Theo sieht aus wie ein netter junger Mann, der keiner geregelten Arbeit nachgeht. Zwar ist er ein begabter handwerklicher Autodidakt, der sich obendrein gut mit Computern auskennt. Dies befähigt ihn also durchaus dazu, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Er besteht aber darauf, das nur dann zu tun, wenn er es für notwendig hält. Kurz: Theo ist ein freier Unternehmer mit einem festen Kundenstamm, zu dem auch ich gehöre. Er ist mir außerdem sympathisch, weil er altersgemäß links ist und gleichzeitig äußerst staatsferne Ansichten vertritt – ohne dass er dies jemals so nennen würde. Und deshalb ist er nie langweilig.
Neulich galt es ein voluminöses Schlafsofa zu zerlegen, in den ersten Stock zu transportieren und dort wieder aufzubauen. Wie immer bei solchen Aktionen ging irgendetwas kaputt und Theo musste in den Baumarkt ein paar Schrauben holen. Da er kein eigenes Auto hat, warf ich ihm den Schlüssel meines alten Volvo Kombi, Baujahr 1989, zu. Der ist so ein Mir-ist-alles-egal-Auto, ein bisschen Rost, selten gewaschen, auf der Ladefläche liegen ein paar leere Pizza-Schachteln rum. Vom Vorbesitzer habe ich eine Nummernschildumrahmung geerbt, auf der klein aber gut lesbar steht "katholisch". Theo stieg in dieses Auto und ward nicht mehr gesehen. Eine Stunde verging, zwei, drei. Nach vier Stunden rollte er schließlich wieder auf den Hof. Was war geschehen?
Eine Theo entgegen kommende Polizeistreife hatte ihn erspäht und sich offenbar sofort in ihn verliebt. Jedenfalls legten Sie einen entschlossenen U-Turn hin und zogen den katholischen Volvo samt Theo aus dem Verkehr. Die beiden jungen Beamten, mehr oder weniger im gleichen Alter wie Theo, waren aus irgendeinem Grund der festen Überzeugung, Theo sei vollkommen zugekifft oder gar schlimmeres. Dem war aber nicht so, Theo war so clean wie eine ungeöffnete Packung Tempotücher. Das half ihm aber nichts: Erst nach dem Vollzug von allerlei Untersuchungen und dem Besuch der Wache entließ man ihn unwillig wieder in die freie Wildbahn.
Zwei stimmige Charaktere fahren der Dämmerung entgegen
Theo ist seitdem der festen Überzeugung, dass mein Volvo in Verbindung mit seiner Person ein schlechtes Karma hat. Da ist was dran, schließlich bin ich noch nie ohne Grund aus dem laufenden Verkehr gezogen worden. Die Kombination älterer Herr mit älterem Volvo ist offenbar unproblematisch, weil hier zwei stimmige Charaktere der Dämmerung entgegen fahren. Das interessiert junge Wachtmeister offenbar nicht.
Ganz anders wirkt ein alter Volvo in Kombination mit einem jüngeren Herren mit dicker Sonnenbrille, Zigarette im Mundwinkel und leicht abfälligem Gesichtsausdruck. Inwieweit die Aufschrift "katholisch" eine Rolle spielt, vermag ich nicht zu sagen. Der Gesamteindruk entfaltet auf rechtschaffende Menschen offenbar eine leicht provokante Wirkung, so als ob jemand auf die Heckklappe in großen Lettern "leckt mich am Arsch" geschrieben hätte. Für die Ordnungshüter stand jedenfalls fest: Hier kann es sich offenbar nur um ein mobiles Drogendepot während der Auslieferungsfahrt handeln.
Als das Sofa zusammengebaut war, haben Theo und ich uns erstmal draufgesetzt und ein Bier aufgemacht. Wir sind dann sehr schnell darauf gekommen, dass Drogen und Sucht kulturell eine enge Verbindung zum Automobil aufweisen, weil beide gleichermaßen als Fluchthelfer gelten. Dafür reicht ein kleiner Ausflug in Roadmovies und Kultfilme. Die Polizei spielt darin stets die Rolle des vernagelten Stinkstiefels, was Theo zu der Bemerkung veranlasst: "Die waren zu oft im Kino und haben das wohl verinnerlicht".
In Vanishing Point (Fluchtpunkt San Francisco) liefert sich ein Ex-Rennfahrer auf Amphetaminen mit einem frisierten Dodge Challenger ein Rennen gegen die Zeit. Das Ganze unterlegt mit 60er Jahre Musik von DJ „Souper Soul“, der verrät wo die Cops lauern. Amphetamine nennt man übrigens auch Speed. Der Hauptdarsteller Kowalski wettet, dass er es innerhalb von 15 Stunden mit seinem Doge von Denver nach San Francisco schafft. Eine ganze Nation fiebert mit dem „letzten amerikanischen Helden", während er eine Straßensperre nach der anderen durchbricht. Über das Ende sei so viel verraten: Der Regisseur wollte mit dem explodierenden Dodge das Eintreten von Kowalski in eine andere Welt darstellen. Ist ihm auch gelungen: Passender Sountrack für Nachahmer: The Doors: „Break on through to the Other Side“.
Schon nach sechs Schnitten im Film gönnt man sich eine Nase Koks
Von Hunter S. Thompson dem Autoren des später verfilmten Buches Fear and Loathing in Las Vegas ist das Zitat überliefert: „Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarke Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher … sowie einen Liter Tequila, eine Flasche Rum, eine Kiste Bier, einen halben Liter unverdünnten Äther und zwei Dutzend Poppers. Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten. Nicht, dass wir das ganze Zeug für den Trip wirklich brauchten, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, eine ernsthafte Drogen-Sammlung anzulegen, neigt man eben dazu, extrem zu werden.“
Peter Fonda und Dennis Hopper, die Helden von Easy Rider, sind durch Kokainschmuggel zu Geld gekommen. Davon kaufen sie zwei Harleys und fahren los. Zeit spielt keine Rolle und so wirft Fonda seine Uhr in den Wüstenstaub. Schon nach sechs Schnitten im Film gönnen sich die Beiden ihre erste Nase Koks. Und Steppenwolf dröhnt: „Born to be wild“. Als die beiden Biker aus dem Knast kommen, ziehen sie erst mal eine Flasche Whiskey rein. Weil nur Motorradfahren langweilig ist, haben sie ein bisschen Gras und LSD im Gepäck. Das Betäubungsmittelgesetz stuft LSD als nicht verkehrsfähig ein, was Dennis Hopper und Peter Fonda aber irgendwie nicht mitgekriegt haben. Sie werfen es mit zwei Prostituierten auf dem Friedhof von New Orleans rein. Prinzipiell eine lustige aber letztendlich doch eine schlechte Idee: Es folgt ein Horrortrip. Der Zuschauer erlebt es dank verwackelter Super-8-Bilder stilecht mit.
Mit dem erscheinen von Thelma & Louise war klar: Frauen können Autofahren, Schießen, Saufen und am liebsten alles zusammen. Auch war klar: Frauen sind zu Großartigem fähig: Raubüberfall, Polizisten-zum-Weinen-bringen und LKWs-in-die Luft-sprengen. Irgendwann hört man auf zu zählen wie viel Schnaps-Shots sich die Mädels am Steuer reinhauen. Aber mit irgendwas müssen sie ja ihre Taten kompensieren. Auf der Flucht vor dem Gesetz quer durch den amerikanischen Westen zeigt sich das Männer echte Arschlöcher sein können. Besonders Brad Pitt: Der klaut den Mädels nämlich ihre Kohle. Die Handlungen gegen das männliche Geschlecht sind also gerechtfertigt. Nur das Ende des Films wird dem Ford Thunderbird-Fan ein Dorn im Auge sein. Hätten sich die beiden Mädels denn nicht ohne ihr Auto in den Grand Canyon stürzen können?
Doch es gibt noch einen ganz anderen Ansatz zum Thema Roadmovie und Suchtverhalten. Keine Branche hat mehr Roadmovies gedreht als die Pornoindustrie. Titel wie „Gib, Gummi Junge!“, „Hot Ass-phalt“ und „Ölwechsel“ setzen internationale Maßstäbe. Das längst verblichene Magazin „Motorraver“ unterzog das Genre sogar einem ausführlichen Test, was die Jungs sofort auf den Index für jugendgefährdende Schriften beförderte. Und damit schließt sich der Kreis: Im Volvo Kombi finden laut einer Umfrage des britischen Autoversicherers „Yesinsurance“ mehr sexuelle Begegnungen statt, als in jedem anderen Autotyp. Theo ist das aber vollkommen egal: „Ich rühr das Ding nicht mehr an.“