Dirk Maxeiner / 19.11.2017 / 06:28 / 7 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Tausche Deutsche Bahn gegen Trabi

Die Kleinen vergisst man immer. Eigentlich wollte ich schon vorige Woche eine kleine Eloge auf den Trabi schreiben. Schließlich wurde die Rennpappe am 7. November 1957, also vor genau 60 Jahren, geboren. An diesem Tag lief im Automobilwerk Zwickau, wo zuvor noble Mobile von Horch und Audi produziert wurden, der erste Trabant P 50 vom Band. Einen Monat zuvor hatte die Sowjetunion den ersten Satelliten Sputnik in eine Erdumlaufbahn geschossen, der Name Trabant war also gleichsam Parteiprogramm.

Bedauerlicherweise reichten die Flugeigenschaften des Trabi nicht für einen Ausflug auf einen anderen Planeten, sonst hätten viele Besitzer schon damals den Blinker in Richtung Sonne gesetzt. Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder zum Licht empor! Aber die Ostsee war zumindest eine kleine Flucht, die Weiterreise nach Skandinavien scheiterte dann allerdings am fehlenden Propellerantrieb.

Im Gegensatz zum westlichen Volkswagen sah der Volkswagen-Ost sogar aus wie ein richtiges Auto, mit Motorhaube vorne und Kofferraum hinten. Später bekam er auch noch angedeutete Heckflossen, eine Anleihe beim amerikanischen Klassenfeind. Einer der zahlreichen Trabi-Witze erzählt von einem reichen Scheich, der einen Trabant geordert hatte. Nach der Auslieferung schrieb er ans Werk: „Ich freue mich sehr auf den Wagen und danke hiermit herzlich für das Spielzeug-Modell aus Pappe“. Die Karosserie des Trabi bestand aus leichtem Duroplast, was der damaligen Materialknappheit geschuldet, aber eigentlich keine schlechte Lösung war.

Zu laut für Stasi-Mikrofone

Das Crash-Verhalten spielte noch keine Rolle. Ahnungslose Westler müssen sich einen Aufprall auf ein starres Hindernis in etwa so vorstellen, als seien sie mit ihrem Allibert-Toilettenschrank gegen einen Baum gefahren. Das Allibert Spiegelkabinett aus Kunststoff, das einst in jedes ordentliche Wessi-Badezimmer gehörte, ist inzwischen ausgestorben. Den Trabi aber gibt’s noch, er hat sogar Kult-Status und wird selbst von Regime-Gegnern in nostalgischen Ehren gehalten.

Als die Ungarn 1989 die Grenzen öffneten, setzte sich in der Folge ein ganzer Treck von rauchenden Trabis gen Westen in Bewegung und der Geruch von bläulichen Zweitakter-Schwaden verband sich mit dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Das Inhalieren eines vorbeifahrenden Trabant entspricht in etwa dem von zwei Packungen Marlboro.

Was die DC 3 für die Berliner Luftbrücke und die Freiheit der Westberliner geleistet hat, das hat der Trabi für die Ostdeutschen vollbracht: „Seht, wie der Zug von Millionen endlos aus Nächtigem quillt, bis eurer Sehnsucht Verlangen Himmel und Nacht überschwillt!“ Die Douglas DC 3 hieß im Volksmund "Rosinen-Bomber", der Trabant "Duroplastbomber", wahlweise "Fluchtkoffer" oder "Überdachte Zündkerze".

Als gelernter Wessi kann ich hier nicht mit persönlichen Trabi-Erlebnissen glänzen, auf eine subversive Komponente des Trabi hat mich aber Vera Lengsfeld aufmerksam gemacht:

„Der Maler Thomas Erwin, heute Klingenstein, traf bei einem Besuch beim Regimekritiker Havemann unverhofft auf Gysi, der unangemeldet aufgetaucht war. Da der Weg von Grünheide nach Berlin weit war, bot Gysi an, Klingenstein in seinem Trabant mitzunehmen. Der junge Mann erzählte Gysi seine Schwierigkeiten mit den DDR- Behörden. Über dieses Gespräch gibt es einen Bericht von „Notar“. Wie mir der Staatsanwalt , der mich zu Gysi befragte, mitteilte, gäbe es eine eidesstattliche Versicherung eines Stasioffiziers, Gysis Trabant wäre an diesem Tag einmalig abgehört worden. Ich habe den Staatsanwalt damals gefragt, ob er schon mal Trabant gefahren wäre. Allein die Geräusche, die dieses Auto verursachte, machten einen Lauschangriff unmöglich. Es genügte bei der damaligen Technik, in der Wohnung den Wasserhahn aufzudrehen, um die installierte Wanze unbrauchbar werden zu lassen...“

Das hat doch was, der Trabi als Indizienbeweis gegen IM Notar.  Wahrscheinlich wollen staatliche Institutionen deshalb unbedingt Elektroautos einführen. Keine lästigen Nebengeräusche. Bei einem Trabi-Treffen habe ich sogar  einen zweifach subversiven Trabi mit einer gewaltigen Pioneer-Stereoanlage gesichtet. Jedesmal wenn ein Bass ertönte, fiel die Drehzahl in den Keller. Das klang dann so: Remmdemmdemm, Bummbumm, Würg. Remmdemmdemm, Bummbumm, Würg.

Remmdemmmdemm, Remdemmdemm

Nachträglich haben viele Trabi-Nostalgiker liebevoll Glasdächer und Bogenantennen installiert. Sogar hohe rote Fähnchen wie an unseren Kinder-Dreirädern sind zu beobachten - ein nachahmenswerter Beitrag zur Verkehrssicherheit. Als Akt politischer Hygiene empfehle ich lediglich den Austausch der Fähnchen gegen rote Socken. Ein bisschen Frischluft kann denen ja immer noch nicht schaden.

Wobei mir der Spott letzte Woche verging. Ich war mit der Deutschen Bahn unterwegs und zwar von Darmstadt nach Augsburg. Der Zug fiel aus und der Regionalzug, den ich als Ersatz bestieg, strandete nachts auf einem düsteren Bahnsteig in einem Kaff an der Bergstrasse. Keine Auskunft, kein Taxi, kein Licht, kein Garnix. Die übliche Bahn-Horrorstory, ich will das nicht näher ausführen, kennt ja jeder selbst. Die übrigen Fahrgäste verflüchtigten sich allmählich, weil sie wohl aus der Gegend stammten und von ihren Liebsten abgeholt wurden. Ich blieb allein mit dem Lautsprecher, der aber nichts sagte. Ab und zu knackte er vernehmlich und es klang als wolle der Verantwortliche in der fernen Leitstelle etwas mitteilen. Ich hörte ihn förmlich schwer atmen, aber dann schien sein Mut ihn wieder zu verlassen und er schaltete das Ding einfach wieder aus. Einsamer kann auch ein Aufenthalt auf einem Abstellgleis in Zwickau anno 1975 nachts um halb eins nicht gewesen sein.

Jedenfalls hätte ich eine Jahresfahrkarte für einen Trabi gegeben. Remmdemmmdemm, Remdemmdemm – und ab nach Augsburg! Im irdischen Bahn-Jammertal wird der Mensch bescheiden. Gebt mir 20 PS und vier Räder und ich bin happy bis an das Ende meiner Tage.  Mit der Bahn brauchte ich für die Strecke, die eigentlich etwa 3 Stunden dauert, 8 Stunden. Das macht einen Schnitt von etwa 40 km/h, also die Reisegeschwindigkeit eines frisierten Mofas. Ein Trabi läuft nach inoffiziellen Messungen 90 km/h in östlicher Richtung und 110 km/h in westlicher Richtung, nach Bayern und bergab sogar 115 km/h. Im Vergleich mit der Deutschen Bahn handelt es sich beim Trabant  also um eine Art Interkontinental-Rakete.

Foto: Pixabay

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Katrin Pape / 19.11.2017

Bevor mein Vater einen Polski Fiat ergattern konnte, fuhren wir in den siebiger Jahren mit dem Trabbi mit 7 Personen in den Urlaub nach Zoppot: Vater, Mutter 4 Kinder und unsere nicht sehr schlanke Oma. Das funktionierte, solange wir noch recht jung waren. Mein Vater hatte die Hutablage ausgebaut und dorthinein die Wanne des Kinderwagens gebaut, darin fuhr mein gerade geborener Bruder mit. Meine Mutter hatte den mittleren Bruder auf dem Schoss, die Oma nahm die Hälfte der Sitzbank hinten ein und mein älterer Bruder und ich quetschten uns auf den Rest. Wenn die Polizei am Strassenrand auftauchte, rief mein Vater nur: “Ducken” und wir vollführten das Kunststück, uns auch noch irgendwie wegzubiegen. Da wir Alle Sportgemeinschaften besuchten, war das kein Problem für uns Kinder. Später konnte die Oma leider nicht mehr mit, denn zum Glück hat das Baby in der Hutablage die Fahrten gut überstanden und es wurde für uns vier Kinder schon eng genug. Manchmal war es dann angenehmer, man stellte sich zwischen die Beine eines der Geschwister und fuhr im Stehen mit. Das ermöglichte zudem auch noch eine gute Aussicht, über den Kopf des Vaters hinweg. Ja, auch an das Öffnen des “Reservehahnes” durch unsere Mutter,  wenn der Sprit alle war kann ich mit gut erinnern und natürlich auch an das Benutzen der mütterlichen Feinstrumpfhose als Keilriemen. Zum internationalen Frauentag bekam sie ja stets neue…  Ob der in besagtem Urlaub Polen erlittene Achsbruch durch das Gewicht der Oma zustande kam, konnte nie richtig geklärt werden.

Gabriele Klein / 19.11.2017

.... ganz genau so ist’s. Dem sei nur noch hinzugefügt dass damals, als die Zeiten angeblich noch “langsamer” waren es beheizte Warteräume 1. 2. und Dritter Klasse gab. Diese “Klassenunterschiede” wurden natürlich abgeschafft und zwar so, dass es heut nicht mal mehr ausreichend Sitzplätze auf den Bahnsteigen, geschweige denn Toiletten für Fahrgäste, ganz egal welcher Klasse gibt. ... Wohin wohl das Geld für diese “Grundversorgung” an Infrastruktur geflossen ist? Vielleicht in die von der Kanzlerin befürwortete Grundversorgung an Regierungs"informationen” ,  Konfettishows , Werbung? Oder gar in die Grundversorgung an Seifenopern in denen Hightec Züge die Protagonisten sicher und schnell wenigstens auf dem Bildschirm ans Ziel bringen…...

Dietmar Schmidt / 19.11.2017

Lieber Herr Maxeiner, vielen Dank für den Artikel. Meine Frau möchte, seit langem, dass ich mir eine Jahreskarte bei der Bahn kaufe und die weiten Strecken mit der Bahn fahre. Ich bin froh, dass ich ihrem Ansinnen tapfer widerstanden habe und mit meinem angeblich so umweltschädlichen Diesel mit 6,4 Liter pro 100 km total komfortabel und relativ pünktlich meine Strecken bewältige. Gruß Dietmar Schmidt

Mike Loewe / 19.11.2017

Duroplast besteht aus mit Kunstharz getränkten faserartigen Füllstoffen. Einer preiswerten Produktion zuliebe wurden dafür in der DDR wohl auch Altkleider recycelt. Man munkelt, dass es nach Abschleifen des Lacks für eine Reparatur manchmal vorkommen konnte, dass man in der Karosserie einen Hemdkragen durchschimmern sah.

Thomas Dresen / 19.11.2017

Herzerfrischender Text zwischen der mittlerweile üblichen, depressiv machenden Berichterstattung aus dem schönen neuen Wessiland! Danke dafür :-)

Thomas Weidner / 19.11.2017

Ein Novemberwochenende 1989 in Duderstadt: Über der ganzen Stadt lag eine blaue Glocke aus dem Zweitaktduft der Freiheit…

Arnd Siewert / 19.11.2017

Ihr Gedanke von der Bahn zum Auto entspricht genau dem Konzept deutscher Verkehrspolitik. Deswegen wird die Bahn nach dem Motto “so wenig wie nötig mit so wenig wie möglich” betrieben was den Betrieb betrifft. Selbstbedienung des Kunden, man könnte auch vom Selbstrettungskonzept sprechen. Nebenwirkung zuwachs Mineralölsteuer etc. Gute Nachricht: Automatisierung des Bahnbetriebs weiter als gedacht: Selbstreinigend ist der Fuhrpark schon!

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