Das Auto soll dank „Viralparametern“ zu einer überwachten Intensivstation für seine Insassen werden. Getreu dem Motto: Gesund ist nur, wer nicht ausreichend untersucht wurde. Bisher sollten Autos nur arm machen, jetzt sollen sie auch krank machen.
Seit einem halben Jahr darf der Autofahrer nur noch Neuwagen erwerben, die das vollbetreute Fahren ermöglichen. Dafür wurde eine wunderbar euphemistische Sprachregelung gefunden. Sogenannte „Assistenzsysteme“ zeichnen praktisch jeder seiner Bewegungen auf. Polizei, Staatsanwaltschaft und Uschi von der Leyen sitzen auf der Rücksitzbank, weshalb ich vorschlagen möchte, hiermit auch Handschellen und geschlossene Anstalten in die Reihe fortschrittlicher „Assistenzsysteme“ aufzunehmen.
Übrigens: Auch wenn Ihr Nachbar wissen möchte, was Sie so treiben und zufällig beim Chaos-Computerclub arbeitet, kann er tiefen Einblick in ihr Seelenleben nehmen. „Wir wissen, wo dein Auto steht“, schreibt der Spiegel, denn die Bewegungsdaten von 800.000 E-Autos der Marke VW standen ungeschützt im Internet, „sichtbar war, wer wann zuhause parkt, beim BND oder vor dem Bordell“. Die Achse wird die Daten jetzt auch auswerten und eine neue Serie starten: „Wir wissen, wo der Spiegel parkt“.
Diejenigen, die im Auto auch noch den sprachgesteuerten elektronischen Assistenten „Siri“ von Apple nutzen, stehen ebenfalls unter verschärfter Beobachtung. Denn nach Amazon Alexa und Google Home steht nun auch Apple Siri im Verdacht, illegal mitgeschnittene Gespräche zu analysieren und auszuwerten. Sie sollten beispielsweise keine Drogendeals anbahnen und vor allem keinen Sex – welcher Art auch immer – haben. Denn schon das Geräusch eines öffnenden Reißverschlusses weckt die Neugier des Systems und eröffnet eine ganz neue Dimension des Reißverschlussverfahrens.
Nur ein kleiner Pieks
Jetzt zahlt Apple an eine Gruppe von Klägern im Rahmen eines Vergleiches 95 Millionen Dollar, damit der Mantel des Schweigens über die Sache gedeckt werden möge. Wobei in mir die Frage aufkeimt: Welche Art von Sex muss man betreiben, um von Apple 95 Millionen Euro Kompensation dafür zu erhalten? Außerdem wüsste ich gern, worüber die gesprochen haben. Eine Adresse in Peru mit der Anschrift des Schatzes der Inka? Das Bernsteinzimmer? Das Rheingold der Nibelungen? Den Schatz der Tempelritter? Olaf Scholz und die Warburg-Bank? Egal. Für 95 Millionen Dollar bin ich zu jeder Form von Sex bereit – er muss lediglich barrierefrei und altersgerecht sein –, außerdem bin ich bereit, alles zu gestehen und Apple dabei heimlich mithören zu lassen.
Aber zurück zum heiligen Blechle. Es deuten sich weitere Maßnahmen zu seiner Verwanzung an, die selbstverständlich nur zum Besten des Automobilisten dienen sollen. Nur ein kleiner Pieks: Auch das Gesundheitsamt, die Pharmaindustrie, der Arzt und die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) wollen aus dem „Driver Monitoring System“ nicht mehr länger draußen bleiben. So will die Brummbrumm-Branche sogenannte „Viralparameter“ bei ihrer Kundschaft überwachen.
Dazu passt: Social Media, Fitness-Tracker und ein Tsunami von bescheuerten Apps betrachten Gesundheit als ultimatives Ziel. Der finale Lebenszweck lautet: Gesund und schlank sterben. Die Herausforderung besteht darin, bevor man aus der Kurve getragen wird, als Henkersmahlzeit eine Salatblätter-Kreation ohne Dressing zu sich zu nehmen.
Die Welt schreibt: „Autohersteller entwickeln immer neue Systeme, um Gesundheitszustand und mögliche Notfälle der Mitfahrer zu erfassen.“ Es sollen über Sensoren Herzfrequenz und Puls gemessen, Vorerkrankungen herausgefunden, Alkohol- oder Drogenkonsum registriert werden, zu viel Bauchfett oder zu wenig Sauerstoff im Blut. Getreu dem Motto „als gesund gilt lediglich, wer noch nicht ausreichend untersucht wurde“. Merke: Bislang machten Autos nur arm, jetzt machen sie auch krank.
Mercedes stellt Ihnen gegen Aufpreis einen „Energizing Coach“ zur Seite, BMW hat mit der Berliner Charité eine Kooperation zu „Automotive Health“ gestartet (hoffentlich ist der Drosten nicht dabei, sonst wird bald gegen das Autovirus geimpft). Statt nur einer „Förderung des Wohlbefindens am Steuer“ wären laut BMW „Präventionsmaßnahmen“ möglich und „Notfallprogramme“. Ich freue mich schon auf den ersten BMW-Fahrer, der von seinem Untersatz ungefragt in der Notaufnahme abgeliefert wird, weil sein Puls im gleichen Maße ansteigt wie die Ladeanzeige seines E-Mobils sinkt.
Zugriff auf das E-Rezept und die E-Patientenakte
Ansonsten ist mir der Gedanke unangenehm, dass Ola Källenius oder Oliver Blume bei mir heimlich eine Darmspiegelung vornehmen, um mein Wohlbefinden am Steuer zu steigern. Am besten hat die Karre dann noch Zugriff auf das E-Rezept und die E-Patientenakte, damit sie sich wirklich umfassend um mich kümmern kann. „Es ist eine Verbindung zwischen Körper und Maschine, die in Zukunft viel enger werden könnte“, schreibt Die Welt, „die Grenze zum Auto als Medizinprodukt verwischt zusehends“.
Der französische Autositzhersteller Faurecia entwickelt bereits ein Gestühl, das zum Beispiel Haltungsmängel erkennt, die nicht nur Ermüdung oder Rückenschmerzen verursachen, sondern auch ein Sicherheitsrisiko sein können. Durchgestreckte Arme, ein nach vorne verschobenes Becken oder eine für lange Zeit bewegungslose Sitzposition, kann es laut „Autohaus“ bereits erkennen.
Ich gehe davon aus, dass auch eine zum Führergruß erhobene Hand zügig dedektiert werden kann. „Jetzt schlägt das System Alarm, übermittelt dem Fahrer Vorschläge für Gegenmaßnahmen wie eine Veränderung der Körperhaltung“, schreibt Autohaus, „unterstützt werden die Ratschläge durch gezielte Vibrationen im Sitz und durch Anpassung der Sitzhärte an kritischen Stellen“. Mich würde natürlich interessieren, welches diese kritischen Stellen sind, verkneife mir aber diesbezügliche Spekulationen.
„In Zukunft wird das Auto viel mehr sein als ein reines Fortbewegungsmittel“, sagt Isabel Jakobs, Associated Partnerin der Kanzlei Noerr in München, die Autohersteller in der Frage berät, wie weit die Lauterbachisierung des Automobils denn von Gesetz wegen gehen darf. Es gibt nämlich ein Problem, das nach einer neuen Hunderschaft von neuen EU-Bürokraten ruft. Denn die Zulassung eines neuen Modells erfordert möglicherweise nicht nur die Beachtung der Vorschriften für Fahrzeuge, sondern auch der für medizinische Geräte. Ein neuer BMW, Mercedes oder VW wird dann behandelt wie ein Dialysegerät oder ein Defibrillator. Sie werden also voll dem Charme einer Intensivstation gerecht, den sie heute schon ausstrahlen, besonders wenn sie elektrisch fahren.
Dirk Maxeiner ist einer der Herausgeber von Achgut.com. Von ihm ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Zu beziehen hier.