Wir haben es noch nie geschafft, einen Urlaub langfristig zu planen. Ich bewundere Menschen, die schon ein Jahr im Voraus wissen, dass Mallorca im nächsten Sommer genau das Richtige für sie ist, und sich eine kleine Finca an einer malerischen Bucht zum Vorzugspreis sichern. Diese Langzeit-Disponenten reservieren vermutlich Mitte 40 schon den Platz im Pflegeheim. Damit sie das schönste Bett bekommen. Ich neige bei längerfristigen Zukunfts-Entscheidungen hingegen zur Verdrängung.
So hat Sabine im Juli Geburtstag. Das erwischt uns jedesmal sehr kurzfristig. Und da wir uns nix schenken, stellt sich immer aufs Neue die Frage nach einem Kurzurlaub als kleine Belohnung fürs Durchhalten. Möglichst als Freigang aus dem Irrenhaus. Beispielsweise in Holland, da braucht man keine Maske mehr zu tragen. Das ist hinsichtlich der moralischen Verruchtheit ja vergleichbar mit dem Aufenthalt an einem Oben-Ohne-Strand in den 50er-Jahren. Für Katholiken eindeutig ein Fall für den Beichtstuhl.
Achgut.com-Autor Manfred Haferburg ist strenggläubiger Agnostiker und verbringt die Sommer da oben. Er hat auf Achgut.com kürzlich beschrieben, wie Einkaufen ohne Maske geht. Hat man ja verlernt. Ich habe Manfred einmal auf seinem alten Segler im Hafen von Sneek in Friesland besucht. Da trifft man ihn braungebrannt und gut gelaunt wie Käpt‘n Blaubär. Die Nordsee soll ja viel gesünder sein als der Süden. Letzte Woche haben Sabine und ich dann auf Airbnb noch ein kleines Ferienhaus in der Gegend entdeckt. Direkt am Wasser, mit eigenem Bootssteg. Für uns gerade noch bezahlbar. Als Vertreter der Spezies Zaudern und Zögern wollten wir aber noch eine Nacht darüber schlafen. Das war eine Nacht zu viel. Und am nächsten Morgen war die Hütte weg. Alles weg bis auf einige Restposten, die mich so traurig anschauten wie Grillwürstchen bei Aldi, die dem Verfallsdatum entgegendämmern.
„Richtig, der Vorhof zur Hölle“
„Es wären auch über 800 Kilometer Strecke gewesen“ tröstete sich Sabine über den Verlust hinweg, „und das an einem Freitag, von Süddeutschland aus mitten durchs Ruhrgebiet“. Also doch Kroatien? Zu Kroatien stand auf Achgut.com ebenfalls Lobenswertes über die mangelnde Corona-Disziplin. Schließlich wollen wir uns erholen. „Da ist es im Juli zu heiß“, killte Sabine den Vorschlag, „außerdem muss man durch Österreich“.
Es kam, wie es kommen musste. Ich sage nur: Gardasee. Von Augsburg 600 Kilometer. Italien. Ich sage zu Sabine: „Also auf an den Haussee der Münchner". Sabine: „Richtig, der Vorhof zur Hölle". Ich finde ein Hotel, das sich „Villa" nennt und dessen Innenausstattung an Dantes Inferno erinnert. Alte Meister und güldene Stilmöbel. Der Garten eine Mischung aus Uffizien und Legoland, sowie einer Brise Gabriele D'Annunzio. Herrlich abgefahren.
„Wir wollten doch raus aus dem Irrenhaus", sagt Sabine, „da sind wir aber mitten drin". Ich: „Ja, aber es ist ein italienisches Irrenhaus". Sabine versucht die Notbremse: „Es ist für einen Geburtstag zu teuer, wir haben kein Geld". Ich: „Wir feiern meinen Geburtstag nach, dann sind es zwei Geburtstage und die Sache kostet nur die Hälfte". Sabine: „Wir sind trotzdem pleite". Ich: „Wenn wir fahren, haben wir kein Geld, wenn wir nicht fahren, haben wir auch kein Geld. Also fahren wir". Sabine gibt sich vorübergehend geschlagen.
Kaltes Wasser in der Badewanne
Und dann zieht sie andere Seiten auf. Oder vielmehr: Sie sucht die Seiten eines Hotel-Bewertungsportals. Einen Ort also, an dem sämtliche Denunzianten, denen im Urlaub ein Haar in der Minestrone begegnet ist, furchtbar Rache nehmen wollen. Das Haus sei in die Jahre gekommen, meckert einer, und der Garten verschlampt. Ein Anderer detektierte eine Staubschicht oben auf dem Jugendstilschrank und nur kaltes Wasser in der Badewanne. Sein Resümee: „Ich werde dieses Hotel niemals wieder besuchen". Ich zu Sabine: „Das ist doch prima, ein Blödmann weniger, der mir die Laune verderben kann. Und die anderen Idioten schreckt er auch ab". Ich kläre Sabine dann noch darüber auf, dass so etwas heute unter „Shabby Chic" firmiert und von besonders erlesenem Geschmack zeugt. „Aber nicht beim Essen" sagt Sabine, „das soll auch schlecht sein". Ich entkräfte ihr Argument mit einem internationalen Vergleich: „Schlechtes Essen in Italien ist immer noch besser als gutes Essen in Holland".
Ich schlage vor, das Zimmer zu reservieren, denn da steht in Rot: „Das letzte Zimmer dieser Kategorie auf unserem Portal". Genau wie bei dem abgängigen friesischen Ferienhaus übrigens. Meine Frau ist jedoch eine Virtuosin in der Auswertung des Langzeit-Wetterberichts, noch so eine Institution zur Verhinderung rechtzeitiger Buchungs-Entscheidungen: „Übernächste Woche soll es am Gardasee regnen". Ich werde nachdenklich, weil Shabby Chic nur bei Sonne Spaß macht. Also beschließen wir, noch einmal darüber zu schlafen. Und was soll ich sagen: Heute morgen war Dantes Hölle ausgebucht.
Jetzt suchen wir an der Mecklenburgischen Seenplatte, da soll die Sonne scheinen. Ein ehemaliges FDJ-Ferienheim ist in der Endausscheidung. Es gibt noch ein Zimmer mit einem schmalen französischen Bett. „Letztes Zimmer dieser Kategorie auf unserer Seite". Wir schlafen aber nochmal drüber.
Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.