In Rom haben sie die Brunnen abgestellt, weil das Wasser allmählich knapp wird. In Berlin pumpen sie die Keller leer, weil ein bisschen zuviel Wasser vom Himmel fällt. Der Mensch ist dem Wasser ausgeliefert, er hasst und liebt es zugleich. Hundertausende tummeln sich gerade an südlichen Gestaden, wer eine Sonnenliege in der ersten Reihe ergattern will, muss früh aufstehen.
Der Strand und der Ozean als paradiesischer Platz ist jedoch eine ziemlich neue Erfindung. Fischer und Menschen, die am Rande der Ozeane siedelten, fürchteten vielmehr die Gewalt des Wassers. Sie konnten bis in die jüngste Vergangenheit nur selten schwimmen - und können es vielfach auch heute noch nicht. Ihre Häuser bauten sie meist in sicherer Entfernung und oft dem Wasser abgewandt. Oder hoch oben auf den Felsen.
Der moderne Mensch entwickelt seit Beginn ein ziemlich widersprüchliches Verhältnis zum Wasser. Zum einen hat er es als Arbeitstier entdeckt, als Energielieferant, Transportmittel, Toilette und Müllabfuhr. Gleichzeitig ist das nasse Element seit der Industrialisierung auf seltsame Weise verklärt worden. Der aktuelle Freizeitmensch liebt das Wasser und transportiert darauf seine Sehnsüchte vom einfachen, unverdorbenen und paradiesischen Leben. Die kleinbürgerliche Variante besteht in einem Gartenteich mit Umwäzpumpe. Unser Gemüt baut sozusagen nah am Wasser.
Die schönste Form sich auf dem Wasser fortzubewegen ist zweifelsfrei ein erhabenes Segelschiff, die lächerlichste ein Schwimmauto, das schlecht fährt und schlecht schwimmt. Viele Generationen von Erfindern und wunderlichen Kautzen haben sich daran versucht und gingen allesamt baden. Sehr viel mehr Spass macht hingegen eine Erfindung, die dazu dient, anderene mit Wasser fortzubewegen: Der Wasserwerfer. Populär wurde er, wo auch sonst, in Berlin. Ab Mitte der 1960er Jahre entwarf man sogar einen eigenen Typ Wasserwerfer, den auf einem Mercedes-Lastwagen basierenden WaWe 69 (mit sondergeschütztem Hodermann-Aufbau aus 7 mm starkem Panzerstahl.
Die Wertschätzung des nassen Elementes ist unseren Genen tief eingegraben. In vielen Kulturkreisen stellt die Sintflut den Gründungsmythos der Gesellschaft dar. Die Klimakatastrophisten spielen heute wieder recht erfolgreich auf dieser religiösen Klaviatur. Ein Spiegel-Titel von 1986, der den Kölner Dom unter Wasser zeigt, zeigt das auf ikonografische Weise.
Die Stimmung schwankt zwischen Dankbarkeit und Angst
In Mesopotamien begann der Mensch schon vor 4000 Jahren das Land mit technischen Kniffen zu bewässern, so dass sich am Ufer von Euphrat und Tigris die ersten großen Städte bildeten. Handwerk und Handel blühten auf, die Menschen wurden wohlhabender. Wasser wird seit jeher als Quelle des Lebens verstanden, es ist auch ein Symbol für Fruchtbarkeit, Geburt und Wiedergeburt.
Wobei die Stimmung durchaus zwischen Dankbarkeit und Angst schwankt. Von allen Vernichtungsarten ist die Wucht des Wassers die jäheste und schrecklichste. Keine andere entfesselte Naturgewalt kann in so kurzer Zeit so viele Menschen töten. Die zweite Marcellusflut beispielsweise, auch „große Manndränke“ genannt, kostete im Januar 1362 etwa 100.000 Menschen an der Nordseeküste das Leben. Verheerende Flutkatastrophen sind durchaus nichts neues, wie manche Zeitgenossen zu glauben scheinen.
Auf der Weltausstellung 2008 in Saragossa stand im Mittelpunkt des deutschen Pavillions der ewige Kreislauf des Wassers, der auf einem futuristischen Floß erkundet wurde. Die Besucher trieben dabei durch einen Wasserkanal. Die Fahrt begann in unterirdischen Höhlen des Grundwassers und führte durch ein Labyrinth von Leitungen in einen Haushalt. Auch Goethe, Schiller und Heine wurden in Sachen Wasser bemüht, es plätscherte Händels Wassermusik und die „Fantastischen Vier“ besangen ihren „Tag am Meer“.
Deutsche Ingenieure haben weltweit einen hervorragenden Ruf, wenn es um Wasserspar- und Wideraufbereitungstechniken geht . Wasseraufbereitung gilt als eines der ganz großen Geschäfte der Zukunft. In chinesischen Städten beispielsweise sind 90 Prozent des Oberflächenwassers und 50 Prozent des Grundwassers stark verschmutzt.
Die Wiederentdeckung unserer Flüsse und Kanäle als urbane Wohn- und Erholungsräume. Die traditionell an städtischen Ufern angesiedelte Schwer- und Rohstoffindustrie fällt in vielen Industrieländern dem Wandel der wirtschaftlichen Strukturen zum Opfer, zahlreiche Hafenanlagen in der Folge auch. Von Frankfurt bis Hamburg, von Berlin bis Birmingham, von London bis Miami: Mehr und mehr Metropolen holen ihre Gewässer ins Stadtbild zurück. Selbst im sich oft rücksichtslos industrialisierenden Asien machen diese Beispiele Schule.
Die Schaumkronen auf den Flüssen sind verschwunden
Auch in Deutschland waren die Flüsse und Kanäle über viele Jahrzehnte nicht mehr als Kloaken, die einst beliebten Flussbadeanstalten wurden vielerorts aus Angst um die Volksgesundheit geschlossen. Doch dieser Trend kehrt sich seit einiger Zeit um. Gerade hierzulande sind die Flüsse in einem geradezu atemberaubenden Tempo sauberer geworden. Die weißen Waschmittel-Schaumberge gehören längst der Vergangenheit an, Chemikalien und Schwermetalle gingen drastisch zurück. Statt dessen bevölkern wieder Hecht und Rotauge und sogar Lachse den Rhein. Die Dresdener rufen seit 2002 wieder zum Elbe-Badetag auf („Alle woll’n dasselbe – baden in der Elbe“). Selbst extrem verschmutzten Flüssen wie der Werra, die ihre Schadstofffracht auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aufnahmen, weisen wieder vielfältiges Leben auf.
Biologen und Naturschützer beklagen - Ironie des Umweltschutzes - sogar schon ein anderes Phänomen: Da die Kläranlagen kaum noch organische Stoffe in die Gewässer gelangen lassen, leiden Fische an einigen Orten mittlerweile unter Nahrungsmangel und die Bestände mancher Arten gehen zurück. Wasser kann also nicht nur zu schmutzig, sondern auch zu sauber sein.
Und mit noch einer Paradoxie müssen sich die Deutschen auseinandersetzen: Man kann nicht nur zu wenig, sondern auch zu viel Wasser sparen. In den Sechziger- und Siebziger Jahren hat man in der Erwartung stetig steigenden Verbrauches tief unter unseren Strassen gewaltig dicke Kanalisationsrohre gelegt. Doch im Zuge des erwachenden Umweltbewusstseins ging der Wasserverbrauch der Bundesbürger nicht herauf, sondern herab. Und zwar gründlich: Anstatt wie im voerigen Jahrhundert prognostiziert schon zur Jahrtausendwende 220 Liter pro Kopf zu verbrauchen, begnügen sich die Bundesbürger heute mit etwa 120 Litern. Wer lang und ausgiebig duscht, muss also wirklich kein schlechtes Gewissen haben.
Und es ist auch ein verflixtes Problem: In den unterirdischen Kanalisations-Rohren werden die menschlichen Exkremente durch die spärlich fließenden Abwasser-Rinnsale nicht mehr ausreichend abtransportiert. Deshalb muss unten aus dicken Rohren nachgespült werden, was oben beim Zähneputzen eingespart wird.
Der natürlich Wasserumsatz bei uns ist dank robuster und kraftvoller Zuflüsse und Niederschläge etwa fünfmal so hoch wie unsere vorübergehende Entnahme für den Gebrauch. In vielen Gegenden Deutschlands steigt sogar der Grundwasserpegel aufgrund der geringeren Entnahmen - und die Keller der Häuser werden feucht. Die gute Nachricht also: In unseren Breiten kann und wird das Wasser uns nicht ausgehen. Wer in der regenreichen norddeutschen Tiefebene wohnt, darf seine Blumenbeete beruhigt ausgiebig gießen.
Anders als Erdöl kann Wasser nicht verbraucht werden
Und jetzt die schlechte Nachricht: Von solch einem Überfluss kann ein Kind in Kabul, ein Hirte im Sudan oder ein Bauer in Rajasthan nur träumen. Doch bedauerlicherweise lässt sich das Wasser, dass die Deutschen sparen, nicht dorthin transportieren. Das Wasser auf dem Planeten ist nicht gleichmäßig und gerecht verteilt. Schon von Natur nicht. Und deshalb ist die Sorge um das Lebensmittel Nummer eins durchaus berechtigt, auch wenn es prinzipiell eine endlose Ressource ist.
Über zwei Drittel des blauen Planeten stehen unter Wasser. Wenn es keine Täler und Berge gäbe und die Erde überall flach wäre, so würde das gleichmäßig über die Erde verteilte Nass eine drei Kilometer dicke Schicht bilden. Der gesamte Wasserschatz der Erde umfasst rund 1,38 Milliarden Kubikkilometer. Dazu kommt noch die Feuchtigkeit, die in jedem Lebewesen enthalten ist - von der Amöbe bis zum Mammutbaum. So besteht der Körper eines Menschen zu siebzig Prozent aus Wasser. Anders als Erdöl kann Wasser nicht verbraucht werden. Es wird uns, egal, wie viel wir nutzen, Tropfen für Tropfen im ewigen Kreislauf zurückgebracht. Vom Himmel, aus Bächen, aus der Tiefe des Bodens und auch aus dem Wasserhahn. Um die Wassermenge der Erde zu verringern, müsste man das Element mit Raumtankern zu anderen Planeten fliegen.
Doch das meiste dieser gigantischen Wassermenge nutzt uns wenig. Über 97 Prozent des Wassers auf der Erde können wir nicht trinken und kaum zur Bewässerung einsetzen: Es ist salziges Meerwasser. Süßwasser bildet nur den vergleichsweise winzigen Rest von nicht ganz drei Prozent. Und der größte Teil davon wiederum (etwa zwei Drittel) ist in Gletschern und dem ewigen Eis eingeschlossen oder kann aus anderen Gründen nicht wirtschaftlich erschlossen werden. Zahlreiche Wissenschaftler vermuten deshalb, dass knapper werdendes Trinkwasser der Bevölkerungsentwicklung des Planeten zuerst Grenzen setzen könnte. Die Verfügbarkeit von Wasser bestimmt die maximale Bevölkerungs-kapazität einer Region mehr als jeder andere Faktor. Trockene Regionen in denen die Bevölkerung besonders rasch wächst, steuern auf schwere Probleme zu - oder haben sie schon längst.
Im nahen Osten und in Teilen Afrikas herrscht beispielsweise schon länger existenzieller Wassermangel. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Afrika als Kontinent theoretisch über mehr Süßwasser verfügt als Europa und Asien. Die Menschen ballen sich jedoch nicht dort, wo der besonders wasserreiche Kongofluss durchs Land zieht. Sie konzentrieren sich aber beispielsweise am Nil, um dessen Wasser sich Länder mit besonders hohem Bevölkerungswachstum streiten: Äthiopien, Sudan und Ägypten. Israel und Jordanien zanken um den Jordan, Irak und Syrien liegen mit der Türkei um die Nutzung von Euphrat und Tigris in Fehde.
Der Mensch hat sich also erst vor kurzem freigeschwommen
Nach Angaben der vereinten Nationen hat sich die Entnahmemenge aus Flüssen, Seen, Reservoirs und Grundwasser in nur 50 Jahren vervierfacht. Gleichzeitig wird Wasser in vielen Ländern immer noch verschmutzt und ungeklärt in Flüsse und Seen geleitet, weshalb Menschen millionenfach krank werden oder sterben. Vorausschätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2050 mindestens eine Viertel der Weltbevölkerung unter Wassermangel leiden. Durch einfache Klärtechniken und effizientere Bewässerungsmethoden wäre allerdings schon viel gewonnen. Beinahe drei Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs gehen gegenwärtig auf Kosten der Landwirtschaft, die Industrie verbraucht zwanzig, die Haushalte zehn Prozent.
Heute wachsen vierzig Prozent aller Nahrungspflanzen auf bewässerten Feldern. Schon einfache technische Verbesserungen führen dabei zu erstaunlichen Sparerfolgen. So wird etwa durch unterirdische Tröpfchenbewässerung mit Schläuchen wesentlich weniger Wasser verbraucht als durch Sprinkleranlagen. Welche Wunder selbst in Wüstengebieten vollbracht werden können, wenn technischer Fortschritt und politischer Wille zusammenkommen, zeigt das Beispiel Israel. Im nahezu regenlosen Negev werden sogar Fische gezüchtet. Sie schwimmen in fossilem Brackwasser, mit dem zuvor Treibhäuser gewärmt wurden. Am Ende des Prozesses wird das Wasser auf Tomaten- und Melonenfelder geleitet. „Wir können es uns nicht leisten, Wasser für nur einen Zweck zu verwenden“, sagen die Israelis.
Im Schlaraffenland fließt in den Flüssen kein Wasser, sondern Milch, Wein und Honig. Das klingt gut, ist aber nicht besonders erstrebenswert. Ohne Wasser gäbe es weder Milch, Wein noch Honig - ja es gäbe überhaupt kein Leben. Das konnte auf unserem Planeten nur entstehen, nachdem aus der lebensfeindlichen Ursuppe Wasserdampf aufstieg und sich auf der Erde niederschlug. Bis sich dann die ersten Lebewesen an Land trauten vergingen noch ein paar Milliarden Jahre. Und das ist auch schon wieder ein paar Milliarden Jahre her. Über 99,99 Prozent der Erdgeschichte musste der Planet ohne uns auskommen. Der Mensch hat sich also erst vor kurzem freigeschwommen.