Dirk Maxeiner / 21.08.2016 / 06:15 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 0 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Überall verpasste Chancen

Beim Schlendern über das Gelände der Klassikwelt-Bodensee vor ein paar Wochen ist mir eine sprachliche Eigenart der versammelten Freunde alter Autos, Flugzeuge und Schiffe aufgefallen. Die Möglichkeitsform, also der Konjunktiv, hat sich im gepflegten Small-Talk vollkommen durchgesetzt. „Hätte ich meine Giulia 1976 nicht für eine lächerliche Summe verkauft, dann würde heute eine Geldanlage in der Garage stehen.“ Um mein grammatikalisches Wissen aufzubessern, habe ich sicherheitshalber Wikipedia konsultiert, um mehr über den Konjunktiv zu erfahren. Und ich bin sofort auf einen wunderbaren Beispiel-Satz gestoßen: „Wärest du früher aufgestanden, hättest du deinen Termin nicht verpasst.“ Und damit sind wir gleich mitten im Thema: Die Möglichkeitsform ist zwar sehr kurzweilig, aber es bringt nichts, sich über verschüttete Milch aufzuregen.

Es sei denn man ist Masochist und möchte sich möglichst ausgiebig selbst quälen. Zugegeben, ich habe so eine masochistische Ader und neige dazu, mich mit „hättest Du“ zu foltern. Der Hit meiner Alpträume lautet: Lancia Stratos, ein Jahr alt, 10.000 Kilometer für 30.000 Mark. Das war 1975. Ein Freundschafts-Angebot des Herstellers, weil ich in einer Zeitung eine sehr jugendbewegte Reportage über den Stratos geschrieben hatte. Der letzte  Satz meiner Geschichte lautete: „Liebe Lancia-Pressestelle, schenken Sie mir einen“. Das haben sie auch getan, allerdings ein Modellauto. Das steht heute noch auf meinem Schreibtisch. Für das Original hatte ich leider nicht das Geld. 30.000 Mark war damals eine Riesensumme. Und doch ein Schnäppchen. Heute könnte man eine Null hinten anfügen – und zwar in Euro. Aber was soll es, mein Jungredakteursgehalt war um Lichtjahre von solchen Möglichkeiten entfernt.

Investoren die Autos in einer Grabkammer versenken

Zum allgemeinen Trost, sollte man auch anfügen, dass Oldtimer-Biografien niemals geradlinig verlaufen. Außer bei sogenannten Investoren, die ein Auto kaufen in Plastik einschweißen und in der Grabkammer einer Pyramide verstecken. Auf diese Weise verschwinden immer mehr schöne Fahrzeuge von den Straßen. Unsereins will ja Spaß haben. Wer weiß, wie lange der Stratos das überlebt hätte. Und wer weiß wie lange ich das überlebt hätte. Ich war 1975 gerade mal 23 Jahre alt. Und die Chaussee-Bäume waren noch nicht durch Leitplanken entschärft. Oldtimer-Biografien bestehen eigentlich immer aus einer Abwechslung von Freuden und Katastrophen. Der Stratos hätte mich höchstwahrscheinlich ruiniert. Ich weiß das so genau, weil ich mir als kleines Trostpflaster einen Cadillac, Baujahr 1956 gekauft habe. Der kostete damals nur 2 000 Mark. Später ging er dann so richtig ins Geld. Ökonomisch betrachtet weiß ich heute: Statt des Cadillac hätte ich mir besser eine Eigentumswohnung gekauft. Nur würde die bedauerlicherweise nicht fahren.

Eine ziemlich geniale Kombination von Mobile und Immobilie habe ich mir dann noch im Zeppelinmuseum in Friedrichshafen angesehen. Dort kann man durch die nachgebaute Kabine eines Transatlantik-Zeppelins schlendern. Der Art déco Stil der Einrichtung ist wirklich vom Feinsten. Und so ein Zeppelin hat gegenüber Flugzeugen einen überzeugenden Vorteil: Er kann in der Luft stehen. Das wäre übrigens auch ein schönes Feature für meinen Cadillac, weil dann das leidige Parkplatzproblem endlich gelöst wäre. Der Nachteil: Die Gashülle des Zeppelin brennt so vehement, wie ein modernes Wärmedämmungs-Verbundsystem an einer Hochhausfassade. Den Zeppelin hat das die Karriere gekostet, mal sehen wir das mit den Wärmedämm-Fassaden endet.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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