Dirk Maxeiner / 07.04.2019 / 06:20 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Straßenbahn statt Tagesschau

Heute möchte ich mal eine Lanze für den öffentlichen Nahverkehr brechen. Man soll ja nicht immer nur meckern, sondern auch mal loben. Das nennt sich übrigens „Constructive Journalism“ und ist bei den Hipsterbärten der schreibenden Zunft total angesagt. Genau wie alles, was elektrisch fährt. Ganz besonders hip sind jetzt diese Tretroller mit den kleinen Rädchen, die in jedes der in Deutschland so reichlich vorhandenen Schlaglöcher fallen. Die Hipster lernen auf diese Weise sogar fliegen. Aber das ist jetzt schon wieder gar nicht constructive. Alte Gewohnheit. You don’t learn an old dog new tricks. Deshalb geht es jetzt es um ein anderes elektrische Gerät – die Straßenbahn. Und da hab ich nix zu meckern.

Mein Verhältnis zur Straßenbahn ist nämlich eng. Es passt nicht viel zwischen mir und die Straßenbahn, würde der Berliner sagen. Genau gesagt, beträgt der Abstand zwischen dem Kopfende meines Bettes und der Linie 3 der Ausgburger Verkehrsgesellschaft 6,93 Meter. Ich habe es gestern mit dem Zollstock nachgemessen. Nachhören kann ich es tagsüber alle fünf Minuten, in der Nacht alle 20 Minuten, zwischen 24 Uhr und 4:30 Uhr ist Pause. Da kommt höchstens der Schienenreiniger vorbei und macht einen Lärm wie Godzillas elektrische Zahnbürste.

Im Winter, wenn die Schienen gefroren und steif wie ein englischer Lord sind, ist es etwas lauter, im Sommer sind sie geschmeidig wie eine 19-Jährige beim Joga. Das wirkt sich positiv auf meine Nachtruhe aus. Lärm ist im übrigen eine relative Sache. Vor ein paar Jahren weilte ich mal für einige Wochen in Bombay, danach erschien mir Ausgburg wie ein großes Schweigekloster. Ohne Lärm fühle ich mich einsam, ohne die rumpelnde Straßenbahn fehlt mir was. "Es gibt kein schöneres Geräusch als das Zähneknirschen meines Kumpels", soll Groucho Marx gesagt haben

Eine Straßenbahn singt vor sich hin, redet aber keinen Bullshit

Wobei Straßenbahnen eigentlich keinen Lärm machen, sie singen lediglich ein bisschen und verursachen so eine Art unterirdischen Körperschall. Aber da gewöhnt man sich dran. Es strukturiert den Tag. Früher hörte ich zu diesem Zweck die Nachrichten, heute lausche ich nur noch der Straßenbahn. Die singt vor sich hin, redet aber keinen Bullshit. Lediglich in engen Kurven kreischt sie ein bisschen, aber nicht so schlimm wie Andrea Nahles beim Nachtlied im Bundestag. Der Körperschall der Straßenbahn ist mir in Fleisch und Blut übergegangen. Sollte mich einmal ein Herzinfarkt ereilen, halte ich das vermutlich für die Linie 3 in Richtung Stadtbergen. 

Ich hab neulich sogar geträumt, meine Schlafstätte hätte Räder wie im Krankenhaus, und ich würde über die Schienen zum Königsplatz rattern. Dort wollte dann eine Horde Studenten Richtung Uni zusteigen. Vielleicht gibt’s ja bald auch Schlafwagen. Angesichts der Wohnungsnot in Ausgburg wäre das für Studierende und Studierendinnen (war das jetzt richtig?) eine echte Zukunftsvision, ganz im Gegensatz zu Flugtaxis. In Paris muss ja bekanntlich die Hälfte aller Autos immer fahren, weil es nur für die andere Hälfte einen Parkplatz gibt. Und bei uns muss die Hälfte aller Studenten in der Straßenbahn rumkurven, weil es nur für die andere Hälfte ein Bett gibt.

Ich fahre gern Straßenbahn – sogar wenn ich wach bin. Und zwar überall auf der Welt. Besonders beeindruckt haben mich die Carros eléctricos de Lisboa in Portugals Hauptstadt. Die kurvt durch die Altstadt und muss ständig anhalten, weil irgendein Honk sein Auto im Weg geparkt hat. Der Straßenbahnführer steigt dann seelenruhig aus und sucht den Fahrer in den Kneipen und Cafés, bis beide schließlich fröhlich schwatzend zurück kommen. Auch die Straßenbahn in Prag mag ich. Erstens, weil man darin immer noch viele Leute sieht, die nicht in ihrem Mobiltelefon, sondern in einer Zeitung lesen. Und zweitens wegen der alten Tatra-Wagen mit ihrer Stromlinie.

Tipp für Oldtimer-Freunde: So einen muss man sich kaufen und in den Garten stellen, solange es die Dinger noch gibt. Ich werde außerdem mal beim Leiter der städtischen Verkehrsbetriebe nachfragen, ob ich vielleicht ihre Schienen mitbenutzen darf. So ein Tatra T3R.P wiegt so um die 20 Tonnen. Damit ist er zwar geringfügig schwerer als ein Audi E-TRon, aber erheblich übersichtlicher. Ich würde damit gern ein kleines Wochenend-Fuhrgeschäft eröffnen, um die Situation auf den deutschen Autobahnen zu entspannen. So ein Stromlinien-Tatra ist nämlich auch für türkische Hochzeiten kompatibel, ein Waggon kann locker 100 Personen verkraften. Die dürfen nur nicht in die Luft schießen, sonst zerreißt es die Oberleitung.

An soviel Stahl traut sich kein Tiefergelegter ran

Mit der Augsburger Straßenbahn kann man ziemlich weit rumkommen, die Stadt verfügt nach München mit über 45 Kilometern immerhin über das zweitgrößte Straßenbahnnetz Bayerns. Das bietet sich sogar für Ausflüge an. Für den Fall eines Blackouts schwebt mir da so eine kleine, von einem Rasenmähermotor angetriebene Draisine vor. In Amerika und Frankreich ist das gerade große Mode, die Sache mit den Tretrollern haben die schon hinter sich.

Manchmal bin ich sogar ein bisschen neidisch auf die Straßenbahnfahrer. Die sind nämlich King of the road, an so viel Stahl traut sich kein Tiefergelegter ran, weil die Dinger ja nicht ausweichen können. Außerdem geht so eine Straßenbahn ab wie die Post. Ein schlecht gelaunter Straßenbahnfahrer ist mit Vorsicht zu genießen, besonders für die Passagiere. Wenn der genervt ist und es krachen lässt, dann heißt es festhalten. Sonst saust du durchs Abteil wie ein Teller durch die Kantine der Titanic.

Die meisten der Fahrzeugführer gehören aber zur stoischen Sorte. Müssen sie auch. Sie sind zwar oft genervt, schauen aber in ihrer Kabine starr nach vorne, damit bloß keiner klopft und sie anspricht. Überhaupt nicht leiden können sie, wenn jemand mal wieder zu dumm war, einen Fahrschein am Automaten zu ziehen und darauf besteht, vom Käpt‘n einen Einzelfahrschein zu erwerben. Das Abkassieren mit dem rasselnden Geldwechsler geschieht wortlos und blind mit der rechten Hand, der Blick bleibt weiter in die Ferne gerichtet, dort wo man bei Föhn manchmal einen Zipfel der Alpen erkennen kann. Sprechen tun die Wagenlenker nur sehr ungern, das haben sie mit den eingeborenen Augsburgern gemein. Auch den ortstypischen harten schwäbischen Akzent, der sich schon in freundlichem Zustand anhört wie ein knurrender Schäferhund. Ungehalten klingen sie dann wie ein Rottweiler, dem die Katze an den Fressnapf will. 

Wer im weitesten Sinne akzentfrei spricht, sollte sich auch bei Diskussionen mit anderen Passagieren zurückhalten, man steht leicht unter dem Verdacht, sich für was Besseres zu halten. Nur zuhören macht aber auch Spaß. Eine Fahrt mit der Linie 1 nach Lechhausen – schon immer ein Stadtviertel der einfachen Leute – ist mindestens so aufschlussreich wie eine Wahlumfrage von Infratest dimap. Lenin soll ja mal gesagt haben: „Wenn die Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, dann kaufen sie sich vorher eine Bahnsteigkarte“. In Abwandlung dieses Bonmots möchte ich Politkern und Journalisten empfehlen: Wenn Ihr wissen wollt, wann es soweit ist, dann kauft euch eine Straßenbahnkarte nach Lechhhausen.

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er) Portofrei zu beziehen hier.

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Hjalmar Kreutzer / 07.04.2019

Vielen Dank für ein paar schöne Lacher am Sonntagmorgen über Godzillas elektrische Zahnbürste und tretrollerfliegende Hipsterbärte! Ab einer gewissen Größe einer Stadt gehört wohl so eine Straßenbahn einfach dazu. In Klein-Ruppin vermisse ich sie nicht, in Chemnitz bevorzugt meine Tochter trotz gut ausgebautem Straßenbahnnetz das eigene Auto, da die neuerdings mitfahrende Klientel vorderasiatischer und nordafrikanischer Jungmannen den ÖPNV für Frauen auch in männlicher Begleitung nicht sehr angenehm gestaltet. In Augsburg oder Lis mag die Welt noch in Ordnung sein. Der Städter dürfte durch ländliche Ruhe mitunter eher irritiert sein. Der große Geschichtenschreiber und überzeugte Großstädter Renee Goscinny soll seinem Illustrator Albert Uderzo (ich hab’s heut’ mit Asterix) mal auf seinem Landsitz einen Zebrastreifen in den Garten gemalt haben, falls dieser Heimweh nach Paris bekommt… Einen schönen Sonntag!

Andreas Stüve / 07.04.2019

Straßenbahn fahren als Jugendschicksal. Jeden Tag zum Gymnasium und retour. Bis Mitte der 70 er in den schönen, elfenbeinfarbenen Gotha-Wagen, danach im genannten roten Schienentorpedo Tatra T3. Immer rappelvoll. Und festhalten, ob der rasanten Beschleunigung oder Verzögerung. Grabesstille zumeist, da die Mecklenburger, insbesondere die Schweriner, nicht gerade als Plaudertaschen bekannt sind und ein “Guten Morgen” schon als schwatzhaft gilt. Die Gotha und die T3 fahren immer noch auf dem 21 km kurzen Netz. Allerdings nur noch als Museums-Sonderfahrzeuge und als rollende Werkstätten. Ja, schön war die Zeit. Leider fahren heute nicht mehr so viele mit der Bahn. Das Rad oder der eigene PKW machen unabhängiger und schützen besser vor multikulturellen Erfahrungen, die der eine oder andere auch hier im ” Hohen Norden” schon hat machen müssen.

Karin Krause / 07.04.2019

Ha, ha genauso verhält es sich. Wohne auch an der Linie 3,  allerdings mit ein bisschen mehr Abstand.  Aber eines muss ich doch noch erwähnen, die Tramfahrer und - fahrerinnen, es sind sehr viele Frauen nun als Kapitäne unterwegs, sind freundlicher als noch vor ein paar Jahren. Wenn man da auf eine ” Straba” zu rannte und den Fahrer erblickte , den Finger schon am Türöffner hatte grinste der nur und fuhr los! Heute - warten die Strassenbahnkapitäne und öffnen dir sogar noch einmal die Türe. Hmmm… aber Strassenbahn fahren ist wirklich spannend!! Danke für diesen netten Bericht und Grüße aus Augsburg- Stadtbergen

Franck Royale / 07.04.2019

Irgendwie fällt es mir gerade wie Schuppen von den Augen, warum Deutschland seit dem Auftauchen von Straßenbahnen und der SPD immer wieder vor die Wand fährt, warum ausgerechnet hier rote, grüne und braune Ideologien so leicht in der Masse verfangen. Der Verlust der Mistgabel alleine, erzwungen durch den Umzug vom Land in die Stadt, kann es nicht sein, das haben auch andere Länder hinter sich. Nein, Deutschland war und ist ein „Land der Mieter“, liegt bei der Eigentumsquote auch heute EU-weit auf dem letzten Platz hinter Österreich. Wer kein Eigentum besitzt, hat keine Verantwortung, dem ist alles irgendwie gleichgültig was im Land passiert, der wird leichter zum Spielball von Sozialisten.

Rolf Wehrmann / 07.04.2019

Jetzt hätte ich aber doch gerne gewusst, was man in der Straßenbahn so hört. Ich höre immer nur, wie großartig die Kanzlerin ist, wie herrlich weltoffen und bunt unser „reiches Land“ doch sei und dass man doch endlich mal die „arme Frau Merkel in Ruhe lassen“ solle. Offenbar sind die Deutschen besonders ergeben und staatstragend, wenn sie kurz vor dem Nullpunkt ankommen. Übrigens heißt es „to teach a dog“.

Archi W Bechlenberg / 07.04.2019

Ach ja, “die Tram” oder auch “die Elektrische”. Ihr verdanke ich meine revolutionäre Vergangenheit. Anfang der 1970er Jahre waren die Fahrpreise erhöht worden, vermutlich von 50 Pfennig auf 55, und die Stadt war in Aufruhr. Alle waren auf den Beinen. Schienen wurden blockiert, und Autofahrer pappten Schilder mit dicken roten Punkten hinter die Scheibe: “Ich nehme euch mit, wohin auch immer!” Inzwischen ist viel Zeit vergangen, heute würde man mir vermutlich beim Einsteigen einen Sitzplatz anbieten. Haha, war nur ein Scherz.

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