Dirk Maxeiner / 04.07.2021 / 06:00 / Foto: Natalie Mayno / 49 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Spätbucher

Wir haben es noch nie geschafft, einen Urlaub langfristig zu planen. Ich bewundere Menschen, die schon ein Jahr im Voraus wissen, dass Mallorca im nächsten Sommer genau das Richtige für sie ist, und sich eine kleine Finca an einer malerischen Bucht zum Vorzugspreis sichern. Diese Langzeit-Disponenten reservieren vermutlich Mitte 40 schon den Platz im Pflegeheim. Damit sie das schönste Bett bekommen. Ich neige bei längerfristigen Zukunfts-Entscheidungen hingegen zur Verdrängung.

So hat Sabine im Juli Geburtstag. Das erwischt uns jedesmal sehr kurzfristig. Und da wir uns nix schenken, stellt sich immer aufs Neue die Frage nach einem Kurzurlaub als kleine Belohnung fürs Durchhalten. Möglichst als Freigang aus dem Irrenhaus. Beispielsweise in Holland, da braucht man keine Maske mehr zu tragen. Das ist hinsichtlich der moralischen Verruchtheit ja vergleichbar mit dem Aufenthalt an einem Oben-Ohne-Strand in den 50er-Jahren. Für Katholiken eindeutig ein Fall für den Beichtstuhl.

Achgut.com-Autor Manfred Haferburg ist strenggläubiger Agnostiker und verbringt die Sommer da oben. Er hat auf Achgut.com kürzlich beschrieben, wie Einkaufen ohne Maske geht. Hat man ja verlernt. Ich habe Manfred einmal auf seinem alten Segler im Hafen von Sneek in Friesland besucht. Da trifft man ihn braungebrannt und gut gelaunt wie Käpt‘n Blaubär. Die Nordsee soll ja viel gesünder sein als der Süden. Letzte Woche haben Sabine und ich dann auf Airbnb noch ein kleines Ferienhaus in der Gegend entdeckt. Direkt am Wasser, mit eigenem Bootssteg. Für uns gerade noch bezahlbar. Als Vertreter der Spezies Zaudern und Zögern wollten wir aber noch eine Nacht darüber schlafen. Das war eine Nacht zu viel. Und am nächsten Morgen war die Hütte weg. Alles weg bis auf einige Restposten, die mich so traurig anschauten wie Grillwürstchen bei Aldi, die dem Verfallsdatum entgegendämmern.

„Richtig, der Vorhof zur Hölle“ 

„Es wären auch über 800 Kilometer Strecke gewesen“ tröstete sich Sabine über den Verlust hinweg, „und das an einem Freitag, von Süddeutschland aus mitten durchs Ruhrgebiet“. Also doch Kroatien? Zu Kroatien stand auf Achgut.com ebenfalls Lobenswertes über die mangelnde Corona-Disziplin. Schließlich wollen wir uns erholen. „Da ist es im Juli zu heiß“, killte Sabine den Vorschlag, „außerdem muss man durch Österreich“.

Es kam, wie es kommen musste. Ich sage nur: Gardasee. Von Augsburg 600 Kilometer. Italien. Ich sage zu Sabine: „Also auf an den Haussee der Münchner". Sabine: „Richtig, der Vorhof zur Hölle". Ich finde ein Hotel, das sich „Villa" nennt und dessen Innenausstattung an Dantes Inferno erinnert. Alte Meister und güldene Stilmöbel. Der Garten eine Mischung aus Uffizien und Legoland, sowie einer Brise Gabriele D'Annunzio. Herrlich abgefahren.

„Wir wollten doch raus aus dem Irrenhaus", sagt Sabine, „da sind wir aber mitten drin". Ich: „Ja, aber es ist ein italienisches Irrenhaus". Sabine versucht die Notbremse: „Es ist für einen Geburtstag zu teuer, wir haben kein Geld". Ich: „Wir feiern meinen Geburtstag nach, dann sind es zwei Geburtstage und die Sache kostet nur die Hälfte". Sabine: „Wir sind trotzdem pleite". Ich: „Wenn wir fahren, haben wir kein Geld, wenn wir nicht fahren, haben wir auch kein Geld. Also fahren wir". Sabine gibt sich vorübergehend geschlagen.

Kaltes Wasser in der Badewanne

Und dann zieht sie andere Seiten auf. Oder vielmehr: Sie sucht die Seiten eines Hotel-Bewertungsportals. Einen Ort also, an dem sämtliche Denunzianten, denen im Urlaub ein Haar in der Minestrone begegnet ist, furchtbar Rache nehmen wollen. Das Haus sei in die Jahre gekommen, meckert einer, und der Garten verschlampt. Ein Anderer detektierte eine Staubschicht oben auf dem Jugendstilschrank und nur kaltes Wasser in der Badewanne. Sein Resümee: „Ich werde dieses Hotel niemals wieder besuchen". Ich zu Sabine: „Das ist doch prima, ein Blödmann weniger, der mir die Laune verderben kann. Und die anderen Idioten schreckt er auch ab". Ich kläre Sabine dann noch darüber auf, dass so etwas heute unter „Shabby Chic" firmiert und von besonders erlesenem Geschmack zeugt. „Aber nicht beim Essen" sagt Sabine, „das soll auch schlecht sein". Ich entkräfte ihr Argument mit einem internationalen Vergleich: „Schlechtes Essen in Italien ist immer noch besser als gutes Essen in Holland".

Ich schlage vor, das Zimmer zu reservieren, denn da steht in Rot: „Das letzte Zimmer dieser Kategorie auf unserem Portal". Genau wie bei dem abgängigen friesischen Ferienhaus übrigens. Meine Frau ist jedoch eine Virtuosin in der Auswertung des Langzeit-Wetterberichts, noch so eine Institution zur Verhinderung rechtzeitiger Buchungs-Entscheidungen: „Übernächste Woche soll es am Gardasee regnen". Ich werde nachdenklich, weil Shabby Chic nur bei Sonne Spaß macht. Also beschließen wir, noch einmal darüber zu schlafen. Und was soll ich sagen: Heute morgen war Dantes Hölle ausgebucht.

Jetzt suchen wir an der Mecklenburgischen Seenplatte, da soll die Sonne scheinen. Ein ehemaliges FDJ-Ferienheim ist in der Endausscheidung. Es gibt noch ein Zimmer mit einem schmalen französischen Bett. „Letztes Zimmer dieser Kategorie auf unserer Seite". Wir schlafen aber nochmal drüber.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

 

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Dr.Jäger / 04.07.2021

600 Kilometer einfach?  Ist der Weg das Ziel, oder das Ziel weg, wenn der Tank leer ist?

Otto Nagel / 04.07.2021

Herr Maxeiner, glauben Sie wirklich, das “letzte Zimmer/Haus” ist plötzlich ausgebucht und Sie werden mit “viiil besser” angepriesenem überschwemmt ?  Also viel besser für den Profit des Buchungsportales !  Mein Stammhotel im Winter, das “Alpenblick” wird auch immer angeboten. Will man buchen, ist es plötzlich ausgebucht und es erscheinen teure Ersatzangebote.  Das Hotel ist aber nie voll ausgebucht, obwohl eines der besten und preislich günstigen. Der Inhaber, ein symp atischer Südtiroler, erklärt es mir :  Er weigert sich, Knebelverträge mit Buchungsportalen zu unterschreiben. Punkt !  Merke : Buchungsportale nur zur Vorauslese benutzen, dann den direkten Kontakt suchen !  Wetten, Sie bekommen das Zuimmer Ihrer Wünsche ! Gruß an Sabine, die macht ja was mit mit Ihnen !

Jean Mandel / 04.07.2021

Kommt mir alles sehr bekannt vor. Bin gespannt aus welchem Land Sie sich demnächst melden, Herr Maxeiner. Danke für die Erheiterung am Sonntagmorgen.

Detlef Rogge / 04.07.2021

Ich hasse Termindruck, besonders im Urlaub, zu bestimmter Zeit an bestimmten Ort zu sein macht Streß, dann ist man dort und es gefällt einem vielleicht nicht. Deshalb bin ich immer Individualreisender gewesen, per Auto oder Motorrad, allein oder mit Partnerin. Urlaub als Roadmovie, irgend etwas findet sich am Ende des Tages immer, natürlich sind Hotels ohne Buchung meist teurer, egal. Muß immer unterwegs sein, ein oder zwei Tage am Ort, dann weiter, meist durch Frankreich. Geht nur, wenn man die Landessprache zumindest leidlich beherrscht, sonst führt man das Leben eines Autisten. Im Alter wird diese Art des Reisens nicht leichter, geht`s nicht mehr, bleibe ich eben zu Hause.

beat schaller / 04.07.2021

Völlig richtig Herr Maxeiner, spontan und tschüss….. So haben Sie also zuerst schon zwei Chancen vergeben oder zwei mögliche Erfahrungen nicht genutzt. Meine Frau und ich ,hatten auch jeweils eine “Traditions-Ferienwoche *nur für uns. ohne Kinder. Da gibt es kein planen, Ab auf’s Motorrad und dann gen Süden. Gegen Abend dann Jeweils gegen die Augen auf für einen Platz zum schlafen, essen und das in einer schönen Umgebung. Dafür ist Italien und vor allem die Null Stern Hotels fast immer die herzlichste Überraschung. Vom Essen her sowieso, weil meistens die Nonna in der Küche ist und von der Herzlichkeit und eben dieser italienischen Art,  irgendwie befreiend. Non abiamo problemi. Solche Plätze findet man auch an einem Fluss aber auch direkt am Meer, sofern man das “Unscheinbare”, manchmal eben auch das “scheinbar verlotterte” ins Blickfeld nimmt.  Eine Erfahrung die vor allem auf Italien zutrifft nicht aber auf Frankreich. Einfachheit muss nicht unmenschlich sein und die Erfahrung erwärmte uns wesentlich mehr als jegliches 5 Stern Hotel. Erfahrungen die so tief gehen dass man sie nicht missen möchte. b.schaller

Carlo Meyer / 04.07.2021

So ähnlich geht es uns mit unserer Ferienwohnung an der Côte d’Azur. Normalerweise interessiert sich innerhalb der buckligen Verwandtschaft kein Mensch dafür: keine endlosen Sandstrände, sondern nur kleine, steinige Buchten, immer gibt es da nur Fisch, wir können eh kein Französisch, da unten ist alles teuer, da laufen doch so viele doofe Engländer herum…. In diesem Jahr sind wir gefragt wie nie. Doch bis Onkel Bastian mit seinen Kindern zu Potte kam, hat schon das halbe Büro angefragt. Sekretärinnen, Kollegen mit Lehrerin-Gattin, die nette Kollegin aus de IT . Als jetzt noch meine Schwester angedackelt kam: „Sach mal, ich kann doch nächste Woche mal in deine Bude?“ musste ich sie auf Anfang November vertrösten. Zum ersten Mal fühle ich mich begehrt mit 60 m2 und Blick auf die Mülltonnen der benachbarten Villa.

giesemann gerhard / 04.07.2021

À propos neue Saiten aufziehen: Letztes Jahr, im Frühjahr wollte ich nach Süd-Amerika fliegen, habe mich im Reisebüro meines Vertrauens erkundigt, wie es am besten nach Montevideo geht - ein paar Nächte darüber sinniert und - ach - die Krise war schneller. Hatte noch nicht gebucht und mir so viel Ärger beim Rücktreiben des Flugpreises erspart (auch als “fare dodging” bekannt). Das Büro ist längst pleite und ich schlage die letzten Seiten des letzten Kapitels meines Lebensbuches auf, und siehe da: Auch in den Alpen geht “Montevideo”. Así es la vida. Loca, como siempre.

Franz Klar / 04.07.2021

Ich empfehle den Besuch Chaim Nolls in der Wüste , Übernachtung im Beduinenzelt und regionale Ernährung nach Rüdiger Nehberg ( Wüstenmäuse , Schlangen etc ) . Kostet fast nix und bestes Wetter garantiert . Aber Achtung : exotische Tiere können Viruslastenträger sein und global gehen ... .

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