüber nachdenken. Es ist billiger. Kostet nix. Der Staat zahlt. Passt schon.

Stefan Riedel / 29.05.2022

Putin ist noch nicht in Laibach angekommen?

Walter Weimar / 29.05.2022

Wer gelernt hat auf sein Navi zu hören, sonst geführt von seiner Hirnprothese, dem fällt das Leben in diesem Staat auch weiterhin nicht schwer. Anderenorts heißt so etwas in der Hauswerbung Rundumbetreuung. Jetzt weiß ich wieder umsomehr, warum ich Atlas, Wanderkarte und notfalls Reiseführer in Buchform niemals aufgeben werde.

Wilhelm Lohmar / 29.05.2022

Navigation ist im Grunde ganz einfach und beschränkt sich auf die Beantwortung von zwei Fragen. Erstens: Wo bin ich? Zweitens: Wohin will ich?

Christian Feider / 29.05.2022

herrlich,gäbe es den Sonntagsfahrer nicht,könnte man “im besten Deutschland aller Zeiten” echt trübsinnig werden! Slowenien,Italien,Frankreich,Polen,Ungarn deckeln den Sprit oder setzen Steuern aus,nur WIR haben Habeck und Lindner..

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